Mykobakterien

Die Mykobakterien (Mycobacterium) bilden eine Gattung bestehend aus ca. 100 Arten. Sie sind die einzigen Vertreter der Familie Mycobacteriaceae. Zu ihnen gehören als Auslöser von Mykobakteriosen sowohl Krankheitserreger des Menschen wie Mycobacterium tuberculosis (Tuberkulose) und Mycobacterium leprae (Lepra) als auch Krankheitserreger von Tieren wie der Erreger der Rindertuberkulose (Mycobacterium bovis). Daneben gibt es aber auch freilebende Arten.

Mycobacterium

Mycobacterium tuberculosis (Ziehl-Neelsen-Färbung)

Systematik
Domäne: Bakterien (Bacteria)
Abteilung: Actinobacteria
Ordnung: Actinomycetales
Familie: Mycobacteriaceae
Gattung: Mycobacterium
Wissenschaftlicher Name
Mycobacterium
Lehmann & Neumann 1896

Mykobakterien sind mit der Gram-Färbung schlecht anzufärben, ihr Zellwandaufbau entspricht aber weitgehend dem Wandaufbau grampositiver Bakterien, d. h. die Zellwand besitzt keine äußere Membran und besteht aus einem mehrschichtigen Peptidoglykan (Murein). Die Einordnung zu den grampositiven Bakterien wurde auch durch RNA-Analysen bestätigt. Aufgrund des hohen GC-Gehaltes in ihrer DNA werden sie zu den Actinobacteria, einer Abteilung von grampositiven Bakterien, gestellt.

Merkmale

Allgemeine Merkmale

Mykobakterien sind immer auf Sauerstoff angewiesen (obligat aerob) und benötigen organische Stoffe zum Energiegewinn (chemoorganotroph). Sie sind meist stäbchenförmig und bilden nur selten in älteren Kulturen Verzweigungen, die dann oft wieder in Kokken (Kugelbakterien) oder Stäbchen zerfallen. Im Gegensatz hierzu bildet die Mehrzahl der Aktinomyzeten verzweigte Mycelien, die den von Pilzen gebildeten Mycelien gleichen, man spricht von den filamentösen Aktinomyzeten. Auf dieser Eigenschaft beruht auch der Name, Aktinomyzeten bedeutet soviel wie „Strahlenpilze“ (griechisch „aktis“ für Strahl und „mykes“ für Pilz).

Zellhülle

Schematischer Wandaufbau.
1 (hellblau) - äußere Lipide
2 (violett) - Mycolsäuren
3 (hellbraun) - Polysaccharide
4 (hellblau) - Peptidoglykan
5 (schwarz) - Cytoplasmamembran
6 (grün) Lipoarabinomannan
7 (gelb) - Phosphatidylinositolmannosid
8 Zellwand

Eines der Hauptmerkmale von Mykobakterien ist, dass ein Großteil der Zellwandbestandteile als Antigenkomponenten wirkt. Sie rufen in Wirtsorganismen eine Immunreaktion hervor und führen zu einer Allergie vom Spättyp (Typ IV). Die bekannteste Reaktion ist die Tuberkulinreaktion.

Charakteristisch sind der hohe Lipidgehalt der Zellwand, die Mykolsäuren, die Phthiocerol-Außenhülle und speziell bei Mycobacterium tuberculosis und Mycobacterium bovis der Cord-Faktor, die Verbindungen der Mykolsäuren mit dem Disaccharid Trehalose. Durch den Cord-Faktor kommt es zu dem schnur- oder zopfartigen Wachstum in älteren Kulturen.

Die sehr hohe Säurefestigkeit (engl.: acid-fast) kommt durch die langkettigen Mykolsäuren zustande. An jeder 10. N-Acetylmuraminsäure (welches zum Rückgrat des Peptidoglycan gehört) ist ein Arabinogalaktankomplex gebunden. Dieser besteht aus einem linearen Galaktose-Strang und ist verzweigt mit Arabinose-Ketten. An diese Komplexe sind wiederum Mykolsäuren gebunden. Nicht kovalent an die nach außen zeigenden Mycolsäuren geheftet ist schließlich die DIM/DIP-Schicht.[1]

Die Zellwand der Mykobakterien hat demnach so etwas wie einen weiteren äußeren Bilayer.

