Ostara
Ostara ['o:stara] ist der von Jacob Grimm (1785–1863) durch philologischen Vergleich hergeleitete Name für eine vermutete germanische Frühlingsgöttin. Als Quelle bezog sich Grimm dabei auf den angelsächsischen Mönch und Kirchenhistoriker Beda, der die Herkunft des Wortes „Easter“ (Ostern) mit einer früheren germanischen Göttin namens „Eostrae“ erklärte. In der Romantik fand Grimms Annahme einer Ostara starken Anklang, wurde seither oft für die Erklärung von Osterbräuchen herangezogen und fand so bis in die jüngste Vergangenheit Eingang in Lexika und Schulbücher.[1] In der Fachwissenschaft ist die Annahme einer germanischen Ostara schon länger umstritten und wird in der Regel abgelehnt, wobei meistens die ohnehin schon sehr problematische Namensform diskutiert wird und weniger der generelle Kult einer germanischen Frühlingsgöttin.[2]
Quellen und Quellenkritik
Beda Venerabilis
Im 8. Jahrhundert erklärt der englische Kirchenhistoriker Beda Venerabilis (673–735) in seinem Werk De temporum ratione, einer Streitschrift zur Terminierung des Osterfestes nach der römischen Kirchentradition entgegen der Praxis der iro-schottischen Kirchentradition, die Herkunft des Wortes Ostern. Beda nannte als Vorlage des Monatsnamens den einer „Göttin Eostrae“, die dem Eosturmonath (April; ahd. ôstarmânôt) seinen Namen verliehen haben soll.
„Eostur-monath, qui nunc paschalis mensis interpretatur, quondam a dea illorum, quae Eostrae vocabatur, et cui in illo festa celebrabant, nomen habuit; a cuius nomine nunc paschale tempus cognominant, consueto antiquae observationis vocabulo gaudia novae solemnitatis vocantes“
„Der Eosturmonath, heute Passahmonat bezeichnet, war früher benannt nach einer ihrer Göttinnen, welche Eostre genannt wurde, zu deren Ehren Feste in diesem Monat gefeiert wurden. Jetzt benennen sie die Passahzeit mit ihrem Namen, womit die Freuden der neuen Feierlichkeit unter dem Namen der altehrwürdigen Göttinnenverehrung angerufen werden.“
Die Existenz dieser Göttin wird von vielen Wissenschaftlern jedoch bestritten oder zumindest stark angezweifelt. Dass ein bedeutendes Frühlingsfest bei den Germanen mit einer bestimmten Gottheit verbunden gewesen sein muss, liegt zwar nahe, allerdings lassen sich nur schwerlich Aussagen darüber machen, mit welchen Inhalten dieses Fest verbunden war. So kam das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens im Jahre 1935 zum Schluss: „Wenn schon eine angelsächsische Eostra auf schwachen Füßen stand, hielt die Forschung erst recht eine deutsche Göttin Ostara für nicht nachweisbar.“[4] Bei Eostrae könnte es sich daher auch einfach um einen „österlichen“ Beinamen für eine ansonsten anders genannte Göttin (wie etwa Freya) handeln, eine Parallele dazu findet sich in dem Beinamen Jólnir für den Gott Odin, der wahrscheinlich mit dem Julfest in Verbindung steht.[5] Da Beda ansonsten die einzige Quelle für eine Göttin Eostrae ist, nehmen viele Forscher eine Erfindung Bedas in der Tradition der Etymologiae Isidor von Sevillas an. Andererseits gilt Beda Venerabilis als erster zuverlässiger Chronist der englischen Geschichte.[6] Zudem stellt sich die Frage, weshalb Beda den Monatsnamen einer Göttin erfinden sollte, den er ohnehin umbenennen wollte.
