Beinhaus
Das Beinhaus, auch Ossarium oder Ossuarium (von lateinisch os, „Knochen“, Mehrzahl: ossa), ist ein überdachter Raum, der zur Aufbewahrung von Gebeinen bestimmt ist. Der Begriff Karner, auch Carnarium, Gerner, Kärnter, mancherorts auch „Seelhaus“[1] und anders[2] genannt, bezeichnet eine auch als Beinhaus genutzte Kapelle. Mancherorts hat die Anlage zwei Ebenen, die obere als Andachtsraum, die untere als Beinkeller. Im Kanton Schwyz in der Zentralschweiz wird für eine Friedhofskapelle, die zugleich Aufbahrungsraum und Beinhaus ist, die Bezeichnung Kerchel verwendet (wie der Kerchel von Schwyz oder jener von Muotathal).
Herkunft und Baukunde
Im Judentum werden Knochenkästen aus Stein als Ossuar bezeichnet. Nachdem der Leichnam verwest war, wurden die zurückbleibenden Knochen gereinigt und in Ossuarien gelegt. Diese wurden zur Zeit des oberirdischen Begräbnisverbots in der Zeit bis um 1200 überwiegend in unterirdischen Katakomben aufgestellt, spielen jedoch seit dem Beginn der Erdbestattungen in dieser Religion keine Rolle mehr.
Die Anlage von Ossuarien hat verschiedene Gründe. Teils handelt es sich um Sammelstellen für die Gebeine aus Friedhöfen, auf denen Platz für weitere Bestattungen geschaffen werden musste, wozu bestehende Grabfelder neu belegt wurden (Umbettung der Gebeine) (Beispiel: Sant’Ariano in der Lagune von Venedig). Ein Zuwachs in der europäischen Bevölkerung machte die Einführung der Beinhäuser im 11. und 12. Jahrhundert notwendig. Es war nicht eine Änderung im theologischen Denken des Christentums, sondern „allein durch praktische Erfordernisse war dieser einschneidende Schritt notwendig geworden“.[3]
Vielfach steht das Beinhaus in Verbindung mit einer Friedhofskapelle. Speziell in dieser Form wird das Beinhaus Karner oder Gerner genannt, dies ist der im österreichischen Raum sowie in Bayern übliche Ausdruck. Hier stehen bedeutende Beinhäuser aus dem 12. Jahrhundert in Hartberg und Mistelbach sowie eines aus dem 13. Jahrhundert in Tulln oder die Magdalenenkapelle Hall in Tirol.
In Lothringen gibt es Beinhäuser beispielsweise in einer zum Friedhof offenen Krypta unter der Kirche von Vintrange und in Schorbach im Bitscher Land in einem Haus mit offenen, romanisch wirkenden Säulenarkaden vor dem Westportal der Kirche.
Häufig sind christliche Beinhäuser dem Erzengel Michael geweiht. Sie können zweistöckig erbaut oder später aufgestockt worden sein. Im oberen Raum befindet sich häufig eine Kapelle.
Um die Wende zum 20. Jahrhundert kamen Beinhäuser immer mehr außer Gebrauch. Viele wurden abgebrochen oder zweckentfremdet, einige als Gedenkstätten für Kriegsgefallene, als Leichenhallen oder Lagerschuppen umgenutzt. In manchen in der Stadt liegenden Klöstern ist wegen des knappen Raumes die Funktion der Beinhäuser erhalten geblieben.
In vielen Gegenden Griechenlands finden sich Beinhäuser auf den Friedhöfen. Dort werden die Gebeine nach einer regional unterschiedlichen Zeit (20 bis 40 Jahre) in einem kirchlichen Ritus exhumiert und in das Beinhaus verbracht, um Platz für neue Bestattungsstellen zu schaffen.
Liste von Beinhäusern
(ohne Anspruch auf Vollständigkeit)
Deutschland
Die vorherrschende Bezeichnung außer in Bayern ist hier Beinhaus.
