Viskosität

Die Viskosität ist die Eigenschaft eines fließfähigen (vorwiegend flüssigen oder gasförmigen) Stoffsystems, unter Einwirkung einer Spannung zu fließen und irreversibel deformiert zu werden. Die bei der Verformung aufgenommene Spannung hängt dabei nur von der Verformungsgeschwindigkeit ab. Ebenso kann die Spannung als Ursache der Verformungsgeschwindigkeit angesehen werden.[1]

Physikalische Größe
Name dynamische Viskosität
Formelzeichen ,
Größen- und
Einheitensystem
Einheit Dimension
SI Pa·s
= N·s·m−2
= kg·m−1·s−1
M·L−1·T−1
cgs P M·L−1·T−1
Physikalische Größe
Name kinematische Viskosität
Formelzeichen
Größen- und
Einheitensystem
Einheit Dimension
SI m2·s−1 L2·T−1
cgs St L2·T−1

Sie bezeichnet die Zähflüssigkeit oder Zähigkeit von Flüssigkeiten und Gasen (Fluiden).[2] Sie resultiert zu einem Teil aus den Anziehungskräften zwischen den Teilchen des Fluids (Kohäsion). Bei dünnflüssigeren Fluiden hat zusätzlich der Impulsfluss im Fluid eine Bedeutung. Je höher die Viskosität ist, desto dickflüssiger (weniger fließfähig) ist das Fluid; je niedriger die Viskosität, desto dünnflüssiger (fließfähiger) ist es.

Ohne weitere Angaben ist der Widerstand des Fluids gegenüber Scherung gemeint.[3] Sie wird daher als Scherviskosität bezeichnet, zur Abgrenzung gegenüber der Dehnviskosität bei Dehnung sowie der Volumenviskosität bei gleichmäßigem Druck. Des Weiteren wird zwischen der dynamischen Viskosität  und der kinematischen Viskosität  unterschieden. Die dynamische Viskosität ist das Verhältnis von Schubspannung und Geschwindigkeitsgradient. Der Kehrwert der dynamischen Viskosität ist die Fluidität. Die dynamische Viskosität und die kinematische Viskosität stehen über die Dichte in direktem Zusammenhang,

.

Teilchen zäher Flüssigkeiten sind stärker aneinander gebunden und somit weniger beweglich; Viskosität ist somit auch die Eigenschaft eines Fluids, ihrer Verformung einen Widerstand entgegenzusetzen. Der Verformungswiderstand ist bei höherer Viskosität stärker als bei niedriger.[4] Die Viskosität von Feststoffen ist vergleichsweise hoch und damit schwer bestimmbar. Statt Viskosität werden Begriffe wie Verlustfaktor, Speicher- und Verlustmodul verwendet.

Die blaugrüne Flüssigkeit links ist niederviskos wie Wasser, die orange rechts hochviskos wie Honig.

Die Viskosität taucht in der Berechnung des viskosen Spannungstensors auf. Die Bestimmung der Viskosität ist wichtig, um die Schmiereigenschaften von Schmierstoffen abzuschätzen.

Das Wort Viskosität geht auf den typisch zähflüssigen Saft der Beeren in der Pflanzengattung Misteln (Viscum) zurück. Aus solchen Misteln wurde Vogelleim gewonnen. „Viskos“ bedeutet „zäh wie Vogelleim“.

Definition

Abbildung 1: Definition der Viskosität: Das Fluid (blau) wird zwischen ruhender Platte (unten) und mit Geschwindigkeit bewegter Platte (oben) geschert.

Man stelle sich zwei im Abstand parallel angeordnete Platten der Fläche vor. Zwischen diesen Platten befindet sich eine Flüssigkeit, die an beiden Platten haftet. In unserer Vorstellung soll der Raum mit der Flüssigkeit in Schichten unterteilt sein. Wird nun die obere Platte mit der Geschwindigkeit bewegt, so bewegt sich die Schicht in unmittelbarer Nachbarschaft auf Grund der Haftung ebenfalls mit der Geschwindigkeit . Da die untere Platte ruht, ruht auch ihre Nachbarschicht. Die innenliegenden Flüssigkeitsschichten gleiten mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten aneinander vorbei. Die Geschwindigkeit nimmt von der ruhenden Platte zur bewegten zu.

