Ränderung
Als Ränderung (engl.: Bordering Method) bezeichnet man ein Verfahren zur Verbesserung der Lösungseigenschaften linearer Gleichungssysteme. Das Verfahren kommt in der linearen Algebra und der Numerik zur Anwendung.
Einem linearen Gleichungssystem
mit singulärer oder schlecht konditionierter Systemmatrix kann man durch Hinzufügen von Zeilen und Spalten zu und entsprechendes Vergrößern von und ein erweitertes lineares Gleichungssystem zuordnen, bei dem die Systemmatrix gut konditioniert (also auch regulär) ist. Die einfachen Beispiele in den nächsten zwei Abschnitten sollen das verdeutlichen. Die durch Zeilen und Spalten ergänzte Systemmatrix bezeichnet man auch als geränderte Matrix.
Beispiel (Regularisierung)
Gegeben sei das Gleichungssystem
mit der -Systemmatrix , dem Einervektor der Unbekannten und der rechten Seite . Dieses kann durch Ränderung der Systemmatrix mit der Spalte und der Zeile regularisiert werden:
Die zu dem ursprünglichen System hinzugekommenen Einträge sind überstrichen. Das geränderte System hat die eindeutige Lösung mit . Davon ist die durch die Ränderung dem ursprünglichen Problem zugeordnete Lösung . Die Größe von drückt aus, wie stark der regularisierende Einfluss der Ränderung ist.
Beispiel (Verbesserung der Kondition)
In diesem Beispiel sei ein bzgl. der euklidischen Norm mit 10 % Fehler behafteter Messwertvektor aus dem mit Hilfe der Gleichung
die Größen ermittelt werden sollen. Für ergibt sich die Lösung Für die um ca 10 % abweichende (also innerhalb der Fehlertoleranz liegende) rechte Seite ermittelt man die vollkommen andere Lösung .
Ein Maß dafür, wie stark sich relative Fehler in der Messung auf den relativen Fehler des Rechenergebnisses auswirken, ist die Kondition der Systemmatrix
Für die spezielle Wahl von aus diesem Beispiel ergibt sich . Relative Fehler in den Messdaten können sich also durch die schlechte Kondition der Matrix ca. hundertfach im relativen Fehler der aus diesen Daten berechneten Größen niederschlagen.
Dieser Effekt ist im folgenden Bild für die oben vorgegebenen rechten Seiten grafisch veranschaulicht. Aus dem oberen Teil des Bildes erkennt man, dass die zwei Spaltenvektoren und von beinahe linear abhängig voneinander sind.
Dadurch fallen die im unteren Teil des Bildes rot dargestellten zwei rechten Seiten und , die sehr nahe beieinander liegen, in die Bildräume unterschiedlicher Spalten von und die Koeffizienten in
unterscheiden sich beim Wechsel von zu stark voneinander.
Effekt einer Ränderung: Das Hinzufügen einer zusätzlichen Zeile zu entspricht der Erweiterung des Wertebereiches von um eine Dimension vom zum und mit dem Ergänzen einer Spalte kommt ein neuer Spaltenvektor hinzu. Durch geschickte Wahl der zusätzlichen Komponenten und des zusätzlichen Spaltenvektors erreicht man, dass die Spaltenvektoren der geränderten Matrix wesentlich besser voneinander separiert werden. Genauer wählt man die neuen Freiheitsgrade möglichst so, dass die Spalten der geränderten Matrix senkrecht aufeinander stehen und die gleiche Länge haben.
Im Beispiel erreicht man das näherungsweise mit der Ränderung
Die Lage der Spaltenvektoren der geränderten Matrix im ist im folgenden Bild veranschaulicht.
Für das geränderte System
ergeben sich mit den geränderten rechten Seiten und jeweils die Lösungen bzw. . Die für die Messaufgabe wesentlichen Komponenten und ändern sich also durch die 10 %ige Störung von überhaupt nicht.
Das ist in den folgenden zwei Bildern noch einmal veranschaulicht.
Die Konditionszahl der geränderten Matrix hat sich auf verringert. Der relative Fehler wird sich durch die Berechnung von aus den Messwerten also nur noch höchstens um ca. 15 % verschlechtern.
In diesem motivierenden Beispiel wurde die Ränderung sehr einfach gehalten. Durch eine geschicktere Wahl der Ränderung ist erreichbar, dass sich der relative Fehler durch die Berechnung von aus überhaupt nicht mehr verschlechtert, dass also gilt.
Regularisierung
Sei eine reelle -Matrix und ein dazu passender -dimensionaler Spaltenvektor. Eine geränderte Matrix
mit passenden Matrizen und ist genau dann regulär, wenn die Zeilen von eine Basis des Kerns von bilden und die Spalten von ein minimales System von Spalten ist, das zusammen mit den Spalten von den aufspannt. In diesem Fall lässt sich das geränderte System
eindeutig lösen und die Dimension der (quadratischen) geränderten Matrix ist (hierbei ist der Defekt von ).
Je nach Wahl der Matrizen und kann man verschiedene Aufgaben lösen. Spannen zum Beispiel die Zeilen von den Kern von auf und die Spalten von das orthogonale Komplement des Bildes von , so ist aus der Lösung des geränderten Gleichungssystems gerade mit der Pseudoinversen von . Den Kern von kann man mit Hilfe des Gaußschen Eliminationsverfahrens berechnen und das orthogonale Komplement des Bildes von berechnet man günstigerweise als Kern von .