Aufgrund dieses Zellwandaufbaus besitzen Mykobakterien eine sehr hohe Widerstandsfähigkeit. Dies bewirkt, dass die obligat parasitären Mykobakterien auch in der freien Natur unter günstigen Bedingungen mehrere Monate infektionsfähig bleiben[2] und mit wenigen Ausnahmen (z. B. Streptomycin oder Kanamycin) gegen die meisten Antibiotika resistent sind. Auch gegen die meisten Laugen und Säuren sind sie widerstandsfähiger als andere Bakterien. Die Säurefestigkeit ist durch die Ziehl-Neelsen-Färbung nachweisbar. Die Bakterienzellen lassen sich nach Einfärbung mit Anilinfarbstoffen (z. B. Karbolfuchsin) mit Säure nicht mehr entfärben, ein Effekt, den Paul Ehrlich in Zusammenarbeit mit Robert Koch im Jahre 1882 erstmals bemerkte. Die Säurefestigkeit tritt nur bei wenigen Bakteriengattungen, wie Nocardia, Rhodococcus und Corynebacterium, auf.

Physiologie

Mykobakterien nutzen u. a. Triacylglycerine (Neutralfette, TAGs) als Reservestoffe.[3] Diese Neutralfette werden in Granula, so genannten „fat bodies“, innerhalb des Zellkörpers angehäuft.[4] Triacylglycerine als Speicherlipide sind bei Eukaryoten, wie Hefen oder Pilze, weit verbreitet, unter den Bakterien sind sie allerdings seltener anzutreffen. Vor allem bei den Actinomycetales, wie Mycobacterium, Streptomyces, Rhodococcus und Nocardia, ist die intrazelluläre Akkumulation von TAGs nachgewiesen.[5] Auch bestimmte Wachse, so genannte Wachsester, werden von einigen Vertretern der Actinomycetalen als Speicherstoffe genutzt.[5] Bei den Mykobakterien wurden sie z. B. bei Mycobacterium tuberculosis gefunden. Wachsester als Reservestoffe treten im Bakterienreich eher selten auf, außer bei den Actinomycetales wurden sie z. B. noch bei Moraxella und Alcanivorax, beides den Proteobakterien zugehörig, nachgewiesen.[5] Wachsester als Reservestoffe sind bei den Eukaryoten kaum anzutreffen, z. B. in Samen der Jojoba-Pflanze. Auch Glykogen und Trehalose werden als mögliche Speicherstoffe der Mykobakterien angesehen.[4]

Bei verschiedenen Mycobakterien (darunter auch Mycobacterium tuberculosis) ist der Citratzyklus verändert: die E1-Untereinheit der Ketoglutarat-Dehydrogenase ist durch eine Ketoglutarat-Decarboxylase ersetzt, die unabhängig von Coenzym A zunächst Succinat-Semialdehyd produziert, welches von einer NADP+-abhängigen Succinat-Semialdehyd-Dehydrogenase zu Succinat dehydriert wird.[6]

Vorkommen

Nur wenige der rund 100 Arten sind als Parasiten auf einen Wirt als Lebensort angewiesen. Die Mehrzahl der Arten leben im Gegensatz zu dem meist auf die Wirte angewiesenen Mycobacterium tuberculosis-Komplex frei in der Umwelt und sind nicht krankheitserregend (apathogen). Diese Arten werden den nichttuberkulösen, apathogenen Mykobakterien zugerechnet. Man nimmt an, dass der größte Teil der Arten saprophytisch ist, d. h. von der Zersetzung toter organischer Stoffe lebt. Sie wurden in Böden und Grundwasser, Staub sowie Süß- und Meerwasser nachgewiesen.[7]

