Oberschlesien
Oberschlesien (deutscher schlesischer Dialekt: Aeberschläsing oder Oberschläsing, polnisch: Górny Śląsk, polnischer oberschlesischer Dialekt: Gōrny Ślōnsk, tschechisch: Horní Slezsko) ist der südöstliche Teil der historischen Region Schlesien, der heute größtenteils zu Polen (in der Woiwodschaft Oppeln und der Woiwodschaft Schlesien) gehört. Der Süd- und Südwestteil des bis 1918 bei Österreich verbliebenen Österreichisch-Schlesien gehört hingegen zu Tschechien (in der Mährisch-Schlesischen Region).
Als historische Hauptstadt Oberschlesiens gilt die Stadt Oppeln. Im östlichen Teil Oberschlesiens erstreckt sich das weiträumige oberschlesische Industriegebiet mit dem Zentrum Kattowitz, zugleich die bevölkerungsreichste Stadt Oberschlesiens.
Politikhistorischer Überblick
Im frühen Mittelalter gehörte Oberschlesien, dessen ursprüngliche Bevölkerung westslawischer Abstammung war, zum Einflussgebiet des Mährerreiches. Nach dessen Untergang 907 n. Chr. beanspruchten abwechselnd polnische und böhmische Herrscher die Region für sich. Mit der Grenzziehung entlang des Sudetengebirges wurde Oberschlesien im Zuge des Vertrages von Glatz 1137 endgültig Teil des Königreichs Polen.
Im schlesisch-kleinpolnischen Grenzbereich wurde 1177 oder 1179 Bytom (Beuthen) mit Siewierz sowie Oświęcim (Auschwitz) mit Pszczyna (Pless) vom damaligen Senior Kasimir II. „den Gerechten“ dem Ratiborer Herzog Mieszko I. „Kreuzbein“ übertragen, der es politisch an Schlesien inkorporierte. Aus dieser Zeit rührte die bis 1821 bestehende Zugehörigkeit des Gebiets der zwei Dekanate von Bytom und Pszczyna zum Bistum Krakau.
Mit dem Vertrag von Trentschin 1335 wurde die Region durch die Abkehr der schlesischen Piasten vom Königreich Polen in das Königreich Böhmen inkorporiert. Mit dem Vertrag von Namslau 1348 wurde Schlesien Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.
Im 15. Jahrhundert etablierte sich die Gestalt Oberschlesiens durch Übernahme des Herzogtums Siewierz von Krakauer Bischöfen und des Herzogtums Auschwitz-Zator von der zweiten polnischen Königsdynastie der Jagiellonen. Schrittweise wurde das Herzogtum Troppau nicht mehr als Teil Mährens betrachtet, sondern als Teil Oberschlesiens, als im späten 15. Jahrhundert erstmals die Bezeichnung Silesia Superiori bzw. Oberschlesien auftauchte, gleichzeitig mit der Gründung einiger überregionaler Institutionen vom ungarischen König Matthias Corvinus, der den östlichen Teil Schlesiens eroberte und seine Konsolidierung anstrebte.[1][2]
Nach dem Tod des böhmischen Königs Ludwig II. 1526 gelangte die böhmische Königswürde an den Habsburger Ferdinand I. Die Habsburger waren als Könige von Böhmen bis 1742 Landesherren und zugleich Herzöge von Oberschlesien. Nach dem Ersten Schlesischen Krieg 1742 fiel der Großteil der Region an das Königreich Preußen. 1815 wurde für ganz Schlesien die preußische Provinz Schlesien eingerichtet. Ein kleinerer Teil verblieb als Österreichisch-Schlesien unter der Herrschaft der Habsburger. 1815 bis 1866 gehörte Oberschlesien zum Deutschen Bund und ab 1871 zum Deutschen Reich.
Jahrhundertelang war Oberschlesien sprachliches Mischgebiet. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges führten im deutschen Teil 45 % und im österreichischen Teil 43 % der Bevölkerung Deutsch als ihre Muttersprache an. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es daher, vor allem durch die Wiedererlangung der polnischen Unabhängigkeit, zu einer Volksabstimmung in einem Teil Oberschlesiens, bei der 59,6 % der Bevölkerung im Abstimmungsgebiet für die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich votierten. Trotz des Votums wurde das Abstimmungsgebiet in Folge der Aufstände in Oberschlesien dreigeteilt. Das im Süden Oberschlesiens gelegene Hultschiner Ländchen kam ohne Volksabstimmung zur neu gegründeten Tschechoslowakei. Der Großteil des oberschlesischen Industriegebietes kam zur Zweiten Polnischen Republik und wurde dort ab 1920 in der Autonomen Woiwodschaft Schlesien reorganisiert, zu der auch der polnische Teil des Teschener Schlesiens zählte.
Der flächen- sowie bevölkerungsmäßig größte Teil Oberschlesiens verblieb beim Deutschen Reich und wurde ab 1919 in der zum Freistaat Preußen gehörenden Provinz Oberschlesien reorganisiert. Durch die Westverschiebung Polens nach Ende des Zweiten Weltkrieges kam 1945 auch der bis 1939 beim Deutschen Reich verbliebene Teil zur Volksrepublik Polen und wurde als die neue Woiwodschaft Schlesien bis zum Jahr 1950 administrativ organisiert.
Heute stellt Oberschlesien die bevölkerungsreichste Region innerhalb der 1989 etablierten Republik Polen dar. 1990 erkannte die Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung im Zwei-plus-Vier-Vertrag die Oder-Neiße-Grenze und somit die Abtrennung Oberschlesiens von Deutschland an Polen an.
Geografie
Durch unterschiedliche geopolitische Ereignisse und die Erbteilung unter den Piasten, dem früheren polnischen Herrschergeschlecht, war Schlesien wie viele Regionen Europas in verschiedene Herrschaftsgebiete zersplittert. Ohne dass eine offizielle Zweiteilung bestanden hätte, hatte sich für den Nordwesten mit 16 Herzog- und Fürstentümern die Bezeichnung Niederschlesien eingebürgert, für den Südosten mit acht Herzog- und Fürstentümern die Bezeichnung Oberschlesien. Beide umfassten darüber hinaus noch ein paar kleinere Herrschaften.
Bevor im 19. Jahrhundert die Verwaltungsstrukturen gestrafft wurden, hatte Oberschlesien die Herzog- und Fürstentümer Teschen (Księstwo cieszyńskie/Těšínské knížectví), Troppau (Knížectví opavské), Jägerndorf (Krnovské knížectví), Oppeln (Księstwo opolskie), Ratibor (Księstwo raciborskie/Ratibořské knížectví), Bielitz (Księstwo bielskie), Pleß (Księstwo pszczyńskie) und Beuthen (Księstwo bytomskie) umfasst.
Als historische Landschaft grenzt Oberschlesien an die historischen Landschaften Niederschlesiens im Nordwesten, Großpolen im Norden, Kleinpolen im Osten und Mähren im Süden.
