Mundharmonika
Die Mundharmonika ist ein Musikinstrument aus der Gruppe der Harmonikainstrumente mit Durchschlagzungen aus Metall in parallel angeordneten Luftkanälen. Die Luftkanäle werden direkt mit dem Mund angeblasen.
Mundharmonika | |
---|---|
englisch Harmonica (ugs.: Harp) italienisch Armonica a bocca französisch Harmonica spanisch la Armónica | |
Klassifikation | Aerophon Durchschlagzungeninstrument (Selbstklingendes Unterbrechungs-Aerophon mit durchschlagender Zunge) |
Tonumfang | meist drei Oktaven |
Klangbeispiel | |
Verwandte Instrumente | |
Musiker | |
Larry Adler, Norton Buffalo, Paul Butterfield, Carlos del Junco, Bob Dylan, Big Walter Horton, Howard Levy, Jason Ricci, Sonny Terry, Toots Thielemans, Little Walter, Sonny Boy Williamson II, Stevie Wonder Liste von Mundharmonikaspielern |
Eine besondere Stellung nimmt die Mundharmonika in der europäischen Volksmusik, im Blues (mit der Blues Harp) und in der Old-Time Music ein – in der klassischen Musik dagegen ist das Instrument nur eine Randerscheinung.
Die Mundharmonika ist im Vergleich zu den meisten anderen Musikinstrumenten klein, kostengünstig und weniger empfindlich.
Geschichte
Zur technischen Vorgeschichte siehe:
Erfindung der Mundharmonika
Aus der Geschichte der durchschlagenden Stimmzunge ergibt sich, dass Orgelbauer, Mechaniker oder Spieluhrenbauer wie Friedrich Kaufmann in Dresden oder andere vergleichbare Mechaniker zum Beispiel in Nürnberg, Paris, Wien und Prag um 1800 bereits die nötigen Kenntnisse und Voraussetzungen dafür hatten, um auch Aeolinen oder Mundharmonikas anzufertigen. Im Blickfeld standen jedoch die Maschinen und Orgeln, mit denen eine größere Aufmerksamkeit zu erreichen war. Daher besteht die Möglichkeit, dass erste einzelne Exemplare vor den 1820er-Jahren angefertigt wurden. Obwohl Beweise vollständig fehlen, könnte der fünfzehnjährige, in vielen Schriften als Erfinder dargestellte Christian Friedrich Ludwig Buschmann schon im Jahr 1820 ein ähnliches Instrument angefertigt haben – sehr wahrscheinlich ist dies aber nicht. Letztlich bleibt ungeklärt, wer als erster die Idee der Vermarktung als Nebenprodukt hatte oder ob mehrere an verschiedenen Orten ähnliche Produkte in Umlauf brachten, und es gibt aus heutiger Sicht keine Einzelperson, die als Erfinder der Mundharmonika bezeichnet werden kann. Vor allem scheint die Mundharmonika anfangs keine besondere Aufmerksamkeit erhalten zu haben, da aus der Anfangszeit keinerlei spezielle Patente für die Mundharmonika bekannt sind und die musikalischen Zeitungen im deutschsprachigen Raum aus der Zeit von 1800 bis 1824 auch keinerlei Hinweise auf das Instrument enthalten. Einzig von Auftritten mit der Mundharmonika wird mehrfach berichtet, wobei es sich dabei nicht um die heutige Mundharmonika handelt; gemeint ist die Maultrommel oder – wie die Maultrommel damals noch bezeichnet wurde – das Brummeisen. In Wien trat nach 1810 bis 1822 der prominente Chorleiter Franz Xaver Gebauer mit der Mundharmonika (Maultrommel) auf.[1][2]
Gesicherte Berichte
In den frühen 1820er Jahren tauchten Mundharmonikas erstmals auf und verbreiteten sich dann im deutschsprachigen Raum. 1823 erwarb Johann Georg Meisel auf der Braunschweiger Messe eine Mundharmonika. Für Wien ist der Verkauf von Mundharmonikas ab 1825 belegt.