Freilebende Mykobakterien

Beispiele für im Boden vorkommende Mykobakterien sind der Mycobacterium terrae-Komplex (M. terrae, M. triviale und M. nonchromogenicum) und M. fortuitum.[7] Letzteres wurde auch aus Meerwasser isoliert, weitere im Meer gefundene Arten sind Mycobacterium chelonae, M. marinum und M. gordonae. Einige Arten kommen in durch menschlichen Einfluss entstandenen künstlichen Umgebungen wie Abwasser, Klärschlamm oder Trinkwasser vor.[7] Im Trinkwasser wurden häufig Arten wie Mycobacterium gordonae, M. chelonae subsp. chelonae und M. flavescens nachgewiesen. Die im Englischen auch unter dem Namen „tap water bacillus“ bekannte Art M. gordonae ist im Trinkwasser das wohl häufigste Mykobakterium. Einige Arten, wie M. kansasii und M. avium, sind sogar in der Lage, sich in aufbereitetem (destilliertem) Trinkwasser zu vermehren, und lassen sich schlecht aus infizierten Leitungswassersystemen wieder entfernen, wodurch sie auch in Krankenhäusern eine erhebliche Gefahr darstellen.[7] Im Abwasser fand man ähnliche Artenzusammensetzungen wie in Böden und Süßwasser. Wie oben schon erwähnt, können die nur in den Wirtszellen Wachstum zeigenden, obligat pathogenen Arten des Mycobacterium tuberculosis-Komplexes außerhalb des Wirtes eine Zeitlang überleben. Im Kot von Rindern soll Mycobacterium bovis bis zu 13 Tage wachstumsfähig sein.[2]

Mycobacterium tuberculosis-Komplex

Die meisten Vertreter des obligat pathogenen Mycobacterium tuberculosis-Komplexes (etwa Mycobacterium tuberculosis, Mycobacterium bovis, Mycobacterium africanum oder Mycobacterium microti) leben als obligat intrazelluläre Parasiten in Makrophagen. Virulenzfaktoren sind nicht bekannt, allerdings schützt ihr besonderer Wandaufbau, der wachsartige Substanzen und Mykolsäuren enthält, vor äußeren Einflüssen. Die Lipide der Zellwand sind auch Ursache der charakteristischen Säurefestigkeit. Der Wandaufbau verhindert einen schnellen Stoffaustausch mit der Umgebung und verursacht dadurch ein nur langsames Wachstum und langsame Vermehrung. Dieses im Vergleich zu anderen Bakterien äußerst langsame Wachstum ist charakteristisch für alle Mykobakterien.

Weiters ist für die Mitglieder des Mtb-Komplexes zwar kein Lebenszyklus als Bodenbakterium nachgewiesen, die Fähigkeit allerdings, in Amöben beziehungsweise ihnen anhängenden Zysten überleben zu können, haben sie nicht verloren. Vielmehr ist es diese Eigenschaft der Mykobakterien allgemein, die es den Mtb-complex-Mitgliedern erleichterte, in den (amöbenähnlichen) Fresszellen ihrer Wirte schlafend lange Zeit ohne Zellteilung zu überdauern (latente Infektion).[8]

Wachstumsgeschwindigkeit

In Bezug auf die Wachstumsgeschwindigkeit werden die Mykobakterien in zwei Gruppen unterteilt: Die langsamwachsenden („slow growers“) mit einer Generationszeit von 6–24 Stunden in Laborkulturen und die schnellwachsenden („rapid growers“) mit einer Generationszeit von 1–4 Stunden. Zum Vergleich: Die Generationszeit von Escherichia coli beträgt in Laborkulturen unter günstigen Bedingungen 20 Minuten. Schnell wachsende Mykobakterien bilden innerhalb einer Woche makroskopisch sichtbare Kolonien, langsam wachsende benötigen hierfür bis zu 8 Wochen. Unter den langsam wachsenden Mykobakterien sind die meisten (obligaten oder fakultativen) Krankheitserreger zu finden, viele der „rapid growers“ sind apathogen. Die Unterteilung in langsam und schnell wachsende Mykobakterien ist auch phylogenetisch relevant, sie spiegelt evolutionäre Verwandtschaftsverhältnisse wider.[4]

Systematik und Unterteilung

Kladogramm aller Actinobacteria mit entschlüsseltem Genom. Mycobacterium ist braun markiert.