Die preußische Provinz Oberschlesien und die 1922 davon abgetrennte Autonome Woiwodschaft Schlesien grenzten an die preußische Provinz Niederschlesien, an die Woiwodschaft Posen (zuvor preußische Provinz Posen), die Woiwodschaft Lodsch, die Woiwodschaft Kielce und die Woiwodschaft Krakau, sowie das tschechoslowakische Land Schlesien, das 1928 mit dem Land Mähren zum Land Mähren-Schlesien vereinigt wurde.
Die heutigen Woiwodschaften Schlesien und Oppeln, die die ehemalige preußische Provinz umfassen, allerdings nach Westen und Osten darüber hinausgehen, grenzen an die Woiwodschaften Niederschlesien, Großpolen, Lodsch, Heiligkreuz und Kleinpolen, sowie an das Mährisch-Schlesische Land und das Olmützer Land.
Bedeutende Flüsse Oberschlesiens sind u. a. die Weichsel, die Oder, die Olsa, die Malapane, die Glatzer Neiße, die Oppa, die Raude und die Klodnitz.
Die höchste Erhebung der beiden oberschlesischen Woiwodschaften in Polen ist der 1220 m hohe Widderberg (Barania Góra) im Beskidengebirge (Beskidy). Der höchste Berg im tschechischen Teil Schlesiens ist der 1491 m hohe Altvater (Praděd) im Altvatergebirge (Hrubý Jeseník).
Administrative Zugehörigkeit
Administrativ gehört Oberschlesien, das heute keine politische Einheit bildet, im Westen zur Woiwodschaft Oppeln, im Osten zur Woiwodschaft Schlesien, im Süden zum Mährisch-Schlesischen Land und ein kleiner Teil im Südwesten zum Olmützer Land.
Geschichte
Mittelalter
Nach der Völkerwanderungszeit kamen die slawischen Opolanen (nach ihnen ist die Hauptstadt Oppeln benannt) ins Land und vermischten sich vereinzelt mit zurückgebliebenen Germanen und Kelten. Mieszko I. gliederte Schlesien dem polnischen Piastenreich ein. Als Polen in Teilherzogtümer zerfiel, schlossen sich die schlesischen Piasten dem Heiligen Römischen Reich an. Zweige der Dynastie hielten sich hier länger als in Polen. Wenig später kam Schlesien unter böhmische Oberhoheit. Eng mit Böhmen verbunden blieb es bis zu den Schlesischen Kriegen Friedrichs des Großen.
Nach dem Mongolensturm (Schlacht bei Liegnitz (1241)), besonders ungefähr ab dem Jahr 1260 unter dem Herzog Wladislaus I. kamen deutsche Siedler auch nach Oberschlesien, allerdings wegen der größeren Entfernung in geringerer Zahl, als in die westlichen Teile des Landes. An der Kolonisation nach deutschem Siedlungsrecht waren dagegen hier bereits in größerer Anzahl einheimische, slawischsprachige freie Bauern beteiligt. Nach den Quellen aus dem frühen 14. Jahrhundert, wie dem Liber fundationis episcopatus Vratislaviensis gab es die größten Häufungen von deutschen mittelalterlichen Ortsnamen im Herzogtum Teschen mit der Auschwitzer Kastellanei (siehe Bielitz-Bialaer Sprachinsel), während viele Gegenden keine deutschsprachigen Spuren in den Ortsnamen überliefern.[3] Als dann in den Jahren 1347/48 die Große Pest im Reich ausbrach, nahm der Strom der Zuwanderer aus dem Reich stark ab und die Ostsiedlung kam praktisch zum Erliegen. Dadurch stockte im Gegensatz zu Niederschlesien der sprachliche Assimilierungsprozess. Da Schlesien eng mit Böhmen verbunden war, war zeitweise Tschechisch die wichtigste Urkundensprache.
Die Bezeichnung Oberschlesien (lateinisch Silesia Superior) wurde im späten 15. Jahrhundert, in der Zeit der Eroberung des Gebiets vom ungarischen König Matthias Corvinus und seiner Konsolidierungsanstrengung, erstmals urkundlich erwähnt.
Unter habsburgischer und preußischer Herrschaft
Nach dem Tod König Ludwigs II. von Böhmen und Ungarn, der keine Nachkommen hinterließ, im Jahr 1526 kamen die Länder der Böhmischen Krone (Böhmen, Mähren und Schlesien) unter habsburgische Herrschaft. Während der Reformationszeit nahm das mehrheitlich deutschsprachige Niederschlesien weitgehend die lutherische Konfession an, während das überwiegend polnischsprachige Oberschlesien katholisch blieb. Infolge der Schlesischen Kriege (1740 bis 1763) kam der größte Teil Schlesiens und Oberschlesiens unter preußische Herrschaft. Ein verhältnismäßig kleiner Teil blieb als späteres Kronland Österreichisch-Schlesien unter habsburgischer Herrschaft, so dass Oberschlesien in seinen alten Grenzen damit formell geteilt wurde.
Die preußische Sprachpolitik blieb lange Zeit sehr tolerant und förderte ausdrücklich den Unterricht in der jeweiligen Muttersprache. Mit der Reichsgründung 1871 setzte eine zunehmende Tendenz der kulturellen Germanisierung ein und das Deutsche wurde zur allgemeinen Schulsprache. Die polnischsprachige Bevölkerung Oberschlesiens blieb im Gegensatz zur polnischen Bevölkerung der Provinz Posen lange Zeit gegenüber der nationalpolnischen Propaganda unempfänglich und wählte bei allen Reichstagswahlen 1871 bis 1898 durchgängig Kandidaten der katholischen Zentrumspartei. Bei den Reichstagswahlen 1903, 1907 und 1912 konnten jedoch zunehmend auch nationalpolnische Kandidaten Wahlkreise gewinnen.
Sprachenentwicklung
Während die Niederschlesier zu etwa 96 Prozent deutschsprachig waren, gaben 53 Prozent der Oberschlesier Polnisch als Erstsprache an.[4] Wobei unter polnischer Sprache hier vor allem der schlesische Dialekt, der auch Wasserpolnisch genannt wurde, zu sehen ist, der mit zahlreichen Germanismen und tschechischen Einflüssen versetzt war. Neben diesem Dialekt sprachen die meisten als Zweitsprache Deutsch, in der Dialektform Oberschlesisch, der sich vom Hochdeutschen durch besonders harte Rachenlaute und systematische Entrundung der vorderen gerundeten Vokale (zum Beispiel Bühne = Biene, lösen = lesen) unterschied, was auch sonst für Deutschsprechende mit slawischer Muttersprache charakteristisch ist.