Jacob Grimm
Jacob Grimm spekuliert in seinem Werk Deutsche Mythologie (1835) über eine germanische Göttin mit dem Namen Ostara, auf der Basis von Bedas Eostrae:
„Die beiden göttinnen, welche Beda (de temporum ratione cap. 13) ganz kurz, ohne nähere schilderung, bloß zur erklärung der nach ihnen benannten monate anführt, sind Eástre und Hrede; von dieser hat merz, von jener april seinen sächsi[s]chen namen.“
Grimm wertet dabei eine Erfindung der Göttin durch den frommen Beda als „unwahrscheinlich“ und zieht weitere etymologische Indizien heran, unter anderem den bei Eginhard erwähnten „ôstarmânoth“[8] (Ostermonat, ahd. für April), und kommt zu dem Schluss: „Ostara, Eástre mag also Gottheit des strahlenden Morgens, des aufsteigenden Lichts gewesen sein, eine freudige, heilbringende Erscheinung, deren Begriff für das Auferstehungsfest des christlichen Gottes verwandt werden konnte.“
Grimm war – wie auch andere Vertreter der deutschen Romantik – sehr interessiert an einer germanischen Religion als eigenständiger Grundlage deutscher Kultur und stellte den Bezug von Sagengestalten wie Frau Holle bzw. Perchta zur nordischen Göttin Frigg bzw. Freya her. Durch Grimms allgemeinen Einfluss auf die deutsche Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts fand Ostara eine weite Verbreitung. An Grimms Ableitung wird jedoch heute häufig kritisiert, dass er alternative Erklärungsansätze, wie das friesische Âsteron, das mittelhochdeutsche Ôsteren oder das althochdeutsche Wort für Ostern Ôstarûn gar nicht berücksichtigt habe, was jedoch unzutreffend ist, da Grimms Interpretation explizit auch auf dem althochdeutschen Wort Ôstarûn beruht.
Skandinavien
In der isländischen Dichtung der Edda und in der skandinavischen Skaldendichtung gibt es keine Hinweise auf eine Göttin, die der angelsächsischen Eastre entsprechen könnte. Auch die Vorstellung einer Frühlingsgöttin oder einer Morgengöttin des aufsteigenden Lichts erscheint nicht in der nordischen Literatur. Bestenfalls lässt sich hier die nordische Göttin Var anführen, diese Verbindung beruht aber lediglich auf einer Fest-Entsprechung von kontinentalgermanischem Ostern und nordgermanischem Várblót sowie einer möglichen Identifikation beider Göttinnen als Beinamen oder Hypostasen der Göttin Freya.
Neuzeit
Früher als Grimm berichten deutsche Quellen von der Verehrung einer ähnlich lautenden Göttin, so erwähnt das Wernigeröder Intelligenzblatt 1797 eine „Ostra“, der zu Ehren Höhenfeuer entzündet werden.[9] Woher diese Informationen stammen, ist unklar. Eine noch ältere Erwähnung von 1770 über „Eostre, Ostar“ bezieht sich aufgrund der Namensform wohl direkt auf Beda.[10]
Etymologische Diskussionen
Über Bedas Erwähnung der Eostrae deuten einzelne Autoren die folgenden Hinweise als Belege für die Existenz einer germanischen Göttin Ostara bzw. Eastre:
- Flur- und Ortsnamen wie Osterode, Osterholz oder Oesch (auch Austerthal geschrieben[11]). Allerdings ist bei solchen Ortsnamen ein Bezug zur östlichen Himmelsrichtung zumeist naheliegender und wird von der Ortsnamenforschung daher auch so vertreten.[12]
- Im Frankenreich wurde der April auch „ôstarmânôt“ genannt, was mit dem altenglischen „eastarmonath“ verwandt ist. Der zeitliche Ursprung der Benennungen ist nicht bekannt und damit auch, ob diese vom Osterfest inspiriert wurden oder das Osterfest nach den Monatsnamen benannt wurde.
- Die Bezeichnung eines Steinblocks in Westfalen „im Oestern“ wird auf Ostara abgeleitet, doch handelt es sich hier um Volksglauben.[13] Der aus derselben Gegend stammende „Osta-Stein“ – eine im 16. Jh. gefundene Votivtafel – wird von Befürwortern der Ostarathese als Hinweis gedeutet. Die Tafel ist nur noch in Nachzeichnungen erhalten und zeigt eine männliche oder weibliche Figur mit Hörnerhelm, die ein überquellendes Füllhorn trägt, und daneben einen Kreis (als Sonne oder Vollmond gedeutet) und einen Halbmond. Zudem zeigt die Zeichnung einen Runenspruch: „dhu gautar osta, ous il sin grosta –“ (in etwa: „Du guter Osta, aus deinem Antlitz leuchtet –“). Weder der Stein noch die Runeninschrift werden von der Forschung als authentisch anerkannt.
