Musth
Als Musth wird die ab der „Pubertät“ der Elefantenbullen ungefähr einmal im Jahr vorkommende und hauptsächliche Phase der Fortpflanzung bezeichnet. Sie ist nicht jahreszeitlich gebunden und tritt bei den verschiedenen Individuen zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf. Ausgelöst wird die Musth durch einen Testosteron-Schub, ihre Dauer kann mehrere Monate in Anspruch nehmen. Verbunden ist diese Phase mit einer erhöhten Aggressivität, die sich mitunter auch gegen andere Lebewesen und bei Tieren in Gefangenschaft auch gegen Menschen richten kann.
Merkmale und Auswirkungen
Elefantenbullen erreichen etwa im gleichen Alter wie Menschen die Pubertät, die bis Ende des zweiten Lebensjahrzehnts andauern kann. Das periodische Intervall der Musth, ihre Intensität und ihre Dauer können von Elefantenbulle zu Elefantenbulle stark variieren. Die Dauer reicht von wenigen Wochen bis zu mehreren, im Extremfall bis zu neun Monaten. Zumeist währt sie bei Individuen in der ersten Musth deutlich kürzer, bei älteren Tieren beläuft sich der Durchschnitt auf zwei bis drei Monate.[1] Manche Bullen kommen einmal im Jahr in die Musth, andere häufiger.[2] Dabei gibt es keine bevorzugte Jahreszeit, so dass Musth-Bullen ganzjährig auftreten können. Dies ist ein deutlicher Unterschied zur Brunft verschiedener Huftiere, die teils saisonal gebunden ist und somit innerhalb einer Population synchronisiert einhergeht.[1][3]
Häufig verläuft die Musth in zwei Phasen, was gut an gezähmten Asiatischen Elefanten studiert wurde. In der ersten Phase vergrößern sich die Temporaldrüsen kontinuierlich und die Tiere sind schnell reizbar. Teilweise kommt es zur Erektion des Penis. Nach rund einem Monat setzt die zweite Phase ein, in der der Sekretfluss aus der Temporaldrüse ansteigt und die Aggressivität ihren Höhepunkt erreicht. Diese richtet sich dann nicht nur gegen andere Geschlechtsgenossen, sondern auch gegen Objekte verschiedenster Natur. Häufig verbunden ist die zweite Phase mit einem teils beständigen Urintröpfeln. Dabei verströmt der Urin einen stechenden Geruch, der durch eine chemische Änderung der Zusammensetzung, unter anderem die Zunahme von Cyclohexanon, bedingt ist.[1][4] Ein weiteres markantes Kennzeichen der Musth ist der Anstieg des Testosterongehaltes, was auch die aggressive Haltung verursacht. Beim Asiatischen Elefanten erhöht sich der Spiegel von 0,2 bis 1,4 ng/ml Blut in der Vor-Musth-Phase auf 30 bis über 65 ng/ml in der Musthzeit.[5] Die Werte für den Afrikanischen Elefanten betragen dementsprechend 0,1 bis 2 ng/ml beziehungsweise 20 bis 50 und im Extremfall über 100 ng/ml.[6] Sowohl der Urin als auch die Drüsensekrete wirken somit als olfaktorischer Signalgeber für die Musth nicht nur gegenüber Geschlechtsgenossen, sondern auch gegenüber weiblichen Tieren. Als Botenstoffe fungieren hierbei verschiedene Pheromone wie unter anderem Frontalin, das über die Temporaldrüse der Bullen ausströmt und einen starken Paarungsreiz bei brünftigen Kühen bewirkt. Gleichzeitig sind Bullen auch empfänglich für bestimmte chemische Reize, da beispielsweise Looplure, abgegeben von paarungswilligen Kühen, bei ihnen ein Flehmen hervorruft.[7][8][9][10][11][12] Häufig reduzieren Elefantenbullen während der Musth die Nahrungsaufnahme.[2]
