Oktogon (Architektur)

Ein Oktogon oder Oktagon (Achteck) ist in der Architektur ein Zentralbau oder -raum mit einem Grundriss in Form eines regelmäßigen Achtecks. Das Achteck hat seit der Antike eine symbolische Bedeutung, die auf das Urbild des achtstrahligen Sterns zurückgeht und für Vollkommenheit steht.[1]

Grundriss des Lateranbaptisteriums
Grundriss des Felsendoms
Oktogon des Aachener Doms
Grundriss der Seiffener Kirche
Plan für ein Oktogonhaus von O. S. Fowler
Beim Castel del Monte wird aufgrund der Architektur eine sakrale Funktion vermutet.

Antike und frühmittelalterliche Gebäude

Die wohl erste dokumentierte Anwendung eines Achtecks als Grundriss war im Athener Turm der Winde.[2] Während hierbei das Achteck vor allem zur Veranschaulichung der acht Winde und als Zeiger der Wetterfahne zur Anwendung kam, folgten zahlreiche oktogonale Bauten vorrangig im sakralen Bereich.

Der zweifach achsensymmetrische Grundriss wurde bei säkular-repräsentativen Bauten wie auch bei Sakralbauten wegen der symbolischen Bedeutung der Zahl Acht gewählt. Sie steht meist für Vollkommenheit und göttliche Perfektion. Achteckige Bauten haben vier Symmetrieachsen. Die Acht steht im Christentum auch für die Auferstehung Jesu Christi und die Teilhabe an Christus in der Taufe.[3] Häufig sind daher Baptisterien und Taufbecken in Achteckform.

In frühmittelalterlichen Kirchengebäuden ist das Oktogon als eigenständiger Zentralbau zu finden. Es wird angenommen, dass die oktogonale Form von Sakralbauten aus der byzantinischen Architektur über Bauten wie die Kirche San Vitale[4] in Ravenna (6. Jahrhundert) nach Südeuropa kam. (Das ältere Baptisterium des Lateran aus dem frühen 4. Jahrhundert war wohl zur Bauzeit noch nicht achteckig.) Karl der Große, der die Kirche von Ravenna kannte, wählte im 8. Jahrhundert diese Form für die Aachener Pfalzkapelle.[5] Diese wiederum war im Rahmen der Karlsverehrung Vorbild weiterer frühmittelalterlicher Kirchen im Heiligen Römischen Reich, etwa der Mettlacher Grabkirche[6] (um 990) oder der Abteikirche Ottmarsheim (1020–1030). Während die Form der Basilika, ab der Ottonik auch mit kreuzförmigem Grundriss, immer beliebter wurde, wurden die Zentralbauten und damit auch das Oktogon an den Rand gedrängt, meist als Tauf- oder Grabkapelle. Kaiser Friedrich II. von Stauffen errichtete das Castel del Monte ebenfalls auf oktonalem Grundriss, eine architektonische Bezugnahme zu voran genannten Sakralbauten ist anzunehmen.

In der Romanik und Gotik finden sich Oktogone als Turmgeschosse und Vierungstürme, insbesondere bei Kaiserdomen. Der Achtort wurde wohl als Proportionsschlüssel dabei verwendet. Auch die Reichskrone des Heiligen Römischen Reichs weist eine oktogonale Form auf, ferner der Untersatz des Cappenberger Kopfes.[7] Aus acht Segmenten besteht der Aachener Barbarossaleuchter,[8] der das Himmlische Jerusalem symbolisiert.

Eine Art der Ehrung stellt die oktogone Kuppel in der Kemptener St. Lorenz-Kirche dar. Aufgrund der Gründungsgeschichte, Gründung und Stiftung des Kemptener Klosters durch Karl den Großen und seiner dritten Gemahlin Hildegard, stellt die in ihrer Grundform achteckige Kuppel einen Nachklang an den Aachener Dom dar. Auch weitere Indizien wie verschiedene Deckenfresko mit Darstellungen von Karl dem Großen und Hildegard unterstützen diese These.[9]

Bedeutende Oktogonalbauten (nach Alter)

Oktogonale Empore mit runder Kragkuppel im Adinath-Tempel in Ranakpur, Rajasthan, Indien
Blick in die Kuppel des Oktogons der Kunstakademie in Dresden zur „Zitronenpresse“

Gut erhaltene mittelalterliche Oktogonkirchen im deutschsprachigen Raum sind auch die Dorfkirche Ludorf (12./13. Jahrhundert), St. Sigismund in Oberwittighausen (um 1150), St. Achatius in Grünsfeldhausen (um 1200), St. Ulrich in Standorf (1220).