- Als weitere Hinweise werden bisweilen auch Weihesteine der Matronae Austriahenae in der Umgebung der niederrheinischen Ortschaft Morken-Harff gewertet. Diese Matronen wurden teils als „die Östlichen, die im Osten wohnen“ gedeutet. Ebenfalls nachweisbar sind die Austriahenae in Hermühlheim bei Köln durch sieben römerzeitlichen Weihinschriften mit den Matronennamen Authrinehae, Auðrinehae, Audrinehar und Autriahenae. Sie sind wohl wie die meisten Matronennamen auf Orts-, Gau- oder Sippennamen zurückzuführen.
Entsprechungen
Ostara wurde in der älteren Forschung und wird teilweise heute noch verschiedentlich mit diversen Göttinnen verwandter Völker und Kulturen gleichgesetzt bzw. in Verbindung gebracht:
- Anhand der vergleichenden Religionsforschung wird eine indoeuropäische Göttin der Morgenröte (*H2eusōs f.) angenommen, wie die indische Uṣāḥ, griechische Eos, römische Aurora und die litauische Aušrinė zeigen. Eine germanische Göttin *Austrô kann dadurch aber nicht bewiesen werden und der Vergleich mit der altenglischen Eastre bleibt vage.
- Der Beiname „ástaguð“ (»Liebesgott«; zu ahd. anst »Gunst, Liebe«), den die Göttin Freyja in der jüngeren Edda (vgl. Skaldskaparmál Kap. 28) trägt, wird gelegentlich fälschlicherweise in etymologischen Zusammenhang mit Ostara gebracht.
- Ebenso umstritten ist die in der älteren Literatur mitunter hergestellte etymologische Zusammenhang zwischen Ostara und der westsemitischen Fruchtbarkeitsgöttin Astarte.
Rezeption
Neopaganes Heidentum
In neuzeitlichen neopaganen Glaubensrichtungen werden in der Frühlingszeit liegende Feste zumeist als Ostara oder Ostarafest bezeichnet.
- Siehe auch: Kontinentalgermanische Mythologie#Neuzeit
- Siehe auch: Liste der Germanisch-Neuheidnischen Feiertage
- Siehe auch: Keltischer Jahreskreis
- Siehe auch: Wicca-Jahreskreis
Analytische Psychologie
Carl Gustav Jung (1875–1961) nahm die ältere Diskussion auf und versuchte, Ostara als Ausprägung des so genannten Mutterarchetypes zu deuten.
Zeitschrift „Ostara“
Der österreichische Esoteriker und Nationalsozialist Jörg Lanz von Liebenfels veröffentlichte zwischen 1905 und 1930 unter dem Titel Ostara, Briefbücherei der Blonden und Mannesrechtler eine Zeitschrift mit rassistischem Inhalt, in der er auch den Landesnamen Österreich auf die angenommene germanische Göttin zurückführte.
Moderne Rezeption
Im Buch American Gods von Neil Gaiman ist Ostara eine der Protagonisten. Dabei wird insbesondere der Zusammenhang zwischen dem christlichen Osterfest und der etymologischen Ursprung des Begriffs „Ostern“ diskutiert.
Literatur
- Hanns Bächtold-Stäubli: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (HDA). Walter De Gruyter, Berlin / Leipzig 2000, ISBN 3-11-016860-X (1929-1942, 1987).
- Jan de Vries: Altgermanische Religionsgeschichte. 2 Bände. Walter de Gruyter, Berlin 1970 (Erstausgabe: Berlin/Leipzig 1935).
- Jacob Grimm: Deutsche Mythologie. Marix Verlag, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-86539-143-8.
