Plattnerit

Plattnerit, veraltet auch als Schwerbleierz oder Braunbleioxyd bekannt, ist ein relativ selten vorkommendes Mineral aus der Mineralklasse der „Oxide und Hydroxide“ mit der chemischen Zusammensetzung β-PbO2[4] und damit chemisch gesehen Blei(IV)-oxid.

Plattnerit
Schwarze Plattneritkristalle auf Baryt aus dem Sunshine-Schacht Nr. 6, Blanchard Mine, Bingham, Socorro County, New Mexico, USA (Sichtfeld 1,8 mm)
Allgemeines und Klassifikation
IMA-Symbol

Ptn[1]

Andere Namen
Chemische Formel β-PbO2[4]
Mineralklasse
(und ggf. Abteilung)
Oxide und Hydroxide
System-Nummer nach
Strunz (8. Aufl.)
Lapis-Systematik
(nach Strunz und Weiß)
Strunz (9. Aufl.)
Dana

IV/D.02
IV/D.02-060

4.DB.05
04.04.01.06
Kristallographische Daten
Kristallsystem tetragonal
Kristallklasse; Symbol ditetragonal-dipyramidal; 4/m2/m2/m[5]
Raumgruppe P42/mnm (Nr. 136)Vorlage:Raumgruppe/136[4]
Gitterparameter a = 4,96 Å; c = 3,39 Å[4]
Formeleinheiten Z = 2[4]
Häufige Kristallflächen {010}, {011}, {110}, {131}, {001}[6]
Zwillingsbildung Kontakt- und Durchdringungszwillinge nach {011}[6]
Physikalische Eigenschaften
Mohshärte 5,5[6]
Dichte (g/cm3) gemessen: 9,564; berechnet: 9,563
Spaltbarkeit nach einigen Richtungen, jedoch undeutlich[2]
Bruch; Tenazität uneben; spröde[7]
Farbe eisenschwarz[2]
Strichfarbe braun[8]
Transparenz undurchsichtig bis schwach durchscheinend
Glanz Diamant- bis Metallglanz[2]
Kristalloptik
Brechungsindizes nω = 2,350[9]
nε = 2,250[9]
Doppelbrechung δ = 0,100[9]
Optischer Charakter einachsig negativ

Plattnerit kristallisiert im tetragonalen Kristallsystem und entwickelt feinste, nach der c-Achse [001] gestreckte, nadelige Kristalle mit einem fast metallartigen, diamantähnlichen Glanz auf den Oberflächen. Er findet sich aber auch in Form von knolligen bis nierigen Mineral-Aggregaten und faserigen oder warzigen bis glaskopfartigen, derben Massen. Das Mineral ist im Allgemeinen undurchsichtig und von eisenschwarzer Farbe. Nur allerfeinste Kriställchen sind tiefrot durchscheinend mit rotbraunen, inneren Reflexionen. Seine Strichfarbe ist dagegen braun.

Etymologie und Geschichte

Namensgeber Carl Friedrich Plattner (1800–1858)

Erstmals beschrieben wurde das Mineral 1837 durch August Breithaupt, der es anhand seiner Analyse-Ergebnisse als „Superoxyd“ (Verbindungen, die mehr Sauerstoff als einfache Oxide enthalten[10]) von Blei erkannte und als Schweres Blei-Erz oder kürzer Schwerbleierz bezeichnete. Den genauen Fundort des von ihm untersuchten Materials – eine große, schalenförmige Masse, überdeckt mit kohlensaurem Bleioxyd (Cerussit), phosphorsaurem Bleioxyd (Pyromorphit) und schwefelkohlensaures Bleioxyd (Leadhillit) – kannte Breithaupt nicht. Da jedoch Proben von dem letztgenannten Mineral während des Untersuchungszeitraums nur aus dem Bergbaugebiet Leadhills in Schottland kamen, ging Breithaupt davon aus, dass auch das neu entdeckte Mineral aus diesem Fundort stammt.[2]

Seinen bis heute gültigen Namen Plattnerit erhielt das Mineral 1845 durch Wilhelm von Haidinger,[11] der es nach dem Hüttenkundler und Chemiker Carl Friedrich Plattner benannte.[12]