Die Bedeutung der deutschen Sprache verstärkte sich mit Verstädterung und der Industrialisierung des oberschlesischen Industriegebietes. Es kamen zu den (Wasser-)polnisch sprechenden Oberschlesiern weiterhin viele Deutsche aus Niederschlesien oder den benachbarten sudetendeutschen Gebieten und außerdem eine große Zahl von Polen aus der Provinz Posen oder dem angrenzenden russischen „Kongresspolen“ nach Oberschlesien. Trotz oder gerade wegen dieser schwierigen und komplexen sprachlichen Situation – im südlichen Landesteil wurde zudem Lachisch gesprochen, das dem Tschechischen sehr nahesteht – war das Zusammenleben der Bevölkerungsteile bis zum Ersten Weltkrieg friedlich, die Loyalität zum Deutschen Reich drückte sich unter anderem in der großen Dominanz der katholischen Zentrumspartei aus. Vor dem Ersten Weltkrieg änderte sich die Lage, die Nationalitätenfrage trat nun offen hervor. Durch die Gründung zahlreicher polnischer Vereine und Zeitungen versuchten polnische Nationalisten (auch aus den polnischen Teilungsgebieten) ein nationales (polnisches) Bewusstsein der slawophonen Oberschlesier zu wecken. So erreichte bei der Reichstagswahl 1907 die Polenpartei mit 39,5 Prozent die Mehrheit der Stimmen in Oberschlesien,[5] bzw. dem Regierungsbezirk Oppeln, die Mehrheit der Mandate behielt jedoch das Zentrum (31,7 Prozent).[6] In einigen Wahlkreisen hatte die Polenpartei die absolute Mehrheit erreicht.
Außerhalb des Industriegebietes, den Gebieten um Oppeln, dem späteren Westoberschlesien konnte sich die ursprüngliche Situation erhalten, jedoch verlor der schlesische Dialekt des Polnischen besonders in der Zwischenkriegszeit immer mehr Sprecher, zumal nicht wenige polnischsprachige Einwohner in das polnisch gewordene Ostoberschlesien abwanderten.
Nach dem Ersten Weltkrieg versuchte man mit der Gründung der Provinz Oberschlesien 1919 den sprachlich/kulturellen Unterschieden der Region im Vergleich zum Rest Schlesiens Rechnung zu tragen.
Entwicklung des Sprachenverhältnisses
Anzahl der polnischsprachigen und deutschsprachigen Bevölkerung (Regierungsbezirk Oppeln) | |||||||||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Jahr | 1819[7] | 1828[8] | 1831[8] | 1837[8] | 1840[8] | 1843[8] | 1846[8] | 1852[8] | 1858[8] | 1861[8] | 1867[8] | 1890[9] | 1900[9] | 1905[9] | 1910[9] | ||
Polnisch | 377.100 (67,2 %) | 418.437 (62,1 %) | 456.348 (63,9 %) | 495.362 (63,1 %) | 525.395 (61,4 %) | 540.402 (60,8 %) | 568.582 (61,0 %) | 584.293 (61,6 %) | 612.849 (60,1 %) | 665.865 (61,9 %) | 742.153 (61,9 %) | 918.728 (58,2 %) | 1.048.230 (56,1 %) | 1.158.805 (56,9 %) | 1.169.340 (53,0 %) | ||
Deutsch | 162.600 (29,0 %) | 255.383 (37,9 %) | 257.852 (36,1 %) | 290.168 (36,9 %) | 330.099 (38,6 %) | 348.094 (39,2 %) | 364.175 (39,0 %) | 363.990 (38,4 %) | 406.950 (39,9 %) | 409.218 (38,1 %) | 457.545 (38,1 %) | 566.523 (35,9 %) | 684.397 (36,6 %) | 757.200 (37,2 %) | 884.045 (40,0 %) |
Volksabstimmung und Teilung 1922
Nach dem Ersten Weltkrieg sollten nach dem Versailler Vertrag Teile des Grenzverlaufs zwischen Polen und Deutschland über Volksabstimmungen geregelt werden. Die Interalliierte Regierungs- und Plebiszitskommission für Oberschlesien, der die Leitung der Volksabstimmung oblag, hatte laut Vertrag die Aufgabe, die gemeindeweisen Ergebnisse dem alliierten Obersten Rat mitzuteilen und einen Vorschlag über die Linie einzureichen, „die in Oberschlesien unter Berücksichtigung sowohl der Willenskundgebung der Einwohner als auch der geographischen und wirtschaftlichen Lage der Ortschaften als Grenze Deutschlands angenommen werden soll“.[10] Die letzte Entscheidung über den festzusetzenden Grenzverlauf sollte dem Obersten Rat vorbehalten bleiben. Zwischen Kriegsende und Abstimmung kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen polnischen Einwohnern, die den Anschluss an Polen forderten, und deutschen Polizeieinheiten sowie Freikorps während der Aufstände in Oberschlesien. Am Abstimmungstag, dem 20. März 1921, stimmten – bei einer Wahlbeteiligung von 97,5 Prozent, die das Ausmaß der Polarisierung in der Bevölkerung widerspiegelt – 707.045 Oberschlesier (59,4 Prozent) für Deutschland und 479.232 (40,6 Prozent) für Polen.[11][12] Die Bedeutung dieses trotz widriger Bedingungen und massiver polnischer Propaganda für Deutschland unerwartet positiven Votums wurde durch die Tatsache noch erhöht, dass das Abstimmungsgebiet nur denjenigen Teil Oberschlesiens umfasste, in dem bei Volkszählungen ein hoher Anteil slawischsprachiger Bevölkerung ermittelt worden war: Während es zwar zusätzlich einen kleinen Teil des niederschlesischen Landkreises Namslau umfasste, blieben die Landkreise Falkenberg O.S., Grottkau, Neisse und der Westteil des Landkreises Neustadt O.S., die weiterhin dem Deutschen Reich angehörten, sowie der bereits 1920 an die Tschechoslowakei abgetretene Südteil des Kreises Ratibor (Hultschiner Ländchen) von der Abstimmung ausgeschlossen. Das Ergebnis ließ folglich den Rückschluss zu, dass auch viele, die in Volkszählungen Polnisch als Muttersprache angegeben hatten, für Deutschland gestimmt hatten.
Aufgrund der angespannten Situation in Oberschlesien sowie zwischen deutschem und polnischem Staat trug das Ergebnis zunächst mehr zur Verschärfung der Fronten als zur Klärung der Lage bei. Auf deutschsprachiger Seite wurde es zumeist propagandistisch als deutscher „Sieg“ und „Rettung Oberschlesiens“ gefeiert; nur wenige Stimmen wiesen schon im Vorhinein darauf hin, dass selbst „wenn die […] Abstimmung eine gewaltige Mehrheit für Deutschland ergeben sollte, noch immer ein Teil Oberschlesiens den Polen zugesprochen werden könnte“.[13] Von polnischer Seite her kam es als Reaktion auf das als ungünstig erachtete Abstimmungsergebnis und auf den englisch-italienischen Teilungsvorschlag hin im Mai zum dritten Aufstand in Oberschlesien und damit zur militärischen Eroberung derjenigen Gebietsteile, die einen hohen Stimmenanteil für Polen aufzuweisen hatten.
