Pucken

Mit der Wortneuschöpfung Pucken bezeichnet man Wickeltechniken, bei denen Säuglinge in den ersten Lebensmonaten eng in ein Tuch eingebunden werden. Es handelt sich hierbei um moderne Abwandlungen von sehr alten Methoden der Säuglingspflege, die gewöhnlich als Wickeln bezeichnet werden. Im Unterschied zu den traditionellen Wickelmethoden wird das Kind beim Pucken nicht mit langen Stoffbändern umwickelt, sondern mit Tüchern umgeben.

Ziel des heutigen Puckens ist es, dem Neugeborenen Grenzen für die Bewegung seiner Arme und Beine zu setzen. Diese Grenzsetzung wird als hilfreich für die Beruhigung des Kindes angesehen. Außerdem wirke es schlaffördernd. Über die Art und Weise, die Festigkeit und Dauer der Anwendung dieser Techniken herrscht kein Konsens. Daher ist nicht völlig klar, welche Technik jeweils mit Pucken bezeichnet wird: Die Formen reichen vom festen Einbinden in Stofftücher über die Verwendung von Textilien mit Klettverschluss zum Fixieren der Arme bis hin zur Verwendung eines Schlafsacks. Auch die Fixierung von Armen und Beinen wird unterschiedlich gehandhabt.

Die Wirkung des Puckens auf Babys wird von Fachleuten kontrovers diskutiert.

Ein gepuckter Säugling

Kulturgeschichte

Das heutige Pucken ist eine Abwandlung der historischen Wickelmethoden, wie sie in zahlreichen Kulturen angewendet wurden. Zentral war dabei das Umwickeln des Kindes mit langen Stoffbändern, siehe dazu auch Fatschenkind. Antike Autoren wie der Arzt Soranos von Ephesos (um 100 n. Chr.) gingen davon aus, dass der Körper des Babys weich und formbar sei und daher in eine unbewegliche Streckstellung gebracht werden und geformt werden müsse. Die Befürchtung, dass ohne das Wickeln die weichen Glieder des Säuglings deformiert würden, war jahrhundertelang weit verbreitet. Im 18. Jahrhundert wurde das Wickeln zunächst in England weitgehend abgeschafft, später dann in den übrigen westeuropäischen Ländern. Im westlichen Kulturraum ist die traditionelle Einschnürung der Säuglinge weitgehend aufgegeben worden, in anderen Kulturen wird sie teilweise noch angewandt.

Die deutschen Säuglinge wurden angeblich länger und fester gewickelt als die in Frankreich und in England, wo diese Methode auch früher aufgegeben wurde. Die Position der Aufklärung wird zum Beispiel von Johann Georg Krünitz in der Oeconomischen Encyklopädie vertreten. Er ist zwar der Ansicht, dass Kinder nach der Geburt zunächst gewickelt werden müssen, um dem Körper Halt zu geben, jedoch nicht in der damals üblichen Art des „Einschnürens“. So heißt es bei ihm:

„Es ist die großte Grausamkeit, ein Kind etliche Stunden lang in die engesten Bande einzuschlagen, um ihm die freye Bewegung der Glieder zu nehmen. […] Das bleiche Gesicht, der magere Körper, und das sieche Leben der in Banden eingekerkert gewesenen Kinder, beweisen genug, wie vielen Schaden die Eingeweide dadurch leiden […] Es ist nicht zu verwundern, wenn die Kinder in diesen Fesseln den ganzen Tag traurig sind, und ausser dem Schlafe ihre Zeit mit Weinen zubringen.“

Krünitz: Oeconomische Encyclopädie, Artikel „Kind“

Krünitz empfiehlt, das Baby schon nach 14 Tagen nur noch locker zu wickeln, damit es sich bewegen könne.