Von der obersten, an der Platte haftenden Schicht geht eine Tangentialkraft auf die darunterliegende Schicht aus. Diese bewegt sich folglich mit der Geschwindigkeit Diese Schicht wirkt wiederum auf die darunterliegende Schicht und bewegt sie mit der Geschwindigkeit

Im Experiment lässt sich zeigen, dass im Idealfall die Kraft , die nötig ist, um die obere Platte zu bewegen, proportional zur Fläche , dem Geschwindigkeitsunterschied und antiproportional zum Abstand der Platten ist:

und und

Hieraus ergibt sich die Gleichung

Die Proportionalitätskonstante ist die dynamische Viskosität. Die Änderung der Geschwindigkeit senkrecht zur Bewegungsrichtung, also der Geschwindigkeitsgradient

auch mit oder bezeichnet, wird Verformungsgeschwindigkeit, Schergeschwindigkeit oder Scherrate genannt. Mit der Schubspannung

ergibt sich der Zusammenhang

Einheiten

Im SI-Einheitensystem gilt: Ein Stoff, der sich zwischen zwei Platten befindet, hat die dynamische Viskosität 1 Ns/m², wenn bei einer Größe der Platten von 1 m² und einem Plattenabstand von 1 m eine Kraft von 1 N benötigt wird, um die Platten mit einer Geschwindigkeit von 1 m/s gegeneinander zu verschieben. Für die physikalische Einheit der dynamischen Viskosität gilt also:

Für die SI-Einheit der kinematischen Viskosität gilt:

In der Praxis wird für die dynamische Viskosität neben der Pa·s (Pascalsekunde) außerdem der tausendste Teil der SI-Einheit mPa·s (Millipascalsekunde) für Medien niedriger Viskosität verwendet.

Im CGS-System wird die dynamische Viskosität in Poise (P) gemessen, wobei 1 P = 1 dyn·s/cm2 = 0,1 N·s/m2 = 1 dPa·s (Dezipascalsekunde), und die kinematische Viskosität in Stokes (St) mit 1 St = 1 cm2/s = 10−4 m2/s.

Das Engler-Grad ist eine veraltete Einheit für die Viskosität. Diese Einheit gibt die Viskosität im Vergleich zu Wasser an.

Viskosität von Flüssigkeiten

Abbildung 2: Modellvorstellung zur Viskosität: Links eine Veranschaulichung zum Geschwindigkeitsgradienten (2) sowie die Form des Gradienten für den Betrag der Geschwindigkeit (gestrichelt). Für den genauen Verlauf siehe Korkenzieherströmung. Rechts eine Veranschaulichung für die verzahnten Molekülschichten (1).

Den Effekt innerer Reibung kann man sich vereinfacht durch die Bewegung zweier übereinander liegender, verzahnter Molekülschichten vorstellen (siehe Abb. 2, Punkt 1). Beim Fließen gleiten die Moleküle aneinander vorbei, und um die Verzahnung zu überwinden, benötigt man eine gewisse Kraft. Den Zusammenhang zwischen dieser Kraft und den Eigenschaften des vorliegenden Fluids definiert die Viskosität. Erkennbar wird dieser Zusammenhang besonders gut an der homologen Reihe der Alkane (kettenförmige Kohlenwasserstoffe), hier steigt die Viskosität mit der Kettenlänge und damit den zunehmenden intermolekular wirkenden Van-der-Waals-Kräften kontinuierlich an. Bei den mittleren Alkanen (ab Nonan, neun C-Atome) hat sie bereits einen Wert ähnlich dem von Wasser.

Sehr gut veranschaulichen kann man sich die Viskosität auch an folgendem Beispiel: gleitet Wind über das Wasser eines Ozeans, erzeugt dies eine Bewegung der Wasserschicht an der Oberfläche. Je tiefer man nun taucht, desto ruhiger wird das Wasser, bis man einen Punkt erreicht, wo keine Strömung herrscht. Die einzelnen Flüssigkeitsschichten bewegen sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit , es entsteht ein Geschwindigkeitsgradient (siehe Abb. 2, Punkt 2).