Die Mykobakterien zählen zu der Ordnung Actinomycetales. Ihrer Gestalt nach sind Mykobakterien zwischen den Corynebakterien und den Proactinomyceten (Aktinomyzeten die kein dauerhaftes Mycel bilden wie z. B. Nocardia) einzuordnen, enge Verwandtschaftsverhältnisse bestehen auch zu Rhodococcus und Caseobacter (jetzt zu Corynebacterium gestellt).[4]

Die Gattung wird taxonomisch in drei Gruppen unterteilt:

  • Der Mycobacterium tuberculosis-Komplex, die Erreger der Tuberkulose (u. a. Mycobacterium tuberculosis, M. bovis, M. microti und M. africanum)
  • Mycobacterium leprae, der Erreger der Lepra
  • Alle restlichen Arten werden zu den nichttuberkulösen Mykobakterien (NTM) gestellt, früher auch als MOTT (englisch: mycobacteria other than tuberculosis) bezeichnet. Es handelt sich um frei lebende Bakterien, die nur selten krankheitserregend wirken (fakultativ pathogen).

Unterteilung nach Runyon

Nach Runyon erfolgt die Unterteilung der Mykobakterien nach Wachstumsgeschwindigkeit und Pigmentbildung bei Belichtung (sogenannte Photochromogenität). Das Pigmentverhalten ist allerdings phylogenetisch nicht relevant.

  • Gruppe I: Photochromogene, langsam wachsende (slow growers) Mykobakterien: Sie bilden nur unter dem Einfluss von Licht gelbe Farbpigmente. Beispielarten: Mycobacterium kansasii, M. marinum, M. asiaticum und M. simiae.
  • Gruppe II: Skotochromogene slow growers bilden auch im Dunklen Pigmente. Beispiele: Mycobacterium scrofulaceum, M. szulgai und M. xenopi.
  • Gruppe III: Nichtchromogene slow growers bilden niemals Pigmente. Beispielarten: Mycobacterium ulcerans, der Erreger der Buruli-Ulkus und der Mycobacterium avium-Komplex (MAC), bestehend aus Mycobacterium intracellulare und Mycobacterium avium.
  • Gruppe IV: Schnellwachsende Mykobakterien, die auf Agarmedien schon innerhalb einer Woche gut sichtbare Kolonien bilden, z. B. Mycobacterium fortuitum.

Der gesamte Mycobacterium tuberculosis-Komplex und Mycobacterium leprae zählen zu der Gruppe III. Apathogene, nicht krankheitserregende Mykobakterien wie M. moriokaense stammen überwiegend aus der Gruppe der schnellwachsenden, nichttuberkulösen Mykobakterien (Gruppe IV).[9]

Arten

Der Mycobacterium tuberculosis-Komplex:

Einige nichttuberkulöse Mykobakterien (NTM):

  • Mycobacterium genavense; selten Verursacher von Lymphadenitis und dissiminierten Infektionen[11]
  • Mycobacterium immunogenicum; selten Verursacher von Hauterkrankungen[12]
  • Mycobacterium conspicuum; selten Verursacher von schweren dissiminierten Infektionen
  • Mycobacterium mucogenicum; selten Verursacher von schweren dissiminierten Infektionen
  • Mycobacterium ulcerans; Erreger des Buruli-Ulkus
  • Mycobacterium xenopi Schwabacher 1959
  • Mycobacterium shottsii Rhodes et al. 2003
  • Mycobacterium avium-Komplex
  • Mycobacterium smegmatis (Trevisan 1889) Lehmann & Neumann 1899
  • Mycobacterium kansasii Hauduroy 1955
  • Mycobacterium terrae-Komplex: Die Arten dieses Komplexes gehören zu der Gruppe III (langsam wachsend, unpigmentiert) und werden mit Lungenerkrankungen in Verbindung gebracht.[9]
    • Mycobacterium nonchromogenicum Tsukamura 1965
    • Mycobacterium terrae Wayne 1966
    • Mycobacterium triviale Kubica 1970

Folgende Arten gelten als apathogen, d. h. bis jetzt wurden sie noch nicht mit Krankheiten des Menschen in Verbindung gebracht. Alle hier aufgelisteten Arten zählen zu den schnellwachsenden Mykobakterien (Gruppe IV):[9]

  • Mycobacterium brumae Luquin et al. 1993
  • Mycobacterium chitae Tsukamura 1967
  • Mycobacterium confluentis Kirschner et al. 1992
  • Mycobacterium fallax Lévy-Frébault et al. 1983
  • Mycobacterium moriokaense Tsukamura et al. 1986

Mykobakterien als Krankheitserreger

Einige der normalerweise freilebenden Bakterien können unter Umständen bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem Krankheiten verursachen (pathogene nichttuberkulöse Mykobakterien). Einige sind auch gefährliche Krankheitserreger bei Tieren und können in der Tierhaltung bzw. Landwirtschaft große Probleme verursachen.