- Karl Helm: Altgermanische Religionsgeschichte. 2 Bände in 3 Teilen. Carl Winter, Heidelberg (1911-1953).
- Ernst Alfred Philipsson: Germanisches Heidentum bei den Angelsachsen (= Kölner anglistische Arbeiten. Band 4). Verlag Bernh. Tauchnitz, Leipzig 1929.
- Klaus Mailahn: Göttin, Fuchs und Ostern. LIT-Verlag, Münster/Wf. 2007, ISBN 978-3-8258-0663-7.
- Philip A. Shaw: Pagan Goddesses in the early Germanic world. Eostre, Hedra and the cult of Matrons. Bristol Classical Press, London 2011, ISBN 978-0-7156-3797-5
- Rudolf Simek: Götter und Kulte der Germanen. 4. Auflage. C.H. Beck, München 2016, ISBN 978-3-406-50835-6 (1984–2005).
- Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 3., völlig überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2006, ISBN 3-520-36803-X.
Weblinks
Einzelnachweise
- so Ostern In: Microsoft Encarta (online 2009); hier „Eostre“ als „teutonische Göttin des Frühlings und der Fruchtbarkeit“, deren Fest am Tag vor der Frühlings-Tagundnachtgleiche gefeiert worden und mit dem Symbol des Hasen verbunden gewesen sei.
- Vergleiche Ostara. In: Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens. Band 6, Sp. 1311–1317.
Beispiel für Kritik bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Ostăra. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage. Band 15: Öhmichen–Plakatschriften. Bibliographisches Institut, Leipzig / Wien 1908, S. 168 (zeno.org). - De mensibus Anglorum in deutscher Übersetzung bei Firne Sitte Thüringen
- HWDA „Ostara“ Sp. 1312 bei Google-Books
- Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 3., völlig überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2006, ISBN 3-520-36803-X, S. 231.
- csis.pace.edu siehe etwa Lowell Wilson
- Deutsche Mythologie. Göttingen 1835, S. 180 in Google-Books
- Einhart, Life of Charlemagne (Englische Übersetzung der Vita Karoli Magni)
- „Unsere Nachbarn im Lande zünden nämlich am Abend des ersten christlichen Osterfeiertags, ohne Scheu und Nachdenken, wieder seit einigen Jahren von neuem der heidnischen Göttin Ostra Ehren Opfer- und Gedächtnisfeuer vor ihren Dörfern und Anhöhen, wo dergleichen sind, an.... Unsere Stadteinwohner (zum Ruhm sei’s ihnen nachgesagt) handeln hierin vernünftiger. Sie bleiben, wenn’s auch weiter nichts ist, doch fest auf ihren Posten der Aufklärung stehen. Wenigstens schämen sie sich noch bis jetzt dieses Rückschrittes ins Heidenthum, dieser kleinlichen, abergläubigen Lustbarkeit. Sie verlachen den Aberglauben unserer Vorfahren, welche durch diese, in spätern Zeiten mit dem Namen Osterfeuer belegten Feuer-Opfer, von der Göttin Ostra die Vertilgung des den Gewächsen schädlichen Geschmeißes zu erlangen hofften …“ Wernigerödisches Intelligenzblatt. 19; 9. Mai 1797, S. 72
- „Die Ostera oder Eostre, Ostar, soll der Teutschen Venus seyn, welche andere vor dem Mond, einige vor der Morgenröthe oder den Morgenstern halten, soll zum Osterfest den nahmen gegeben haben (…) An der anzündung des Osterfestes Hangen Hiesige Einwohner zum Theil noch sehr halsstarrig vermeinende dem felde, wiesen öhrtern, wohin das leuchte, wachse davon ein sonderlicher Seegen zu. Sie hat in diesem Lande ihre lucos (= Haine) und aras (=Altäre) gehabt, die noch Osterholtz und Osterberge genandt werden.“ Mushard-Handschrift, Landesmuseum Oldenburg
- Mülh. Pfarrurbar v. 1610 u. 1630, S. 27 u. 184
- vgl. auch Österreich (ostarrîchi, Ostmark)
- Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Band 6, S. 1316