Barocke Oktogone

Der Herkules auf dem Oktogon im Bergpark Wilhelmshöhe Kassel, 2018

Außerdem findet man in der Barockzeit häufig auf mittelalterlichen Turmgeschossen aufgesetzte, mit einem Zeltdach abgeschlossene Oktogone, die die Schallöffnungen für die Glockenstühle und mitunter Turmuhren haben.

Im Festungsbau fand das Achteck u. in Neuf-Brisach Verwendung.

Amerikanische Oktogonhäuser

Mitte des 19. Jh. wurde das Oktogon in den USA in der bürgerlichen Architektur kurzzeitig populär. Von den Architekten William Thornton und Thomas Jefferson stammen achtseitige Modellbauten (siehe Octagon House).

Popularisiert wurde die Form von dem Phrenologen Orson Squire Fowler, der die Achteckform als ökonomischste Bauweise und ideale Wohnumgebung für den Menschen ansah. In den USA, vor allem an der Ostküste und im Mittleren Westen, existieren heute noch rund 500 dieser modischen Wohngebäude aus dem 19. Jh.

Bedürfnisanstalten

In Berlin werden die eisernen, im 19. Jahrhundert auf oktogonalem Grundriss entstandenen öffentlichen Bedürfnisanstalten scherzhaft auch als Café Achteck bezeichnet.

