Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis

Die evangelisch-lutherische Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis im hannoverschen Stadtteil Calenberger Neustadt ist das älteste niedersächsische Beispiel für das protestantische Raumideal einer Saalkirche. Die Kirche ist Predigtkirche des Landessuperintendenten für den Sprengel Hannover. Sie liegt am Neustädter Markt, an der so genannten Straße der Toleranz.[1]

Neustädter Kirche (2009)

Die Neustädter Kirche zeigt die Merkmale eines strengen, noch deutlich an antiken Vorbildern orientierten Frühbarockstils. Sie ist eine lange und geräumige Hallenkirche, die nach Osten mit einem nur wenig schmaleren Altarraum abschließt. Der Musik kommt in dieser historischen Kirche eine herausragende Bedeutung zu. Die 1958 gegründete Kantorei St. Johannis, von 1991 bis 2020 unter Kirchenmusikdirektor[2] Lothar Mohn, wird derzeit von Kantor Jonathan Hiese geleitet.

Geschichte

Die Kirche um 1850 mit dem „Britisch Hotel“, im Vordergrund der Neustädter Markt, im Hintergrund der Fürstenhof; Stahlstich von Johann Poppel nach einer Zeichnung von Georg Osterwald
Kircheninnenraum (2007)

Die Kirche steht in der Nachfolge der Burgkapelle St. Galli und der St. Gallenkapelle,[3] der ursprünglich von den Grafen von der Burg Lauenrode für die Burg Lauenrode gestifteten, 1241 erstmals erwähnten ecclesia Galli. Nach der Zerstörung der Burg im Lüneburger Erbfolgekrieg erfolgte vor 1388 durch Cord von Alten ein Neubau innerhalb der Stadtmauer von Hannover auf dem Rosmarinhof als Marienkapelle (beatissime Marie virginis). Diese erhob Bischof Otto von Minden um 1396 zur Kollegiat- und Pfarrkirche der Calenberger Neustadt (mit Lauenrode und dem Brühl).

Ölgemälde im barocken Prunkrahmen mit Wappen und lateinischer Inschrift: Bildnis des David Wilhelm Erythropel in der Kirche

Nach der von den Bürgern ungewollten Residenznahme Hannovers durch Herzog Georg 1636 im Dreißigjährigen Krieg und der notwendigen Stadterweiterung westlich der Leine für den ebenfalls zugezogenen Hofstaat, seine Beamten, Bedienten und Handwerker, wurde die Kapelle für die evangelischen Gemeinden der Calenberger Neustadt wie auch der Schlosskirche 1665 zur Pfarrkirche erhoben. Anlass war die Re-Katholisierung der Schlosskirche im Leineschloss 1665–79 durch Herzog Johann Friedrich, den Begründer des Großen Gartens.

Im Gegenzug wurde, nach dem Abriss der Kapelle und der Zuschüttung des Judenteiches, 1666–70 die lutherische Predigtkirche Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis im barocken Stil am heutigen Standort erbaut, wahrscheinlich nach Plänen des venezianischen Architekten Hieronimo Sartorio. Die Finanzierung erfolgte mit Unterstützung des Landesherrn durch die Landstände der Calenberger Landschaft und zu großen Teilen durch den frühkapitalistischen Kaufmann und Ratsherrn Johann Duve.

Beim Bau wurden die Trümmer der ehemaligen St. Gallenkapelle aus der Altstadt wiederverwendet.[3]

Da der ursprüngliche Turm in Fachwerkbauweise einsturzgefährdet war, erfolgte 1691–1700 über dem Westportal der Neubau eines weithin sichtbaren Turms mit quadratischem Unterbau, achteckigem Obergeschoss und einer kupfergedeckten Turmhaube mit Laterne und Kegelspitze.

Als die Schlosskirche unter Herzog Ernst August, dem späteren Kurfürsten von Hannover (1679–98), wieder lutherisch wurde, blieb die Neustädter Kirche Hofkirche für die nicht zum unmittelbaren Umfeld des Landesherrn gehörenden protestantischen Hofbeamten. Diese Funktion verlor sie erst mit dem Bau des als neue Residenz vorgesehenen Welfenschlosses sowie einer dazu passenden Residenzkirche: 1859 übernahm König Georg V. das Patronat über die Christuskirche und verzichtete auf sein Königliches Patronat an der Neustädter Kirche zugunsten des Magistrats der Stadt Hannover.

Bei den Luftangriffen auf Hannover im Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche bis auf die Außenmauern zerstört. Der Wiederaufbau erfolgte 1956/58[4] in zunächst schlichteren Formen unter der Leitung von Wilhelm Ziegeler. Die Renovierung des Innenraums 1992–94 näherte sich dann wieder der ursprünglichen Konzeption.

Statt einer Wiederherstellung der Barockeinrichtung wurden erhaltene Teile der ursprünglichen Ausstattung, Christus-, Engel-, Heiligen- und allegorische Figuren, Porträts und Grabmäler – mit modernen Elementen kombiniert und neu angeordnet.