Nach der Volksabstimmung waren von der Interalliierten Kommission verschiedene Teilungspläne erarbeitet worden. Während diejenigen englischer und italienischer Vertreter mit der Percival-de-Marinis-Linie nur verhältnismäßig geringe Gebietsabtretungen, außerhalb des Industriereviers, vorsahen, wollten französische Pläne mit der Korfanty-Linie durch die Zuteilung der wirtschaftlich bedeutenden Gebiete an Polen die deutsche Volkswirtschaft schwächen. Auf französische Initiative wurde die Angelegenheit schließlich an eine Kommission des Völkerbundes übertragen.[14] Die Botschafterkonferenz in Paris beschloss am 20. Oktober 1921 mit der Sforza-Linie[15][16] eine inneroberschlesische Grenzlinie die zwar entfernt von den ursprünglichen Vorstellungen Korfantys und Frankreichs blieb, jedoch einen Erfolg der französischen Teilungspolitik darstellte.
Mit der Sforza-Linie wurde versucht, den Stimmenmehrheiten in den Gemeinden Rechnung zu tragen, was vor allem im Industrierevier angesichts der stark differierenden Ergebnisse in ländlichen und städtischen Gebieten nahezu unmöglich war – so wurden einzelne Landkreise, sowie mehrere Städte und Gemeinden mit teilweise eindeutigen Abstimmungsergebnissen dem jeweils nicht gewählten Staat zugeteilt. Mit Wirkung zum 20. Juli 1922 kam der kleinere (29 Prozent), aber dichter besiedelte Teil Oberschlesiens, „Ostoberschlesien“ genannt und mit ihm der Großteil des oberschlesischen Industriegebiets mit der Hälfte aller Hüttenwerke, einem Großteil der Kohle- und Eisenerzvorkommen und den wirtschaftlich bedeutenden Bergbauregionen, an Polen. In diesem Teil bestand insgesamt eine 60-Prozent-Mehrheit für Polen. Die Städte und Industrieorte Königshütte (Królewska Huta), Kattowitz (Katowice), Myslowitz (Mysłowice), Schwientochlowitz (Świętochłowice), Laurahütte (Huta Laura), Siemianowitz (Siemianowice Śląskie), Bismarckhütte (Hajduki Wielkie), Lipine (Lipiny), Friedenshütte (Nowy Bytom) und Ruda wurden damit polnisch. Bilder der Grenzziehungen unter Tage und durch Industriekomplexe oder Siedlungen wurden zum Symbol der von deutscher Seite zumeist als ungerecht betrachteten Teilung, die von der deutschen Regierung nie anerkannt wurde.
Das am 15. Mai 1922 in Genf unterzeichnete Deutsch-Polnische Abkommen über Oberschlesien (Genfer Abkommen)[17] regelte die administrativen Bedingungen des Gebietsabtritts und versuchte einen Minderheitenschutz herzustellen.
Das geteilte Oberschlesien
Der größere Westteil Oberschlesiens verblieb bei Deutschland („Westoberschlesien“). Am 3. September 1922 wurde in diesem Teil Oberschlesiens eine Volksabstimmung durchgeführt, bei der über die Bildung eines eigenen Landes Oberschlesien im Deutschen Reich, wie es z. B. Preußen war, entschieden werden sollte. Jedoch sprachen sich über 90 Prozent für den bisherigen Status quo aus, also den Verbleib Oberschlesiens im Freistaat Preußen der Weimarer Republik.[18]
Am 20. Juni 1922 übernahm die Zweite Polnische Republik das abgetretene „Ostoberschlesien“, dem in der neugegründeten Autonomen Woiwodschaft Schlesien weitreichende Selbstständigkeit zugestanden wurde. Die Autonome Woiwodschaft Schlesien bestand damit aus dem vorher deutschen (und preußischen) Ostoberschlesien und dem 1920 polnisch gewordenen Teil des zuvor österreichischen Teschener Schlesien.
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten wurde das Deutsch-Polnische Abkommen über Oberschlesien (Genfer Abkommen)[17] noch zum Segen vieler Oberschlesier. In dem vom Völkerbund garantierten Abkommen gewährleistete jede Vertragspartei für ihren Teil Oberschlesiens für alle Einwohner gleiche Rechte. Nach dem Beginn der antisemitischen Diskriminierungen gegen jüdische Deutsche wandte sich der Oberschlesier Franz Bernheim im Mai 1933 mit einer Petition (Bernheim-Petition) an den Völkerbund mit der Bitte, das Abkommen über Westoberschlesien wirksam durchzusetzen. Der Völkerbund kam der Bitte nach und forderte Deutschland auf, das Abkommen einzuhalten. Im September 1933 nahm daraufhin die NS-Regierung die antisemitischen Gesetze in Westoberschlesien zurück und nahm es von neuen Diskriminierungen aus. Auch nach Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund hielt es das Abkommen ein, um dem Vertragspartner Polen keinen Vorwand zu liefern, seinerseits das Abkommen als hinfällig zu betrachten. Dadurch wurde in Westoberschlesien – im Gegensatz zum restlichen Deutschland – für die verbliebene Restlaufzeit bis Mai 1937 die sonst gültigen antisemitischen Diskriminierungen, wie der Arierparagraph, die Nürnberger Gesetze etc., nicht wirksam.[19]
Zweiter Weltkrieg
Beim Überfall auf Polen eroberte die Wehrmacht im September 1939 Ostoberschlesien, das mit der Provinz Schlesien vereinigt und somit völkerrechtswidrig dem „Großdeutschen Reich“ angeschlossen wurde. 1941 wurde Oberschlesien formell als preußische Provinz wiedergegründet. Hauptstadt wurde nicht die historische Hauptstadt Oppeln, sondern das größere Kattowitz, das zu polnischer Zeit mit monumentalen Repräsentationsbauten bereits zur Woiwodschaftshauptstadt ausgebaut worden war. Die neue Provinz nahm nun aber neben Ostoberschlesien und dem übrigen (vormals österreichisch-schlesischen) Gebiet der Autonomen Woiwodschaft Schlesien sowie dem bereits 1939 wiedereingegliederten Hultschiner Ländchen auch historisch kleinpolnische Gebiete mit den Städten Sosnowitz und Jaworzno auf. Dabei wurden jedoch nur das Gebiet der bisherigen Autonomen Woiwodschaft Schlesien sowie der westliche Teil des neuumgrenzten Landkreises Bielitz passrechtlich und hinsichtlich des für Polen geltenden Rechts wie Inland behandelt, während das übrige annektierte Gebiet (sog. Oststreifen) durch eine Polizeigrenze abgetrennt wurde.[20][21] In diesem Gebiet wurde das Konzentrationslager Auschwitz errichtet. Die beachtliche jüdische Gemeinde Oberschlesiens – soweit sie nicht bereits geflohen oder in Arbeitslager deportiert worden waren – wurde dort und in den Vernichtungslagern der Aktion Reinhardt ermordet. In diesen nach dem 1. September 1939 an das Reich und an das historische Oberschlesien angeschlossenen östlichen, nichtschlesischen Gebieten wurde eine Politik der Rassentrennung betrieben. Es gab u. a. Gaststätten, Geschäfte, Park- und Sportanlagen, die Polen nicht betreten durften. Die Lebensmittelrationen für Deutsche lagen 30 bis 50 Prozent über denen für Polen.