Newtonsche Fluide

Handelt es sich um sehr dünne Fluidschichten,[5] so ist der Geschwindigkeitsverlauf linear, wie in obiger Herleitung. Dieser Zusammenhang wurde bereits 1687 von Isaac Newton unterstellt:

“The resistance which arises from the lack of slipperiness originating in a fluid – other things being equal – is proportional to the velocity by which the parts of the fluid are being separated from each other.”

„Der Widerstand, der durch den Mangel an Gleitfähigkeit innerhalb einer Flüssigkeit entsteht, ist – vorausgesetzt, dass alle anderen Bedingungen gleich bleiben – proportional zu der Geschwindigkeit, mit der die Flüssigkeitsteilchen voneinander getrennt werden.“

Abbildung 3: Schubspannungs-Schergeschwindigkeits-Diagramm:
1: Scherverzähendes (dilatantes) Fluid
2: Newtonsches Fluid
3: Scherverdünnendes (pseudoplastisches) Fluid
4: Bingham-plastisches Fluid
5: Casson-plastisches Fluid
Nach rechts ist die Schergeschwindigkeit und nach oben die daraus resultierende Schubspannung angetragen.

Flüssigkeiten, die diesem linearen Zusammenhang folgen, werden deswegen als Newtonsche Fluide bezeichnet. Ist von abhängig, so bezeichnet man die Flüssigkeit als nicht-newtonsch oder nichtnewtonsch. Beim Newtonschen Viskositätsgesetz wird stets laminare Strömung sowie Temperatur- und Druckunabhängigkeit der Flüssigkeitseigenschaften angenommen. Für diese Stoffe stellt sich das im Schubspannungs-Schergeschwindigkeits-Diagramm gezeigte, lineare Geschwindigkeitsprofil ein (Abb. 3, Kurve 2: Newtonsches Fluid).

In den rheologischen Modellen wird das Newtonsche Verhalten durch das Newton-Element, einem Dämpfungszylinder ähnlich einem Stoßdämpfer, dargestellt.

Nicht-Newtonsche Fluide

Viele Substanzen folgen diesem Gesetz jedoch nicht, sondern zeigen ein zeit- oder schergeschwindigkeitsabhängiges Verhalten. Dabei unterscheidet man verschiedene Arten der Abweichung:

  • Fließgrenze, es muss erst eine gewisse Mindestschubspannung vorhanden sein, um ein Fließen zu erreichen (plastisches Fließen). Diese Art Fluid wird auch als Bingham-Fluid bezeichnet
  • Strukturviskosität / Dilatanz, dabei ist die Viskosität keine Konstante, sondern ändert sich mit dem Schergefälle
  • Thixotropie / Rheopexie, hierbei zeigen sich zeitabhängige Strukturveränderungen, so dass je nach Zeitdauer seit der letzten Fließbewegung andere Viskositätswerte zu finden sind.

Im allgemeinen Fall muss das Schergefälle aus dem Scherwinkel in der Flüssigkeit berechnet werden und nicht über den Geschwindigkeitsgradienten. Das Verhältnis wird in diesem Fall auch scheinbare Viskosität genannt.[7]

Viskoelastische Materialien können mit der komplexen Viskosität, bei der von einer sinusförmigen Scherung ausgegangen wird, beschrieben werden.

Typische Nicht-Newtonsche Fluide sind zusammengesetzte Substanzen wie Blut und Ketchup. Da Blut sowohl aus den festen Substanzen des Hämatokrits als auch des Blutplasmas besteht, das Mischungsverhältnis jedoch stark variiert, verändert sich auch die Viskosität. Bei hohem Anteil der festen Substanzen ist z. B. die Leistungsfähigkeit in Ausdauer-Sportarten deutlich erhöht, bei zu hohen durch Doping kann dies zum Tod führen.[8]

Temperaturabhängigkeit

Die dynamische Viskosität der meisten Flüssigkeiten nimmt mit steigender Temperatur ab und kann oft mit der Arrhenius-Andrade-Beziehung beschrieben werden:

mit

Bei Flüssigkeiten in der Nähe (d. h. bis ca. 100 K über) der Glasübergangstemperatur gilt meist die WLF-Beziehung. Hier dominiert nämlich das sehr geringe freie Volumen, das in der Nähe der Glasübergangstemperatur viel stärker von der Temperatur abhängt als die Kettenbeweglichkeit, die hinter der Arrhenius-Andrade-Beziehung steht.