Oktogonale Anlagen in Städtebau und Gartenkunst

Pseudo-Oktogon

Einzelnachweise

  1. Georg Friedrich Kempter: Das Oktogon als architektonische Grundform. (PDF; 187 kB) Abgerufen am 13. Dezember 2013.
  2. Karlheinz Schaldach: Die antiken Sonnenuhren Griechenlands. Frankfurt am Main, 2006, ISBN 3-8171-1756-6, S. 78–81.
  3. Franz Joseph Dölger: Das Oktogon und die Symbolik der Achtzahl. In: Franz Joseph Dölger: Antike und Christentum, Band 4. Münster 1934, S. 153–187.
  4. Jürgen Rasch: Die Kuppel in der römischen Architektur. Entwicklung, Formgebung, Konstruktion, In: Architectura, Bd. 15 1985, S. 117–139 (123).
  5. Udo Mainzer: Die Pfalzkapelle Karls des Großen in Aachen als Teil des Welterbes. In: Andrea Pufke (Hrsg.): Die karolingische Pfalzkapelle in Aachen. Material – Bautechnik – Restaurierung (= Arbeitsheft der rheinischen Denkmalpflege 78). Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms 2012, ISBN 978-3-88462-325-1, S. 9.
  6. Herbert Brunner et al.: Reclams Kunstführer Deutschland VI. Stuttgart 1980, ISBN 3-15-010286-3, S. 294.
  7. Caroline Horch: …caput argentum ad imperatoris formatum effigiem… Der Cappenberger Barbarossakopf: Bild oder Bildnis In: AufRuhr 1225! Das Mittelalter in Rhein und Ruhr. Katalog zur Ausstellung im LWL-Museum für Archäologie Herne vom 27. Februar bis 28. November 2010, Mainz 2010, ISBN 978-3-8053-4108-0, S. 107–121.
  8. Georg Minkenberg: Der Barbarossaleuchter im Dom zu Aachen. In: Zeitschrift des Aachener Geschichtsverein 96, 1989, S. 69–102.
  9. gvba.de: Das Aachener Oktogon als Krone der Stiftskirche St. Lorenz zu Kempten. 21. Januar 2011 (abgerufen am 17. November 2012).
  10. Jürgen Rasch: Die Kuppel in der römischen Architektur. Entwicklung, Formgebung, Konstruktion, Architectura, Bd. 15, 1985, S. 117–139 (118f., 122, 136).
  11. Jürgen Rasch: Die Kuppel in der römischen Architektur. Entwicklung, Formgebung, Konstruktion, Architectura, Bd. 15, 1985, S. 117–139 (130 & 136).
  12. Carlo Pietrangeli (Hrsg.): Il palazzo apostolico Lateranense. Nardini, Florenz 1992, ISBN 88-404-1205-0.
  13. Marcell Restle: Die Erforschungsgeschichte der Architekturdenkmäler im Hauran. Wien, S. 6 (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive) (PDF; 307 kB).
  14. C. v. Bothmer: Zur architekturgeschichtlichen Interpretation des Felsendoms in Jerusalem. Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (ZDMG), Supplementband III, 2 (1975), S. 1568–1573.
  15. Modell und Geschichte des Wieselburger Oktogons (Memento des Originals vom 26. September 2022 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/wwwg.uni-klu.ac.at, abgerufen am 17. November 2012.
  16. Karl Heinz Esser: Der Dom des Willigis. In: Willigis und sein Dom. Festschrift zur Tausendjahrfeier, Mainz 1975, S. 179.
  17. Paul Stintzi: Ottmarsheim : Geschichte und Kunst der ehemaligen Abteikirche, Mulhouse, 1955, 10 S.
  18. Klaus Lange: Der Westbau des Essener Doms. Architektur und Herrschaft in ottonischer Zeit, Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung, Münster 2001, ISBN 3-402-06248-8.
  19. Annamaria Giusti: Das Baptisterium San Giovanni in Florenz. Mandragora, Florenz 2000, ISBN 88-85957-57-9.
  20. Toni Diederich: Die Baugeschichte der Sinziger Pfarrkirche St. Peter im Lichte eines neuen Siegelfundes. In: Rheinische Vierteljahrsblätter 45, 1981, S. 35–43.
  21. Carl A. Willemsen (Hrsg.): Castel del Monte. Das vollendetste Baudenkmal Kaiser Friedrichs des Zweiten. Insel-Bücherei. Bd. 619 B., Frankfurt am Main 1982, ISBN 3-458-08619-6.
  22. Landesamt für Denkmalpflege, Burgen, Schlösser, Altertümer Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Staatliche Burgen, Schlösser und Altertümer in Rheinland-Pfalz. Koblenz 2003, S. 146 f.
  23. Alfred Hagemann: Symbolpolitik. Die Kuppel Friedrich Wilhelms IV. für das Berliner Schloss, Artikel vom 25. Mai 2020 im Portal humboldtforum.org, abgerufen am 30. Juli 2020
  24. Christoph Dautermann: Krefeld-Linn. 1. Auflage. Neuss 2009, ISBN 978-3-86526-032-1 (Rheinische Kunststätten. Heft 509), S. 17–18.
  25. Werner Ahrens: Balve und sein romanisches Erbe. Heimwacht Balve, Balve 2006, ISBN 3-89053-109-1.
  26. Inge Zacher: Evangelische Kreuzkirche in Düsseldorf. Köln 2010. (Rheinische Kunststätten Heft 522, hrsg. vom Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz e. V.), ISBN 978-3-86526-052-9.
  27. Daniel Lohmann: Hermann Arnold. Eine vergessene Verbindung zwischen Peter Behrens und Ludwig Mies van der Rohe. 19. Januar 2024, doi:10.57684/COS-1227 (th-koeln.de [abgerufen am 26. Januar 2024]).
  28. Rothko Chapel. Abgerufen am 19. Oktober 2018.
  29. Peter Felder: Das Kloster Muri. Schweizerische Kunstführer, Band 692, Bern 2001, ISBN 3-85782-692-4, S. 18.
  30. Karl Faymonville: St. Johann Baptist. In: Paul Clement (Hrsg.): Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Bd. 10, I: Stadt Aachen. Das Münster zu Aachen. Düsseldorf 1916. S. 236 ff.
  31. Ernst Andreas Friedrich: Das Jagdschloss Clemenswerth, In: Wenn Steine reden könnten, Band II, Landbuch-Verlag, Hannover 1992, ISBN 3-7842-0479-1, S. 165–167.
  32. Johanna Wege: Die Rellinger Kirche, Verlag Boyens & Co, Heide 1990, ISBN 3-8042-0506-2.
  33. Barbara Bechter: Bergkirche Seiffen, Deutscher Kunstverlag, Berlin/München, 2010, ISBN 978-3-422-02275-1.
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