Unmittelbare Nachkriegszeit
Am Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Oberschlesien 1945 von der Roten Armee erobert. Die Kriegszerstörungen hielten sich in Grenzen. Oberschlesien kam bis auf das Hultschiner Ländchen sowie den 1938 von Polen und 1939 vom Deutschen Reich übernommenen Zaolzie-Streifen, die beide wieder zur Tschechoslowakei kamen, zunächst unter polnische Verwaltung und gehört seit 1990 auch völkerrechtlich zu Polen. Anders als in Niederschlesien gab es im oberschlesischen Industriegebiet aus ethnischen und ökonomischen Gründen keine flächendeckende Vertreibung, da viele Einwohner zweisprachig waren. Darüber hinaus verfügten viele Oberschlesier über berufliche Qualifikationen, die in der Kohle- und Stahlindustrie nicht kurzfristig ersetzt werden konnten. Wer einen mehr oder weniger streng gehandhabten polnischen Sprachtest bestand und als „autochthon“ eingestuft wurde, erhielt ein Bleiberecht. Auch Oberschlesier, die als (allein) deutschsprachig eingestuft wurden, erhielten ein Bleiberecht, wenn sie in wichtigen Industrien arbeiteten. Schließlich wurden von der oberschlesischen Bevölkerung etwa 40 Prozent und nicht, wie in Niederschlesien, mehr als 90 Prozent, vertrieben. Insbesondere um Oppeln und Katowice blieb daher bis heute eine deutsche Minderheit zurück, die weder vertrieben wurde noch aussiedelte.
Nach dem Krieg blieben um 1,2 Millionen slawisch- bzw. polnischsprachigen „Autochthone“ im Gebiet des ehemaligen polnischen autonomen Woiwodschaft Schlesien, sowie um 850.000 polnisch-national Verifizierten (meistens dank dem Bekenntnis des slawischen/polnischen Dialekts und der 3. und 4. Kategorie an der DVL) im vor 1939 deutschen Teil Oberschlesiens (in der damaligen Nomenklatur Śląsk Opolski – Oppelner Schlesien),[22] insgesamt um 70 % der Bewohner der neuen Woiwodschaft Schlesien (mit zwei kleinpolnischen Kreisen).
2015 wurde das Dokumentationszentrum der Deportation von Oberschlesiern in die UdSSR 1945 eröffnet.
Kommunistische Zeit
Die zurückgebliebene Bevölkerung Oberschlesiens, sowohl die deutsch- wie die polnischsprachige, musste ab 1945 Diskriminierungen von Seiten des polnischen Staates erdulden. Der polnische Staat machte es sich zum Ziel, die Oberschlesier, die er zu „germanisierten Polen“ erklärte, zu „repolonisieren“. So wurde der Gebrauch der deutschen Sprache sowohl im öffentlichen Leben, in Kirchen und Schulen, als auch im Privatleben verboten.[23] Um den Kontakt mit der deutschen Sprache zu vermeiden, wurde in sämtlichen oberschlesisch bewohnten Gegenden Deutsch auch nicht als Fremdsprache unterrichtet. Die Ausübung der deutschen Sprache konnte also nur heimlich, unter der Angst, erwischt zu werden, ausgeübt werden. Durch die lange Zeitspanne hatten eine bis drei Generationen nicht die Möglichkeit, die Muttersprache ihrer Vorfahren zu erlernen. Auch der Gebrauch des polnisch-schlesischen Dialekts, der viele deutschstämmige Wörter enthielt, wurde ungern gesehen. In den Personalausweisen gab es keinen Vermerk zur Nationalität, sondern die Angabe: „Staatsangehörigkeit: polnisch“, jedoch gab es eine Rubrik „Sprachkenntnisse“ in der die Deutschstämmigen grundsätzlich den Vermerk „polnisch, deutsch“ hatten. Erst im Jahr 1988, nach 43 Jahren des Verbots, wurde erstmals wieder eine deutschsprachige Messe in Oberschlesien auf dem Annaberg abgehalten, jedoch noch illegal.
Sehenswürdigkeiten
Wallfahrtsort St. Annaberg
Der katholische Wallfahrtsort St. Annaberg befindet sich ca. 40 Kilometer südöstlich von Oppeln in der Gemeinde Leschnitz. Hier befindet sich die Wallfahrtskirche, ein Kloster und die 66 cm große Statue der Anna selbdritt.
Oppeln
Oppeln zählt zu den mittelalterlich geprägten Städten Oberschlesiens. Sehenswert ist vor allem hier die aus dem 13. Jahrhundert stammende Kathedrale zum Heiligen Kreuz. Weitere Hauptsehenswürdigkeiten in Oppeln sind das Rathaus und der dazugehörige Ring (Marktplatz), sowie die Franziskanerkirche und die Bergelkirche. Des Weiteren befinden sich in Oppeln das Museum des Oppelner Dorfes, das Museum des Oppelner Schlesiens, sowie der Zoo Opole.
Kattowitz
Die Stadt Kattowitz in der Woiwodschaft Schlesien liegt im Osten von Oberschlesien und ist mit seinen rund 295.000 Einwohnern die größte Stadt der beiden oberschlesischen Woiwodschaften. Sehenswert sind hier die Marienkirche von 1870, die Schrotholzkirche Erzengel-Michael-Kirche aus dem 16. Jahrhundert sowie die an den Klassizismus gehaltene Christkönigskathedrale aus den 1930er Jahren. Weitere Sehenswürdigkeiten der Stadt sind das schlesische Parlamentsgebäude, das schlesische Museum und das schlesische Theater.[24]
Weitere Sehenswürdigkeiten
Eine weitere mittelalterlich geprägte Stadt in Oberschlesien ist Nysa (dt. Neisse). In Nysa befinden sich die Jakobskathedrale und mehrere Denkmäler.
Aus dem Zeitalter der Industrialisierung gingen mehrere Städte im östlichen Oberschlesien hervor, die heute eine Vielzahl an interessanten Gründerzeithäusern und historistischen Gebäuden und gleichzeitig moderne Architektur vorweisen können.
Schrotholzkirchen
Eine regionale Besonderheit Oberschlesiens sind die weitverbreiteten Schrotholzkirchen. Diese meist sehr dunklen häufig aus Kiefernholz gebauten Holzkirchen findet man beispielsweise im Powiat Oleski und Powiat Gliwicki. Auch in einigen Städten (zum Bsp. Groß Döbern) des oberschlesischen Industriegebietes findet man Schrotholzkirchen, die dort im 20. Jahrhundert hinversetzt wurden.