Die Abhängigkeit der kinematischen Viskosität von der Temperatur wird bei Ölen durch den Viskositätsindex beschrieben.

Speziell für Wasser lässt sich die Viskosität im Temperaturbereich zwischen 0 °C und 100 °C mit nachfolgend angegebener Gebrauchsformel ermitteln.[9] Dabei ist die Temperatur in der Einheit Kelvin einzusetzen. Der damit berechnete Wert entspricht der dynamischen Viskosität in der Einheit Pa·s.

Messung

Messanordnungen von links nach rechts: koaxiale Zylinder, Platte-Platte, Kegel-Platte; bewegter Teil in Orange, unbewegter Teil in blassem Violett, Fluid in Hellblau

Die Viskosität von Flüssigkeiten kann mit einem Viskosimeter z. B. gemäß EN ISO 3219 gemessen werden. Ein Rheometer ermöglicht es, darüber hinaus noch weitere rheologische Eigenschaften, auch von Festkörpern, zu bestimmen. Bei beiden Gerätetypen wird entsprechend der Viskositätsdefinition die zu messende Probe im Spalt zwischen zwei Körpern (z. B. zwei koaxialen Zylindern oder zwei parallelen Platten) eingebracht. Ein Teil der Anordnung rotiert oder oszilliert mit definierter Geschwindigkeit, während der andere ruht. Aus der Geometrie der Messanordnung und der Geschwindigkeit des bewegten Teiles ergibt sich die Schergeschwindigkeit. Das zur Aufrechterhaltung der Bewegung notwendige Drehmoment wird gemessen, woraus sich dann die Schubspannung und damit die Viskosität ermitteln lässt.

Eine schnelle und einfache, aber auch sehr ungenaue Methode der Viskositätsbestimmung ist der Auslaufbecher.

