Paul Kagame
Paul Kagame (* 23. Oktober 1957 in der Präfektur Gitarama im belgischen UN-Treuhandgebiet Ruanda-Urundi, heute Südprovinz, in Ruanda) ist seit dem 22. April 2000 Präsident von Ruanda. Am 28. Januar 2018 wurde Kagame für ein Jahr zum Präsidenten der Afrikanischen Union gewählt.[1] Zudem ist er seit 2022 Vorsitzender des Commonwealth of Nations.
Leben
Nach der Unabhängigkeit des belgischen Mandatsgebiets Ruanda-Urundi 1962 musste Kagames Familie wegen Pogromen gegen Tutsi mit dem fünfjährigen Sohn aus Ruanda nach Uganda fliehen.
Nach Abschluss der Schulzeit schloss sich Kagame 1979 dort Yoweri Museveni an, wurde Chef des militärischen Geheimdienstes und baute dort eine eigene Tutsi-Miliz auf, die später die Bezeichnung Ruandische Patriotische Front (RPF) führte. Nach dem Sturz von Milton Obote und Musevenis Machtübernahme trat Kagame in die aus der National Resistance Army hervorgegangene offizielle Armee Ugandas ein. 1990 absolvierte er eine Ausbildung am Command and General Staff College der United States Army in Fort Leavenworth im US-Bundesstaat Kansas.
Im selben Jahr begann er mit der RPF, deren Führung er kurz nach dem Tod von Fred Rwigema am 2. Oktober 1990 übernommen hatte, erste Invasionsversuche nach Ruanda. Im folgenden Bürgerkrieg von 1990 bis 1994 kämpfte er als Führer der RPF zusammen mit der Armee Ugandas gegen die Truppen Ruandas.[2]
Machtübernahme der RPF in Ruanda
Als der damalige Präsident Juvénal Habyarimana am 6. April 1994 bei einem bis heute nicht aufgeklärten Flugzeugabsturz ums Leben kam, löste dies einen Völkermord aus. Bei diesem wurden mindestens 800.000 Tutsi und oppositionelle Hutu ermordet. Er wurde erst durch das militärische Eingreifen der RPF und die faktische Eroberung des Landes nach 100 Tagen beendet.
Am 19. Juli 1994 wurde Kagame Ruandas Vizepräsident sowie Verteidigungsminister.
Präsidentschaft
Nach dem Rücktritt von Präsident Pasteur Bizimungu, im Bürgerkrieg ein Gefolgsmann Kagames, wurde Kagame am 17. April 2000 vom Parlament mit großer Mehrheit zum Staatspräsidenten gewählt; das Amt hatte er seit dem 24. März 2000 bereits interimistisch ausgeübt. Bei den Präsidentenwahlen im August 2003 wurde Paul Kagame mit 94 % der Stimmen im Amt bestätigt. Die Opposition unter der Führung von Faustin Twagiramungu, der selbst den Völkermord von 1994 nur durch Zufall überlebt hatte, warf ihm Wahlbetrug vor und erkannte die Wahl nicht an.
