Risalit
Der Risalit (aus italienisch risalto = „Vorsprung“ und saltare = „springen“), auch Avantcorps[1] oder Avant-corps (von französisch avant corps „vor dem Körper“),[2] ist in der historischen Architektur ein vor die Flucht des Hauptbaukörpers über alle Stockwerke hinweg vorspringender Bauteil, der auch höher sein kann und oft ein eigenes Dach hat.
Funktion und Begriffsunterscheidungen
Risalite dienten in der historischen Architektur als Mittel zur Fassadengliederung, vor allem zur Verräumlichung der zumeist symmetrisch strukturierten Fassade durch das Vorziehen von Gebäudeteilen, ähnlich den weiter vortretenden Gebäudeflügeln oder dem Ausgliedern von Pavillons sowie dem Vorstellen eines Portikus mit Freisäulen.[3] Risalite sind oft mit einem Giebel (auch Frontispiz, Frontspieß) ausgezeichnet.
Man unterscheidet je nach der Lage des Risalits am Gebäude einen Mittelrisalit, einen außermittig positionierten Seitenrisalit und einen außen liegenden Eckrisalit.[4] Einen vom Hauptbaukörper stärker abgehobenen Eckrisalit mit besonderer Dachform nennt man auch Pavillon.[4]
Im Gegensatz zum vortretenden Risalit wird die „Rücklage“ der Fassadenfront als Arrierecorps (Arrière-corps, französisch arrière corps: „hinter dem Baukörper“) bezeichnet.
- Klassizistisches Universitätsgebäude mit Mittelrisalit (Aula der Georg-August-Universität Göttingen)
- Empfangsgebäude im Rundbogenstil mit Mittelrisalit (Bahnhof Gensungen)
- Dreiflügeliges Barockschloss mit fünf Mittelrisaliten (Schloss Charlottenburg)
- Barockes Galeriegebäude mit Mittelrisalit und Eckrisaliten (Galeriegebäude Herrenhausen)
- Klassizistische Villa mit Seitenrisaliten (Dresden, Parkstraße 3)
- Barockes Zeughaus mit Mittelrisalt sowie mehreren schwach vortretenden Seitenrisaliten (Zeughaus Berlin)
- Klassizistisches Schloss mit Mittelrisalit und Seitenflügeln (Schloss Neuhardenberg)
- Barockschloss mit Mittelrisalit und Eckpavillons (Schloss Werneck)
Geschichte
Risalite als Mittel zur Fassadengliederung sind in der mittelalterlichen Baukunst nur selten; ein Beispiel ist die um 1320/30 entstandene Nordfassade des Marburger Schlosses.[3] Risalite sind ein vor allem in der Architektur der Renaissance und des Barock (sowie des entsprechenden Historismus) verbreitetes Gestaltungsmerkmal.[4] Schon in der Antike gab es Risalite, wie z. B. am Pergamonaltar.
Historische Beschreibungen
In Zedlers Grossem vollständigen Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste (Bd. 50, 1747) wird der Zweck von einem „Vorsprung (Riselita)“ als Fassadengliederung mit einem Gesims verglichen und so begründet: „Wie man denn einen dergleichen Vorsprung an den Häusern anzubringen pflegt. Denn weil unsere Augen einer Sache gar leicht überdrüßig werden; muß man auf allerhand Veränderungen und Zierrathen bedacht seyn. Damit nun also dergleichen Veränderungen desto besser in die Augen fallen, pfleget man diejenigen Theile des Hauses, wo sie am meisten angebracht sind, vor den andern etwas heraus zurücken.“[5]
Krünitz' Ökonomisch-technologischer Encyklopädie (Bd. 125, 1818) beschreibt unter dem Lemma „Risalio, Risalit“: „ein Theil eines Gebäudes, der durch alle Stockwerke durchgeht, etwas vor den übrigen Theilen des Gebäudes heraustritt, und gewöhnlich mit einem Fronton oder niedrigem italienischem Dache bedeckt wird.“[6]
Abgrenzung
Ein nicht durch alle Geschosse reichender vor die Fassade vorgezogener Baukörper heißt Vorbau (auch Erker, Auslucht, Söller). Weit vortretende Baukörper nennt man Flügel.[4]
Literatur
- Wilfried Koch: Baustilkunde. Das Standardwerk zur europäischen Baukunst von der Antike bis zur Gegenwart. 32. Auflage. Prestel, München u. a. 2014, ISBN 978-3-7913-4997-8, S. 479.
- Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur. Mit englischem, französischem, italienischem und spanischem Fachglossar (= Kröners Taschenausgabe. Bd. 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X (Digitalisat auf moodle.unifr.ch, abgerufen am 2. Februar 2024), S. 394 f.
- Johann Friedrich Penther: Ausführliche Anleitung zur bürgerlichen Bau-Kunst (Band 1): Enthaltend ein Lexicon Architectonicum oder Erklärungen der üblichsten Deutschen, Französischen, Italiänischen Kunst-Wörter der Bürgerlichen Bau-Kunst (…). Johann Andreas Pfeffel, Augspurg 1744, S. 133: Risalit. (Digitalisat auf digi.ub.uni-heidelberg.de, abgerufen am 15. Februar 2024)
Weblinks
Einzelnachweise
- Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 1, S. 354. (auf zeno.org).
- Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon. 5. Auflage, Band 1. Leipzig 1911, S. 131. (auf zeno.org).
- Paul-Henry Boerlin, Erik Forssman, Ingrid Haug, Erich Kubach, Wolfgang Prohaska: Fassade. In: rdklabor.de (Reallexikon zur Deutschen Knstgeschichte, Bd. VII, 1978). S. 536–690, abgerufen am 15. Februar 2024.
- Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur. Mit englischem, französischem, italienischem und spanischem Fachglossar (= Kröners Taschenausgabe. Bd. 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X (Digitalisat auf moodle.unifr.ch, abgerufen am 2. Februar 2024), S. 394 f.
- Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste (...), Bd. 50: Vo–Vhr. Johann Heinrich Zedler, Halle und Leipzig 1746, Sp. 1243. (Digitalisat auf zedler-lexikon.de, abgerufen am 16. Februar 2024)
- Johann Georg Krünitz: Ökonomisch-technologische Encyklopädie (...), Bd. 125, 1818: Risalio. (Abschrift auf kruenitz.uni-trier.de, abgerufen am 16. Februar 2024)