Typische Werte

Viskosität verschiedener Flüssigkeiten in Abhängigkeit von der Temperatur
Viskosität der Lösungen von Glycerin oder Saccharose (Rohrzucker) in Wasser, in Abhängigkeit vom Massenanteil, für die Glycerin-Lösungen auch bei unterschiedlichen Temperaturen
Das Pechtropfenexperiment – ein seit 1927 laufendes Langzeit-Experiment zur Viskosität von Pech; einem superzähen Material
Farblegende
WasserKohlenwasserstoffe
LebensmittelSauerstoff- und Chlorkohlenwasserstoffe
Erdöl-„Produkte“Metalle
MineralischesSonstiges
Stoff Viskosität
Dynamische η
(mPa·s  bzw. cP)[Anm. 1]
Kinematische ν
(mm²/s)
Wasser 00(0 °C) [10][11] 1,7911,792
Wasser 00(5 °C)1,5181,518
Wasser 0(10 °C)1,3061,306
Wasser 0(20 °C)1,0011,003
Wasser 0(25 °C)0,8910,893
Wasser 0(30 °C)0,7970,801
Wasser 0(50 °C)0,5460,553
Wasser 0(80 °C)0,3540,364
Wasser (100 °C)0,2820,294
Wasser (200 °C, 1,55 MPa)0,1350,156
Wasser (300 °C, 8,6 MPa)0,08590,1206
Blut (37 °C, in großen Gefäßen)3 bis 4[Anm. 2][12]
Traubensaft2 bis 5
Olivenöl≈ 102
Honig≈ 104
Sirup104 bis 105
Kaffeesahne≈ 10
Ethylenglycol (20 °C)20,81[13]18,7
Pentan0,2240,356
Hexan0,3200,485
Heptan0,4100,603
Octan0,5380,769
Nonan0,711
Decan0,920
Dodecan1,522,02
Benzol0,6010,683
Paraffinöl102 bis 106
Diethylether0,2400,338
Diisopropylether0,33[14]
Ethanol1,19
Essigsäure 80 %2,31
Glycerin (rein)14801170
Chloroform0,56
Lack≈ 102
Polymerschmelzen103 bis 1013[Anm. 3][Anm. 4]
Petroleum0,65 bis 1,50,8 bis 2
Motoröl (150 °C)≈ 3
Motoröl (25 °C)≈ 100
Schweröl RMA 30 (50 °C)30
Schweröl RMK 700 (50 °C)700
Bitumen (je nach Sorte)107 bis 1014[Anm. 4]
Asphalt (je nach Rezeptur)1011 bis 1016[Anm. 4]
Quecksilber1,550,115
Gallium2,030,344
Aluminiumschmelze (700 °C)≈ 2[15][16]≈ 0,85
Magnesiumschmelze (652 °C)1,24
Magnesiumschmelze (725 °C)0,96
Glas (Verarbeitungstemperatur)106 bis 1012[Anm. 4]
Glas (Raumtemperatur)1022 bis 1024[Anm. 4]
Silikatarme Schmelze (Basaltlava) 1400 °C100 bis 101[17]
Silikatreiche Schmelze (Rhyolithlava) 1400 °C105 bis 107[Anm. 4][17]
Steinsalz1018 bis 1021[Anm. 4][Anm. 5]
Zähigkeit des Erdmantels bei
der postglazialen Landhebung
≈ 1024[18]
Anmerkungen
  1. Sofern nicht anders vermerkt, beziehen sich die Werte auf die Viskosität bei 20 °C. Millipascal-Sekunden mPa·s sind identisch mit der früher gebräuchlichen Einheit Centipoise cP.
  2. Der Wert von 3–4 mPa·s bezieht sich auf die Viskosität von Blut in großen Gefäßen, bei schneller Strömung und bei normalem Hämatokrit. Die Viskosität von Blut hängt ab von der Menge der Bestandteile (bes. Hämatokrit), aber auch von Gefäßdurchmesser und Strömungsgeschwindigkeit, denn Blut ist eine Nicht-Newtonsche Flüssigkeit. In engen Kapillaren können sich die sonst bikonkaven (scheibchenförmigen) roten Blutkörperchen verformen, wodurch die Viskosität wesentlich sinkt, auch der Fåhræus-Lindqvist-Effekt trägt zu einer Abnahme bei. In größeren Gefäßen und bei langsamem Fluss können sich rote Blutkörperchen zu Aggregaten zusammenlagern, wodurch sich die Viskosität erhöht. Weniger viskos ist Blutplasma mit einem Wert von 1,2 mPa·s.
  3. Bei Polymeren gibt es einen sehr breiten Bereich an Viskositäten, der im Wesentlichen von der Kettenlänge und deren Verzweigungsstruktur, aber auch von der Schergeschwindigkeit abhängt, da sie Strukturviskosität aufweisen. Es ist deshalb nicht sinnvoll, für Polymere einen einzigen Viskositätswert anzugeben. Die genannten Werte dienen nur als Größenordnung. Hergestellt werden z. B. Silikonöle (PDMS) mit definierten Viskositäten zwischen 0,6 mPa·s bei 25 °C und 1000 Pa·s bei 27 °C. Polymerschmelzen können aber auch noch sehr viel höhere Viskositäten aufweisen. Bei einem UHMW-HDPE (für Hüftgelenksimplantate) wurden bei 150 °C Viskositäten jenseits der 1010 Pa·s gemessen.
  4. Es muss betont werden, dass die Angabe eines Viskositätswertes allein bei Substanzen mit Viskositäten über 10000 Pa·s nicht mehr sinnvoll ist. Für solche Substanzen sollte stattdessen der komplexe Schubmodul angegeben werden (Thomas Mezger: Das Rheologie Handbuch. Vincentz Network GmbH, 2007). Die hier angegebenen Werte dienen nur der groben Veranschaulichung der Größenordnung.
  5. Die Viskosität eines kristallinen Festkörpers ist prinzipiell unendlich groß. Da auf lange Sicht durch die unvermeidlichen Fehlstellen im Kristallit dennoch eine irreversible Deformation auftreten kann, erhält man bei realen kristallinen Stoffen dennoch zwar sehr große, aber endliche Werte.