Dennoch wurde diese Wickelmethode in Deutschland einigen Quellen zufolge noch im 19. Jahrhundert relativ strikt angewandt. Im Jahr 1877 erschien in einem englischen Magazin ein Artikel, in dem ein deutsches Baby als „klägliches Objekt“ bezeichnet wird, das wie eine Mumie eingewickelt werde und nur kurz zum Wechseln der Windeln von seinen Bandagen befreit werde. Diese Methode wurde bis zum sechsten Monat angewandt.[1] Noch Anfang des 20. Jahrhunderts wurden deutsche Säuglinge in den ersten acht Wochen nur zum Windelwechsel herausgenommen, weil man den Körper für extrem schwach und zerbrechlich hielt.[1]

Wirkungen des Puckens

Die Reaktionen der Babys auf das Gewickeltwerden sind unterschiedlich: Viele wehren sich zunächst gegen das Gewickeltwerden, geben aber dann schnell auf und werden passiv.[2] Sowohl Weinen außerhalb des Wiegenbretts kommt vor als auch Verweigern des Wiegenbretts nach längerer Zeit außerhalb.[3] Verschiedene Untersuchungen konnten zeigen, dass gepuckte Kinder länger und ruhiger schlafen, dabei mehr Zeit im Non-REM-Schlaf verbringen und weniger leicht spontan, jedoch leichter bei akustischen Reizen aufwachen.[4][5][6] Einzelne Autoren halten diese Methode für geeignet, die Akzeptanz der Rückenlage zur Vorbeugung gegen plötzlichen Kindstod zu erhöhen, da viele Eltern trotz anderslautender Empfehlungen die risikoreichere Bauchlage vorziehen, weil die Kinder auf dem Bauch angeblich besser schlafen würden.[7]

Positive Effekte des Puckens bei vorgeschädigten Babys und Frühgeborenen

Es gibt Hinweise, dass diese Wickelmethode die Schreidauer signifikant bei hirngeschädigten Babys verringern kann[8] und schmerzberuhigend wirkt.[6] Daher wird das Pucken von verschiedenen Seiten auch zur Unterstützung der Behandlung von Schreibabys empfohlen.[6] Pucken wirkt unterstützend in Fällen des Neonatalen Abstinenzsyndroms sowie bei neonatalen Hirnschäden.[6]

Frühgeborene Babys werden nicht traditionell gewickelt. Frühgeborene Babys weisen aufgrund ihrer physiologischen Unreife (insbesondere von Lungen, Nieren und Herz) eine ganze Reihe medizinischer Probleme auf. Ihr motorischer Entwicklungsrückstand ist mitunter beträchtlich, und sie ermüden schnell. In den Frühgeborenenstationen werden zahlreiche medizinische Interventionen ausgeführt, um das Leben dieser Kinder zu erhalten und zu erleichtern. Das „Wickeln“ dieser Frühchen (very low birth weight infants, VLBW infants) erfolgt sehr locker und dient dazu, die schwachen und wenig beweglichen Arme am Körper des Kindes zu halten. Infolge dieser Hilfe kann das frühreife Baby gewisse Bewegungen ausführen.[9] Ziel dieser Wickelform ist also die Erleichterung von Bewegungen. Daher ist diese Form des „Wickelns“ vom eigentlichen Wickeln zu unterscheiden. Die extrem retardierte motorische Entwicklung dieser Kinder erfordert die Simulation des zuvor „schwerelosen“ Zustands der Arme im wässrigen Medium des Uterus. Daher werden die Arme der Kinder in Beugung (nicht in Streckung wie bei Soranus beschrieben) gewickelt, die Hände nahe am Mund platziert.[10] Diese Position erlaubt die Selbstberuhigung, etwas, was bei gewöhnlichem Wickeln gerade verhindert wird. Frühgeborene zeigten eine verbesserte neuro-muskuläre Entwicklung, weniger physiologischen Stress, bessere Motorik und bessere Selbstregulation, wenn sie gewickelt wurden.[6]

Negative Effekte des Puckens

Empirisch nachgewiesene negative Wirkungen des Puckens[11] bzw. Wickelns beziehen sich auf folgende Probleme:

  • Traditionelle Formen des Wickelns erhöhen das Risiko für Hüftdysplasie,[12] sofern dabei die Beine gestreckt und aneinandergelegt werden.
  • Während das Pucken zunächst die risikoärmere Rückenlage fördert, führt die Kombination von Pucken und Bauchlage zu einem höheren Risiko für den plötzlichen Kindstod.[13] Es sollte daher beendet werden, wenn sich der Säugling selbständig zu drehen beginnt.[6]
  • Das Risiko, an Atemwegsinfektionen zu erkranken – insbesondere bei zu engem Wickeln[6] – war in einer Studie um das Vierfache erhöht.[14]
  • Bei Fehlanwendung besteht die Gefahr von Überwärmung (Hyperthermie).[6]
  • Durch das lange ruhige Liegen besteht die Gefahr der Abplattung des Hinterkopfs.[15]
  • Wickeln unmittelbar nach der Geburt kann bei normal entwickelten Babys zu einer verspäteten Gewichtszunahme führen.[6] Dieser Effekt wird von den Autoren einer Studie auf den verringerten direkten Hautkontakt zwischen Baby und Mutter zurückgeführt.[16] Werden Kinder während der ersten zwei Stunden nach der Geburt gewickelt und räumlich von der Mutter getrennt oder fehlt dabei der Hautkontakt, werden mütterliches Beziehungsverhalten, affektive Zuwendung und Gegenseitigkeit nachhaltig erschwert, wie anhand einer Untersuchung von Mutter-Kind-Dyaden bei einjährigen Babys festgestellt wurde.[17]
  • Wickeln geht mit verringertem Körperkontakt zwischen Kind und Mutter einher.[18]