Viele der um die 100 beschriebenen Arten sind für Menschen apathogen oder nur sehr selten krankheitserregend. Andere sind fakultativ pathogen, sie sind nur unter bestimmten Umständen, zum Beispiel bei geschwächtem Immunsystem, für den Menschen gefährlich. Keine der pathogenen Arten (außer M. tuberculosis) wird von Mensch zu Mensch übertragen. Viele Arten kommen in Böden vor und sind saprophytisch. Zu den nur sehr selten krankheitserregenden Mykobakterien zählen zum Beispiel Mycobacterium triviale, M. gordonae und M. nonchromogenicum.

In der Landwirtschaft beziehungsweise Tierhaltung hat Mycobacterium bovis die größte wirtschaftliche Bedeutung unter den Mykobakterien. Weitere in der Landwirtschaft wichtige Arten sind Mycobacterium avium, M. paratuberculosis (bzw. Mycobacterium avium subsp. paratuberculosis) und auch Mycobacterium tuberculosis. Mycobacterium avium kann die Geflügeltuberkulose bei Puten, Hühner, Tauben und anderen Vögeln auslösen, selten tritt das Bakterium auch bei Schweinen, Pferden und Rindern auf. Auch M. tuberculosis kann bei Hunden, Katzen, Schweinen und Rindern Tuberkulose auslösen. M. paratuberculosis, jetzt als Unterart von Mycobacterium avium geführt, ist der Erreger der Paratuberkulose (Johnsche Krankheit) der Rinder. Für den Menschen ist M. paratuberculosis ungefährlich, während M. avium und M. intracellulare auch pathogen für den Menschen sein können und beispielsweise Lungenkrankheiten verursachen. Mycobacterium avium und Mycobacterium avium ssp. paratuberculosis bilden mit M. intracellulare den „Mycobacterium avium complex“ (MAC).

Zelluläre Infektionswege

Derzeit kennt man zwei Wege wie Mykobakterien Zellen infizieren können: Die lytische und die nicht-lytische Infektion von Zellen.

Bei der lytischen Infektion werden die Bakterien von Phagozyten in die Endosomen aufgenommen, um dort zu überdaueren oder sich zu vermehren. In letzterem Fall gelangen sie ins Zytosol und induzieren die Lyse der Wirtszellen, die hierbei zugrunde geht. Die freigesetzten Mykobakterien können anschließend weitere Zellen infizieren.

Neben dem bekannten Ablauf der lytischen Infektion wurde 2009 bei M. tuberculosis und M. marinum ein weiterer Infektionsweg, die nicht-lytische Infektion oder nicht-lytische Ausschleusung entdeckt.[13] Hierbei werden sogenannte Ejektosomen benutzt, mit Aktinfilamenten angereicherte Regionen der Membran: Durch diese Filamentkomplexe können die Bakterien die Wirtszelle verlassen, ohne dass ein für diese tödliches Leck in der Membran entsteht.

Beim lytischen Infektionsweg werden die Bakterien freigesetzt und können so mit Antibiotika erfolgreich bekämpft werden. Dagegen liegt die medizinische Bedeutung der nicht-lytischen Infektion darin, dass die Bakterien sich im Gewebe von Zelle zu Zelle verbreiten können, ohne dabei von den derzeit verfügbaren Arzneistoffen behelligt zu werden.

