Olga Markowa Meerson
Olga Markowa Meerson (* 5. Dezember 1880 in Moskau; † 1929 oder 1. Juli 1930 in Berlin)[1] war eine russische Malerin der Moderne, Schülerin von Henri Matisse und erste Ehefrau von Heinz Pringsheim.
Leben
Olga Markowa Meerson studierte zunächst in München, unter anderem zusammen mit Wassily Kandinsky, und ab 1908[2] in Frankreich bei Matisse. Sie stand in Kontakt mit Thomas Mann; im Thomas-Mann-Archiv der ETH Zürich ist ein Brief Olga Meersons vom 2. Juli 1911 an Thomas Mann erhalten, in dem die Herkunft des Namens „Tadzio“ thematisiert wird. Tadzio ist eine Hauptfigur in Thomas Manns Novelle Der Tod in Venedig.[3][4]
Meerson suchte auch noch die Nähe Matisses, nachdem dieser sich aus dem Lehrbetrieb zurückgezogen hatte. Sie besuchte ihn häufig in Issy und empfing seine Gegenbesuche am Boulevard des Invalides. 1911 porträtierten Matisse und Meerson einander; eines von Olga Markowa Meersons Matisse-Porträts zeigt den Maler lesend und auf einem Bett liegend. Dieses Gemälde hat insofern Seltenheitswert, als Matisse eine große Scheu davor hatte, sich zur Schau zu stellen, und offenbar ungewöhnlich entspannt agierte, als Olga Markowa Meerson ihn porträtierte. Hilary Spurling schrieb über Matisse und Meerson: „Matisse relaxed for her as he rarely did for the camera, or for the various interviewers, who tried over the next forty years to portray him in words. He was a wary and defensive sitter [...] With Meerson, in the summer of 1911, he lowered his guard.“[5]
Matisse seinerseits malte Meerson nicht nur, sondern benutzte sie auch als Modell für seine Plastik Sitzende Nackte, die ebenfalls 1911 geschaffen wurde. Wahrscheinlich hatten Meerson und Matisse eine Liaison miteinander, die die Eifersucht Amélies, der Ehegattin Matisses, erregte. Nachdem sich Matisse wohl von ihr getrennt hatte, zog Olga Markowa Meerson wieder nach München und heiratete 1912 Heinz Pringsheim.[6]
Nach dieser Eheschließung lebte sie mit Pringsheim in Berlin. 1913 wurde die Tochter Tamara geboren, die später den Mathematiker Theodor Estermann heiratete. Heinz Pringsheims Ehe war offenbar in seiner Familie nicht unumstritten. In einem Brief schrieb Elisabeth Castonier später an Mary Tucholsky: „Seine, Heinzi's, erste Frau war die russische Malerin Olga Merson [sic!] – mit der meine Mutter in Paris russisch schwätzen konnte. Es hieß damals, O. wäre »Anarchistin« und meine Mutter fürchtete immer, dass sie bei ihren allmonatlichen jour fixe's eine loslassen würde, um zu sehn, ob – aber sie tat es nicht. Statt dessen sprang Olga nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Adlon und Heinzi heiratete eine Sängerin, die nicht berühmt werden konnte [...]“[7]
Olga Pringsheim litt unter Depressionen. 1929[8] schied sie aus dem Leben; sie stürzte sich aus dem vierten Stock des Hotels Adlon in Berlin.[9]
Sie gehört zu denjenigen Frauen in der Kunst, die gegenwärtig weitgehend in Vergessenheit geraten sind.
Literatur
- Hilary Spurling: Matisse the Master. A Life of Henri Matisse 1909–1954, Penguin Books 2005.
- dt.: Matisse – Leben und Werk, übersetzt von Jürgen Blasius, DuMont, Köln 2006, ISBN 3-8321-7704-3.
- Dagmar Frings und Jörg Kuhn: Die Borchardts. Auf den Spuren einer Berliner Familie, Berlin Hentrich & Hentrich 2011, S. 51 (Olga Meerson im Jahr 1909 als Gast bei dem Maler Felix Borchardt in dessen Haus in Paris, 21, Rue Octave Feuillet) und S. 135, ISBN 978-3-942271-17-2.
Weblinks
Einzelnachweise
- Die Lebensdaten sind offenbar umstritten. Ein Kommentar in Exil im Nebelland. Elisabeth Castoniers Briefe an Mary Tucholsky: Eine Chronik, hg. von Deborah Vietor-Engländer, Bern 2010, ISBN 978-3039100378, S. 518 gibt an, Olga Markusovna Meerson sei am 23. November 1878 geboren worden und habe 1929 Selbstmord begangen; dasselbe Todesjahr, aber das Geburtsjahr 1880 nennt der Kommentar zu Thomas Mann, Briefe II 1914–1923. Text und Kommentar in einem Band, hg. von Thomas Sprecher u. a., Frankfurt am Main 2004, ISBN 978-3100483713, S. 542. In Hedwig Pringsheims Tagebuch wird als Todesdatum der 1. Juli 1930 genannt (siehe google books) . Rizzoli, Collecting Matisse, Flammarion 1999, ISBN 978-2080135414, S. 12 behauptet, die Malerin sei 1878 geboren worden und habe sich erst 1934 oder später, jedenfalls nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, das Leben genommen.
- Portrait of Henri Matisse – Olga Meerson auf desdeelotroladodelcuadro.blogspot.de
- Thomas-Mann-Archiv (Memento vom 24. Juli 2014 im Internet Archive)
- Der Brief wurde in T. J. Reed, Thomas Mann. »Der Tod in Venedig«. Text, Materialien, Kommentar, München 1983, S. 86 f. abgedruckt.
- Hilary Spurling: Matisse the master : a life of Henri Matisse, the conquest of colour, 1909-1954. Penguin Books, 2005, ISBN 0-14-190974-9 (englisch, Titelseite bei GoogleBooks [abgerufen am 6. Februar 2020]).
- Peter Schjeldahl, Art as Life. The Matisse we never knew, in: The New Yorker, 29. August 2005
- Exil im Nebelland. Elisabeth Castoniers Briefe an Mary Tucholsky. Eine Chronik, Bern (Peter Lang) 2010, ISBN 978-3039100378, S. 108
- So die Anmerkung zu einem Tagebucheintrag Thomas Manns in Thomas Mann, Tagebücher 1918–1921; hg. von Peter de Mendelssohn, Frankfurt am Main (S. Fischer Verlag) ²1979, ISBN 3-10-048192-5, S. 787.
- Thomas Mann, Tagebücher 1918–1921; hg. von Peter de Mendelssohn, Frankfurt am Main (S. Fischer Verlag) ²1979, ISBN 3-10-048192-5, S. 787