- Baden-Württemberg:
- St. Georg in Gutach-Bleibach
- St. Michael neben der Pfarrkirche St. Gallus in Ladenburg
- St. Michael in Schwäbisch Hall (unter dem Chor)
- Bayern (Beinhäuser und Karner sowie Kärnter):
- Aholfing
- Allersburg
- Altomünster
- Arresting
- Baldersheim (Aub)
- Breitenbrunn
- Beratzhausen
- Chammünster
- Dingolfing
- Geltendorf-Walleshausen
- Greding
- Großdingharting (St. Laurentius)
- Großschönbrunn
- Hemau
- Iphofen
- Landsberg am Lech
- Laufen an der Salzach
- Maria Thalheim
- Marzoll
- München Sendling Alte Pfarrkirche St. Margaret Kapelle
- Neustadt an der Aisch
- Perschen
- Rain
- Reicholzried
- Rottendorf
- Roding: Josephikapelle mit Annakapelle
- Sankt Kastl[4]
- Schorndorf
- Sinzing
- Staubing bei Weltenburg
- Waischenfeld
- Zell (Schäftlarn)
- Hamburg: Unter dem Altar der St.-Josephs-Kirche
- Hessen:
- Beinhaus (Alsfeld)
- Untergeschoss der Michaelskapelle in Butzbach
- Michaelskirche in Fulda (Krypta ursprünglich als Beinhaus verwendet)
- Untergeschoss der Michaelskapelle an der Stiftskirche in Limburg-Dietkirchen
- St. Michael neben der Pfarrkirche (Kapellenkarner) in Kiedrich
- St. Michael (Limburg an der Lahn)
- Beinhaus neben der lutherischen Pfarrkirche St. Marien in Marburg
- Michaeliskapelle in Wetzlar
- Rheinland-Pfalz:
- Michaelskapelle in Alken an der Mosel (noch gefüllt)
- Beinhaus in Deidesheim
- Karden an der Mosel
- Michaelskapelle neben der Liebfrauenkirche in Koblenz (umgebaut)
- Michaelskapelle neben der Katharinenkirche in Oppenheim
- unter St. Peter und Paul in Westhofen
- Als Variante sind am Mittelrhein kleinere romanische Kirchen zu beobachten, deren Altarraum erhöht wurde, um darunter einen Raum zu schaffen, der wahrscheinlich als Beinhaus Verwendung fand. Nachzuweisen ist diese Form
- in der alten Kirche St. Servatius in Koblenz-Güls
- in St. Laurentius in Koblenz-Moselweiß (Raum im Barock entfernt)
- in St. Johannis in Niederlahnstein (Raum rekonstruiert)
- Als Variante sind am Mittelrhein kleinere romanische Kirchen zu beobachten, deren Altarraum erhöht wurde, um darunter einen Raum zu schaffen, der wahrscheinlich als Beinhaus Verwendung fand. Nachzuweisen ist diese Form
- Mecklenburg-Vorpommern:
- Niedersachsen:
- Knochenturm in Einbeck
- Gebeinkapelle im Rathaus in Goslar
- Nordrhein-Westfalen:
- Beinhaus des Klosters Hardehausen bei Warburg
- St. Ursula in Köln („Goldene Kammer“)[5]
Österreich
Die vorherrschende Bezeichnung ist Karner und mitunter Beinhaus.
Kärnten
- Berg im Drautal
- Deutsch-Griffen
- Friesach
- Glödnitz
- Karner von Gmünd in Kärnten
- Maria Saal
- Metnitz
- Moosburg
- Ossiach
- Rechberg
- Villach
Niederösterreich
- Karner Bad Deutsch-Altenburg
- Karner Burgschleinitz
- Karner Eggenburg
- Karner Friedersbach
- Hainburg an der Donau
- Karner Hardegg
- Karner Kühnring
- Karner Mistelbach
- Karner (Mödling)
- Pottenstein (Doppelkarner)
- Karner Pulkau
- Tulln an der Donau
- Karner (Unserfrau)
- Karner Wiener Neustadt
- Karner Zellerndorf
- Karner Zwettl
Oberösterreich
- Enns
- Hallstatt (mit der größten Schädelsammlung Europas[6]), Mauthausen
Salzburg
Steiermark
Tirol
- Martins- bzw. Magdalenenkapelle in Elbigenalp im Lechtal
Vorarlberg
- Ludesch
- Rankweil
Schweiz
Die Bezeichnung ist vorwiegend Beinhaus.