Burgen und Schlösser
- Anlage des ehemaligen Schlosses Neudeck
- Schloss Moschen
- Schloss Pleß (poln. Zamek Pszczyna)
- Schloss Gross Stein
- Schloss Plawniowitz
- Burg Toszek (Tost)
- Schloss in Koschentin
- Ruinen des Schlosses Koppitz
- Burg Teschen
- Burg Ratibor
- Ruinen des Schlosses Lubowitz
- Schloss Neudeck im 19. Jhd.
- Schrotholzkirche in Gwoździany
- Jakobskathedrale in Neisse
- Marienkirche in Katowice
- Schloss Koschentin
- Die Ruine des Schlosses Koppitz
- Ruinen des Schlosses Lubowitz
Bevölkerung
Der größte Teil der deutschen Minderheit Polens lebt in Oberschlesien, besonders im Oppelner Land. Etwa 350.000 Bewohner Oberschlesiens besitzen neben der polnischen die deutsche Staatsangehörigkeit.
Durch den Zugang zu deutschen und deutschsprachigen Medien und zum Deutschunterricht in vielen Schulen seit den 1990er Jahren und durch regelmäßiges Pendeln zur Arbeit in die Bundesrepublik Deutschland entwickelt sich Deutsch (in der Hochsprache) seit einiger Zeit zu einer Zweitsprache.
Alleinige Amtssprache ist die polnische Standardsprache.
Obwohl in Oberschlesien überwiegend Polen, Deutsche und Tschechen leben, gibt es heute eine Gruppe von Oberschlesiern, die sich ausschließlich als Schlesier bezeichnen. Bei der letzten Volkszählung von 2011 waren das 376.000[25] Personen. Dieses Phänomen hat viele Ursachen, u. a. die historisch stark ausgeprägte eigene Identität der Oberschlesier, die autochthonen Schlesier, die Schlesisch (polnischer Dialekt) als ihre Muttersprache bezeichnen, und auch die Sanktionen durch den polnischen Staat von 1945 bis 1989 gegenüber der Bevölkerung Oberschlesiens.
Die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung blieb im Wesentlichen über die Jahre erhalten. Traditionell ist der überwiegende Teil der Oberschlesier römisch-katholischen Glaubens (etwa 95 Prozent), was eine Besonderheit darstellte, da die Mehrheit im östlichen Deutschland (einschließlich Niederschlesiens) protestantisch war. Die evangelische Kirche hat infolge der Vertreibung vieler Gemeindemitglieder noch mehr an Bedeutung verloren – 1933 hatte ihr Anteil noch bei rund zehn Prozent gelegen.[26]
Seit den 1990er Jahren ist Oberschlesien sowohl in den Städten als auch auf dem Land von fallenden Einwohnerzahlen geprägt. Besonders stark fielen in vielen Orten die Einwohnerzahlen in der ersten Hälfte der 2000er Jahre.
Autonomiebewegung
Die Autonomiebewegung ist relativ jung und wurde erst 1990 durch den Vorsitzenden Rudolf Kolodziejczyk in Rybnik ins Leben gerufen. Sie soll an die reichen Traditionen anknüpfen, an die deutsche Zeit, aber auch an Schlesien unter der Zweiten Polnischen Republik. Der derzeitige Vorsitzende ist Jerzy Gorzelik. Das Hauptbestreben ist eine bessere Selbstverwaltung der oberschlesischen Provinzen Opolskie und Slaskie.
2010 hatte RAS (Ruch Autonomii Śląska) im Woiwodschaftssejm Schlesiens 8,49 Prozent der Stimmen, also 122.781 Stimmen und drei Mandate. 2014 erhielt die RAS trotz eines Rückgangs auf 7,2 % der Stimmen sogar vier Mandate. Hingegen verlor sie 2018 ihre sämtlichen Sitze.
Kultur
Architektur
- Familok (Familien-Block)
Feiertage
- 4. Dezember: Barbaratag (Feiertag der Bergleute)
- 6. Dezember: Nikolaustag
Traditionen, Bräuche, Feste
Ein ländlicher oberschlesischer Faschingsbrauch ist das Winteraustreiben bzw. Bärenführen. Symbolisiert wird der Winter durch eine als Bär verkleidete Person. Dieser wird durch eine als Polizist verkleidete Person festgenommen. Gefolgt von weiteren verkleideten Leuten wird der Bär aus dem Ort verwiesen, wobei vorher von Haus zu Haus gezogen wird. Der Bär soll auch für das Böse stehen, das aus dem Ort herausgebracht wird. In manchen Orten besteht das Bärenkostüm traditionell aus Stroh. In der Fastnachtszeit wird auch der „Babski Comber“ bzw. „Comber“ (aus dem Deutschen: Zampern) gefeiert. Ein Faschingsfest das den Frauen vorbehalten ist, jedoch gewährt man auch den als Frauen verkleideten Männern den Eintritt.
Zu Ostern gibt es verschiedene Bräuche. Ein in ganz Schlesien verbreiteter Brauch am Ostermontag war das Schmackostern. Während man in Niederschlesien die Mädchen mit einer mit Bändern geschmückten Rute schlug, begießt man sie in Oberschlesien meistens mit Wasser, vergleichbar mit dem polnischen Śmigus-dyngus, wodurch auch vom Ostergießen gesprochen wird. Teilweise wurde früher auch das Begießen mit dem Rutenschlagen kombiniert oder es war mancherorts nur die Variante mit der Rute verbreitet. Mit der Polonisierung Oberschlesiens sind die Ruten eher unüblich geworden. Daraufhin erwarten die Jungen (und Männer) ein Geschenk. Meistens sind das bemalte Ostereier oder in heutiger Zeit auch Süßigkeiten, früher hingegen zusätzlich Kuchen, Kaffee und Gelbbrot. Am Osterdienstag können die Mädchen (und Frauen) schmackostern.[27] Ein weiterer Osterbrauch ist das Osterreiten, das heute noch in einigen Orten stattfindet.
Am Erntedankfest, dem in Oberschlesien so genannten Erntefest, findet ein Umzug statt, vorangetragen wird die „Erntekrone“ oder der „Erntekranz“. Zu diesem Anlass werden mehrere Wagen geschmückt und meist lustige Motive gestaltet. Die Leute, die mit diesen Wagen fahren, sind verkleidet. Zusätzlich werden Transparente mit Sprüchen angebracht. Zum Abschluss findet ein Fest mit gemeinsamen Essen, Musik und Tanz statt.
Seit der Wende werden in immer mehr Orten bzw. Gemeinden nach bayerischem Vorbild Oktoberfeste gefeiert.
Bei den Oberschlesiern ist zu Weihnachten die Symbolfigur das Christkind sehr verbreitet. In anderen Regionen in Polen, wie z. B. das angrenzende Kleinpolen, ist dieses Brauchtum unbekannt.
Zu den wichtigsten Familienfesten der Oberschlesier zählen u. a. die Taufe, die erste Kommunion und der Geburtstag, darunter vor allem der erste Geburtstag und der fünfzigste Geburtstag (Abrahamstag), der in Polen wichtige Namenstag hingegen hat keine Bedeutung und wird nicht gefeiert.
