Naturreaktor Oklo

Reliefkarte: Gabun
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Naturreaktor Oklo
Geologische Voraussetzungen des Naturreaktors:
1. Reaktorzonen
2. Sandstein
3. Erzflöz
4. Granitstock
Abnahme des Gehalts an Uran-235 in den letzten und den nächsten Milliarden Jahren. Vor 2 Milliarden Jahren betrug der Anteil von Uran-235 im natürlichen Uran noch 3,65 % und vor 1,5 Milliarden Jahren noch 2,35 %, was unter geeigneten Umständen nukleare Kettenreaktionen ermöglichte

Der Naturreaktor Oklo in Mounana in der gabunischen Provinz Haut-Ogooué ist eine Uranlagerstätte, in der durch eine natürlich entstandene Urankonzentration zusammen mit Wasser eine nukleare Kettenreaktion einsetzte. Mittlerweile sind im Becken von Franceville die Überreste von insgesamt 15 Naturreaktoren gefunden worden, davon befinden sich 14 in Oklo und einer im 30 km entfernten Bangombé.[1]

Vor ca. zwei Milliarden Jahren, im Erdzeitalter des Proterozoikums, betrug der Anteil des spaltbaren Uran-Isotops 235U im Natururan noch ca. 3 % (heute 0,7 %); die seitherige Abnahme erklärt sich aus der kürzeren Halbwertszeit des 235U im Vergleich zu 238U. Diese 235U-Konzentration reichte aus, um, moderiert durch natürliches Wasser, Kritikalität zu erreichen. Der natürliche Kernreaktor war etwa 500.000 Jahre lang aktiv und setzte während dieses Zeitraums bei einer thermischen Leistung von bis zu 100 kW einige hundert Terawattstunden Energie frei. Das entspricht etwa der Energiemenge, die ein durchschnittliches Kernkraftwerk in einem Zeitraum von einigen Jahrzehnten erzeugt. Im Zuge dessen wurden insgesamt etwa 10 Tonnen Uran-235 (235U) gespalten und zugleich aus Uran-238 (238U) etwa 4 Tonnen Plutonium-239 (239Pu) erbrütet. Die Kettenreaktion kam vor mindestens ca. 1,5 Milliarden Jahren zum Erliegen, als das 235U weit genug aufgebraucht war.

Geschichte

Die Möglichkeit von Naturreaktoren wurde 1953 von George Wetherill und Mark Inghram postuliert.[2] 1956 untersuchte Paul K. Kuroda (USA) die Möglichkeit ihrer Existenz genauer.[3] Die notwendigen Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung eines Kernspaltungsprozesses sind:

  • die ausreichende Menge und Konzentration leicht spaltbarer Isotope wie 235U
  • die Abwesenheit von Stoffen wie Bor oder Cadmium, die freie Neutronen stark absorbieren und so dem Prozess entziehen
  • die Anwesenheit eines Moderators aus leichten Atomen wie Wasser zum Abbremsen der schnellen Neutronen

Kurodas These wurde kontrovers diskutiert, da man ein Zusammentreffen dieser Bedingungen in der freien Natur für zu unwahrscheinlich hielt.

In Frankreich diskutierte man solche Möglichkeiten schon seit längerem. Ein Pionier auf diesem Gebiet war dort Jacques Noetzlin, der gleich nach der Entdeckung der Kernspaltung diese 1939 als mögliche Energiequelle für Vulkanismus sah. (Wieweit diese These durch Radioaktivitätsmessungen an den zahlreichen aktiven Vulkanen gestützt oder widerlegt worden ist, ist hier nicht bekannt.)

1972 entdeckte der Franzose Henri Bouzigues in der Urananreicherungsanlage von Eurodif in Pierrelatte (Frankreich) eine Anomalie im Isotopenverhältnis von UF6, das aus Oklo-Erz gewonnen worden war (Veröffentlichung des Laborleiters H. Bouzigues).[4][5] Insbesondere das Isotop 235U wies einen im Vergleich zu allen anderen Lagerstätten der Welt niedrigeren Anteil auf. Statt des üblichen Anteils von 0,7204 % wurde nur ein Anteil von 0,7171 % 235U (99,54 % der normalen Konzentration) gemessen.[6] Da der Anteil von 235U im Natur-Uran auf der Erde, im Mondgestein und auch bei gefundenen Meteoriten sehr exakt bei 0,7204 % liegt, wurde diese Differenz als eine „deutliche Abweichung“ interpretiert. Später wurden in anderen Proben aus dem Tagebau Oklo noch geringere 235U-Anteile gemessen.

