Notkompetenz (Rettungsdienst)
Die sogenannte Notkompetenz (des Rettungsassistenten) ist ein Schlagwort in der deutschen Rettungsdienstausbildung, um die Rechtfertigungsgründe des rechtfertigenden Notstandes und der mutmaßlichen Einwilligung, ferner den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung sowie die Garantenpflicht (im Zusammenhang mit Unterlassungsdelikten) laienverständlich zu vermitteln. Der Begriff wurde 1992 von der Bundesärztekammer in einem Schreiben aufgegriffen, das Rettungsassistenten die Durchführung bestimmter ärztlicher Maßnahmen empfahl, wenn notärztliche Hilfe am Notfallort nicht rechtzeitig zur Verfügung steht. Rechtlich ist diese Empfehlung, auch weil sie die komplexe Rechtslage weitestgehend vereinfacht, bedeutungslos geblieben. In der Praxis wird sie jedoch meist befolgt. Rechtsprechung zur Frage der Notkompetenz selbst existiert nicht. Ein Ansatz zur Normierung einer Art von „Notkompetenz“ besteht seit 2014 in Form des § 2a NotSanG.
Empfehlung der Bundesärztekammer
Die Bundesärztekammer empfahl Rettungsassistenten
- die Endotracheale Intubation ohne Relaxierung,
- das Legen von peripheren venösen Zugängen bzw. intraossären Zugängen,
- die Gabe von kristalloiden Lösungen
- Frühdefibrillation (mit Halbautomaten)
- sowie das Verabreichen von ausgewählten Medikamenten[1]
zu gestatten, jedoch nur soweit
- eine minderinvasive Maßnahme bereits gescheitert oder nicht erfolgversprechend ist,
- ärztliche Hilfe nicht rechtzeitig verfügbar ist,
- die Maßnahme zur Lebenserhaltung oder Abwendung schwerer gesundheitlicher Schäden dringend erforderlich und zumutbar ist, um Gefahren für das Leben oder die Gesundheit des Patienten abzuwenden, und[2]
- der Rettungsassistent diese Maßnahmen erlernt hat und diese beherrscht.
Soweit der Patient bei Bewusstsein und einwilligungsfähig ist, muss er darauf hingewiesen werden, dass der Behandelnde kein Arzt ist. Gegen seinen Willen dürfen dann keine Maßnahmen getroffen werden.
Andere Stellungnahmen
Neben der Bundesärztekammer haben auch andere Gremien Stellung[3] zur Frage der Notkompetenz bezogen, die auch Rettungssanitätern oder gar „allen hinreichend qualifizierten Personen“ (theoretisch also auch Rettungshelfern und Sanitätern mit entsprechendem Kenntnisstand) die Ausübung solcher Notkompetenzmaßnahmen erlauben wollen.[4] Da die Ausbildung zum Rettungssanitäter jedoch deutlich kürzer ist als die Ausbildung zum Rettungsassistenten, sollen für Rettungssanitäter deutlich weniger ärztliche Maßnahmen als Notkompetenzmaßnahmen in Betracht kommen als für Rettungsassistenten. Ausnahmen sollen im Einzelfall bei langjährig in der Notfallrettung tätigen und überdurchschnittlich fortgebildeten Rettungssanitätern bestehen, dies sei jedoch im Einzelfall zu überprüfen.
Gesetzliche Regelungsansätze
§ 2a NotSanG erlaubt Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern die eigenverantwortliche Durchführung auch invasiver heilkundlicher Maßnahmen, sofern diese erlernt wurden und beherrscht haben sowie diese in einem sog. rechtfertigenden Notstand, das heißt zur Abwendung von Lebensgefahr oder wesentlicher Folgeschäden erforderlich sind. Rechtsprechung zu dieser mit Wirkung vom 4. März 2021 eingeführten Norm existiert noch nicht.
Literatur
- Arno Keipke: Arztvorbehalt und Notkompetenz im Rettungsdienst. (PDF; 44 kB) rechtsanwalt-keipke.de (Streitdarstellung bis 2008)
- Johannes Brose: Aufgaben und Befugnisse nichtärztlichen Rettungsdienstpersonals. In: VersR, 2014, S. 1172 ff.
- Giso Hellhammer-Hawig: Leitlinien bei sog. Notkompetenzmaßnahmen im Rettungsdienst. In: MedR, 2007, S. 214 ff.
- Felix Lubrich, Das neue Notfallsanitätergesetz: Mehr Rechtssicherheit für Rettungsfachpersonal? MedR 2013, S. 221 ff.
Einzelnachweise
- Medikamente, deren Applikation im Rahmen der Notkompetenz durchgeführt werden kann. (Memento vom 8. August 2018 im Internet Archive; PDF; 23 kB) Stand 11. März 2004; Bundesärztekammer: „Die Entscheidung über die Art der Medikamente trägt demnach der ärztliche Leiter des Rettungsdienstes. Die Bundesärztekammer nennt in ihrer Empfehlung zur Notkompetenz 6 Notfallmedikamente mit Zustandsbildern, deren Verabreichung im Rahmen der Notkompetenz durch Rettungsassistenten erfolgen kann, dies sind: Adrenalin bei der Reanimation und allergischem Schock, Beta 2 Sympathomimetika bei obstruktiven Atemwegszuständen, Nitroglyzerin als Spray oder Kapsel bei akutem Koronarsyndrom (Herzinfarkt, Angina Pectoris Anfälle), Benzodiazepine bei schweren Krampfanfällen, Glucose 40 % bei hypoglykämischem Schock und Analgetika (Schmerzmittel) bei starken Schmerzzuständen. Die Empfehlung der Bundesärztekammer dient Rettungsassistenten als Orientierung, welche eigentlich ärztlichen Maßnahmen im Rahmen der Notkompetenz ergreifen werden können. Beherrscht der Rettungsassistent weitere ärztliche Maßnahmen und liegen die rechtlichen Voraussetzungen vor, kann der Rettungsassistent auch Maßnahmen ergreifen, welche die Empfehlung nicht umfasst.“
- Stellungnahme der Bundesärztekammer zur Notkompetenz von Rettungsassistenten und zur Delegation ärztlicher Leistungen im Rettungsdienst. (PDF; 36 kB) Bundesärztekammer, 2. November 1992, archiviert vom am 9. August 2018; abgerufen am 19. Januar 2020.
- Stellungnahme des BVRD e. V. zur Notkompetenz (Memento vom 21. April 2004 im Internet Archive); Empfehlung der Bundesärzte der Hilfsorganisationen ASB, DLRG, DRK, JUH, MHD: Handeln von Rettungsassistenten/-sanitätern im Rahmen der Notkompetenz. (Memento vom 28. April 2016 im Internet Archive; PDF; 22 kB)
- Erik Hahn: Die Bedeutung der Physiotherapeuten-Entscheidung des BVerwG für die Diskussion um das Verhältnis von HPG und RettAssG im Rahmen der Notkompetenz. In: Notfall & Rettungsmedizin, 2011, S. 51–56.