Bullen in der Musth können eine bestehende Rangordnung durchbrechen, selbst jüngere Individuen setzen sich dann teils gegenüber anderen Bullen größerer Statur und höheren Alters durch. Dies konnte unter anderem durch Untersuchungen im Kruger-Nationalpark in Südafrika im Jahr 1987 aufgezeigt werden. Da Bullen während der Musth zur Partnersuche auf Wanderung gehen und so paarungswillige Kühe außerhalb ihres angestammten Gebietes suchen, dient diese Phase auch der Verbreitung der Gene und beugt Inzucht vor.[3] Nur selten vermögen große Bullen außerhalb der Musth sich gewisse Zeit gegenüber Musth-Bullen durchzusetzen, eine wissenschaftlich gut dokumentierte Ausnahme stellte beispielsweise der Elefantenbulle „Creg“ im Etosha-Nationalpark in Namibia dar.[13] Mitunter zeigen Jungbullen in ihrer ersten Musth eine extreme Aggression gegen andere größere Säugetiere, wie etwa zwischen den Jahren 1991 und 2001 im Hluhluwe-iMfolozi-Park oder im Pilanesberg-Nationalpark, beide in Südafrika, dokumentiert. Hier töteten Elefanten-Jungbullen dutzende Breit- und Spitzmaulnashörner. In beiden Fällen handelte es sich um eingeführte Elefanten, in deren sozialer Umgebung ältere und ranghöhere Bullen fehlten.[14][15] Ihre Anwesenheit kann somit die Intensität und Dauer der Musth bei rangniederen Tieren dämpfen und kontrollieren.[16][17]
Forschungsgeschichte
Während die Musth beim Asiatischen Elefanten schon seit langer Zeit bekannt war, blieb bis weit in das 20. Jahrhundert ungeklärt, ob sie auch beim Afrikanischen Elefanten auftritt. Hier wurde der Begriff Musth anfänglich nur für das Phänomen der Drüsensekretion gebraucht, die aber nicht nur bei Bullen, sondern auch bei Kühen und Jungtieren auftreten kann. Erst durch Forschungsarbeiten im Amboseli-Nationalpark in Kenia und im Addo-Elefanten-Nationalpark in Südafrika seit Mitte der 1970er Jahre konnte bestätigt werden, dass die Musth in ihrer vollen Ausprägung auch für den Afrikanischen Elefanten charakteristisch ist.[18][19] Im Folgenden wurde die biochemische Funktionsweise der Musth maßgeblich durch L. Elizabeth L. Rasmussen erforscht,[7][8][10][9] ethologischen Aspekten widmeten sich unter anderem Julie A. Hollister-Smith und Susan C. Alberts.[4]
Als äußerlich sichtbarer Indikator für die Musth kann die Temporaldrüse angesehen werden, die nur bei Elefanten existiert. Anhand von Eismumien des Wollhaarmammuts aus dem Permafrostgebiet Sibiriens ist diese Drüsenbildung ebenfalls belegt, so dass höchstwahrscheinlich auch männliche Mammute die Musth durchliefen.[20] Als zusätzliche Hinweise gelten in den Wachstumsringen der Stoßzähne gespeicherte und zyklisch ansteigende Werte des Testosterongehalts, wie es bei rezenten Elefanten und an einem Exemplar des Wollhaarmammuts von der Wrangelinsel dokumentiert wurde.[21] Für Rüsseltiere ohne derartige Erhaltungsbedingungen ist das schwieriger zu beurteilen. Hier deuten aber jährlich auftretende Wachstumsanomalien an den Stoßzähnen bei einzelnen Vertretern der Gomphotheriidae wie etwa Notiomastodon oder charakteristische, an Rivalenkämpfe erinnernde Verletzungen bei Angehörigen der Mammutidae, so bei Mammut, auf ein mögliches Auftreten der Musth hin.[22][23]
Etymologie
Das Wort leitet sich ab vom persischen مست (mast, gesprochen / /) und bedeutete eigentlich „unter Drogen“ oder „im Rausch“.
Im modernen indischen Sprachgebrauch bezeichnet man damit bei Menschen und anderen Lebewesen Freude, Spaß, Vergnügen oder die Zufriedenheit, wenn man etwas erreicht hat. In diesem Sinne findet man daher das Wort in der Popkultur oft in Liedtexten und im Namen einiger indischer Fernsehshows und Bollywood-Filme wie Masti (2004) und dem Kannada-Film Masti (2007).
Siehe auch
Literatur
- Caitlin E. O'Connell: Elephant Don: The Politics of a Pachyderm Posse. University of Chicago Press, 2015, S. 1–260, ISBN 978-0-226-38005-6.
Einzelnachweise
- M. R. Jainudeen, G. M. McKay und J. F. Eisenberg: Observations on musth in the domesticated Asiatic elephant (Elaphas maximus). Mammalia 36, 1972, S. 247–261.
- Tobias Dornbusch und Detlef Niebler: Das Phänomen „Musth“ bei zwei Elefantenbullen. Elefanten in Zoo und Circus 30, 2017, S. 76–77.
- A. J. Hall-Martin: Role of musth in the reproductive strategy of the African elephant (Loxodonta africana). South African Journal of Science 83, 1987, S. 616–620 (online).