Die ersten Erklärungsversuche zogen frühere oberirdische Kernwaffenexperimente als Ursache in Betracht. Die damit verbundenen kurzlebigen Nuklide konnten jedoch nicht gefunden werden, so dass diese Theorie verworfen wurde. Die daraufhin angestellten Untersuchungen führten zur Entdeckung des Reaktors. Da der Reaktor längst erloschen ist, fehlen in seinem Umfeld alle Spaltprodukte mit kurzen Halbwertszeiten. Reaktionsprodukte mit längeren Halbwertszeiten existieren in genau jenem Isotopenverhältnis, wie man es in verbrauchtem Reaktorbrennstoff erwartet. Beispielsweise unterscheidet sich das Isotopenverhältnis bei Neodym im Oklo-Erz deutlich vom Weltdurchschnitt: nur 6 % 142Nd statt der üblichen 27 %. Am Verhältnis der Isobare zueinander kann auch abgelesen werden, wie sehr bestimmte Elemente seit der Zeit, als der Reaktor aktiv war, mobil gewesen sind, oder an Ort und Stelle verblieben sind. Dies gibt wichtige Anhaltspunkte für den Bau eines Endlagers.[7][8][9]

Beschreibung der Reaktoren

Die insgesamt 14 Reaktoren von Oklo sind zum Teil vollständig, zum Teil weitgehend erschöpft. Die Tage- und Untertagebaue sind geflutet, so dass nur noch der kleinste der bekannten Reaktoren in Bangombé für weitere wissenschaftliche Studien bezüglich des Verhaltens von Spaltprodukten und Actinoiden in geologischen Formationen erhalten geblieben ist.

Die Größe der Reaktoren variiert. Der größte bekannte Reaktor ist 12 m lang, 18 m tief und 20 bis 50 cm dick. Der kleinste Reaktor ist 5 m lang, 1 m breit und wenige Zentimeter dick. Dieser kleinste Reaktor befindet sich sehr nah an der Erdoberfläche und ist daher starker Verwitterung ausgesetzt. Der eigentliche Reaktorkern besteht aus 5 bis 20 cm dicken Schichten von Uraninit, eingebettet in Ton.[1]

Funktionsweise

Die Halbwertszeit von 235U beträgt ca. 704 Millionen Jahre, 238U ist wesentlich langlebiger. Über die Zeit nimmt der Anteil an 235U also ab. Als der Reaktor vor ca. zwei Milliarden Jahren aktiv war, betrug sein 235U-Anteil ca. 3 %.

Neue Untersuchungen zeigen, dass dieser natürliche Reaktor durch Zufluss von (Grund-)Wasser moderiert wurde, was zu einem zyklischen Vorgang führte: Die Spaltreaktion setzte ein, wenn die Sandsteinmatrix einen Urangehalt von 10 % erreicht hatte. Der Reaktorkern heizte sich bis auf 400 °C auf, so dass es durch Wärmeleitung zu hydrothermalen Wasserströmungen kam. Diese heißen Wässer lösten das umgebende Silikatgestein und transportierten es ab, so dass es zu einer relativen Anreicherung an Uran auf 40 bis 60 % kam.[1] Etwa 30 Minuten lang bremste das Wasser die Neutronen auf die für die Kernspaltung erforderliche Geschwindigkeit ab. Dabei erhitzte es sich und verdampfte. Ohne Wasser war das System unterkritisch, so dass die Kettenreaktion erlosch. Danach lief etwa 2 bis 2,5 Stunden lang Wasser nach, bis das System wieder Kritikalität erreichte und der Zyklus erneut begann. Der Dampfblasenkoeffizient war also – wie bei heutigen Leichtwasserreaktoren – negativ.