Mycobacterium tuberculosis-Komplex

Mycobacterium tuberculosis
kontrastierter Schnitt, transmissionsmikroskopisch

Zu dem aufgrund von rRNA-Analysen erstellten Mycobacterium tuberculosis (Mtu)-Komplex zählen Mycobacterium tuberculosis, M. africanum, M. bovis, M. microti und M. canettii. In den letzten Jahren wurden weiterhin die Arten M. caprae (früher als die Unterart Mycobacterium tuberculosis subsp. caprae geführt) und M. pinnipedii zu dieser Gruppe gestellt.[14] Auch der von M. bovis erzeugte Impfstamm Bacillus Calmette-Guérin (BCG) zählt zu dem Komplex.

Aufgrund der Untersuchung von VNTRs wird angenommen, dass sich die Stämme des Mtu-Komplexes frühestens vor etwa 40000 Jahren aus dem Urahn des Mtu-Komplexes entwickelt haben und mit dem Menschen in die unterschiedlichen Regionen verteilt wurden. Weiterhin ist daraus zu schließen, dass sich die die Tiere infizierenden Stämme aus Stämmen entwickelt haben, die den Menschen infizierten, die Übertragung also vom Menschen ausging.[14][15]

Pathogenität der Arten des Mycobacterium tuberculosis-Komplex

Die Übertragung von Mycobacterium tuberculosis erfolgt durch Tröpfcheninfektion. Mycobacterium tuberculosis kann auch von Menschen auf Tiere übertragen werden. Beim Menschen sind neben den von Mycobacteriumn tuberculosis verursachten Erkrankungen nur die von M. bovis und M. africanum verursachten von nennenswerter Häufigkeit, die anderen Vertreter des Mycobacterium tuberculosis-Komplexes lösen nur sehr selten Tuberkulosen beim Menschen aus.[16]

Der Mensch ist bei dem Komplex nur für Mycobacterium tuberculosis, M. africanum und M. canettii der primäre Hauptwirt.[17] Die anderen Bakterienarten des Komplexes sind primär für Tiere pathogen, können aber auch auf den Menschen übertragen werden und, vor allem wenn eine Immunschwäche vorliegt, humanpathogen wirken und eine Tuberkulose auslösen. Bei diesen Infektionen handelt es sich also um Zoonosen, auch eine sekundäre Übertragung von Menschen zu Tieren ist möglich. Mycobacterium africanum ist ein in Afrika häufig auftretender Tuberkuloseerreger, eventuell ist diese Art jedoch eine Variante von Mycobacterium tuberculosis. Mycobacterium bovis ist ein bei Rindern auftretender Parasit und Erreger der Rindertuberkulose, die aber auf Menschen übertragen werden kann, z. B. durch Aufnahme von nicht pasteurisierter Milch. Mycobacterium microti ist der Verursacher der Tuberkulose bei Wühlmäusen und kann von hier aus auf den Menschen als Tuberkuloseerreger übertragen werden. Mycobacterium pinnepedii ist pathogen für Robben (Robbentuberkulose) und Mycobacterium caprae für Ziegen, eine Übertragung auf den Menschen ist selten.[17]

Nichttuberkulöse Mykobakterien

Die nichttuberkulösen Mykobakterien (NTM) wirken nur selten (meist bei Menschen mit stark geschwächtem Immunsystem) krankheitserregend, sie gelten als fakultativ pathogen. Von einigen wurden bis jetzt noch keine durch sie ausgelöste Erkrankungen nachgewiesen, sie gelten als apathogen.

Den nichttuberkulösen Mykobakterien wurde erst lange Zeit nach der Beschreibung von Mycobacterium tuberculosis und M. leprae in der Medizin Beachtung geschenkt. Vor allem das in den letzten Jahren stark vermehrte Auftreten der Immunschwächekrankheit AIDS führte zu einer Häufung der durch nichttuberkulöse Mykobakterien verursachten Erkrankungen. Bei Infektionen erzeugen diese Arten zum größten Teil nicht-tuberkulöse Lungenentzündungen, Hauterkrankungen (z. B. Buruli-Ulkus durch die in den Tropen und Australien auftretende Art M. ulcerans) und Befall der Lymphknoten.

Weitere Bezeichnungen für diese Gruppe sind u. a. Mycobacteria other than tuberculosis (MOTT) und „atypische Mykobakterien“. Da sie frei in der Umwelt vorkommen, werden sie auch als „Potentiell pathogene Umwelt (environmental) -Mykobakterien“ (PPUM bzw. PPEM) bezeichnet.

