Oswald Kabasta
Oswald Kabasta (* 29. Dezember 1896 in Mistelbach (Niederösterreich), Österreich-Ungarn; † 6. Februar 1946 in Kufstein) war ein österreichischer Dirigent und Komponist.
Leben
Kabasta studierte 1913–1916 an der Wiener Musikakademie, u. a. bei Joseph Marx und dem Bruckner-Jünger Ferdinand Löwe Dirigieren. Außerdem nahm er Privatunterricht bei Franz Schmidt. Zuerst als Musiklehrer tätig, erhielt er die Stelle eines Kapellmeisters in Wiener Neustadt; 1923 wurde er in Baden bei Wien Dirigent des Gesangsvereines Baden 1862.[1] Nach zweijähriger erfolgreicher Direktorenschaft im städtischen Orchester in Graz wurde er 1928 zum Städtischen Generalmusikdirektor in Graz ernannt.[1] 1931 wurde Kabasta Konzert- und Musikdirektor der Radio Verkehrs AG und leitete deren Orchester; 1931 übernahm er auch die Leitung der Dirigentenklasse an der Wiener Musikakademie von Franz Schalk, des anderen bedeutenden Bruckner-Jüngers. Im Mai 1932 wurde von Unterrichtsminister Anton Rintelen und dessen Kreis der (nicht verwirklichte) Plan gefasst, Kabasta für ein September 1932 beginnendes festes Engagement am Wiener Operntheater zu gewinnen, dessen Beziehungen zur RAVAG unter „zahlreichen Hemmungen und Mißstimmigkeiten“ litt.[2][3]
Kabastas erfolgreiche Karriere führte zu zahlreichen Konzerten mit den Wiener Philharmonikern und 1934, als Nachfolger von Ferdinand Löwe, zur Bestellung zum Chefdirigenten der Wiener Symphoniker. Er formte das Orchester neu und unternahm mit ihm Tourneen nach Italien und England. Sein Einfluss währte lange über seinen Tod hinaus, noch in den 1970er Jahren bezogen sich Orchestermusiker auf ihn: „Unterm Kabasta ham ma des aber ganz anders gspielt“.[4] 1938 behauptete Kabasta gegenüber der NSDAP, in seiner Zeit bei den Wiener Symphonikern „keinen einzigen Juden“ aufgenommen zu haben. Vor 1938 hatte jedoch die NS-Presse Kabasta wegen seiner Beschäftigung von jüdischen Musikern und Dirigenten in der RAVAG, zum Beispiel Fred Fobau, angegriffen.[5] 1938 wurde er in Nachfolge des bekannten Bruckner-Interpreten Siegmund von Hausegger Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Kabasta war zwar nach dem „Anschluss“ Österreichs Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, setzte aber trotzdem auf seine Programme in München unerwünschte Werke von Paul Dukas, Gustav Mahler, Felix Mendelssohn Bartholdy und Béla Bartók. Seine enge Zusammenarbeit mit dem Orchester, mit dem er während des Zweiten Weltkrieges zahlreiche Tourneen unternahm, endete im August 1944. Die Münchner Tonhalle, der Spielort seit 1895, wurde durch die Luftangriffe auf München zerstört. In der Endphase des Zweiten Weltkriegs wurde er im August 1944 in die Gottbegnadeten-Liste aufgenommen, was ihn von einem Kriegseinsatz, auch an der Heimatfront, bewahrte.[6]
Nach dem Krieg verboten die Alliierten Kabasta eine weitere Tätigkeit als Dirigent. Man warf ihm einen Beitritt zur NSDAP bereits 1932 vor. Die Leitung der Münchner Philharmoniker übernahm Hans Rosbaud. Kabasta zerbrach an diesem Berufsverbot (die Stadt München hatte im Oktober 1945 auf Geheiß der Information Control Division die Zahlungen an Kabasta eingestellt und ihn fristlos entlassen).[7][5] Mit einer Überdosis Schlaftabletten nahm er sich das Leben.
Ein Teilnachlass wird an der Bayerischen Staatsbibliothek (Musikabteilung, Handschriften) verwahrt.
Würdigung
Durch Kabastas Freitod verlor die Musikwelt einen bedeutenden Dirigenten, der in der Folge wie andere „belastete“ Musiker zweifelsohne wieder hätte auftreten dürfen und sicher einen Platz unter den großen Musikern der Zeit gehabt hätte, nicht zuletzt durch seinen Einsatz für Darbietungen in Originalfassung. Er setzte sich auch besonders für das Werk Johann Nepomuk Davids sowie seines Lehrers Franz Schmidt ein; die für den 13. März 1938 angesetzte Uraufführung des Oratoriums Das Buch mit sieben Siegeln musste wegen des „Anschlusses“ auf Juni 1938 verschoben werden. Kabasta übernahm auch noch die Leitung der Uraufführung von Schmidts Kantate Deutsche Auferstehung. Ein festliches Lied im April 1940.