Forschung

Für die moderne Wissenschaft liefern Naturreaktoren äußerst interessante Erkenntnisse. Sie lassen unter anderem Rückschlüsse darauf zu, wie sich radioaktive Stoffe in der Natur innerhalb extrem langer Zeiträume (hier 2 Milliarden Jahre) verbreiten, was im Hinblick auf die Planung atomarer Endlager große Bedeutung hat. Allerdings schreibt etwa die Schweizer Nagra, dass solche Natur-Analoga dennoch nicht als hundertprozentige „Beweise“, sondern lediglich als „Hinweise“ für das Verhalten von Endlagern betrachtet werden dürften.[10]

Das vorgefundene Verhältnis der Nuklide lässt einen Rückschluss darauf zu, dass bereits vor zwei Milliarden Jahren die Kernreaktionen genauso abliefen, und setzt damit einer möglichen These der Veränderung von Naturkonstanten, insbesondere der Feinstrukturkonstanten, enge Grenzen.[11][12]

Sonstiges

Gabun hat am 15. Dezember 1976 eine Briefmarke zum Naturreaktor Oklo herausgegeben.[13]

Einzelnachweise

  1. F. Gauthier-Lafaye: 2 billion year old natural analogs for nuclear waste disposal: the natural nuclear fission reactors in Gabon (Africa). In: C. R. Physique 3, Nr. 7, S. 839–849 (2002). doi:10.1016/S1631-0705(02)01351-8
  2. Nach Alex Meshik: The workings of an ancient nuclear reactor. Scientific American, November 2005.
  3. Kuroda: On the Nuclear Physical Stability of the Uranium Minerals. Journal of Chemical Physics, Band 25, Nr. 4, 1956, S. 781–782.
  4. Étienne Roth, René Létolle: Jacques Noetzlin (1898–1972) et la „géologie nucléaire“: un pionnier méconnu. Comité français d'histoire de la géologie, Band 20, 2006, Webseite Annales des mines.
  5. R. Bodu, H. Bouzigues, N. Morrin, F. Pfiffelmann: Sur l'existence d'anomalies isotopiques rencontrées dans l'uranium du Gabon. C. R. Acad. Sci., Paris, Band 275, 1972, S. 1731–1732.
  6. R. Loss: Oklo Fossil Reactors – Who discovered these Natural Fossil Reactors? (Memento vom 18. Juli 2009 im Internet Archive) Curtin University of Technology Australia, 25. Oktober 2005, abgerufen am 8. Februar 2009.
  7. https://cordis.europa.eu/project/id/FI2W0071
  8. https://www.surao.cz/wp-content/uploads/2021/05/presskit_20210504_EN_DGR.pdf
  9. https://www.osti.gov/etdeweb/biblio/140481
  10. Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (NAGRA): Wie die Natur konserviert und entsorgt. In: Nagra info 22, November 2006, S. 3. PDF, 948 kB
  11. C. R. Gould, E. I. Sharapov, S. K. Lamoreaux: Time-variability of alpha from realistic models of Oklo reactors In: Phys. Rev. C 74, 024607 (2007), arxiv:nucl-ex/0701019.
  12. S. K. Lamoureux, J. R. Torgerson: Neutron moderation in the Oklo natural reactor and the time variation of alpha. Physical Review D, Band 69, 2004, 121701, Arxiv
  13. Reacteur fossile d'Oklo Briefmarke 60 FCFA, Gabun. colnect.com 2003–2017, abgerufen am 5. Juli 2017.

Literatur

  • Michael Schaaf: Kernspaltung im Herzen der Finsternis. Afrika und die Ursprünge des Nuklearzeitalters. In: Vera Keiser (Hrsg.): Radiochemie, Fleiß und Intuition. Neue Forschungen zu Otto Hahn. Berlin 2018, ISBN 978-3-86225-113-1.
  • A. P. Meshik, C. M. Hohenberg, O. V. Pravdivtseva: Record of Cycling Operation of the Natural Nuclear Reactor in the Oklo/Okelobondo Area in Gabon. In: Phys. Rev. Lett. 93, 182302 (2004), doi:10.1103/PhysRevLett.93.182302.
  • A. P. Meshik: Natürliche Kernreaktoren. In: Spektrum der Wissenschaft 2006/06, S. 84–90.
  • Paul K. Kuroda: The origin of the chemical elements and the Oklo phenomenon. Springer, Berlin 1982, ISBN 3-540-11679-6.
  • George Cowan: A natural fission reactor. Scientific American, Band 235, Januar 1976.
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