Viskosität von Gasen

Bei Fluiden mit niedriger Viskosität entspricht das Bild der inneren Reibung „nicht den physikalisch korrekten Vorstellungen über molekülbedingte Transportvorgänge in Fluiden“.[19] Stattdessen resultiert hier die Viskosität im Fluid aus einem Impulsfluss, der mit dem folgenden Bild veranschaulicht werden kann: Die Stromfäden in der Strömung werden durch Züge versinnbildlicht, die mit unterschiedlicher Geschwindigkeit parallel nebeneinanderher fahren und mit Sandsäcken beladen sind. Die Sandsäcke entsprechen den Fluidelementen im Stromfaden. Personen auf den Zügen werfen die Sandsäcke auf den jeweils anderen Zug, was der zufälligen thermischen Bewegung der Fluidelemente zwischen den Stromfäden gleichkommt. Landet ein Sack des langsameren Zuges auf dem schnelleren, dann nimmt der Sandsack Impuls auf, den der schnellere Zug an ihn abgibt und so selbst langsamer wird. Wenn umgekehrt ein Sack des schnelleren Zuges auf dem langsameren landet, nimmt der Zug den Impuls des Sandsacks auf und wird so selbst schneller. Durch diesen Impulsaustausch wird der schnellere Zug abgebremst und der langsamere beschleunigt.

Viskosität stellt demnach einen Impulsfluss von einem schneller fließenden Stromfaden auf einen langsamer fließenden dar. In einer Kontinuumsströmung tauschen die Fluidelemente Impulse über die zwischen ihnen wirkenden Spannungen aus. Zwischen den unterschiedlich schnell nebeneinanderher fließenden Stromfäden kommt es zu Schubspannungen, die sich makroskopisch als Viskosität bemerkbar machen.

Abschätzung

Viskosität verschiedener Gase bei Normaldruck
Viskosität von Stickstoff in Abhängigkeit vom Druck für verschiedene Temperaturen
Viskosität von Stickstoff in Abhängigkeit von der Temperatur für verschiedene Drücke

Für Gase lässt sich die Viskosität anhand einer mikroskopischen Betrachtung des Impulsflusses abschätzen:

mit der freien Weglänge für die Gasteilchen, der Masse der Gasteilchen , der mittleren Teilchengeschwindigkeit und der Teilchenzahldichte .

Die Viskosität von Gasen ist bei niedrigen Drücken (≈ 0,1 bis 10 bar) unabhängig vom Druck. Dies gilt solange, wie die freie Weglänge klein gegenüber den Gefäßabmessungen und groß gegenüber den Molekülabmessungen ist. Mit anderen Worten: Für ein sehr dünnes oder ein sehr dichtes Gas wird die Viskosität doch wieder vom Druck beziehungsweise der Dichte des Gases abhängig.

Grundsätzlich abhängig ist die Viskosität aber von der Temperatur. Mit zunehmender Temperatur steigt die Viskosität, da die mittlere Teilchengeschwindigkeit proportional zu wächst (siehe unten). Dieses Verhalten ist bei den meisten Flüssigkeiten genau entgegengesetzt. Die folgende Tabelle listet zu einigen Gasen die Viskositäten und freien Weglängen auf.

Gas unter Norm-
bedingungen
η
(µPa·s)
λ
(nm)
Luft 18,2 059,8
Sauerstoff (O2) 19,2 063,3
Kohlendioxid (CO2) 13,8 039,0
Stickstoff (N2) 16,6 058,8
Argon (Ar) 21,0 062,6
Neon (Ne) 29,7 124,0
Helium (He) 18,6 174,0
Wasserstoff (H2) 08,4 111,0

Kinetische Gastheorie

Nach Hirschfelder kann die Viskosität reiner Gase mit Hilfe der kinetischen Gastheorie in einem großen Temperaturbereich (etwa von 200 bis 3000 Kelvin) berechnet werden.