Plattnerit war bereits vor der Gründung der International Mineralogical Association (IMA) 1958 bekannt und als Mineral in der Fachwelt meist anerkannt. Als sogenanntes grandfathered Mineral (G) wurde die Anerkennung von Plattnerit als eigenständige Mineralart von der Commission on new Minerals, Nomenclature and Classification (CNMNC) übernommen.[13]

Das Typmaterial des Minerals wird in der Geowissenschaftlichen Sammlung der Technischen Universität Bergakademie Freiberg unter der Sammlungs-Nr. 10045/K 2,7 (historische Vitrine Breithaupt) aufbewahrt.[14]

Klassifikation

Bereits in der veralteten 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Plattnerit zur Mineralklasse der „Oxide und Hydroxide“ und dort zur Abteilung der „MO2- und verwandte Verbindungen“, wo er zusammen mit Kassiterit, Rutil und Varlamoffit sowie im Anhang mit Belyankinit, Cafetit, Gerasimovskit, Manganbelyankinit, Priderit und Redledgeit die „Rutil-Reihe“ mit der System-Nr. IV/D.02 bildete.

Im Lapis-Mineralienverzeichnis nach Stefan Weiß, das sich aus Rücksicht auf private Sammler und institutionelle Sammlungen noch nach dieser alten Form der Systematik von Karl Hugo Strunz richtet, erhielt das Mineral die System- und Mineral-Nr. IV/D.02-60. In der „Lapis-Systematik“ entspricht dies der Abteilung „Oxide mit [dem Stoffmengen]Verhältnis Metall : Sauerstoff = 1 : 2 (MO2) und Verwandte“, wo Plattnerit zusammen mit Argutit, Kassiterit, Pyrolusit, Paratellurit, Rutil und Tripuhyit die „Rutil-Gruppe“ bildet (Stand 2018).[8]

Auch die seit 2001 gültige und von der International Mineralogical Association (IMA) bis 2009 aktualisierte[15] 9. Auflage der Strunz’schen Mineralsystematik ordnet den Plattnerit in die Abteilung der „Oxide mit [dem Stoffmengenverhältnis] Metall : Sauerstoff = 1 : 2 und vergleichbare“ ein. Diese ist allerdings weiter unterteilt nach der relativen Größe der beteiligten Kationen und der Kristallstruktur, so dass das Mineral entsprechend seiner Zusammensetzung und seinem Aufbau in der Unterabteilung „Mit mittelgroßen Kationen; Ketten kantenverknüpfter Oktaeder“ zu finden ist, wo es zusammen mit Argutit, Kassiterit, Pyrolusit, Rutil, Tripuhyit, Tugarinovit und Varlamoffit die „Rutilgruppe“ mit der System-Nr. 4.DB.05 bildet.

Die vorwiegend im englischen Sprachraum gebräuchliche Systematik der Minerale nach Dana ordnet den Plattnerit ebenfalls in die Klasse der „Oxide und Hydroxide“ und dort in die Abteilung der „Oxidminerale“ ein. Hier ist er zusammen mit Argutit, Ilmenorutil, Kassiterit, Pyrolusit, Rutil, Squawcreekit, Stishovit, Strüverit in der „Rutilgruppe (Tetragonal: P42/mnm)“ mit der System-Nr. 04.04.01 innerhalb der Unterabteilung „Einfache Oxide mit einer Kationenladung von 4+ (AO2)“ zu finden.

Chemismus

In der idealen (theoretischen) Zusammensetzung besteht Plattnerit (PbO2) aus Blei (Pb) und Sauerstoff (O) im Stoffmengenverhältnis von 1 : 2. Dies entspricht einem Massenanteil (Gewichts-%) von 86,62 Gew.-% Pb und 13,38 Gew.-% O.[16]

Die ursprünglich von Breithaupt untersuchte Mineralprobe entsprach ebenso genau diesem Wert[2] wie eine aus der Ojuela Mine bei Mapimí im mexikanischen Bundesstaat Durango untersuchte Probe,[6] was für eine hohe Stoffreinheit auch bei natürlich vorkommendem Blei(IV)-oxid spricht.

