Quintanstiegssequenz

Der Begriff Quintanstiegssequenz eignet sich generell für Sequenzen, deren Glieder jeweils eine Quinte auf- bzw. eine Quarte abwärts versetzt werden,[1] wird in der Musiktheorie aber insbesondere verwendet für ein Satzmodell, dessen Bassstimme abwechselnd in ansteigenden Quinten und fallenden Quarten fortschreitet.[2] Da das Sequenzmodell dabei in der Regel eine solche Fortschreitung (Quintanstieg bzw. Quartfall) enthält, ergibt sich für die Sequenzglieder ein Versetzungsintervall von jeweils einer Sekunde aufwärts.


  \new Staff {
  \override Score.TimeSignature.stencil=##f
  \override Score.BarLine.stencil=##f
  \clef bass
  \time 6/2
  { \[ \tweak NoteHead.color #blue \tweak Stem.color #blue c2^"Versetzungsintervall" g \tweak NoteHead.color #blue \tweak Stem.color #blue d\] a e b }
}

Die Basstöne dieser von Fedele Fenaroli (1730–1818) als „movimento principale[3] (deutsch „Haupt-Fortschreitung“) klassifizierten Sequenz lassen sich jeweils mit der Terz und der Quinte harmonisieren. Anders als bei der Quintfallsequenz ist dies mit leitereigenen Tönen in Dur nur von der I. bis zur III. Stufe möglich,[4] da sich über der darauffolgenden VII. Stufe eine verminderte Quinte ergeben würde, die hier klanglich aus dem Rahmen fällt. In Moll begegnet der verminderte Dreiklang bei einer Quintanstiegsfolge ab der I. Stufe bereits im dritten Akkord, weshalb das Modell dort keine Verwendung findet.


\version "2.14.2"
\header {
  tagline = ##f
}
upper = \relative c'' {
  \override Score.TimeSignature.stencil=##f
  %\override Score.BarLine.break-visibility = #all-invisible
  \clef treble 
  \key c \major
  \time 2/2
  \tempo 2 = 60

<< { < g c e >2 < g b d > <a d f > < a c e > < b e g > < b d \tweak NoteHead.color #red \tweak Stem.color #red f > } \bar "||" >>

}
lower = \relative c {
  \clef bass
  \key c \major
c2 g' d a' e \tweak NoteHead.color #red \tweak Stem.color #red b' \bar "||"
}

\addlyrics { I V II VI III VII}

\score {
  \new PianoStaff <<
    \new Staff = "upper" \upper
    \new Staff = "lower" \lower
  >>
  \layout {
    \context {
      \Score
      \remove "Metronome_mark_engraver"
    }
  }
  \midi { }
}

Bedient man sich jedoch zusätzlich leiterfremder Töne, ergeben sich mithilfe dieses Satzmodells Möglichkeiten zur Modulation auch in entferntere Tonarten:


\version "2.14.2"
\header {
  tagline = ##f
}
upper = \relative c'' {
  \override Score.TimeSignature.stencil=##f
  %\override Score.BarLine.break-visibility = #all-invisible
  \clef treble 
  \key c \major
  \time 2/2
  \tempo 2 = 60

<< { < g c e >2 < g b d > <a d f > < a c e > < b e g > < b d fis >4 <fis b d > <g b cis > < fis ais cis > <d fis b >2  } \bar "||" >>

}
lower = \relative c {
  \clef bass
  \key c \major
c2^"C-Dur" g' d a' e^"h-Moll" b' e,4 fis b,2 \bar "||"
}

\addlyrics { I V II VI III }
\addlyrics { _ _ _ _ IV I }

\score {
  \new PianoStaff <<
    \new Staff = "upper" \upper
    \new Staff = "lower" \lower
  >>
  \layout {
    \context {
      \Score
      \remove "Metronome_mark_engraver"
    }
  }
  \midi { }
}

Auf diese Weise moduliert Robert Schumann zu Beginn des zweiten Teils des Minore II-Abschnitts seiner Arabeske op. 18 von F-Dur nach e-Moll.[5]

Bei der in der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts wohl gebräuchlichsten Realisierung stufenweise aufwärts sequenzierter Quintanstiege erscheint über jedem Basston ein Quartvorhalt, wobei die beiden Oberstimmen zusammen einen Kanon in der Unterquarte bzw. Oberquinte bilden:


\version "2.14.2"
\header {
  tagline = ##f
}
upper = \relative c'' {
  \override Score.TimeSignature.stencil=##f
%  \override Score.BarLine.break-visibility = #all-invisible
  \clef treble 
  \key c \major
  \time 2/2
  \tempo 2 = 60