Im Jahr 1825 erweiterte Anton Reinlein seine Befugnis und nannte sich dann „bürgerlicher Spieluhrenfabrikant und Mundharmonikaerzeuger“. 1826 baute Ignaz Hotz in Knittlingen Mundharmonikas nach. 1827 war die Mundharmonika bereits ein Modeartikel in Wien; hoch gerechnet wurden im Jahr 1827 500.000 Stück der „Ohrenquäler“ verkauft.[3] 1827 wurde das Instrument auch in Graslitz (Klingenthal) von Johann Georg Meisel gemeinsam mit Johann Langhammer nachgebaut. 1829 erhielt Johann Wilhelm Rudolph Glier vom physikalischen Verein in Frankfurt am Main eine Mundharmonika zum Geschenk und baute kurz darauf die Instrumente nach. Ein Privilegium (Patent) direkt für eine Mundharmonika ist nicht bekannt.[4] 1829 erhielt Jakob Kissling die erste Gewerbeberechtigung Wiens, in der direkt die Mundharmonika genannt wird. Im Jahr 1834 wurde in Wien die Mundharmonikafabrik von Fridrich Wilhelm Thie (1803–1869), der aus Rathenow stammte, gegründet, die bis 1922 bestand. Von zwei Mundharmonika-Machern wurde im Jahr 1836 in Nürnberg berichtet.[5]
Im Jahr 1830 erschien ein Buch mit dem Titel Systematische Darstellung der neuesten Fortschritte in den Gewerben; darin findet sich ein Hinweis, dass die Mundharmonika neuerlich in Württemberg erfunden wurde, ohne irgendeinen Beleg dafür anzuführen.[6] Im Jahr 1832 gründete im württembergischen Trossingen Christian Messner die erste Werkstätte, in der Mundharmonikas gefertigt wurden. Dies erfolgte, nachdem er im Jahr 1830 eine aus Wien mitgebrachte Mundharmonika nachgebaut hatte. Das Unternehmen wurde später von der Mathias Hohner AG übernommen.
Innerhalb kürzester Zeit erreichte der Instrumentenbau enorme Stückzahlen, und sie gilt heute als das meistgebaute Instrument.[7]
Im Jahr 1833 waren in Wien bereits sieben Mundharmonikamacher nachweisbar (Jakob Kissling, Wilhelm Schütz, Joseph Forstinger (Uhrmacher), Michal Harig, Johann Fell, Vincenz Fischer, Johann Klein (Klappenharmonikamacher)). 1856 gab es bereits 120 aufgelistete Mund- oder Handharmonikamacher in Wien.[8]
In Böhmen war 1839 ein Mundharmonika-Macher behördlich registriert.[9] Die beiden in Deutschland heute noch bestehenden Hersteller von Mundharmonikas begannen 1847 (C. A.Seydel, CASS, Klingenthal) und 1857 (Matthias Hohner, Trossingen) mit der Herstellung.
Im deutschen Sprachraum, wo sie als Tascheninstrument neben Ziehharmonika (Konzertina) und Okarina (Gänschen) sehr schnell Beliebtheit fand, hieß die Mundharmonika anfangs Mundharmonika chinesischer Art – in Abgrenzung zur Maultrommel (Brummeisen), die seinerzeit auch „Mundharmonika“ genannt wurde – oder volkssprachlich bildhaft bayer.-österr. Fotz(en)hobel (bairisch Fotzn ‚Mund, Maul, Gosche‘).[10][7]
Bestandteile
Die Grundbestandteile einer Harmonika sind der Kanzellenkörper, die Stimmplatten mit den Stimmzungen sowie die (Klang-)Deckel.
Kanzellenkörper
Der Kanzellenkörper ist zentraler Bestandteil des Instruments. Volkstümlich wird er auch „Kamm“ genannt aufgrund seiner Ähnlichkeit mit einem echten Kamm. Ursprünglich wurde er aus Holz gefertigt, heute aber häufig auch aus Kunststoff (ABS) oder Metall. Der Kanzellenkörper unterteilt das Instrument in Kanzellen. Das sind Luftkammern (Windkanäle), welche die Atemluft zu den Stimmzungen kanalisieren.
Stimmplatte und Stimmzungen
Die Stimmplatten werden oben und unten auf dem Kanzellenkörper befestigt und durch Deckel aus Blech verkleidet. Die Stimmzungen (Tonzungen) sind auf die Stimmplatten genietet, so dass sie frei durch die darunter liegenden Ausschnitte in den Stimmplatten – die Tonlöcher – hindurchschwingen können. Die Abmessungen lassen einen definierten Luftspalt zwischen Tonloch und -zunge frei. Die längeren Stimmzungen erzeugen die tieferen Töne. Damit die Zunge durch die Blasluft anschwingen kann, muss sie ein wenig nach oben gebogen sein. An jeder Kanzelle sind jeweils eine nach innen gerichtete Druck- und eine nach außen gerichtete Sogzunge angeordnet, die entsprechend durch Blasen oder Saugen angeregt werden. Die jeweils inaktive Tonzunge hat beim normalen Spielen keinen Einfluss auf die Klangentstehung und verbleibt in Ruhelage.