Im November 2006 wurden gegen Kagame und neun weitere hohe ruandische Funktionäre, Politiker und Militärs in Frankreich Klage erhoben. Das Verfahren wurde vom obersten französischen Ermittlungsrichter und Vizepräsident des obersten Gerichtshofs Jean-Louis Bruguière geführt. Kagame wurde vorgeworfen, in den Abschuss der Präsidentenmaschine von Juvénal Habyarimana und somit in die Ermordung von Habyarimana, Cyprien Ntaryamira, dem Präsidenten von Burundi, und der Crew verstrickt zu sein. Die in den Völkermord mündenden Reaktionen der Bevölkerung auf die Ermordung ihres (Hutu-)Präsidenten soll Kagame antizipiert und als Rechtfertigung für seine Machtübernahme gebraucht haben.[3] Ihm drohte bei Einreise in die EU die Verhaftung, 2008 kam es am Flughafen Frankfurt zur Verhaftung seiner Protokollchefin Rose Kabuye.[4] Die Vorwürfe wurden nach Wiederaufnahme der Ermittlungen entkräftet; der neue französische Untersuchungsbericht kam zu dem Ergebnis, dass der damalige Präsident durch eine Rakete aus dem Lager der Präsidentengarde starb.[5]
Bei den Präsidentschaftswahlen am 9. August 2010 wurde Kagame erneut im Amt bestätigt. Er erhielt nach Angaben der nationalen Wahlkommission 93,08 % der abgegebenen Stimmen.[6] Die Wahlen fanden allerdings weitgehend unter Ausschluss der Opposition statt, da die drei zugelassenen Gegenkandidaten zu Kagames politischen Verbündeten gehörten.[7] Bereits im Vorfeld der Wahlen sei es nach Oppositionsangaben zu Einschüchterungsmaßnahmen durch die Regierung gekommen. Mehrere Oppositionspolitiker und Journalisten fielen Mordanschlägen zum Opfer.[8] Auch während der Wahl sei es zu Unregelmäßigkeiten gekommen.[6]
Zusammen mit Yoweri Museveni, dem Präsidenten von Uganda, wird Kagame seit den späten 1980er Jahren zu den engsten Verbündeten der USA in der Region gezählt.[9] Die USA unterstützten die RPF während des Einmarschs in Ruanda und wirkten nach Kagames Machtübernahme stabilisierend auf das Regime.
In einem Verfassungsreferendum am 19. Dezember 2015 stimmte die Bevölkerung Ruandas nach offiziellen Angaben mit 98,4 % für eine Aufhebung der Beschränkung der Amtszeiten des Präsidenten, welche nach Artikel 101 der Verfassung vorher auf zwei siebenjährige Amtsperioden begrenzt war. Damit könnte Kagame theoretisch bis 2034 im Amt verbleiben.[10] Der Abstimmung ging eine Petition voraus, für die nach Regierungsangaben 3,7 Mio. Menschen für eine Verlängerung der Amtszeit Kagames unterschrieben, welcher sonst 2017 hätte abtreten müssen. Kritiker sprechen von mehrfachen und erzwungenen Unterzeichnungen.[11] Angesichts der eingeschränkten Presse- und Versammlungsfreiheit in Ruanda plädierte nur die nicht im Parlament vertretene grüne Partei für eine Ablehnung der Verfassungsänderung. Eine Kampagne konnten Gegner auch zeitlich nicht organisieren: Zwischen Ansetzung und Durchführung der Abstimmung lag nur eine Woche. International forderten Vertreter der EU und die US-Botschafterin bei den Vereinten Nation, Samantha Power, Kagame zum freiwilligen Amtsverzicht auf.[12]
Bei den Präsidentschaftswahlen am 4. August 2017 wurde Kagame zum dritten Mal im Amt bestätigt. Gemäß Schätzungen der Wahlkommission nahmen 97 % der 6,9 Millionen Wahlberechtigten an den Wahlen teil, wovon sich nach Auszählung von 80 % der Stimmen mehr als 98 % für Kagame ausgesprochen haben.[13]
Lob
Paul Kagame wird ein weitreichender Einfluss auf die Entwicklung der ruandischen Gesellschaft nach dem Völkermord zugeschrieben. Ihm wird eine maßgebliche Rolle bei der Stabilisierung des Landes und dem wirtschaftlichen Aufschwung Ruandas angerechnet.[14] Von vielen Afrikanern auf dem ganzen Kontinent wird er daher bewundert und Ruanda unter seiner Herrschaft als Modellstaat für das übrige Afrika gesehen.[15][16][17][18]
Kritik
Gleichwohl, so seine Kritiker, wurden diese Erfolge unter Umgehung der Demokratisierung im eigenen Land wie auch auf Kosten des Kongo, von dessen illegaler Rohstoffausbeutung größtenteils Ruanda profitiert, erzielt.[19][20]
Über mehr als ein Jahrzehnt war Ruanda einer der größten Coltan-Exporteure der Welt. Coltan produzierte das Land aber nicht. Viele NGOs legten Beweise für Coltanplünderungen durch mit Kigali verbundene Gruppen im Ostkongo, in den die beiden Provinzen Nord-Kivu und Sud-Kivu.[21] Die Region Kivu aber ist reich an Coltan, das man für Mobiltelefone und Laptops braucht.