Ausstattung

Glocken

Die beiden Glocken aus Gussstahl wurden 1923 vom Bochumer Verein gegossen und erklingen in den Schlagtönen c1 und e1.[5]

Orgel

Grabmäler

Grabstätte von Gottfried Wilhelm Leibniz (2007)

Innerhalb der Kirchenmauern wurden zahlreiche Persönlichkeiten bestattet, darunter

  • Jobst Hermann von Ilten (1649–1730), beigesetzt neben seiner wenige Jahre zuvor verstorbenen Ehefrau Hedwig Lucia Grote in der von ihm angelegten Familiengruft auf dem Chor nahe der Kanzel.[6]

Außerhalb der Kirche sind seit 1902 an den Wänden Epitaphe und zahlreiche Grabmale von Hofbeamten, Hofpredigern und Generalsuperintendent sowie deren Angehörigen angebracht, die ursprünglich den gesamten Fußboden innerhalb der Kirche bedeckten.

Unter den 35 an den Außenmauern angebrachten Grabplatten und Epitaphen finden sich etwa die für

Die bedeutendsten Gräber (im Inneren) sind

Literatur

  • August Kranold: Aus der Geschichte der Hof- und Stadtkirche St. Johannis auf der Neustadt in Hannover: zum 250jährigen Kirchweihfeste, Hannover: Dieckmann, 1920.
  • E. Büttner: Die Kirche im spätmittelalterlichen Hannover. Organisation und Geist. In: Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte, Heft 38 (1933), S. 10–139.
  • Ilse Rüttgerodt-Riechmann: St. Johanniskirche. In: Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Baudenkmale in Niedersachsen, Stadt Hannover, Teil 1, Bd. 10.1, hrsg. von Hans-Herbert Möller, Niedersächsisches Landesverwaltungsamt – Veröffentlichungen des Instituts für Denkmalpflege, Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig/Wiesbaden 1983, ISBN 3-528-06203-7, S. 85f.; sowie Calenberger Neustadt im Addendum zu Bd. 10.2: Verzeichnis der Baudenkmale gem. § 4 (NDSchG) (ausgenommen Baudenkmale der archäologischen Denkmalpflege) / Stand: 1. Juli 1985 / Stadt Hannover, S. 5f.
  • Annette von Boetticher: Grabsteine, Epitaphe und Gedenktafeln der ev.-luth. Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis in Hannover, illustrierte DIN-A5 Broschüre, Hrsg.: Der Kirchenvorstand der ev.-luth. Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis Hannover, 2002.
  • Wolfgang Puschmann: Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis. In: Hannovers Kirchen. 140 Kirchen in Stadt und Umland. Hrsg. von Wolfgang Puschmann. Hermannsburg: Ludwig-Harms-Haus 2005, S. 12–15, ISBN 3-937301-35-6.
  • Helmut Knocke, Hugo Thielen: Rote Reihe 8. In: Hannover. Kunst und Kultur-Lexikon, 4. aktualisierte und erweiterte Auflage, 2007, S. 188ff.
  • Florian Hoffmann: Neustädter Hof- u. Stadtkirche St. Johannis. In: Klaus Mlynek, Waldemar R. Röhrbein (Hrsg.) u. a.: Stadtlexikon Hannover. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Schlütersche, Hannover 2009, ISBN 978-3-89993-662-9, S. 468.
  • Christiane Buddenberg-Hertel/Irmgard Knüppel; Unser Kirchenmusikdirektor - Die gemeinsamen Jahre 1991-2020 mit Lothar Mohn. Selbstverlag, Herstellung: Christiane Buddenberg-Hertel und Peter Hertel, Hannover 2021, 248 Seiten.
Commons: Neustädter Kirche (Hannover) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Rote Reihe: Straße der Toleranz (Memento vom 4. September 2019 im Internet Archive), auf landeskirche-hannovers.de/
  2. Christiane Buddenberg-Hertel/Irmgard Knüppel; Unser Kirchenmusikdirektor - Die gemeinsamen Jahre 1991-2020 mit Lothar Mohn. Selbstverlag, Herstellung: Christiane Buddenberg-Hertel und Peter Hertel, Hannover 2021, 248 Seiten.
  3. Arnold Nöldeke: St. Gallenkapelle auf der Altstadt. In: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover Bd. 1, H. 2, Teil 1, Hannover, Selbstverlag der Provinzialverwaltung, Theodor Schulzes Buchhandlung, 1932 (Neudruck Verlag Wenner, Osnabrück 1979, ISBN 3-87898-151-1), S. 211f.
  4. Stadtlexikon Hannover..., S. 468
  5. Videoaufnahme des Geläuts (YouTube, Stand: 17. März 2010 um 10:15 Uhr).
  6. Eduard Bodemann: Jobst Hermann von Ilten. Ein hannoverscher Staatsmann des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen, Jahrgang 1879, S. 1, 8, 164, v. a. S. 149, 161; Digitalisat über Google-Bücher
  7. Annette von Boetticher: Grabsteine, Epitaphe und Gedenktafeln der ev.-luth. Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis in Hannover, Broschüre hrsg. von deren Kirchenvorstand, Hannover: Eigenverlag, 2002
  8. Leibniz' letzte Ruhestätte hat eine bewegte Vergangenheit: Leibniz-Grab (Memento vom 26. September 2016 im Internet Archive), hannover.de
  9. Robert von Lucius: Universalgenie mit tiefen Augenhöhlen, 7. September 2011
  10. Schädel eines Universalgenies (Memento vom 25. Juni 2017 im Internet Archive), Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers, 4. September 2012

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