Für eine gleichmäßigere Verteilung der Biegespannung verjüngen sich die Querschnitte der Zungen zum freien Ende hin. Bei tiefen Tönen kann die Profilierung jedoch auch anders aussehen, wobei sich die dünnste Stelle nicht mehr am Zungenende befindet. Um die Kerbwirkung an der Einspannstelle der Zunge zu vermindern, soll der Querschnittsverlauf frei von Unstetigkeiten sein.
Typen
Durch die im 19. Jahrhundert auch in diatonischen Akkordeonen eingesetzte Richterstimmung eignen sich die diatonischen Mundharmonikas dazu, einfache Melodien gleichzeitig mit Begleitakkorden zu unterlegen; dafür sind nicht alle chromatischen Töne verfügbar. Die später entwickelten chromatischen Instrumente verfügen zwar über alle chromatischen Töne, erlauben aber in der Regel keine Begleitakkorde mehr.
Chromatische Mundharmonika
Chromatische Mundharmonikas erlauben es, über einen eingebauten Schieber alle Halbtöne der westlichen Musik abzudecken. Somit stehen ihnen alle Musikstile offen.
Kanzelle (Öffnung): | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Blastöne: | C | E | G | C | C | E | G | C | C | E | G | C |
Blastöne mit gedrücktem Schieber: | C# | F | G# | C# | C# | F | G# | C# | C# | F | G# | C# |
Ziehtöne: | D | F | A | H | D | F | A | H | D | F | A | H |
Ziehtöne mit gedrücktem Schieber: | D# | F# | A# | C | D# | F# | A# | C | D# | F# | A# | C |
Die Kanzellen 1–4 und 5–8 umfassen demnach bereits sowohl eine vollständige C-Dur-Tonleiter als auch bei gedrückt gehaltenem Tonschieber eine vollständige C#-Dur-Tonleiter, die enharmonisch verwechselt auch als Db-Dur-Tonleiter benannt werden kann. In einer Kanzelle befinden sich also vier durch Plastikventile abgedichtete Stimmzungen.
Die chromatische Mundharmonika wird zumeist – wie andere Blasinstrumente – eintönig gespielt. Die bei anderen Mundharmonika-Modellen oft praktizierte rhythmisierende Zungenschlagtechnik wird bei der chromatischen Mundharmonika aus harmonischen Gründen eher nicht angewendet.
Es gab auch eine chromatische Mundharmonika mit zwei Schiebern, die Hohner Chordomonica II, die auf einer Erfindung von Chamber Huang basiert. Sie soll in den 80er Jahren, nach anderen Angaben 60er Jahren, außer Produktion genommen worden sein.
Chromatische Mundharmonikas anderer Bauart ermöglichen das chromatische Spiel ohne Schieber (z. B. Tombo Violin Scale, Tombo Chromatic Single). Dazu tragen sie zwei Tonreihen übereinander, die um genau einen Halbton verschieden voneinander sind. Dadurch wird es möglich, die von einem Gestell gehaltene Mundharmonika chromatisch parallel zur Gitarre zu spielen. Für einen Halbton muss man lediglich kurz in die andere Lochreihe wechseln. Manche chromatische Schieber-Mundharmonikas können auch leicht zu schieberlosen umgebaut werden.
Diatonische Mundharmonika
Anders als bei der chromatischen Mundharmonika sind auf der diatonischen Mundharmonika ausschließlich solche Stimmzungen vorhanden, die leitereigene Töne der Tonart erzeugen, in der die Mundharmonika gestimmt ist. Eine diatonische C-Dur-Mundharmonika hat also nur die Töne C, D, E, F, G, A und H.