Zu einer schlesischen Hochzeit gehören vor der Hochzeitsfeier der Polterabend und am Tag nach dem Hochzeitstag das Nachfeiern.
Küche
Tracht
Trachten wurden in Schlesien bis Mitte des 19. Jahrhunderts getragen. In einigen Regionen und Orten (z. B. in Schönwald) überdauerte die Tradition teilweise bis ins 20. Jahrhundert, doch Trachten galten seitdem im Allgemeinen als altmodisch.
Man unterschied zwischen Alltags-, Sonntags- und Festtagstrachten.
Heute sind Trachten kaum mehr verbreitet und werden ausschließlich von Trachtengruppen getragen oder sind in Museen oder Heimatstuben ausgestellt. Trachten werden bei einigen Volksfesten getragen, haben im Alltag aber keine Bedeutung mehr.
Medien
Auf dem Gebiet Oberschlesiens sind über TVP Info die Regionalfenster TVP Opole und TVP Katowice des staatlichen polnischen Fernsehens TVP zu empfangen. Darüber hinaus richtet sich der private Fernsehsender TVS an die Zuschauer in der Woiwodschaft Schlesien. Ein weiterer Sender ist TVT.
Regional ausgerichtete Radiosender sind die Sender Polskie Radio Opole und Polskie Radio Katowice des staatlichen Hörfunks Polskie Radio. Ein privater oberschlesischer Sender ist Radio Piekary.
Radio Mittendrin ist ein deutsch-polnischer Internet-Radiosender der deutschen Minderheit.
Persönlichkeiten
Aus Oberschlesien stammen fünf Nobelpreisträger. Otto Stern aus Sohrau wurde 1933 als Jude aus Deutschland vertrieben. Er nahm die US-Staatsbürgerschaft an und war als Wissenschaftler sehr erfolgreich. Er erhielt 1943 als Professor in Pittsburgh den Nobelpreis für Physik. 1963 erhielt die in Katowice geborene Maria Goeppert-Mayer den gleichen Preis. Den Nobelpreis für Chemie erhielt 1950 der in Königshütte geborene Kurt Alder. 1964 erhielt der in Neisse geborene, als junger Wissenschaftler wegen seiner jüdischen Abstammung aus Deutschland vertriebene, später an der Universität Harvard lehrende Professor für Biochemie Konrad Bloch den Nobelpreis für Medizin.
Der in Jakobswalde, Landkreis Cosel, Provinz Schlesien geborene Ernst Friedrich Zwirner war deutscher Architekt und Dombaumeister von Köln.
Oscar Troplowitz, ein deutscher Apotheker, Unternehmer und Kunstmäzen, der in Gleiwitz, Regierungsbezirk Oppeln, Provinz Schlesien geboren wurde und wenige Jahre nach Gründung das Unternehmen Beiersdorf übernahm (1890) und u. a. das weltweit bekannte Markenprodukt „Nivea Creme“ (1911) entwickelte.
Zu den bekanntesten Schriftstellern Oberschlesiens zählen Joseph von Eichendorff, Horst Bienek und der als Janosch bekannte Horst Eckert. Joseph von Eichendorff schuf u. a. die Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“. Janosch erlangte u. a. Bekanntheit durch seine Erzählung „Oh, wie schön ist Panama“. Horst Bienek schuf mehrere Werke über seine Heimat Gleiwitz und Oberschlesien. Auch im Werk des Schriftstellers Wolfgang Bittner finden sich Bezüge zu seiner Geburtsstadt Gleiwitz und zu Oberschlesien. Aus Neisse stammt der 1909 geborene Zoologe und Publizist Bernhard Grzimek. Er produzierte von 1956 bis 1980 für die ARD die Fernsehreihe „Ein Platz für Tiere“. Eine weitere berühmte schlesische Persönlichkeit, die ihr Schicksal mit Afrika verband, war Eduard Schnitzer. In die Geschichte ging der Oberschlesier (geboren 1840 in Oppeln) als Emin Pascha ein. Der Afrikaforscher und Gouverneur der sudanesischen Provinz Äquatoria diente unter anderem den Figuren Karl Mays als Vorbild.
In der mehrheitlich römisch-katholischen Region wurden u. a. die Theologen und Bischöfe Walter Mixa aus Königshütte und Alfons Nossol aus Broschütz bei Walzen geboren.
Aus Rybnik stammt der 1978 geborene deutsche Pop/Rock-Sänger und Songwriter Thomas Godoj (eigentlich Tomasz Jacek Godoj), der die vom Fernsehsender RTL ausgestrahlte Castingshow Deutschland sucht den Superstar (DSDS) 2008 gewann.
Neben weiteren Fußballspielern stammen Miroslav Klose, in Oppeln geboren, und der in Gleiwitz geborene Lukas Podolski aus Oberschlesien. Beide spielten für die deutsche Nationalmannschaft und wurden im Jahr 2014 Weltmeister.
Siehe auch
Literatur
- Walter Geisler u. a.: Oberschlesien-Atlas. Volk und Reich Verlag, Berlin 1938.
- Felix Triest (Hrsg.): Topographisches Handbuch von Oberschlesien. Breslau 1865, (books.google.de)
- Erle Bach: Oberschlesien. Vom Sudetenland zur Oberschlesischen Platte. Flechsig 1998, ISBN 3-88189-218-4.
- Horst Pötzsch: Umweltkatastrophe in Oberschlesien. Oberschles. Heimatverlag (Laumann), Dülmen 1988, ISBN 3-87595-280-4.
- Schriften der Stiftung Haus Oberschlesien/Stiftung Haus Oberschlesien <Ratingen>, Berlin 1990.
- Wolfgang Bittner: Gleiwitz heißt heute Gliwice/Gliwice zwano kiedys Gleiwitz. Oberhausen/Wrocław 2003, ISBN 3-89896-161-3.
- Daniela Pelka: Der deutsch-polnische Sprachkontakt in Oberschlesien am Beispiel der Gegend von Oberglogau. trafo, Berlin 2006, ISBN 3-89626-524-5.
- Gregor Ploch, Jerzy Myszor, Christine Kucinski (Hrsg.): Die ethnisch-nationale Identität der Bewohner Oberschlesiens. Münster 2008, ISBN 978-83-60071-13-7.
- Bernhard Sauer: „Auf nach Oberschlesien“ – Die Kämpfe der deutschen Freikorps 1921 in Oberschlesien und den anderen ehemaligen deutschen Ostprovinzen. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. 58. Jahrgang, Heft 4, 2010, S. 297–320. (bernhard-sauer-historiker.de, PDF, 7,6 MB)
- Silke Findeisen (Hrsg.): Reise in die alte Heimat – Schlesien in 1000 Bildern. Königswinter 2010, ISBN 978-3-941557-20-8.
- Herbert Gross: Bedeutende Oberschlesier. Kurzbiographien. Laumann, Dülmen 1995, ISBN 3-87466-192-X.