Pathogene nichttuberkulöse Mykobakterien

Eine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch ist in der Regel nicht möglich. Die Infektion erfolgt meist über infizierte Materialien oder aerogen (Tröpfcheninfektion). Die nichttuberkulösen Mykobakterien sind oft unempfindlich gegen Medikamente, mit denen man die Tuberkulose behandelt (Antituberkulotika) und weisen generell eine hohe Resistenz gegenüber Fremdeinflüssen auf.

Einige pathogene Arten der Gruppe I: Mycobacterium kansasii kann nicht-tuberkulöse Lungenkrankheiten hervorrufen, Humaninfektionen von Mycobacterium marinum können z. B. in Schwimmbädern erfolgen und verursachen Granulome (Schwimmbadgranulome). Zu den pathogenen Arten der Gruppe II zählt Mycobacterium scrofulaceum, der weltweit verbreitete Erreger der Lymphadenitis.

Arten der Gruppe III sind Mycobacterium malmoense (kann Erkrankungen der Lunge hervorrufen), Mycobacterium avium (Auslöser der Geflügeltuberkulose bei Hühnern, Puten, Tauben und anderen Vögeln, selten infiziert es auch Schweine, Rinder oder Pferde). Bei Menschen kann es Lungenerkrankungen und (bei Kindern) Lymphadenitis auslösen. Mycobacterium avium ist das am häufigsten auftretende pathogene Mykobakterium bei AIDS-Patienten und wird zusammen mit Mycobacterium intracellulare, dem aufgrund von genetischen Untersuchungen begründeten Mycobacterium avium-Komplex (MAC) zugeordnet. Bei dem Mycobacterium avium-intracellulare-scrofulaceum-Komplex (MAIS) wird zusätzlich die Art Mycobacterium scrofulaceum hinzugestellt. M. ulcerans ruft das Buruli-Ulkus aus, eine in den Tropen auftretende Hautkrankheit.

Pathogene Arten der Gruppe IV sind Mycobacterium chelonae, das Haut- oder Weichteilerkrankungen, Abszesse und auch Knochen- oder Gelenkerkrankungen hervorruft. Wie Mycobacterium fortuitum, ebenfalls zu der Gruppe IV zählend, besitzt es eine hohe Resistenz gegen Desinfektionslösungen und ist somit eine mögliche Infektionsgefahr in der Klinik beim Einsatz von Implantaten.

Literatur

  • Marianne Abele-Horn: Antimikrobielle Therapie. Entscheidungshilfen zur Behandlung und Prophylaxe von Infektionskrankheiten. Unter Mitarbeit von Werner Heinz, Hartwig Klinker, Johann Schurz und August Stich, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Peter Wiehl, Marburg 2009, ISBN 978-3-927219-14-4, S. 238–251.
  • Karl Bernhard Lehmann, Rudolf Otto Neumann: Atlas und Grundriss der Bakteriologie und Lehrbuch der speciellen bakteriologischen Diagnostik. Lehmann, München 1896.
  • R. Schulze-Roebbecke: Mykobakterien in der Umwelt. In: Immunität und Infektion. Band 21, Heft 5, 1993
  • Martin Dworkin, Stanley Falkow, Eugene Rosenberg, Karl-Heinz Schleifer, Erko Stackebrandt (Hrsg.): The Prokaryotes, 3. Auflage, Bd. 3: Archaea. Bacteria: Firmicutes, Actinomycetes. Springer Verlag, New York 2006, ISBN 978-0-387-25493-7 (Print), ISBN 978-0-387-30743-5 (Online)
  • Juan Carlos Palomino, Sylvia Cardoso Leão, Viviana Ritacco: Tuberculosis 2007. Online
  • D. Schlossberg: Tuberculosis & Nontuberculous Mycobacterial Infections. 5. Auflage, McGraw-Hill Publishing Company, 2006, ISBN 0-07-143913-7
  • Hett EC, Rubin EJ: Bacterial growth and cell division: a mycobacterial perspective. In: Microbiol. Mol. Biol. Rev. 72. Jahrgang, Nr. 1, März 2008, S. 126–56, table of contents, doi:10.1128/MMBR.00028-07, PMID 18322037, PMC 2268284 (freier Volltext).
Commons: Mykobakterien (Mycobacterium) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikispecies: Mykobakterien – Artenverzeichnis