Richter-Mundharmonika
Eine diatonische Mundharmonika hat in Richter-Ausführung 10 Kanzellen (Blasöffnungen). Sie ist in der sogenannten „Richterstimmung“ gestimmt. Die Tonhöhen-Änderungen, die sich auf- oder abwärtslaufend ergeben, sind nicht chromatisch, also nicht in Halbtonschritten. Der Volksmusikant Joseph Richter aus Haida in Böhmen legte um 1825 die Tonanordnung fest, die sich in der zunächst ausschließlich diatonisch gestimmten Richterharp durchgesetzt und bis heute behauptet hat.[11]
Indem Richter im Bereich der tiefen Töne (linke Seite des Instrumentes) beim Blasen die Harmonie des Grunddreiklangs (Tonika) und beim Ziehen die Töne der Oberdominante zur rhythmischen Untermalung seiner im rechten Mundwinkel erzeugten Töne zur Gestaltung von Melodien nutzte, initiierte er neben anderen Spielern seiner Zeit eine nunmehr weltweit praktizierte Spieltechnik, die Zungenschlag-Spieltechnik.
Der Unterdominant-Dreiklang (die Subdominante) lässt sich auf der Mundharmonika nicht erzeugen, weswegen viele Mundharmonikaspieler gleichzeitig mehrere, nämlich in anderen Tonarten gestimmte Instrumente gleicher Bauweise in den Händen halten und je nach Erfordernis beim Musizieren abwechselnd an den Mund führen.
Dennoch lässt sich die diatonische Richterharmonika mit ihren zehn Tonkanälen unter Anwendung der Bending und Overbending-Spieltechniken vollchromatisch spielen, was jedoch vorher ein meist langwieriges Üben erfordert. Die metallenen Stimmzungen lassen sich nämlich durch bestimmte Technik durch Veränderung der Zungenstellung und des Mund-Rachenraums beim Ziehen bis zu drei Halbtonschritten (kleine Terz) sowohl herabziehen als auch durch Blasen bis zu einem ganzen Ton (Sekunde) herabdrücken.[12] Auch ein Hochbiegen des eingebauten Tones durch ein entsprechendes Ziehen (overdraw) und durch ein besonderes Blasen (overblow) kann in einem dann sehr anspruchsvoll vortragbaren Spiel realisiert werden. Das macht das Spiel und den dabei entstehenden Klang auf der auch Bluesharp genannten kleinen Mundharmonika für viele aktive sowie zuhörende Freunde dieses Genres besonders reizvoll.
Die Besonderheit des Spiels der typischen Blues-Skala liegt darin, dass man für einen Blues in G-Dur eine in C-Dur gestimmte Richter-Harmonika benutzen muss. Um die richtige Rock-, Blues- oder Country-Tonart zu finden, benutzt man eine Mundharmonika, die in der Tonart des Dominant-Akkords gestimmt ist.[13]
Kanalloch-Nummer: | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Blastöne: | c | e | g | c | e | g | c | e | g | c |
Ziehtöne: | d | g | h | d | f | a | h | d | f | a |
Die zu erzielenden Halbtonschritt-Töne sind hier zugunsten einer einfachen Übersicht nicht angegeben worden.
Tremoloharmonika
Das entscheidende Merkmal einer Tremolo-Mundharmonika (auch Wiener Stimmung genannt) ist, dass sie zwei Stimmzungen pro Ton besitzt, von denen eine wenig höher, die andere wenig tiefer intoniert ist als die Zielnote, was durch den Schwebungseffekt einen einzigartigen welligen oder trällernden Klang erzeugt. Die asiatische Version, die alle Noten umfasst, findet in der ostasiatischen Unterhaltungsmusik Verwendung.
Oktavmundharmonika
Oktavharmonikas (auch Knittlinger-Stimmung genannt) haben zwei Stimmzungen pro Blasloch, welche um genau eine Oktave verschoben intoniert sind. Viele sind von der Bauweise mit der einer Tremoloharmonika (wie oben beschrieben) identisch, basieren also auf dem „Wiener System“.
Sonderstimmung
Eine Sonderstimmung besitzt eine vom Standard abweichende Aufteilung der Töne. Dabei werden je nach Sonderstimmung verschiedene Ziele verfolgt. Eigentlich müsste es Sondertonarten heißen, da es sich nicht um die Aufteilung der Oktave in Töne handelt, sondern um die Anordnung der verschiedenen Töne. Allerdings hat sich die Bezeichnung Sonderstimmung im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt. Die Standard-Mundharmonika orientiert sich in ihrer Aufteilung nach den gebräuchlichen Dur-Tonarten, während bei Sonderstimmungen das Instrument oft in ethnischer Musik Verwendung finden soll, es bessere Bendingmöglichkeiten aufweisen muss, Spezialeffekte erzielt werden sollen u. v. m.
