Mutschel
Die Mutschel ist ein aus Reutlingen stammendes, traditionelles sternförmiges Gebäck aus einem mürben Hefeteig mit acht Zacken. Das Gebäck und den dazugehörigen Mutscheltag gibt es wahrscheinlich seit dem 13. Jahrhundert.[1][2][3] Mutscheln gibt es in verschiedenen Größen, selten werden auch süße Mutscheln (zum Beispiel mit Zuckerguss) gemacht.
Wortherkunft
Mutschel ist als mittelhochdeutsches Wort mütschelîn nachgewiesen, es wurde damals besonders in Straßburg gebraucht.[4] Mutsche bzw. das Diminutiv Mutschel bezeichnete einen missratenen Brotlaib oder ein Laibchen Brot aus Teigresten. Ein Bäcker, der oft misslungene Brote buk, wurde „Mutschelbek“ geheißen,[5] während Mutschelmehl Mehl aus geriebenen Mutscheln (Weckmehl) bezeichnete.[6][7][8] Auch das schweizerische Mutschli (berndeutsch Mütschli) leitet sich vom mittelhochdeutschen mütschelîn ab.[9] Die Berner Bäckerordnung aus dem Jahr 1771 schrieb genau vor wie viel „ein Kreutzer werthes Mütschli wohl ausgebacken wiegen“ soll.[10]
Geschichte und Tradition
1807 veröffentlichte ein Reutlinger Verlag im Kochbuch „Die gelehrige Hauswirthin“ bereits Rezepte von süßen Mutscheln.[11]
1840 wird in der Schrift „Historische Denkwürdigkeiten der ehemaligen freien Reichsstadt Reutlingen“ berichtet, dass Mutscheln (sternförmiges Butterbackwerk) an die Kinder der Zünftler verteilt wurden, und dass dies eine uralte Sitte an den Reutlinger Zunfttagen war.[12]
Über den Ursprung der Reutlinger Mutschel-Form gibt es die Legende, der Reutlinger Bäcker Albrecht Mutschler habe das Gebäck im 14. Jahrhundert erfunden. Laut dem Reutlinger Heimatbuch (Ausgabe 1954, S. 37) wurde 1435 ein Bäcker, den man nennt Mutschler, erwähnt. Andere Vermutungen deuten auf eine Nachbildung des „Stern der drei Weisen“ hin.[13]
Auch verschiedene Spiele rund um die Mutschel waren früher bekannt. „Mueter het gsait, ich söll dir e Mütschele geben!“ – mit diesem Spruch fasste man jemand von hinten an den Schultern und versetzte ihm mit dem Knie einen Stoß in den Hintern.[5]
Früher fand am Mutscheltag (der erste Donnerstag nach dem Dreikönigstag) ein Preisschießen statt, bei dem die besten Schützen Mutscheln gewannen. (Laut Reutlinger Heimatbuch, Ausgabe 1954, S. 234). Ferner wurde um Mutscheln und Lebkuchen gewürfelt. Diese Bräuche in Reutlingen sollen bis in reichsstädtische Zeiten zurückgehen und volle drei Tage gedauert haben. Männer, ob ledig oder verheiratet, hatten an den Mutscheltagen „privilegirte Narrenfreiheit“.[14][15]
Heute wird um die Mutscheln gewürfelt, was auch als Mutscheln bezeichnet wird. Die bekanntesten Mutschel-Würfelspiele sind:
- Große und kleine Hausnummer
- Nackets Luisle
- Langer Entenschiss
- Der Wächter bläst vom Turme
- Sieben frisst.
Auch wenn viele am Mutschelabend Mäxle spielen, ist es streng genommen kein klassisches Mutschelspiel.
In der Nachbargemeinde Pfullingen gibt es einen ähnlichen Brauch mit dem Unterschied, dass das Gebäck hier Stern genannt wird und nur sieben Zacken besitzt. Das Sternwürfeln findet hier traditionell am Tag vor dem Dreikönigstag, also am 5. Januar, statt.
Weblinks
Einzelnachweise
- Theophil Rupp: Aus der Vorzeit Reutlingens und seiner Umgegend. Mäcken, 1869 (google.de [abgerufen am 15. Februar 2018]).
- Mauer - Pflugbrot. Walter de Gruyter, 1974, ISBN 978-3-11-084010-0 (google.de [abgerufen am 18. Februar 2018]).
- Südwest Presse Online-Dienste GmbH: Mutscheltag Reutlingen: Alle Infos rund um den Reutlinger „Nationalfeiertag“. 8. Januar 2020, abgerufen am 6. Januar 2021.
- Mittelhochdeutsches Wörterbuch von Benecke, Müller, Zarncke. Abgerufen am 15. Februar 2018.
- Ernst Martin, Hans Lienhart: Wörterbuch der elsässischen Mundarten. Walter de Gruyter, 1974, ISBN 978-3-11-088781-5 (google.de [abgerufen am 15. Februar 2018]).
- Joachim Heinrich Campe: Wörterbuch der deutschen sprache. Schulbuchhandlung, 1809 (google.de [abgerufen am 15. Februar 2018]).
- Haushaltungs-Zeitung oder Tagebuch vom Feldbau, von der Haushaltung und von einigen Hülfs-Mitteln für die Landleute … 1781 (google.de [abgerufen am 15. Februar 2018]).
- Wörterbuchnetz - Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Abgerufen am 18. Februar 2018.
- Schweizerisches Idiotikon digital. Abgerufen am 18. Februar 2018.
- Sammlung auserlesener teutschen Landesgesetze welche das Policey- und Cameralwesen zum Gegenstände haben. Andreäische Buchhandlung, 1792, S. 317 (google.de [abgerufen am 20. Februar 2018]).
- Die gelehrige Hauswirthin: Ein Handbuch für Frauenzimmer, welches die ganze Kochkunst … umfaßt. Mit einem Anhang von Kochen, Fleiß, Sparsamkeit, Ordnung, Tranchieren und Vorlegen. Grözinger, 1807 (google.de [abgerufen am 15. Februar 2018]).
- F. G. Gayler: Historische Denkwürdigkeiten der ehemaligen freien Reichsstadt izt Königlich Würtembergischen Kreisstadt Reutlingen. Vom Ursprung an bis zu Ende der Reformation 1577. B.G. Kurtz, 1840, S. 566 (google.de [abgerufen am 21. Februar 2018]).
- Argovia. 1881, S. 43 (google.de [abgerufen am 21. Februar 2018]).
- Johann Philipp Glökler: Land und leute Württembergs in geographischen bildern dargestellt. Expedition der Württ. Volksbibliothek, 1858 (google.de [abgerufen am 20. Februar 2018]).
- Reutlinger Mutscheltag | Stadt Reutlingen. Abgerufen am 18. Februar 2018.