Kabasta war ein Dirigent, der durch schnelle, aber auch sehr variable Tempi (wie viele andere Dirigenten der Zeit, v. a. Wilhelm Furtwängler) enorme musikalische Spannung erzeugte, aber dennoch (durch seine österreichische Herkunft) Charme und Klangsinn nicht vernachlässigte. Seine für den Rundfunk produzierte Aufnahme von Dvořáks vielgespielter Symphonie Aus der Neuen Welt aus dem Jahre 1944 wurde bis 1990 für eine von Furtwängler gehalten. Es ist tatsächlich die wildeste Interpretation dieses Werkes überhaupt. Weitere bedeutende Mitschnitte existieren von Beethovens Eroica und Bruckners 4. Symphonie, außerdem Studio- und Rundfunkaufnahmen von Bruckners 7. und 9., Schuberts 3., 4. und 5., Beethovens 8. und Mozarts Jupiter-Symphonie.
NSDAP
Kabasta wurde 1932 Mitglied des Steirischen Heimatschutzes, dessen Anführer Walter Pfrimer und Konstantin Kammerhofer sich mit dem Großteil der Verbandsmitglieder 1934 der SA anschlossen. Kabasta beantragte am 19. Mai 1938 die Aufnahme in die NSDAP und wurde rückwirkend zum 1. Mai desselben Jahres aufgenommen (Mitgliedsnummer 6.209.372).[8][9] NSDAP-Parteinummern aus dem Block von 6.100.001 bis 6.600.000 waren für Parteimitglieder reserviert, die nach dem NSDAP-Verbot (19. Juni 1933) in Österreich für die Partei aktiv geworden sind.[5] Für sie wurde allgemein als Aufnahmedatum der 1. Mai 1938 festgelegt.[10]
Am 4. Februar 1946, zwei Tage vor seinem Freitod, stellte er zu dem Vorwurf, bereits 1932 der ab Juni 1933 in Österreich verbotenen NSDAP beigetreten zu sein, in einem an den Oberbürgermeister von München gerichteten Abschiedsbrief unter anderem fest:[11]
„Heute erfuhr ich in München bei einer Vorladung zur Militärregierung […], daß ein von mir gezeichneter ‚Personalbogen für Ehrengäste‘ vom Februar 39 existiert, von dem ich keine Ahnung mehr hatte, darin aber habe ich das Eintrittsdatum in die Partei Februar 32 (!!) angegeben.
Dies ist falsch. Meine späteren Angaben, im Mai 38, also nach dem Anschluß, die Anmeldung in Wien vollzogen zu haben, ist zutreffend. Dies beschwöre ich beim Herrgott, der bald mein Richter sein wird.
Ich hatte Anfang der 30er Jahre einige Male Spenden für den Steirischen Heimatschutz gegeben und dann nach dem Anschluß von dem damaligen Sendeleiter von Graz, Franz Huber, später Intendant des Wiener Reichssenders, die Bestätigung erhalten, daß ich regelmäßig seit Februar 32 Beiträge geleistet habe.
Dies traf nicht zu […]. Ich erfuhr später, daß der gesamte Steir. Heimatschutz, dessen Mitglied ich ja eigentlich nie gewesen, geschlossen in die NSDAP überführt worden sei. […] Tatsächlich wurde mir das angegebene Datum (II/32) nicht angerechnet, ich erhielt vielmehr später […] zugleich mit der Überstellung von Wien nach München die Mitteilung, daß meine Aufnahme mit Datum Mai 38 in Aussicht genommen sei. […]
[…] vor dem Mai 38 hatte ich nichts mit der Partei zu tun.“
Dazu Priebergs Kommentar: „Die Besatzungsbehörde besaß 1946 die NSDAP-Karteikarte Kabastas mit Eintrittsdatum. Die Quälerei mit Todesfolge war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ein Beispiel mehr, daß ehrliche, empfindsame Persönlichkeiten den Absurditäten der ‚Entnazifizierung‘ durch feindselige Bürokraten des Military Government nicht gewachsen waren; allein die Dickfelligen setzten ihre Karriere ohne Skrupel fort.“[12] Kabastas Schutzbehauptung, dass die Aufnahme 1938 nur „in Aussicht genommen sei“, stimmte jedoch nicht, da in seiner Ummeldungsbestätigung vom 8. Februar 1940 von Wien nach München festgehalten wurde, dass er seine Mitgliedskarte vorgelegt und die Mitgliedsbeiträge bis November 1940 bezahlt habe.[5]
Ehrungen
- Ritterkreuz des österreichischen Verdienstordens (1935)[13]
- Anton-Bruckner-Ring (1936)
- Kabastastraße in Pasing (1956)[14]
- Kabastagasse in Liesing (Wien) (1959)[5]
Kompositionen
- Adam und Eva oder Komiker und Soubrette, Singspiel
- Rosentraum, Operette
- Kammermusik
- Klavierwerke
Schriften
- Mein Weg zu Bruckner und zu den Originalfassungen. Unveröffentlichtes Typoskript[15]
Literatur
- Kabasta, Oswald. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 3, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1965, S. 162.