Weitere Typen
- Begleit-Mundharmonikas
- Akkord-Mundharmonika
- Bass-Mundharmonika
- Wender-Mundharmonika (besteht aus zwei Mundharmonikas, eine an der Vorderseite, die andere an der Rückseite)
- Kreuzwender (ist aus mehreren Mundharmonikas zusammengesetzt; seitlich betrachtet sieht er wie ein Kreuz aus, da er vier oder sechs Einzelinstrumente beinhaltet, und jedes Einzelinstrument besitzt eine andere Tonart)
Spieltechnik und Theorie
Einzeltonspiel
Um auf der Mundharmonika saubere, einzeln isolierte Töne zu spielen, werden im Wesentlichen zwei Spieltechniken angewandt. Beide Spieltechniken basieren auf der Gestaltung der Arbeit mit dem Mund und sind daher anfänglich gewöhnungsbedürftig.
Spitzmund-Technik
Die geläufigste Technik zum Erzeugen von Einzeltönen, ist das Spiel mit dem „gespitzten Pfeifmund“. Wie beim Pfeifen eines Liedes wird das Loch zwischen Ober- und Unterlippe so stark verkleinert, dass die Atemluft nur einen einzigen Tonkanal bedient. Der Name ist insofern irreführend, da er nahelegt, dass hierbei die Mundharmonika mit der Außenseite der Lippen gespielt wird. Damit ist jedoch keine gute Tonbildung möglich. Stattdessen wird die Mundharmonika mit der Innenseite der Lippen gespielt.
Spielen mit abgedeckter Zunge
Diese Spieltechnik wird auch als „Tongue-Blocking“ bezeichnet. Hierbei wird die Zunge auf das Mundstück gelegt und (je nach individueller Spielart und Mundgröße) mehrere Tonkanäle ständig abgedeckt, so dass im rechten Mundwinkel eine Kanzelle zur Erzeugung des Melodietones offen gelassen wird. Der Vorteil dieser Spielweise ist, dass dadurch fortgeschrittene Effekte erzeugt werden können.
Zungenschlag-Spieltechnik
Die Zungenschlagtechnik ist eine Variante des Spielens mit abgedeckter Zunge. Vereinfacht gesagt, hebt der Spieler dabei die auf dem Mundstück liegende Zunge je nach Taktform (3/4-, 4/4-Takt etc.) meist für die Dauer eines 1/4-Taktschlages ab, führt sie dann kurz wieder auf das Mundstück zurück, um dann diesen Vorgang vielfach bis zum Ende des Liedes zu wiederholen. Durch die Zungenschlagtechnik ist es dem Spieler möglich, gleichzeitig sowohl Melodie als auch Begleitung zu spielen.
Spielen von Akkorden
Die folgenden Beispiele sind auf eine Richter-Harmonika in C-Dur bezogen.
- Geblasene Akkorde
- Bläst man durch mindestens drei aneinanderliegende Kanzellen gleichzeitig, ertönt immer ein C-Dur-Akkord: C (C E G).
- Gezogene Akkorde
- Zieht man an Kanzelle 1–4 gleichzeitig, so ertönt der Dur-Akkord G (D G H (D))
- Zieht man an Kanzelle 3–5 gleichzeitig, so ertönt der verminderte Akkord H° (H D F)
- Zieht man an Kanzelle 4–6 gleichzeitig, so ertönt der Moll-Akkord dm (D F A).
Damit ermöglicht die Richterstimmung eingeschränkte Akkordbegleitung. Die oberen Kanzellen eignen sich wegen der Tonhöhe weniger zur Akkordbegleitung. Eine etwas anspruchsvollere Anwendung der Akkorde ist zum Beispiel, in einem Lied nach manchen Melodietönen den passenden Akkord anzuspielen und anschließend mit der Melodie fortzufahren.
Bending
Durch die Anordnung von einem Blaston und einem Ziehton pro Kanzelle kann durch Veränderung des Mundraumes beim Spielen die Tonhöhe abweichend von ihrer eigentlichen Stimmung verändert werden; z. B. kann dadurch beim Atem-Ziehen durch die Kanzelle auch die Blaston-Stimmzunge in Bewegung versetzt werden (Überziehen). Daraus ergibt sich eine Tonhöhenveränderung um mindestens einen Halbton.