- Graubünden: Kirche St. Peter Mistail in Alvaschein, Falera, Poschiavo
- Zentralschweiz und Schweizer Mittelland: Baar ZG, Deitingen, Emmetten, Ettiswil, Gränichen, Hasle LU, Schlachtkapelle Sempach, Stans, Steinen SZ, Sursee, Wolhusen, Zug
- Nordwestschweiz:
- St. Jakob an der Birs in Basel
- Frick
- Beinhaus bei der Wehrkirche St. Arbogast in Muttenz
- Rümlingen
- Ostschweiz:
- Ritterhaus Bubikon, Bubikon ZH
- Liebfrauenkapelle bei der Stadtpfarrkirche St. Johann in Rapperswil SG (zweistöckiger gotischer Bau mit Kapelle)
- St. Peter und Paul auf der Insel Ufenau
- Romandie:
- Tessin: Coglio, Gordevio, Astano
- Wallis: Bellwald, Leuk, Naters
Frankreich
Das französische Wort für Beinhaus ist Ossuaire.
- Elsass:
- Kapelle St. Sebastian mit Beinhaus in Dambach-la-Ville
- Margaretenkapelle Epfig (einfacher Bau des 11. Jh. Ein Karner an der Nordseite bildet die Verlängerung der Vorhalle. Im Okulus datiert 1601)
- Île-de-France:
- Beinhaus der Pfarrkirche Saint-Séverin, Paris
- Beinhaus des Friedhofs Père Lachaise, Paris
- Beinhaus der Katakomben in Paris
- Lothringen:
- Marville
- romanisches Beinhaus von Schorbach aus der Mitte des 12. Jahrhunderts
- Beinhaus von Douaumont bei Verdun
- Vintrange
- Normandie: Pestbeinhaus Aître Saint-Maclou in Rouen
Italien
- Südtirol
- In Südtirol sind die Begriffe Karner und Beinhaus sowie das italienische Ossario in Verwendung.
- In Südtirol ist unbedingt zwischen traditionellen Beinhäusern auf Friedhöfen einerseits und monumentalen Großbauten des Faschismus andererseits zu unterscheiden. Letztere stehen – neben einigen Bauwerken in Bozen – bis heute im Mittelpunkt des Streits um den richtigen Umgang mit den baulichen Hinterlassenschaften jener Zeit.[7]
- Oberitalien
- In Italien ist der Begriff Ossario üblich.
- Cimitero di San Cataldo in Modena[9]
- Custoza
- Ossario Santa Maria della Neve bei Melegnano
- Ossario di Solferino, zum Gedenken an die Schlacht von Solferino
- Insel Sant’Ariano in der Lagune von Venedig
- Mittelitalien
Griechenland
- Fourni (Kreta)
- Heiliges Kloster der Verklärung des Erlösers (Ιερά Μονή Μεταμορφώσεως του Σωτήρος), auch bekannt als Großes Meteoron (Μεγάλο Μετέωρο), bei Kalambaka
Portugal
- Igreja Matriz in Alcantarilha
- Igreja de São Francisco in Évora
- Igreja do Carmo in Faro
Tschechien
- Beinhaus in Brünn
- Beinhaus in Kolín
- Beinhaus Sedlec in Kutná Hora
- Beinhaus in Mělník
- Beinhaus in Sankt Maurenzen
Bulgarien
- Beinhaus in Balgarowo
- Beinhaus in Batak
- Beinhaus im Schipkadenkmal
Literatur
- Anna-Katharina Höpflinger, Yves Müller (Fotograf): Ossarium. Beinhäuser in der Schweiz, Theologischer Verlag Zürich, Zürich 2016, ISBN 978-3-290-22034-1.
- Jörg Scheidt: Das Beinhaus von Oppenheim. In: Oppenheimer Hefte. 40, Oppenheim 2011, S. 17–41.
- Reiner Sörries: Zur Architekturgeschichte der Karner in Kärnten. In: Friedhof und Denkmal. Jahrgang 38, 2/1993 Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal Kassel, S. 25–37.
- Wolfgang Westerhoff: Karner in Österreich und Südtirol. Niederösterreichisches Pressehaus, St. Pölten / Wien 1989, ISBN 3-85326-891-9.