Kristallstruktur

Plattnerit kristallisiert isotyp mit Rutil[17] in der tetragonalen Raumgruppe P42/mnm (Raumgruppen-Nr. 136)Vorlage:Raumgruppe/136 mit den Gitterparametern a = 4,96 Å und c = 3,39 Å sowie zwei Formeleinheiten pro Elementarzelle.[4]

Die Kristallstruktur von Plattnerit besteht aus PbO[6]-Koordinations-Oktaedern, das heißt, jedes Bleiatom ist von jeweils 6 Sauerstoffatomen umgeben. Über gemeinsame Kanten sind diese Oktaeder parallel der c-Achse [001] zu Ketten verbunden, die durch weitere Oktaeder über gemeinsame Ecken miteinander verknüpft sind. Das eckenverknüpfte Oktaeder bildet auch das Zentrum der jeweiligen Elementarzelle.

Kristallstruktur von Plattnerit
Farbtabelle: _ Quecksilber (Hg) 0 _ Sauerstoff (O)

Eigenschaften

In Salpetersäure ist Plattnerit nur schwer löslich, in Salzsäure dagegen leicht löslich.[2]

Modifikationen und Varietäten

Die Verbindung PbO2 ist dimorph und kommt in der Natur neben dem tetragonal kristallisierenden Plattnerit (β-PbO2) noch als orthorhombisch kristallisierender Scrutinyit (α-PbO2) vor.[6]

Insgesamt sind bisher fünf Modifikationen von Blei(IV)-oxid bekannt.

Bildung und Fundorte

Reichhaltiger, stark glänzender Plattnerit-Kristallrasen auf Calcit aus der Southwest Mine, Hendricks Gulch, Bisbee, Cochise County, Arizona (Sichtfeld 25 mm)
Plattnerit (schwarz) und Aurichalcit (blaugrün) auf Limonit aus Mapimí, Municipio de Mapimí, Durango, Mexiko (Größe 7,9 cm × 7,9 cm × 4,9 cm)

Plattnerit bildet sich sekundär bevorzugt in ariden Klimazonen unter stark oxidierenden Bedingungen in der Oxidationszone von hydrothermalen Unedelmetall- bzw. Bleierz-Lagerstätten. Als Begleitminerale können je nach Fundort unter anderem Aurichalcit, Calcit, Cerussit, Hemimorphit, Hydrozinkit, Leadhillit, Murdochit, Pyromorphit, Quarz, Smithsonit, Rosasit und Wulfenit auftreten.[17][6]

Als eher seltene Mineralbildung kann Plattnerit an verschiedenen Fundorten zum Teil zwar reichlich vorhanden sein, insgesamt ist er aber wenig verbreitet. Weltweit sind bisher rund 180 Fundstellen dokumentiert (Stand 2020).[18] Außer an seiner Typlokalität Leadhills im South Lanarkshire trat das Mineral in Schottland noch an mehreren Stellen in der Umgebung von Wanlockhead auf. Weitere Fundstellen im Vereinigten Königreich sind nur in England wie unter anderem bei Mendip bekannt.

In Deutschland fand sich Plattnerit unter anderem am Altemannfels bei Badenweiler in Baden-Württemberg, in der Grube Glücksrad bei Oberschulenberg und dem Steinbruch Winterberg in der Gemeinde Bad Grund in Niedersachsen sowie in den Gruben Churfürst Ernst bei Bönkhausen und Castor bei Loope in Nordrhein-Westfalen.

In Österreich konnte das Mineral bisher nur in Pb-Zn-Vererzungen auf der Möchling Alp am Hochobir in Kärnten und auf Schlackenhalden im Gebiet Kolm-Saigurn im Raurisertal des Salzburger Landes gefunden werden.

In der Schweiz kennt man Plattnerit aus der Mines de Siviez bei Siviez (Gemeinde Nendaz) und der Mine de Crettaz im Bergbaugebiet Mont Chemin der Gemeinde Martigny im Kanton Wallis.