- Wilhelm Zentner: Kabasta, Oswald. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 10, Duncker & Humblot, Berlin 1974, ISBN 3-428-00191-5, S. 715 (Digitalisat).
- Elisabeth Th. Hilscher: Kabasta, Oswald. In: Oesterreichisches Musiklexikon. Online-Ausgabe, Wien 2002 ff., ISBN 3-7001-3077-5; Druckausgabe: Band 2, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2003, ISBN 3-7001-3044-9.
- Paolo Isotta: Oswald Kabasta – Ein Dirigent, verschüttet von den Trümmern des Dritten Reiches. In: Gabriele E. Meyer (Red.): 100 Jahre Münchner Philharmoniker. Jahrbuch der Münchner Philharmoniker, Band 1993/94, ZDB-ID 239855-2. Knürr, München 1994, ISBN 3-928432-14-1, S. 138–143.
- Engelbert M. Exl, Michael Nagy (Hrsg.): „… mögen sie meiner still gedenken.“ Die Beiträge zum Oswald Kabasta-Symposion in Mistelbach vom 23. bis 25. September 1994. Verlag Vom Pasqualatihaus, Wien 1995, ISBN 3-901254-04-8.
- Gabriele E. Meyer, "Meine Passionen sind eine einzige: Die Musik". Oswald Kabasta und die Münchner Philharmoniker. Glanzvolle Karriere in unseliger Zeit. In: Oberbayerisches Archiv 123 (1999), S. 379–413.
- Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945. CD-ROM-Lexikon, Kiel 2009, 2. Auflage, S. 3756–3761. online
- Oswald Kabasta im Wien Geschichte Wiki der Stadt Wien
- Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-039326-5, S. 290.
Weblinks
- Literatur von und über Oswald Kabasta im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Oswald Kabasta im Bayerischen Musiker-Lexikon Online (BMLO)
- Eintrag zu Oswald Kabasta in Kalliope
- Oswald Kabasta: Tonaufnahmen im Onlinearchiv der Österreichischen Mediathek
- Nachlass in der Bayerischen Staatsbibliothek
Einzelnachweise
- Lokales. (…) Ernennung zum Musikgeneraldirektor. In: Badener Zeitung, Nr. 51/1928 (IL. Jahrgang), 27. Juni 1928, S. 2 Mitte. (online bei ANNO).
- Geplante Berufung Professor Oswald Kabastas an das Operntheater. Der Musikdirektor der „Ravag“ soll auf Engagement dirigieren. In: Neue Freie Presse, Abendblatt, Nr. 34322/1932, 31. Mai 1932, S. 3. (online bei ANNO).
- Das Operntheater und Professor Kabasta. Budgetäre Schwierigkeiten einer Verpflichtung. In: Neue Freie Presse, Morgenblatt, Nr. 34323/1932, 1. Juni 1932, S. 8, Mitte links (online bei ANNO).
- Geschichte der Wiener Symphoniker. (Memento vom 29. September 2005 im Internet Archive).
- Oliver Rathkolb: 23. Kabastagasse, benannt seit 1959 nach Oswald Kabasta. In: Forschungsprojektendbericht: Straßennamen Wiens seit 1860 als „Politische Erinnerungsorte“. Wien 2013, S. 142–144 (PDF; 4,16 MB).
- Oliver Rathkolb: Führertreu und gottbegnadet. Künstlereliten im Dritten Reich. Österreichischer Bundesverlag, Wien 1991.
- David Monod: Settling scores. German music, denazification, & the Americans, 1945–1953. (englisch). University of North Carolina Press, Chapel Hill (NC) 2005, ISBN 0-8078-2944-7, S. 59. – Text online.
- Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/18790688
- Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945, Kiel 2009, 2. Auflage, S. 3756
- Bundesarchiv PG – Zum Mitgliedschaftswesen der NSDAP. (Memento vom 25. Mai 2016 im Internet Archive).
- Zitiert nach Prieberg, Handbuch Deutsche Musiker, S. 3760f; (Original im Stadtarchiv München).
- Prieberg, Handbuch Deutsche Musiker, S. 3761.
- Personalnachrichten. In: Der Wiener Tag, 20. April 1935, S. 8 (online bei ANNO).
- Hans Dollinger: Die Münchner Straßennamen. 7. Auflage. Südwest-Verlag, München, 2007, ISBN 978-3-517-08370-4.
- Katalogzettel der ÖNB-Musiksammlung.