Kritik anlässlich der Situation in Ruanda
Während des Bürgerkriegs in Ruanda von 1990 bis 1994 sollen von der Kagame unterstehenden RPF massive Menschenrechtsverletzungen begangen worden sein. So kam es zu Tötungen von Kriegsgefangenen und Massakern an der Zivilbevölkerung.[22] Die RPF soll weiterhin Tötungen ruandischer Tutsi in Kauf genommen und teilweise sogar provoziert haben, um den Druck auf das Regime von Habyarimana zu erhöhen.[20] Nach der Machtübernahme in Ruanda durch die RPF kam es zu systematischen Verfolgungen der Hutu. Kritiker werfen Kagame vor, unter der Protegierung eine Diktatur aufgebaut zu haben, die elementare demokratische Grundrechte vermissen lasse. Es wird eine Unterdrückung der Opposition sowie mangelnde Pressefreiheit im heutigen Ruanda beklagt.[20][22]
Kritik anlässlich Ruandas Rolle im Kongokrieg
Auch wird seine Rolle als Führer der RPF kritisch gesehen: Sowohl der Einmarsch in Ruanda im Jahr 1990 als auch der Einmarsch in den Kongo im Jahr 1996, welcher den Beginn des ersten Kongokrieges darstellt, werden als nicht völkerrechtlich legitimiert und somit als Angriffskrieg betrachtet.[23] In einem Report der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2001 wird Kagame (und ebenso Museveni) Beteiligung beziehungsweise Einflussnahme im zweiten Kongokrieg mit dem Ziel der massiven Plünderung der Bodenschätze Ostkongos vorgeworfen. Zeitweise wurden 70 % der kongolesischen Coltanvorkommen von Ruanda kontrolliert.[20]
“Presidents Kagame and Museveni are on the verge of becoming the godfathers of the illegal exploitation of natural resources and the continuation of the conflict in the Democratic Republic of the Congo. They have indirectly given criminal cartels a unique opportunity to organize and operate in this fragile and sensitive region.”
„Die Präsidenten Kagame und Museveni sind kurz davor, zu den Mafiapaten der illegalen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen Kongos sowie der Fortführung des dortigen Konfliktes zu werden. Sie haben indirekt kriminellen Kartellen die Möglichkeit beschafft, in dieser instabilen Region zu operieren.“
Der kenianische Ökonom James Shikwati wirft Kagame vor, inzwischen Millionen von Menschen im Kongo auf dem Gewissen zu haben.[25] In einem 2010 von der UNO veröffentlichten Bericht werden der RPF in der Zeit von 1993 bis 2003 zahlreiche Massaker an der Zivilbevölkerung im Ostkongo sowie Massenvergewaltigungen – also die systematische Vergewaltigung und Verstümmelung der Frauen als Kriegswaffe – und die Plünderung von Dörfern vorgeworfen.[26]
Auszeichnung
- 2009 verlieh der ehemalige US-Präsident Bill Clinton den Global Citizen Award seiner Clinton Foundation an Kagame.[27]
- 2016 wurde ihm der Champions of Earth Award verliehen.
Literatur
- Philip Gourevitch: We wish to inform you that tomorrow we will be killed with our families. Picador, New York 1998, ISBN 0-312-24335-9.
- Allan Thompson, Kofi Annan: The Media and the Rwanda Genocide. Fountain Publ., Kampala 2007, ISBN 978-0-7453-2626-9. (idrc.ca)
- Lars Waldorf: Apotheosis of a warlord: Paul Kagame. In: Anders Themner (Hrsg.): Warlord Democrats in Africa: Ex-Military Leaders and Electoral Politics. Zed, London 2017, ISBN 978-1-78360-249-0. S. 68–94.
Weblinks
- Offizielle Website von Paul Kagame. Abgerufen am 13. Dezember 2010.
- Franquis Misser: Ruanda ist in gutem Zustand. In: die tageszeitung. 10. Dezember 2010, abgerufen am 13. Dezember 2010 (Interview mit Paul Kagame).