Bekannt aufgrund außergewöhnlicher Plattneritfunde ist zudem die Morning Mine bei Mullan im Shoshone County des US-Bundesstaates Idaho, wo traubige und bis zu 100 kg schwere Massen zutage traten.[19]

Weitere Fundorte liegen unter anderem in Australien, Brasilien, Frankreich, Griechenland, Grönland, Iran, Italien, Jordanien, Mexiko, Namibia, Norwegen, Polen, Portugal, Russland, Spanien, Südafrika, Thailand und den Vereinigten Staaten von Amerika (Arizona, Kalifornien, Colorado, Idaho, Montana, Nevada, New Mexico, South Dakota und Utah).[20]

Siehe auch

Literatur

Commons: Plattnerite – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. Laurence N. Warr: IMA–CNMNC approved mineral symbols. In: Mineralogical Magazine. Band 85, 2021, S. 291–320, doi:10.1180/mgm.2021.43 (englisch, cambridge.org [PDF; 320 kB; abgerufen am 5. Januar 2023]).
  2. August Breithaupt: Bestimmung neuer Mineralien. In: Journal für praktische Chemie. Band 10, 1837, S. 508, 5. Schweres Blei-Erz, kürzer Schwerbleierz (Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3D%7B%7B%7B1%7D%7D%7D~GB%3D~IA%3D~MDZ%3D%0A10072433_00536~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D [abgerufen am 27. September 2020]).
  3. Braunbleioxyd. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 27. September 2020 (englisch).
  4. Hugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. Chemical-structural Mineral Classification System. 9. Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S. 207 (englisch).
  5. David Barthelmy: Plattnerite Mineral Data. In: webmineral.com. Abgerufen am 27. September 2020 (englisch).
  6. Plattneritee. In: John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols (Hrsg.): Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America. 2001 (englisch, handbookofmineralogy.org [PDF; 69 kB; abgerufen am 27. September 2020]).
  7. James Nicol: Manual of Mineralogy. Adam und Charles Black, Edinburgh 1849, S. 418 (englisch, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 27. September 2020]).
  8. Stefan Weiß: Das große Lapis Mineralienverzeichnis. Alle Mineralien von A – Z und ihre Eigenschaften. Stand 03/2018. 7., vollkommen neu bearbeitete und ergänzte Auflage. Weise, München 2018, ISBN 978-3-921656-83-9.
  9. Plattnerite. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 27. September 2020 (englisch).
  10. Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon. 5. Auflage. Band 2. Leipzig 1911, S. 336 (Online verfügbar bei zeno.org [abgerufen am 27. September 2020]).
  11. Willhelm Haidinger: Handbuch der Bestimmenden Mineralogie. Braumüller und Seidel, Wien 1845, S. 499–506 (rruff.info [PDF; 525 kB; abgerufen am 27. September 2020] Zweite Klasse: Geogenide. II. Ordnung. Baryte VII. Bleibaryt. Plattnerit).
  12. Justus Roth: Bildung und Umbildung der Mineralien. Quell-, Fluss- und Meerwasser. Salzwasser-Verlag, Paderborn 1879, S. 213 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 27. September 2020]).
  13. Malcolm Back, William D. Birch, Michel Blondieau und andere: The New IMA List of Minerals – A Work in Progress – Updated: September 2020. (PDF; 3,4 MB) In: cnmnc.main.jp. IMA/CNMNC, Marco Pasero, September 2020, abgerufen am 27. September 2020 (englisch).
  14. R. Kurtz: Plattnerit im Typmineralkatalog Deutschland. In: typmineral.uni-hamburg.de. Universität Hamburg, 8. August 2020, abgerufen am 27. September 2020.
  15. Ernest H. Nickel, Monte C. Nichols: IMA/CNMNC List of Minerals 2009. (PDF; 1,82 MB) In: cnmnc.main.jp. IMA/CNMNC, Januar 2009, abgerufen am 27. September 2020 (englisch).
  16. Plattnerit. In: Mineralienatlas Lexikon. Geolitho Stiftung, abgerufen am 27. September 2020.
  17. Friedrich Klockmann: Klockmanns Lehrbuch der Mineralogie. Hrsg.: Paul Ramdohr, Hugo Strunz. 16. Auflage. Enke, Stuttgart 1978, ISBN 3-432-82986-8, S. 533 (Erstausgabe: 1891).
  18. Plattnerite. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 27. September 2020 (englisch).
  19. Petr Korbel, Milan Novák: Mineralien-Enzyklopädie (= Dörfler Natur). Edition Dörfler im Nebel-Verlag, Eggolsheim 2002, ISBN 978-3-89555-076-8, S. 101.
  20. Fundortliste für Plattnerit beim Mineralienatlas und bei Mindat, abgerufen am 27. September 2020.
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