- Julie A. Hollister-Smith, Susan C. Alberts und L. E. L. Rasmussen: Do male African elephants, Loxodonta africana, signal musth via urine dribbling? Animal Behaviour 76, 2008, S. 1829–1841.
- M. R. Jainudeen, C. B. Katongole und R. V. Short: Plasma testosterone levels in relation to musth and sexual activity in the male Asian elephant (Elaphas maximus). Journal of Reproduction and Fertility 29, 1972, S. 99–103.
- L. E. L. Rasmussen, Anthony J. Hall-Martin und David L. Hess: Chemical profiles of male African elephants, Loxodonta africana: Physiological and ecological implications. Journal of Mammalogy 77 (2), 1996, S. 422–439.
- L. E. L. Rasmussen, M. J. Schmidt, R. Henneous, D. Groves und G. D. Daves Jr.: Asian bull elephants: flehmen-like responses to extractable components in female elephant estrous urine. Science 217, 1982, S. 159–162.
- L. E. L. Rasmussen, Terry D. Lee, Wendell L. Roelofs, Aijun Zhang und G. Doyle Daves: Insect pheromone in elephants. Nature 379, 1996, S. 684.
- L. E. L. Rasmussen und D. R. Greenwood: Frontalin: a chemical message of musth in Asian elephants, Elephas maximus. Chemical Senses 28, 2003, S. 433–446.
- L. E. L. Rasmussen und B. A. Schulte: Chemical signals in the reproduction of Asian (Elephas maximus) and African (Loxodonta africana) elephants. Animal Reproduction Science 53, 1998, S. 19–34.
- Thomas E. Goodwin, Innocent H. Harelimana, Laura J. MacDonald, Daniel B. Mark, Aline Umuhire Juru, Qin Yin, James A. Engman, Randall A. Kopper, Cheryl F. Lichti, Samuel G. Mackintosh, James D. Shoemaker, Mark V. Sutherland, Alan J. Tackett und Bruce A. Schulte: The Role of Bacteria in Chemical Signals of Elephant Musth: Proximate Causes and Biochemical Pathways. Chemical Signals in Vertebrates 13, 2016, S. 63–85.
- Joyce H. Poole: Signals and assessment in African elephants. Animal Behaviour 58 (1), 1999, S. 185–193.
- National Geographic: Why Elephants Are As Ritualistic and Violent As the Mafia. (online)
- Rob Slotow und Gus van Dyk: Role of delinquent young 'orphan' male elephants in high mortality of white rhinoceros in Pilanesberg National Park, South Africa. Koedoe 44 (1), 2001, S. 84–94.
- Rob Slotow, Dave Balfour und Owen Howison: Killing of black and white rhinoceroses by African elephants in Hluhluwe-Umfolozi Park, South Africa. Pachyderm 31, 2001, S. 14–20 (online).
- Rob Slotow, Gus van Dyk, Joyce Poole, Bruce Page und Andre Klocke: Older bull elephants control young males. Nature 408, 2000, S. 425–426.
- Joyce Hatheway Poole: Musth and Male-Male Competition in the African Elephant. University of Cambridge, 1982, S. 95 (PDF; 35,8 MB).
- Joyce H. Poole und Cynthia J. Moss: Musth in the African elephant, Loxodonta africana. Nature 292, 1981, S. 830–831.
- A. J. Hall-Martin und L. A. van der Walt: Plasma testosterone levels in relation to musth in the male African elephant. Koedoe 27, 1984, S. 147–149.
- Jeheskel Shoshani: Understanding proboscidean evolution: a formidable task. Tree 13, 1998, S. 480–487.
- Michael D. Cherney, Daniel C. Fisher, Richard J. Auchus, Adam N. Rountrey, Perrin Selcer, Ethan A. Shirley, Scott G. Beld, Betnard Buigues, Dick Mol, Gennady G. Boeskorov, Sergey L. Vartanyan und Alexei N. Tikhonov: Testosterone histories from tusks reveal woolly mammoth musth episodes. Nature, 2023, doi:10.1038/s41586-023-06020-9.
- Joseph J. El Adli, Daniel C. Fisher, Michael D. Cherney, Rafael Labarca und Frédéric Lacombat: First analysis of life history and season of death of a South American gomphothere. Quaternary International 443, 2017, S. 180–188.
- Daniel C. Fisher: New ideas about old bones. American Paleontologist 16 (3), 2008, S. 18–22.
Weblinks
- Männliche Elefanten und ihre Hormone – Musth
- Musth and elephant Society (Memento vom 7. Mai 2008 im Internet Archive)