Literatur

  • Alp Akman, Ayşe Korkmaz, M. Cemalettin Aksoy, Muharrem Yazıcı, Murat Yurdakök, Gülsevin Tekinalp: Evaluation of risk factors in developmental dysplasia of the hip: results of infantile hip ultrasonography. In: The Turkish Journal of Pediatrics. Band 49, Nr. 3, 2007, ISSN 0041-4301, S. 290–294 (englisch, turkishjournalpediatrics.org [PDF; 172 kB; abgerufen am 18. Mai 2019]).
  • Barry, Herbert; Leonora M. Paxson (1971): Infancy and early childhood: Cross-cultural Codes 2. In: Ethnology, 10 (4), S. 466–508.
  • Blair, Peter S.; Peter Sidebotham; Carol Evason-Coombe; Margaret Edmonds; Peter Fleming (2009): Hazardous cosleeping environments and risk factors amenable to change: case-control study of SIDS in south west England. In: British Medical Journal, 339, b3666. doi:10.1136/bmj.b3666
  • Bloch, Aaron (1966): The Kurdistani Cradle Story: A Modern Analysis of This Centuries-Old Infant Swaddling Practice. In: Clinical Pediatrics, 5, S. 641–645.
  • Bystrova, K.; S. Matthiesen; A.-M. Widström; A.-B. Ransjö-Arvidson; B. Welles-Nyström; I. Vorontsov; K. Uvnäs-Moberg (2007 a): The effect of Russian Maternity Home routines on breastfeeding and neonatal weight loss with special reference to swaddling. In: Early Human Development, 83, S. 29–39.
  • Ksenia Bystrova: Skin-to-skin contact and early suckling in the postpartum: effects on temperature, feeding and mother-infant interaction. Karolinska University Press, Stockholm 2008, ISBN 978-91-7357-167-8 (englisch, ki.se [PDF; 1,5 MB; abgerufen am 18. Mai 2019]).
  • James S. Chisholm: Navajo infancy: an ethological study of child development. Aldine, New York 1983, ISBN 0-202-01169-0 (englisch).
  • Danzinger, Lotte, Liselotte Frankl (1934): Zum Problem der Funktionsreifung: erster Bericht über Entwicklungsprüfungen an albanischen Kindern. In: Zeitschrift für Kinderforschung 43, S. 219–254.
  • Dennis, Wayne (1940 a): Infant Reaction to Restraint: An Evaluation of Watson’s Theory. In: Transactions of the New York Academy of Sciences, 2 (2), S. 202–219.
  • Dennis, Wayne (1940 b): The Hopi Child. New York.
  • Franco, Patricia; Nicole Seret; Jean-Noël van Hees; Sonia Scaillet; José Groswasser; André Kahn (2005): Influence of Swaddling on Sleep and Arousal Characteristics of Healthy Infants. In: Pediatrics, 115, S. 1307–1311.
  • Ralph Frenken: Gefesselte Kinder: Geschichte und Psychologie des Wickelns. Wissenschaftlicher Verlag Bachmann, Badenweiler 2011, ISBN 978-3-940523-10-5.
  • Kutlu, Abdurrahman; Recep Memik; Mahmut Mutlu; Ruhusen Kutlu; Ahmet Arslan (1992): Congenital Dislocation of the Hip and Its Relation to Swaddling Used in Turkey. In: Journal of Pediatric Orthopaedics, 12, S. 598–602.
  • Lipton, Earle L.; Alfred Steinschneider; Julius B. Richmond (1965): Swaddling, a Child Care Practice: Historical, Cultural, and Experimental Observations. In: Pediatrics, 35, S. 521–567.
  • Meyer, L.E.; T. Erler: Swaddling: a traditional care method rediscovered. In: World J Pediatr., 7. Mai 2011 (2): S. 155–60.
  • Short, Mary A.; Jo Ann Brooks-Brunn; Deborah S. Reves; Janet Yeager; Jean Ann Thorpe (1996): The Effects of Swaddling Versus Standard Positioning on Neuromuscular Development in Very Low Birth Weight Infants. In: Neonatal Network, 15 (4). S. 25–31.
  • van Sleuwen, Bregje E. and Engelberts, Adèle C. and Boere-Boonekamp, Magda M. and Kuis, Wietse and Schulpen, Tom W.J. and L'Hoir, Monique P.: Swaddling: A Systematic Review. In: Pediatrics. Band 120, Nr. 4. American Academy of Pediatrics, Oktober 2007, ISSN 0031-4005, S. 10971106, doi:10.1542/peds.2006-2083 (englisch, aappublications.org [PDF; abgerufen am 29. September 2019]).
  • Yurdakok, Kadrye; Tuna Yavuz; Carl E. Taylor: Swaddling and Acute Respiratory Infections. In: American Journal of Public Health. Band 80, Nr. 7. American Public Health Association, 1990, ISSN 0090-0036, S. 873–875 (englisch, aphapublications.org [PDF; abgerufen am 29. September 2019]).
Commons: Pucken – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Priscilla Robertson: Das Heim als Nest. Mittelschichten-Kindheit in Europa im 19. Jahrhundert.
  2. Danzinger & Frankl (1934), S. 229; Lipton et al. (1965), S. 534; Chisholm (1983), S. 166, Gerard et al. (2002 b), S. 398; Blom (2005), S. 148.
  3. Vergleiche die Diskussion bei Dennis (1940 a), S. 213 f. und 216, Dennis (1940 b), S. 96 ff.
  4. P. Franco et al.: Influence of Swaddling on Sleep and Arousal Characteristics of Healthy Infants. In: Pediatrics 2005; 115: S. 1307–1311 Volltext online (englisch).
  5. L.E. Meyer; T. Erler (2011).
  6. van Sleuwen et al. (2007), S. 1097
  7. C. M. Gerard et al.: Spontaneous arousals in supine infants while swaddled and unswaddled during rapid eye movement and quiet sleep. In: Pediatrics 2002; 110: S. 70–77 Volltext online (englisch).
  8. S. Ohgi et al.: Randomised controlled trial of swaddling versus massage in the management of excessive crying in infants with cerebral injuries. In: Arch. Dis. Child. 2004; 89: S. 212–216 Volltext online (englisch).
  9. Short et al. (1996), S. 25.
  10. Vergleiche die Abbildung in Short et al. (1996), S. 27.
  11. Übersicht bei Frenken (2011), S. 60–66.
  12. Kutlu et al. (1992), S. 598 f., Akman et al. (2007), S. 290. Literaturübersicht bei Mahan & Kasser (2008).
  13. Blair et al. (2009).
  14. Yurdakok et al. (1990), S. 878.
  15. Bloch (1966). S. 645.
  16. Bystrova et al. (2007 a), S. 29 ff.
  17. Bystrova (2008), S. 46.
  18. Barry & Paxson (1971), S. 487.
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