- Jeffrey Gettleman: The Global Elite’s Favorite Strongman. In: The New York Times. 4. September 2013. Abgerufen am 4. September 2013 (ausführlicher englischsprachiger Artikel über Paul Kagame)
Einzelnachweise
- Kagame takes over AU leadership, commits to visa-free regime. Africanews.com, 28. Januar 2018, abgerufen am 30. Januar 2018 (englisch)
- Declan Walsh: Kagame is triumphant. But has the one-time visionary become Rwanda’s latest autocrat? In: The Independent. 25. September 2013.
- Genozid-Verstrickungen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung.
- Protokollchefin in deutscher Haft. Festnahme provoziert Ruanda. In: Süddeutsche Zeitung. (sueddeutsche.de (Memento vom 25. Dezember 2009 im Internet Archive))
- Ruandas Präsident wurde 1994 von eigenen Leuten abgeschossen. In: Die Zeit. 11. Januar 2012.
- meldet überwältigende Zustimmung für Kagame. In: Neue Zürcher Zeitung. 11. August 2010.
- Wahlfarce in Rwanda. In: Neue Zürcher Zeitung. 9. August 2010.
- Rwanda presidential campaign ends. In: Al Jazeera English. 7. August 2010.
- Albright in Africa: The Embraceable Regimes? In: The New York Times.
- Bleibt Ruandas Präsident bis 2034 im Amt? In: Tages-Anzeiger. abgerufen am 6. August 2017.
- Jesko Johannsen: Kagames Anhänger üben Druck auf die Bevölkerung aus. Deutschlandradio Kultur, 18. Dezember 2015.
- Simon Loidl: Referendum für Kagame. In: Junge Welt. 16. Dezember 2015.
- Ruandas Präsident mit gigantischer Mehrheit wiedergewählt. In: Tages-Anzeiger. abgerufen am 6. August 2017.
- Philip Gourevitch: Ruandas Hoffnung. In: Lettre International 85. (lettre.de (Memento vom 3. Juli 2009 im Internet Archive))
- Peter Beaumont: Paul Kagame: A tarnished African hero. In: The Guardian. 18. Juli 2010, abgerufen am 19. August 2018 (englisch).
- Mehari Taddele Maru: Rwanda and President Kagame. In: al Jazeera. 17. September 2017, abgerufen am 19. August 2018 (englisch).
- Richard Grant: Paul Kagame: Rwanda's redeemer or ruthless dictator? 22. Juli 2010, abgerufen am 19. August 2018 (englisch).
- Paul Kagame, feted and feared. In: The Economist. 17. Juli 2017, abgerufen am 19. August 2018 (englisch).
- UN-Bericht über Ruanda: Wenn die Opfer töten. In: Die Zeit., 2. September 2010
- Dominik J Schaller: Schuld und Sühne in Ruanda: Wie als Politikberater fungierende Genozidforscher zur moralischen und politischen Aufwertung des Regimes in Kigali beitragen. In: Zeitschrift für Politikberatung. Volume 1, Numbers 3–4, S. 626–636, doi:10.1007/s12392-008-0064-4
- Neuer M23-Angriff in der Demokratischen Republik Kongo: Kagame im Fadenkreuz, lejournaldelafrique.com, 7. Juni 2022
- F. Reyntjens: A Dubious Discourse on Rwanda. In: African Affairs. 98(1), 1999, ISSN 0001-9909
- Allan Thompson (Hrsg.): The Media and the Rwanda Genocide. 2007, ISBN 978-0-7453-2626-9. (online)
- Report of the Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of the Congo. (Memento vom 11. Januar 2014 im Internet Archive) UNO
- Streicht diese Hilfe. In: Der Spiegel. Nr. 27, 2005 (online).
- Afrikas Weltkrieg: Etwa sechs Millionen Menschen starben zwischen 1993 und 2003. Die UN verschieben den Bericht zu den Gräueltaten im Kongo, damit die betroffenen Regionen eigene Stellungnahmen dazu verfassen können. In: Frankfurter Rundschau. 3. September 2010.
- Dana Goldstein: CGI: „Bill Clinton’s Rwanda Guilt“. In: The Daily Beast. 23. Oktober 2010.