Hierbei ist die Molekülmasse, die Boltzmann-Konstante, die Temperatur, der Lennard-Jones-Stoßdurchmesser und das reduzierte Stoßintegral, das von der reduzierten Temperatur abhängt. ist die Energie des Lennard-Jones-Potentials. Werte für die Lennard-Jones-Parameter und das reduzierte Stoßintegral sind in Lienhards Lehrbuch zur Wärmeübertragung in Kapitel 11 aufgeführt. Das reduzierte Stoßintegral ist so definiert, dass für ein ideales Gas, bei dem Teilchenwechselwirkungen wie Stöße harter Kugeln betrachtet werden, gilt.

Physik des Reibungstensors

Die Viskosität begründet sich aus dem Experiment, nach dem zur Aufrechterhaltung einer Scherströmung eine Kraft erforderlich ist. Diese Kraft bewirkt einen Impulsaustausch innerhalb der Strömung bzw. mit dem Rand, weshalb sie zur Kategorie der Oberflächenkräfte zählt. Kontinuumsströmungen tauschen Impuls über mechanische Spannungen aus, wobei ein Spannungsanstieg eine Beschleunigung bewirkt. Im Kontinuum lässt sich die beschleunigende Kraft in der allgemeinsten Form als Divergenz eines Tensors formulieren:

wobei die Komponente des Spannungstensors auf Grund der Viskosität ist und zäher Spannungstensor oder Reibungstensor heißt. Der Nabla-Operator bildet hier die Divergenz div des Reibungstensors.

Aus dem Experiment folgt unmittelbar, dass der Reibungstensor eine Funktion der räumlichen Änderung der Strömungsgeschwindigkeit ist:

Der Operator grad bildet aus der Geschwindigkeit den Geschwindigkeitsgradient. Da kein Impulsfluss bei homogener Strömung oder enthält der Reibungstensor keine Komponenten, die unabhängig vom Geschwindigkeitsgefälle sind. In Newtonschen Fluiden sind die Spannungen linear in den Geschwindigkeitsgradienten, eine Annahme, die gerechtfertigt ist, wenn der Geschwindigkeitsgradient im Sinne der Hydrodynamik klein ist.

Weiterhin tritt keine Viskosität auf, wenn sich die Strömung in starrer Rotation ( mit dem Abstandsvektor von der Drehachse) befindet, wobei die Winkelgeschwindigkeit ist, die aus dem schiefsymmetrischen Anteil des Geschwindigkeitsgradienten resultiert, siehe Kinematik in der Strömungsmechanik. Dieser schiefsymmetrische Anteil hat mithin keinen Einfluss auf die Spannungen, weswegen allein der symmetrische Anteil D des Geschwindigkeitsgradienten

Spannungen verursacht. Das hochgestellte T bildet die Transposition. Mit der weiteren Annahme einer isotropen Flüssigkeit werden die unmittelbaren Stoffeigenschaften durch skalare Größen beschrieben. Damit wird der Reibungstensor:[20]

Darin ist das Kronecker-Delta, die Volumenviskosität, die erste Lamé-Konstante, der Spur-Operator und ist der Einheitstensor. Der erste Term beschreibt die Viskosität durch volumentreue Deformation (der Tensor in den eckigen Klammern ist spurfrei oder deviatorisch). Der zweite Term stellt die Viskosität durch Volumenänderung dar. Dieser Term wird bei Inkompressibilität verschwinden, denn dann ist .