Somit hat ein geschickter Mundharmonikaspieler auf seiner diatonischen Bluesharp mehr Töne zur Verfügung, die ohne diese Effekte (genannt: blas/zieh Bending und blas/zieh Overbend) in der Richter-Stimmung nicht zur Verfügung ständen.
Das Bending (englisch für „biegen“) ist eine besonders bei Blues-Musikern verbreitete Spielweise, da nicht nur mit den von der Tonleiter zu Verfügung stehenden Tönen (chromatisch) gespielt werden kann, sondern ein gleitender Ton-zu-Ton-Übergang und das Spielen mit Bluenotes und anderen speziellen Leittönen, wie es beim Blues üblich ist, möglich wird.
Blas-/Zieh-Bending
Das Blas- und Zieh-Bending wird durch die Beeinflussung des Luftstroms erzeugt, nur die Luftrichtung unterscheidet sich. Durch Heben des hinteren Teils der Zunge wird der Luftstrom am Gaumen eingeengt. Die Zunge muss dabei vorn entspannt bleiben. Das Bending funktioniert nicht auf allen Kanzellen, aber dafür auf manchen um mehrere Halbtöne (siehe Grafik). Der Blaston muss beim Bending um mindestens einen Ganzton höher sein als der Ziehton. Je größer dieses Verhältnis ist, umso tiefer kann der Spieler benden.
Blas-/Zieh-Overbend
Blastechnisch werden Overbends (Overblows/Overdraws) mit demselben Ansatz erzeugt wie das Bending, nur auf anderen Kanzellen (siehe Grafik). Physikalisch unterscheiden sich die Bendings und Overbends grundlegend. Am Beispiel Overblow Kanzelle (6), mit dem man anfangen sollte: Bläst man normal in (6), erklingt wie gewohnt der Blaston G. Hebt man dazu die Zunge wie bei einem starken Bending, schließt zuerst die Blaszunge und bei noch stärkerem Bending fängt die Ziehzunge an zu schwingen. Dies geschieht aber nur, wenn die Stimmzungen recht nahe an den Stimmplatten anliegen, aber nicht zu nahe, sonst spricht die Stimmzunge nicht mehr an. Sowohl die Blasstimmzunge als auch die Ziehstimmzunge müssen dazu optimal eingestellt sein.
Erreichbare Töne einer Blues-Harmonika in C-Dur
Unter Anwendung aller Techniken sind jetzt alle Halbtöne erreichbar. Auffallen sollte auch, dass die Trennung der Spieltechniken zwischen der 6. und 7. Kanzelle liegen, wo die Blastöne höher als die Ziehtöne werden.
Overblows Blas-Bendings Bb D# D# F# A# Eb Gb H C E G C E G C E G C ← Blastöne Kanzelle : → (1)(2)(3)(4)(5)(6) (7)(8)(9)(10) (Blasöffnung) D G H D F A H D F A ← Ziehtöne Db Gb Bb Db Ab C# G# C# F A Ab Zieh-Bendings Overdraws
Interessante Zusammenhänge bezüglich des Bendings:
(BT = Blaston; ZT = Ziehton; HTS = Halbtonschritt)
Kanzelle 1: ZT "D" liegt 2 HTS höher als BT "C" → Bending: Db Kanzelle 2: ZT "G" liegt 3 HTS höher als BT "E" → Bending: Gb, F Kanzelle 3: ZT "H" liegt 4 HTS höher als BT "G" → Bending: Bb, A, Ab Kanzelle 4: ZT "D" liegt 2 HTS höher als BT "C" → Bending: Db Kanzelle 5: ZT "F" liegt 1 HTS höher als BT "E" → Bending: - (da kein Halbton dazwischen) Kanzelle 6: ZT "A" liegt 2 HTS höher als BT "G" → Bending: Ab Schemawechsel: (Ziehbending → Blasbending) Kanzelle 7: ZT "H" liegt 1 HTS tiefer als BT "C" → Bending: - (da kein Halbton dazwischen) Kanzelle 8: ZT "D" liegt 2 HTS tiefer als BT "E" → Bending: Eb Kanzelle 9: ZT "F" liegt 2 HTS tiefer als BT "G" → Bending: Gb Kanzelle 10: ZT "A" liegt 3 HTS tiefer als BT "C" → Bending: H, Bb
Interessante Zusammenhänge bezüglich des Überblasens:
(OB = Overblow; OD = Overdraw)
Kanzelle 1: OB "D#" liegt 1 HTS höher als ZT "D" Kanzelle 2: - Kanzelle 3: - Kanzelle 4: OB "D#" liegt 1 HTS höher als ZT "D" Kanzelle 5: OB "F#" liegt 1 HTS höher als ZT "F" Kanzelle 6: OB "A#" liegt 1 HTS höher als ZT "A" Schemawechsel: (Overblow → Overdraw) Kanzelle 7: OD "C#" liegt 1 HTS höher als BT "C" Kanzelle 8: - Kanzelle 9: OD "G#" liegt 1 HTS höher als BT "G" Kanzelle 10: OD "C#" liegt 1 HTS höher als BT "C"
Verbreitung
Eine besondere Stellung nimmt die Mundharmonika in der europäischen Volksmusik, im Blues (mit der Blues Harp) und in der Old-Time Music ein.