<< {g4 c ~ c b a d ~ d c b e ~  } \\ {r2 d,4 g ~ g f e a ~ a g } >>

}
lower = \relative c {
  \clef bass
  \key c \major
c2 g' d a' e 
}

\score {
  \new PianoStaff <<
    \new Staff = "upper" \upper
    \new Staff = "lower" \lower
    \new FiguredBass { \figuremode { r2 <4>4 <3> <4> <3> <4> <3> <4> <3> } }
  >>
  \layout {
    \context {
      \Score
      \remove "Metronome_mark_engraver"
    }
  }
  \midi { }
}

Eine auf diese Weise ausgestaltete Quintanstiegssequenz findet sich z. B. in den Anfangstakten des Präludiums C-Dur (BWV 924) von Johann Sebastian Bach, im Chor Surely, He hath borne our griefs (T. 19–21) aus Georg Friedrich Händels Oratorium Messiah (HWV 56) oder im zweiten Satz (T. 60–64) der Sinfonie Nr. 104 von Joseph Haydn.

Andere Bezeichnungen

In der angelsächsischen Musiktheorie hat Robert Gjerdingen für das Modell den Begriff „Monte Romanesca“ geprägt, da es wie die Romanesca mit dem Schritt I–V beginnt, dann jedoch im Gegensatz dazu steigt (wie ein Monte), anstatt zu fallen.[6] Im deutschsprachigen Raum kursiert außerdem die Bezeichnung „Quint-Quart-Gegenschritt“,[7] die aber von manchen Autoren ebenfalls für die Quintfallsequenz verwendet wird.[8]

Quellen und Literatur (chronologisch)

  • Fedele Fenaroli: Cours complet d’harmonie et de haute composition. Launer, Paris o. J. (online).
  • Alexandre-Étienne Choron, Vincenzo Fiocchi: Principes d’accompagnement des écoles d’Italie. Janet et Cotelle, Paris 1804 (online).
  • Ulrich Kaiser: Gehörbildung. Satzlehre, Improvisation, Höranalyse. Bärenreiter, Kassel 1998, Bd. 1 (Grundkurs) ISBN 3-7618-1159-4, Bd. 2 (Aufbaukurs) ISBN 3-7618-1160-8.
  • Robert Gjerdingen: Music in the Galant Style. Oxford University Press, Oxford 2007, ISBN 978-0-19-531371-0.
  • Folker Froebe: „Ein einfacher und geordneter Fortgang der Töne, dem verschiedene Fugen, Themen und Passagen zu entlocken sind“. Der Begriff der „phantasia simplex“ bei Mauritius Vogt und seine Bedeutung für die Fugentechnik um 1700. In: Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie. 5/2–3, 2008, S. 195–247 (online).
  • Heinz Acker: Modulationslehre. Übungen, Analysen, Literaturbeispiele. Bärenreiter, Kassel 2009, ISBN 9783761821268.
  • Ludwig Holtmeier, Johannes Menke, Felix Diergarten: Solfeggi, Bassi e Fughe. Georg Friedrich Händels Übungen zur Satzlehre. Florian Noetzel Verlag, Wilhelmshaven 2013, ISBN 978-3-7959-0906-2.
  • Johannes Menke: Kontrapunkt II: Die Musik des Barock. Laaber-Verlag, Laaber 2017, ISBN 978-3-89007-826-7.

Einzelnachweise

  1. z. B. Ludwig van Beethoven, Klaviersonate in C-Dur op. 2 Nr. 3, 1. Satz, T. 27–39.
  2. Siehe z. B. Kaiser 1998, Bd. 1, S. 190–196.
  3. Fenaroli, S. 88; zu jenen „movimenti principali“ zählt Fenaroli außerdem den stufenweise aufwärts sequenzierten Quartanstieg (Monte), den terzweise abwärts sequenzierten Quartfall (Romanesca) und den stufenweise abwärts sequenzierten Quartanstieg (Quintfallsequenz).
  4. Choron/Fiocchi 1804, S. 31: „[...] il ne peut avoir lieu que dans le mode Majeur, et doit se terminer sur la troisième du Ton.“
  5. Vgl. Acker 2009, S. 389.
  6. Gjerdingen 2007, S. 99.
  7. Vgl. z. B. Holtmeier/Menke/Diergarten 2013, S. 100.
  8. Vgl. z. B. Froebe 2008, S. 207.
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