Einzelnachweise

  1. Brennan PJ, Nikaido H: The envelope of mycobacteria. In: Annu. Rev. Biochem. 64. Jahrgang, 1995, S. 29–63, doi:10.1146/annurev.bi.64.070195.000333, PMID 7574484.
  2. Michael Rolle, Anton Mayr (Hrsg.): Medizinische Mikrobiologie, Infektions- und Seuchenlehre. 7. Auflage. Enke Verlag, Stuttgart 1993, ISBN 3-432-84686-X
  3. P. J. Brennan: Mycobacterium and other actinomycetes. In: C. Ratledge, S. G. Wilkinson (Hrsg.): Microbial Lipids. Academic Press, London 1988, Bd. 1, S. 203–298.
  4. Sybe Hartmans, Jan de Bont, Erko Stackebrandt: The Genus Mycobacterium—Nonmedical In: The Prokaryotes, A Handbook of the Biology of Bacteria. 7 Bände, 3. Auflage, Springer-Verlag, New York u. a. O. 2006, Band 3: Archaea. Bacteria: Firmicutes, Actinomycetes. ISBN 0-387-25493-5
  5. Jessup Shively: Inclusions in Prokaryotes. Springer-Verlag, 2006, ISBN 978-3-540-26205-3.
  6. J. Tian, R. Bryk, M. Itoh, M. Suematsu, C. Nathan: Variant tricarboxylic acid cycle in Mycobacterium tuberculosis: identification of alpha-ketoglutarate decarboxylase. In: Proc. Natl. Acad. Sci. USA. 102. Jahrgang, Nr. 30, Juli 2005, S. 10670–5, doi:10.1073/pnas.0501605102, PMID 16027371, PMC 1180764 (freier Volltext).
  7. R. Schulze-Roebbecke (1993)
  8. F. Mba Medie, I. Ben Salah u. a.: Mycobacterium tuberculosis complex mycobacteria as amoeba-resistant organisms. In: PLOS ONE. Band 6, Nummer 6, 2011, S. e20499. doi:10.1371/journal.pone.0020499. PMID 21673985. PMC 3108610 (freier Volltext).
  9. D. Schlossberg (2006)
  10. Alexander KA, Laver PN, Michel AL, et al.: Novel Mycobacterium tuberculosis complex pathogen, M. mungi. In: Emerging Infect. Dis. 16. Jahrgang, Nr. 8, August 2010, S. 1296–9, PMID 20678329.
  11. Marianne Abele-Horn (2009), S. 246.
  12. Marianne Abele-Horn (2009), S. 246.
  13. Hagedorn, M. et al.: Infection by tubercular mycobacteria is spread by nonlytic ejection from their amoeba hosts. In: Science. 323. Jahrgang, Nr. 5922, 2009, S. 1729–1733, PMID 19325115.
  14. Mario C. Raviglione (Hrsg.): Reichman and Hershfield’s tuberculosis: A comprehensive, international approach, Part B, Informa Healthcare, New York [u. a.] 2006, ISBN 0-8493-9271-3
  15. Wirth T, Hildebrand F, Allix-Béguec C, et al.: Origin, spread and demography of the Mycobacterium tuberculosis complex. In: PLoS Pathog. 4. Jahrgang, Nr. 9, 2008, S. e1000160, doi:10.1371/journal.ppat.1000160, PMID 18802459, PMC 2528947 (freier Volltext) (plospathogens.org).
  16. B. C. de Jong, M. Antonio, S. Gagneux: Mycobacterium africanum–review of an important cause of human tuberculosis in West Africa. In: PLoS neglected tropical diseases. Band 4, Nummer 9, 2010, S. e744, doi:10.1371/journal.pntd.0000744. PMID 20927191. PMC 2946903 (freier Volltext). (Review).
  17. Juan Carlos Palomino, Sylvia Cardoso Leão, Viviana Ritacco: Tuberculosis 2007. 2007, archiviert vom Original am 17. Juli 2011; abgerufen am 6. November 2022 (englisch).
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.