Klassische Musik
In der klassischen Musik ist das Instrument eine Randerscheinung mit nur wenigen größeren Auftritten: Der brasilianische Komponist Heitor Villa-Lobos schrieb ebenso wie Malcolm Arnold und Alexander Tscherepnin ein Konzert für Mundharmonika und Orchester, außerdem gibt es von Ralph Vaughan Williams eine Romanze für Mundharmonika und Streicher.
Soundtracks
Einen ihrer bekanntesten Auftritte in der modernen Popkultur hatte die Mundharmonika in Ennio Morricones Soundtrack zu dem Film Spiel mir das Lied vom Tod (1968). Das berühmte Hauptthema ist auch heute noch populär und wird gerne in Werbung, Fernsehen und Film eingesetzt, besonders für die szenische Darstellung von Westernthematik, Duellen und im Allgemeinen bei drohender Gefahr. Aus musiktheoretischer Betrachtungsweise ist das Thema genauso simpel wie genial; es besteht zumeist lediglich aus den zwei Tönen E und Dis (die das sehr spannungsgeladene dissonante Intervall einer kleinen Sekunde bilden), welche im Wechsel gespielt werden.
Daneben gibt es auch mehrere Verwendungen in Fernsehmusiken, wie etwa in der Titelmusik zu Ein Grieche erobert Chicago, oder im deutschsprachigen Raum in der Titelmusik zu der Serie Der Landarzt.
Bekannte Hersteller
Aktuell
- C. A. Seydel Söhne
- Hering
- Hohner
- Huang
- Suzuki
- Tombo – Lee Oskar
Historisch
- F. A. Böhm
- F. A. Rauner
- Koch
- Köstler
- Magnus Harmonica Corporation (USA)
- Spranger
- Thie
- Thorens
- Weiss[14]
Philatelistisches
In Anerkennung der Popularität des Instruments vertrieb die Deutsche Post AG mit dem Erstausgabetag 1. April 2021 ein vom Bundesministerium der Finanzen herausgegebenes Sonderpostwertzeichen im Nennwert von 190 Eurocent. Der Entwurf stammt von der Grafikerin Julia Neller aus Berlin.[15]
Literatur
- Art. Harmonikainstrumente. In: Laurenz Lütteken (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Kassel / Stuttgart / New York 1996/2016 (zuerst veröffentlicht 1996, auf MGG Online veröffentlicht 2016; Inhaltsverzeichnis des Artikels – Zugang zum Online-Artikel nur nach Anmeldung oder über eine Institution).
- Sören Birke: Maulhobel, Zauberharfe, Schnutenorgel: Eine Kulturgeschichte der Mundharmonika. Arkadien-Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-940863-14-0.
- Kim Field: Harmonicas, Harps, and Heavy Breathers. The Evolution of the People’s Instrument. Cooper Square Press, New York 2000, ISBN 0-8154-1020-4.
- Conny Restle (Hrsg.): In aller Munde. Mundharmonika, Handharmonika, Harmonium: Eine 200-jährige Erfolgsgeschichte. Staatl. Institut für Musikforschung, Berlin 2003, ISBN 3-922378-20-X (online).
- Christoph Wagner (Hrsg.): Die Mundharmonika. Ein musikalischer Globetrotter. Transit, Berlin 1996, ISBN 3-88747-110-5.
