Nikolai Iwanowitsch Kulbin

Nikolai Iwanowitsch Kulbin (russisch Николай Иванович Кульбин; geboren 20. April 1868 in Helsinki[1] ; gestorben 20. März 1917 in Petrograd) war ein russischer Militärarzt, Maler, Grafiker, Kunsttheoretiker, Musiktheoretiker und Mäzen des russischen Futurismus.

Nikolai Kulbin (unbekannter Fotograf, 1909)
Nikolai Kulbin

Leben

Kulbin wuchs in St. Petersburg auf, wo er ab 1887 an der Medizinischen Militärakademie Medizin studierte, das Studium 1893 abschloss und 1895 über Alkoholismus promovierte. Er wurde Allgemeinarzt und Professor an der Petersburger Militärakademie und hatte verschiedene medizinische Veröffentlichungen. Zum Zeichnen und zur Fotografie kam er über die Mikroskopie.

Seit 1908 nahm er an Kunstausstellungen teil. 1910 organisierte er die Ausstellung „Treugolnik“ (Triangel), in der unter anderen sein Freund David Burljuk ausstellte. Er war der Hyläa-Gruppe, aus der der Kubo-Futurismus hervorging, verbunden.[2] 1912 beteiligte er sich an der Ausstellung der Gruppe Karo-Bube. Er war 1912 Bühnenbildner am Theater in Terijoki und 1913–1914 am Pik-Dame-Theater.

1912 veröffentlichte er auf Einladung von Wassily Kandinsky den Beitrag „Die freie Musik“ für den Almanach Der Blaue Reiter. Seine Grundgedanken hatte er schon 1908 in St. Petersburg verkündet und 1910 in dem von ihm herausgegebenen Sammelband Studio der Impressionisten (russ.) veröffentlicht, dessen gestalterischen Aufbau später der Almanach übernahm.[3] In dem kurzen Artikel skizzierte er Thesen zur Befreiung der Musik, die er mit Arthur Lourié bereits zu dieser Zeit entwickelt hatte, und nannte darunter als ein neues Element die „Viertel- und Achteltöne“, die beispielsweise auch in der alten Hindu-Musik verwendet würden.

Als Maler nahm er 1913 am Ersten Deutschen Herbstsalon in der Berliner Galerie „Der Sturm“ von Herwarth Walden teil. Er zeigte dort „Die Madonna von Putywyl“ und „Der Disput“, letztere Zeichnung war auch im Ausstellungskatalog abgebildet.[4]

Marinetti besuchte vom 26. Januar bis 15. Februar 1914 Moskau und St. Petersburg, um dort die russischen Futuristen zu treffen, die Vortragsreise hatte Kulbin organisiert. Gegen Marinetti polemisierten in Moskau[5] zusammen mit Benedikt Livshits, einige russische Futuristen, die sich von Marinetti bevormundet fühlten, und Welimir Chlebnikow, der sich wegen dieser Kritik mit Kulbin überwarf, trat in der Folge aus der Hyläa-Gruppe aus. Kulbin galt unter den russischen Futuristen bei den „radikalen Asiaten“ (Parole: „Wir und der Okzident“) nun als „gemäßigter Europäer“.

Bei der Futuristenausstellung in Rom, die vom 4. April bis 30. Mai 1914 unter der Leitung von Guido Sprovieri in der „Galleria Futurista“ in der Via del Tritone 125 stattfand, waren neben „Nicola I. Koulbine“ drei weitere Russen vertreten: Alexandra Exter, Alexander Archipenko und Olga V. Rosanoff. Kulbin zeigte zwei Objekte: „Donna + sole = interferenza“ und „Ritratto di F. T. Marinetti (Interferenze)“.

Werke

  • Studiya impressionistov, 1910 (Hrsg.)
  • Die freie Musik, in: Kandinsky/Franz Marc: Der Blaue Reiter, Piper, München 1912. Dokumentarische Neuausgabe von Klaus Lankheit (1965). Piper Verlag, München 2004, ISBN 3-492-24121-2
  • Albert Kivikas übersetzte Nikolai Kulbins Kubismus vom Russischen ins Estnische. Kirjastus Arlekiin, Tartu 1920

Zeichnungen

Porträtzeichnungen von Kulbin:

Literatur

  • Esposizione libera futurista internazionale. Pittori e scultori italiani, russi, inglesi, belgi, nordamericani. Aprile-maggio 1914. Guido Sprovieri Galleria Futurista Roma, Rom 1914.
  • Christiane Bauermeister (Hrsg.), Sieg über die Sonne, Aspekte russischer Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ausstellung der Akademie der Künste Berlin, und der Berliner Festwochen vom 1. September bis 9. Oktober 1983. Frölich & Kaufmann, Berlin 1983 (mit Fotos von Kulbin auf S. 14 und 21).
  • Jeremy Howard: The Union of Youth: an artists’ society of the Russian avant-garde. Manchester University Press, Manchester 1992, ISBN 0-7190-3731-X.
  • Jewgenij F. Kowtun: Sangesi : die russische Avantgarde. Chlebnikow und seine Maler. Ed. Stemmle, Kilchberg 1993, ISBN 3-905514-10-9.
  • Olga Zhuk: Kul'bin, Nikolaj Ivanovič. In: Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker (AKL). Band 82, de Gruyter, Berlin 2014, ISBN 978-3-11-023187-8, S. 235.
Commons: Nikolai Kulbin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Angaben zum Lebenslauf nach Jeremy Howard, The Union of Youth, S. 226. Als Geburtsort wird sonst Sankt Petersburg genannt. Als Sterbejahr nennen Howard und Bauermeister 1917; Klaus Lankheit nennt als Sterbejahr 1941 und beruft sich auf mündlichen Mitteilungen von Dmitrij Tschižewskij (Der Blaue Reiter, S. 333). Wiktor Schklowski zufolge, der Kulbin gut kannte, starb dieser '...drei Tage nach der Februarrevolution...', d. h. im März 1917, siehe Shklovsky. Witness to an Era, Dalkey Archive Press 2012, S. 65
  2. Anna Lawton (Memento vom 11. Oktober 2008 im Internet Archive)
  3. Jessica Horsley: Der Almanach des "Blauen Reiters" als Gesamtkunstwerk. Peter Lang, Frankfurt am Main 2006 S. 390; S. 207–223. Wer den Text für den Blauen Reiter ins Deutsche übersetzt hat, ist ungeklärt.
  4. Katalog # 243 und 244. Erster Deutscher Herbstsalon: Berlin 1913 / Leitung: Herwarth Walden, Nachdr. [d. Ausg.], Galerie Der Sturm, Berlin 1913, ISBN 3-88375-082-4 dnb
  5. oder St. Petersburg siehe: Margarita Tupitsyn, Collaborating on the Paradigm of the Future, Art Journal, Vol. 52, No. 4, Interactions between Artists and Writers (Winter, 1993), S. 18–24 JSTOR:777620
  6. Abbildungen bei Bauermeister, S. 117, 232, 238, 250
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