- Friedrich Zoepfl: Beinhaus. In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. II, 1938, Sp. 204–214. (Abschrift auf rdklabor.de, abgerufen am 14. Januar 2024)
Weblinks
Einzelne Karner:
Einzelnachweise
- Max Döllner: Entwicklungsgeschichte der Stadt Neustadt an der Aisch bis 1933. 1950; 2. Auflage, Ph. C. W. Schmidt, Neustadt an der Aisch 1978, ISBN 3-87707-013-2, S. 88 und 559, Anm. 2.
- rdklabor: Beinhaus.
- Reiner Sörries: Der mittelalterliche Friedhof. In: Norbert Fischer (Hrsg.): Raum für Tote. Die Geschichte der Friedhöfe von den Gräberstraßen der Römerzeit bis zur anonymen Bestattung. 2003, ISBN 3-87815-174-8, S. 38.
- Markt Kastl im Lauterachtal - Historischer Rundwanderweg - Gelber Rundwanderweg. Abgerufen am 27. Juni 2022.
- Beinhaus - Tote Römer, schön gestapelt: Schaudern in der Knochenkammer. Westfalen-Blatt, 22. April 2019, abgerufen am 23. Mai 2021.
- Eintrag zu Das Beinhaus von Hallstatt im Austria-Forum (im Heimatlexikon), abgerufen am 4. Januar 2011.
- Ein Beispiel von 1959: Kassian Punt, Vigil Moroder: Italien in Südtirol. Aufstieg-Verlag, München 1959, DNB 453875866 (Das Buch vertritt vehement den deutschsprachigen Standpunkt in der damaligen Auseinandersetzung um Südtirol, die schließlich zum Autonomiestatut führte. Drei Fotos zeigen die genannten Bauwerke.): „Der Faschismus aber entriß Leichname italienischer Soldaten der Heimaterde in Venetien und den südlichen Bergen und errichtete aus politischen Gründen grenznah Ossarien (Gebeinhäuser) bei Innichen, in Gossensaß und auf der Malser Heide.“ –
Zwei Beispiele aus neuerer Zeit: Roland Lang (für den Südtiroler Heimatbund): Erklärungstafeln an den Beinhäusern: Unwahrheiten nicht auch noch festschreiben. In: suedtiroler-freiheit.com. Süd-Tiroler Freiheit, 21. Februar 2011: „Die Beinhäuser sind keine Orte des Gedenkens, wie die Landesregierung glaubt, sondern versteinerte Lügen des Faschismus. Den Toten Frieden in der Heimaterde, allen Relikten der Diktatur aber die Schleifung. So wie in allen anderen demokratischen Ländern auch, fordert deshalb der Südtiroler Heimatbund.“ – Alpini und Bürgermeisterin provozieren mit Kranzniederlegung. In: suedtiroler-freiheit.com. Süd-Tiroler Freiheit, 14. März 2017: „Am heutigen Vormittag haben mehrere italienische Alpini-Einheiten in Innichen beim faschistischen Beinhaus erneut mit einer Kranzniederlegung provoziert. Die umstrittene Aktion findet jährlich im Rahmen italienischen Skimeisterschaften der Gebirgstruppen (CaSTA), ein militärischer Wintersportwettkampf, statt. (...) Warum ist diese Denkmal eine Provokation? Faschistische Machthaber haben im Zuge ihrer „nationalistischen Glorifizierung“ die Gebeine von Soldaten, die in verschiedenen Teilen Italiens gefallen oder in Kriegsgefangenschaft verstorben sind, exhumiert und hier beigesetzt. Diese im Jahre 1939, also 21 Jahre nach Ende des I. Weltkrieges, errichtete Grabstätte soll bis heute eine völlig verdrehte Tatsache glaubhaft machen: Die in diesen Beinhäusern beigesetzten Soldaten wären im I. Weltkrieg für die „Befreiung Südtirols“ gefallen. In Wirklichkeit haben die italienischen Truppen bei ihrem Angriffskrieg 1915–1918 gegen Österreich-Ungarn im südlichen Tirol nie nennenswerte Gebietsgewinne gemacht und Tiroler Boden de facto kaum betreten.“ - Förderungen – Beitragsempfänger. In: stiftungsparkasse.it. Stiftung Südtiroler Sparkasse 1854, 2008 .
- Cimitero Aldo Rossi. Abgerufen am 25. August 2022 (deutsch).