Weblinks
- HarmoPoint – Lernkonzept mit virtueller Mundharmonika (diatonisch, C-Dur. Abgerufen am 11. Februar 2012)
- Harp On! Chromatic Harmonica Reference. angelfire.com
- Mundharmonika – Überblick über das Musikinstrument. harmonicarocks.com
- Klaus Rower: Hobby: Mundharmonika. (Technik, Verwendungszwecke, Mundharmonikasorten)
- How is my Hohner Chordomonica tuned? patmissin.com (Hohner Chordomonica II mit zwei Schiebern)
Einzelnachweise
- Eduard Hanslick: Geschichte des Concertwesens in Wien. Band 1. 1869, S. 185 (books.google.at).
- Eduard Bernsdorf (Hrsg.): Neues Universal-Lexikon der Tonkunst. Band 2. 1857, S. 122 (books.google.at).
- Österreichischer Gewerbeverein (Hrsg.): Wochenschrift, Bände 1–4, Vienna, 1840, S. 29 (books.google.at).
- Beschreibung der Erfindungen und Verbesserungen, … die Privilegien vom Jahre 1821–1835 enthält. (books.google.de).
- Monatsschrift für deutsches Städte- und Gemeindewesen. Band 3, S. 298 (books.google.de).
- Stephan von Keeß, Wenzel Carl Wolfgang Blumenbach: Systematische Darstellung der neuesten Fortschritte in den Gewerben …. Band 2, 1830, S. 37: „Die neuerlich in Württemberg erfundene Mundharmonika besteht aus zwey Blechen, in welchen über Quere schmale längliche Ausschnitte sich befinden. Über jeden solchen Ausschnitt läuft eine aus Silber und einem andern Metall legierte Feder, welche an einer Seite an dem Metallblech befestigt ist, so daß noch eine sehr schmale Öffnung bleibt. Jede dieser Federn gibt einen andern Ton, der jenem der Physharmonica gleichkommt. Die Töne lassen sich vom sanftesten Piano bis zum stärksten Forte darauf hervorbringen. Eine solche Mundharmonica kostet in Wien 36 kr. biß 4 fi. 24 kr. E. M.“ (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Edgar Niemeczek: Musik aus der Rocktasche. In: Schaufenster Volkskultur. Nr. 3/2007, Atzenbrugg; In aller Munde. Ausstellungskatalog Technisches Museum Wien, 2002, zit. n. Tascheninstrumente. In: ABC zur Volkskunde Österreichs. Austria-Lexikon.
- B. F. Gottfried Sekretär und Expeditor des kaiserlich königlichen privilegirten Großhandlungs Gremiums: Handels- und Gewerbs-Schematismus von Wien und dessen nächster Umgebung 1856. Im Verlage des nieder österreichischen Gewerb Vereins, 1856, abgerufen am 14. August 2018.
- Johann Gottfried Sommer: Mundharmonika-Macher, Das Königreich Böhmen. Band: Budweiser Kreis. 1841, S. 5: „Die Gewerbs-Industrie wird hauptsächlich von den Bewohnern der Stadt Budweis und des Städtchens Rudolfstadt betrieben. Auf den Dörfern findet man nur die unentbehrlichsten Handwerke. Am 1. Juli 1839 beschäftigten sich in der Stadt und den übrigen Ortschaften … 1 Mundharmonika-Macher …“ (books.google.de).
- Josef Focht: Fotzhobel, Maultrommel und Harmonika in frühen volksmusikalischen Quellen. In: Josef Focht, Herbert Grünwald (Hrsg.): Konzertina, Bandonion, Akkordeon. Die Entwicklung der Harmonika-Instrumente und ihr Spiel in Bayern. Mit Beiträgen von Dieter Krickeberg und Kari Oriwohl. Bayerischer Landesverein für Heimatpflege e. V. (Volksmusiksammlung und -Dokumentation in Bayern Nr. E 12), München 1999, S. 5–10.
- Die Geschichte der Mundharmonika, Überblick
- Steve Baker: The harp handbook. 4. überarb. und ergänzte deutsche Auflage. Bosworth, Berlin 2006, ISBN 3-86543-052-X.
- Alles über Mundharmonika-Tonarten. Abgerufen am 8. Januar 2023.
- Harmonica Ch. Weiss ca. 1895. The Metropolitan Museum of Art, New York.
- Sonderpostwertzeichen „Mundharmonika“. Bundesministerium der Finanzen, 30. März 2021.