Literatur

  • Joseph O. Hirschfelder, Charles F. Curtiss, Robert Byron Bird: Molecular Theory of Gases and Liquids. Wiley, 1964, ISBN 0-471-40065-3.
  • John H. Lienhard IV und John H. Lienhard V: A Heat Transfer Textbook. 3. Auflage. Phlogiston, Cambridge 2005.
  • Peter W. Atkins: Physikalische Chemie / A. Höpfner (Übers.). 3., korr. Auflage. Wiley-VCH, Weinheim 2002, ISBN 3-527-30236-0.
  • J. M. Dealy: Structure and Rheology of Molten Polymers. Hanser Fachbuchverlag, München 2006.
  • C. Gabriel: Einfluss der molekularen Struktur auf das viskoelastische Verhalten von Polyethylenschmelzen. Lehrstuhl für Polymerwerkstoffe, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen 2001.
  • C. Piel, F. J. Stadler, J. Kaschta, S. Rulhoff, H. Münstedt, W. Kaminsky: Structure-property relationships of linear and long-chain branched metallocene high-density polyethylenes and SEC-MALLS. In: Macromolecular Chemistry and Physics. Band 207, Nr. 1, 2006, S. 26–38.
  • Lothar Gehm: RHEOLOGIE – Praxisorientierte Grundlagen und Glossar. Vincentz, 1998, ISBN 3-87870-449-6.
  • F. R. Schwarzl: Polymermechanik. Springer, Heidelberg/ Berlin/ New York 1993.
Commons: Viscosity – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Viskosität – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. DIN 1342-2:2003-11
  2. Bedeutungsübersicht: Viskosität. Duden online, abgerufen am 26. März 2017.
  3. Viskosität. In: Lexikon der Physik. Spektrum Akademischer Verlag, abgerufen am 16. November 2017.
  4. Viskosität Definition. In: Aral. Abgerufen am 12. Dezember 2023.
  5. Valentin Schröder: Prüfungstrainer Strömungsmechanik. Vieweg & Teubner, 2011, S. 1, doi:10.1007/978-3-8348-8274-5_1.
  6. Deepak Doraiswamy: The Origins of Rheology: A Short Historical Excursion. In: The Society of Rheology (Hrsg.): Rheology Bulletin. Band 71, Nr. 2, Januar 2002, S. 2 (englisch). The Origins of Rheology: A Short Historical Excursion (Memento vom 19. August 2019 im Internet Archive)
  7. Alexander Y. Malkin, Avraam I. Isayev: Rheology. Concepts, Methods and Application. 2. Auflage. Toronto 2012.
  8. Arnd Krüger: 50 Prozent Hämatokrit – eine willkürliche Grenze (NZZ, 11. Juni 1999), in: LimmatsharksZürich. online (Memento vom 6. Oktober 2014 im Internet Archive)
  9. Viskosität von Flüssigkeiten und Gasen. In: tec-science. 25. März 2020, abgerufen am 7. Mai 2020 (deutsch).
  10. Water – dynamic (absolute) and kinematic viscosity vs. temperature and pressure. In: engineeringtoolbox.com. Abgerufen am 5. April 2024.
  11. https://www.nist.gov/system/files/documents/srd/jpcrd382009101p.pdf
  12. Ralf Brandes, Rudi Busse: Kreislauf. In: Schmidt, Lang, Heckmann (Hrsg.): Physiologie des Menschen. 31. Auflage. Springer, Heidelberg 2010, ISBN 978-3-642-01650-9, S. 576f.
  13. Nikos G. Tsierkezos, Ioanna E. Molinou: Thermodynamic Properties of Water + Ethylene Glycol at 283.15, 293.15, 303.15, and 313.15 K. In: Journal of Chemical & Engineering Data. Band 43, Nr. 6, 1. November 1998, ISSN 0021-9568, S. 989–993, doi:10.1021/je9800914.
  14. Dynamic (absolute) and kinematic viscosity vs. temperature and pressure: diisopropyl ether. In: stenutz.eu. Abgerufen am 5. April 2024.
  15. Nikolaj I. Koškin, Michail G. Širkevič: Elementarphysik griffbereit: Definitionen · Gesetze · Tabellen. 2013, ISBN 978-3-322-84038-7, S. 41.
  16. Walter Blanke: Thermophysikalische Stoffgrößen – Wärme- und Stoffübertragung. 2013, ISBN 978-3-662-10545-0, S. 146.
  17. H-G. Scharbert: Einführung in die Petrologie und Geochemie der Magmatite. 1. Ausgabe. Wien 1984, S. 60.
  18. G. Kaufmann, K. Lambeck: Glacial isostatic adjustment and the radial viscosity profile from inverse modeling. In: Journal of Geophysical Research. 107. Jahrgang, B11, 2002, S. 2280, doi:10.1029/2001JB000941, bibcode:2002JGRB..107.2280K (englisch). PDF
  19. F. Durst: Grundlagen der Strömungsmechanik. Springer, 2006, ISBN 3-540-31323-0, S. 62 f.
  20. L. D. Landau, E. M. Lifschitz: Lehrbuch der theoretischen Physik. Band VI: Hydrodynamik. Akademie Verlag, 1991.
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