Optimale Ränderung
Die Idee aus dem letzten Abschnitt wird hier aufgegriffen und eine beliebige Matrix so gerändert, dass die Spalten der erweiterten Matrix alle senkrecht aufeinander stehen und die gleiche euklidische Norm haben. Die erweiterte Matrix ist dann das Produkt des größten Singulärwertes von mit einer orthogonalen Matrix und hat damit die minimal mögliche Konditionszahl eins. Die hier benutzte Darstellung orientiert sich an [1].
Singulärwertzerlegung als Hilfsmittel zur Ränderung
Die Struktur der Systemmatrix kann man mit Hilfe einer aus der Singulärwertzerlegung von gewonnenen Koordinatentransformation , vereinfachen. Die neue Systemmatrix hat dann sehr viele Nulleinträge. Nur die Elemente sind mit Nichtnullelementen, nämlich den Singulärwerten , belegt. Hierbei ist der Rang der Matrix .
Die Transformationsmatrizen und sind orthogonal und damit normerhaltend , . Daraus folgt, dass die transformierte Systemmatrix die gleiche Kondition hat, wie die originale Systemmatrix .
Eine Erweiterung
der Matrix um Matrixblöcke (zueinander passender Dimensionen) entspricht eine Ränderung der Matrix , wenn man die Transformationsmatrizen und passend durch Teile der Einheitsmatrix ergänzt:
Die erweiterten Transformationsmatrizen und sind wieder orthogonal, womit die Kondition der erweiterten Systemmatrix mit der der Matrix übereinstimmt.
Im Folgenden brauchen also nur noch Matrizen untersucht werden, die eine Systemmatrix mit der (von der Singulärwertzerlegung her bekannten) Struktur
mit einer ganzen Zahl haben.
Ergänzung einer rechteckigen Matrix zu einer quadratischen
Hier wird nur die Ränderung von Matrizen mit mehr Zeilen als Spalten beschrieben (). Durch Transposition kann man die Aussagen auf Matrizen mit mehr Spalten als Zeilen übertragen. Mit den Aussagen aus dem vorhergehenden Abschnitt ist klar, dass man sich auf die Untersuchung von Matrizen der Form
beschränken kann, wobei eine positiv semidefinite Diagonalmatrix und eine Nullmatrix mit der gleichen Anzahl an Spalten wie ist. Zunächst wird vorausgesetzt, dass keine Nullmatrix ist. Das maximale Diagonalelement von ist also größer null. Dann ist es günstig, die fehlenden Spalten durch die an diese Spaltenpositionen gehörigen Spalten der mit skalierten Einheitsmatrix zu ergänzen:
Falls regulär ist, trifft das auch für die geränderte Matrix zu. Man hat also die Matrix in diesem Falle regularisiert.
Nachdem man die Rechteckmatrix so zu einer quadratischen ergänzt hat, kann man die im nächsten Abschnitt beschriebene Ränderung benutzen, um die Matrix besser zu konditionieren (oder, falls singulär ist, zu regularisieren). Dort wird sich herausstellen, dass die Wahl von als Skalierungsfaktor günstig ist, da man die Norm dieser Spalten dann nicht mehr künstlich durch eine Ränderung vergrößern muss.
Optimale Ränderung einer quadratischen Matrix
Im vorhergehenden Abschnitt wurde beschrieben, wie man eine rechteckige Matrix durch Ränderung günstig zu einer quadratischen ergänzen kann. Hier wird nun darauf eingegangen, wie sich die Kondition einer quadratischen Matrix verbessern oder im singulären Fall die Matrix regularisieren lässt.
Der Unterabschnitt zur Singulärwertzerlegung zeigt, dass man sich dabei auf die Ränderung von Diagonalmatrizen beschränken kann.
Die Spaltenvektoren der Matrix stehen bereits senkrecht aufeinander. Man muss sie nur noch geeignet verlängern, damit sie normgleich werden. Dabei fängt man mit dem letzten Spaltenvektor an, dessen Komponente den kleinsten Wert der Diagonalelemente von hat. Zunächst ergänzt man durch eine Zeile , was einer Erweiterung des Spaltenvektorraumes um eine Dimension entspricht (der Punkt steht hier als Stellvertreter für den Spaltenindex). In dieser zusätzlichen Dimension verlängert man den letzten Spaltenvektor der erweiterten Matrix so weit, dass er die gleiche euklidische Länge wie der erste (längste) Spaltenvektor von bekommt (also die Länge ):
Die Spaltenvektoren der erweiterten Matrix bleiben dadurch orthogonal zueinander. Um wieder eine quadratische Matrix zu erhalten, muss man noch eine Spalte ergänzen. Dazu wählt man günstigerweise eine Spalte mit
Die Spalte hat die gewünschte Norm und steht wiederum senkrecht auf allen anderen Spalten der erweiterten Matrix
- .
Durch analoges Ergänzen weiterer Zeilen und Spalten kann man sukzessive die Norm aller Spaltenvektoren der erweiterten Matrix angleichen. Wie gewünscht, ist das Ergebnis eine Systemmatrix, deren Spalten alle orthogonal aufeinander stehen und die gleiche Norm haben.
Weblinks
- G.D. Kim: Bordering Method. In: Michiel Hazewinkel (Hrsg.): Encyclopedia of Mathematics. Springer-Verlag und EMS Press, Berlin 2002, ISBN 1-55608-010-7 (englisch, encyclopediaofmath.org).
Einzelnachweise
- Uwe Schnabel: Minimierung der Konditionszahl durch Ränderung von Matrizen. Preprint IOKOMO-05-2001, TU Dresden. 2001.