- Günther Doose: Die separatistische Bewegung in Oberschlesien nach dem Ersten Weltkrieg (1918–1922) (= Studien der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund. Bd. 2). Harrassowitz, Wiesbaden 1987, ISBN 3-447-02751-1.
- Joseph Partsch: Schlesien: eine Landeskunde für das deutsche Volk. T. 1., Das ganze Land. Verlag Ferdinand Hirt, Breslau 1896.
- Joseph Partsch: Schlesien: eine Landeskunde für das deutsche Volk. T. 2., Landschaften und Siedelungen. Verlag Ferdinand Hirt, Breslau 1911.
- Lucyna Harc u. a.: Cuius Regio? Ideological and Territorial Cohesion of the Historical Region of Silesia (c. 1000–2000) vol. 1., The Long Formation of the Region Silesia (c. 1000–1526). Wrocław: eBooki.com.pl, 2013, ISBN 978-83-927132-1-0.
- Lucyna Harc u. a.: Cuius regio? Ideological and Territorial Cohesion of the Historical Region of Silesia (c. 1000–2000) vol. 2., The Strengthening of Silesian Regionalism (1526–1740). Wrocław: eBooki.com.pl, 2014, ISBN 978-83-927132-6-5.
- Lucyna Harc u. a.: Cuius regio? Ideological and Territorial Cohesion of the Historical Region of Silesia (c. 1000–2000) vol. 4., Region Divided: Times of Nation-States (1918–1945). Wrocław: eBooki.com.pl, 2014, ISBN 978-83-927132-8-9.
- Paul Weber: Die Polen in Oberschlesien: eine statistische Untersuchung. Verlagsbuchhandlung von Julius Springer, Berlin 1913.
- Norbert Morciniec: Zum Wortgut deutscher Herkunft in den polnischen Dialekten Schlesiens. In: Zeitschrift für Ostforschung. Bd. 83, Heft 3, 1989.
- Robert Semple: Observations made on a tour from Hamburg through Berlin, Gorlitz, and Breslau, to Silberberg; and thence to Gottenburg. London 1814. (books.google.pl)
Weblinks
Einzelnachweise und Anmerkungen
- R. Fukala: Slezsko. Neznáma země Koruny česke. Knížecí a stavovské Slezsko do roku 1740. České Budějovice 2007, S. 24–25.
- Początki i rozwój miast Górnego Śląska. Studia interdyscyplinarne. Muzeum w Gliwicach, Gliwice 2004, ISBN 83-8985601-8, Kształtowanie się pojęcia i terytorium Górnego Śląska w średniowieczu, S. 21 (polnisch).
- Grzegorz Chromik: Mittelalterliche deutsche Ortsnamen in Oberschlesien. In: Kwartalnik Neofilologiczny. LXVII (3/2020). Kraków 2020, S. 355–374 (pan.pl).
- Reinhold Vetter: Schlesien – Deutsche und polnische Kulturtraditionen in einer europäischen Grenzregion. DuMont Verlag, Köln 1999, ISBN 3-7701-4418-X, S. 34.
- Reichstags-Wahlkarte des Deutschen Reichs: nach dem Ergebnis der Wahlen vom 25. Jänner 1907, mit Berücksichtigung der Stich- und Nachwahlen, Verlag G. Freytag & Berndt, Leipzig, Wien, 1907
- Vgl. Deutschland vor 1918 – Reichstagswahlen – Preußischer Regierungsbezirk Oppeln auf www.wahlen-in-deutschland.de. abgerufen am 8. September 2008.
- Georg Hassel: Statistischer Umriß der sämmtlichen europäischen und der vornehmsten außereuropäischen Staaten, in Hinsicht ihrer Entwickelung, Größe, Volksmenge, Finanz- und Militärverfassung, tabellarisch dargestellt; Erster Heft: Welcher die beiden großen Mächte Österreich und Preußen und den Deutschen Staatenbund darstellt. Verlag des Geographischen Instituts Weimar (1823), S. 34; Gesamtbevölkerung 1819 – 561.203; Nationalverschiedenheit 1819: Polen – 377.100; Deutsche – 162.600; Mährer – 12.000; Juden – 8.000 und Tschechen – 1.600 (books.google.pl).
- Paul Weber, Die Polen in Oberschlesien: eine statistische Untersuchung; Verlagsbuchhandlung von Julius Springer in Berlin (1913), S. 8–9.
- Paul Weber: Die Polen in Oberschlesien: eine statistische Untersuchung; Verlagsbuchhandlung von Julius Springer in Berlin (1913), S. 27 (Textarchiv – Internet Archive).
- Anlage VIII zum Versailler Vertrag, § 88 betreffend
- Vgl. dieser Internetseite von Falter u. a. 1986, S. 118.
- Die Volksabstimmung in Oberschlesien 1921 (home.arcor.de)
- Neue Freie Presse, Ausgabe vom 20. März 1921, S. 5.
- Andreas Kieswetter: Italien und Oberschlesien 1919–1922. Dokumente zur italienischen Politik, Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2001, S. 41–90.
- Dieter Lamping: Über Grenzen. 2001, S. 58.
- Zielscheibe im Palazzo Chigi. In: Der Spiegel. Nr. 13, 1948 (online).
- „Deutsch-polnisches Abkommen über Oberschlesien“ (Oberschlesien-Abkommen, OSA) vom 15. Mai 1922, in: Reichsgesetzblatt, 1922, Teil II, S. 238 ff.
- gonschior.de
- Philipp Graf: Die Bernheim-Petition 1933: Jüdische Politik in der Zwischenkriegszeit. (= Schriften des Simon-Dubnow-Instituts. 10). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008, ISBN 978-3-525-36988-3.
- „Verordnung über die Beschränkung des Reiseverkehrs mit Gebietsteilen des Großdeutschen Reichs und mit dem Generalgouvernement“ vom 20. Juli 1940, Paragraf 1, Abs. 1 Nummer b). sie nennt eine Einbeziehung lediglich der mit Bielitz verflochtenen Stadt Biala
- „Erste Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Erhebung einer Sozialausgleichsabgabe“ vom 10. August 1940, Paragraf 7; sie nennt einen Grenzverlauf entlang der Soła.
- Kazimierz Popiołek, Śląskie dzieje, PWN, Warszawa-Kraków 1976, S. 375.
- Franz-Josef Sehr: Professor aus Polen seit Jahrzehnten jährlich in Beselich. In: Jahrbuch für den Kreis Limburg-Weilburg 2020. Der Kreisausschuss des Landkreises Limburg-Weilburg, Limburg 2019, ISBN 978-3-927006-57-7, S. 223–228.
- Tourismus Polen: Polen – Kattowitz (Katowice) (Memento vom 9. Februar 2013 im Internet Archive)
- Nationale und ethnische Zugehörigkeit, Haupt-Statistikamt, Volkszählung von 2011 (polnisch)
- Vgl. Michael Rademacher: P_schlesien. Online-Material zur Dissertation, Osnabrück 2006. In: eirenicon.com.
- Franz Schroller: Schlesien – Eine Schilderung des Schlesierlandes. Dritter Band, S. 249.