Grundrechte (Deutschland)

In Deutschland sind Grundrechte grundlegende Freiheits- und Gleichheitsrechte, die Individuen gegenüber dem Staat zugestanden werden und Verfassungsrang genießen. Sie verpflichten einzig den Staat und berechtigen einzig Private. Grundrechte sind unveräußerlich, dauerhaft und einklagbar. Mittels der Justizgrundrechte werden zudem die Rechtsweggarantie, der gesetzliche Richter, rechtliches Gehör und grundsätzliche Verbote, wie die der Rückwirkung und der Doppelbestrafung, gewährleistet. Grundrechte werden in der Bundesrepublik Deutschland in der Bundesverfassung und in einigen Landesverfassungen geregelt.

Die Grundrechte des Grundgesetzes (Ursprungsfassung) am Jakob-Kaiser-Haus in Berlin

Im Grundgesetz sind die Grundrechte im gleichnamigen I. Abschnitt (Artikel 1 bis 19 GG) verbürgt. Sie sind einerseits subjektive Rechte, die in ihrer Funktion als Abwehr-, Leistungs- und staatsbürgerliche Rechte alle Staatsgewalt binden. Sie sind andererseits objektive Rechte, die dem Schutz von Einrichtungsgarantien und der objektiven Wertordnung dienen. In dieser Hinsicht geben die Grundrechte Vorgaben für die Wirksamkeit, die Auslegung und die Anwendung jeden einfachen Rechts. Zum Schutz der objektiven Wertordnung begründen Grundrechte die Pflicht zu Unterlassungen des Staates und die Pflicht zur vorbeugenden Verhinderung von Grundrechtsverletzungen durch den Staat oder Dritte. Über die Einrichtungsgarantien werden institutionelle Garantien, etwa die kommunale Selbstverwaltung oder das Berufsbeamtentum, aber auch Institutsgarantien wie Ehe und Familie oder das Erbrecht geschützt.

Für den Fall, dass die Grundrechte verletzt werden und auch der Rechtsschutz vor den übrigen Gerichten versagt, stellt das Grundgesetz mit der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht einen außerordentlichen Rechtsbehelf bereit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG).

Ausweislich dieser Regelung kann das Bundesverfassungsgericht nicht nur gegen die Verletzung von Grundrechten angerufen werden, sondern auch bei Verletzung der in Artikel 20 Abs. 4, Artikeln 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte. Diese Rechte werden daher als grundrechtsgleiche Rechte bezeichnet.

Abgrenzung

Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz am Landgericht in Frankfurt am Main

Neben den Grundrechten gewährt das Grundgesetz noch weitere subjektive öffentliche Rechte, etwa die kommunale Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung in Verbindung mit Art. 140 GG). Dabei handelt es sich aber weder um Grundrechte (mangels Stellung im Grundrechtekatalog) noch um grundrechtsgleiche Rechte (mangels Erwähnung in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG).

Keine Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte, ja überhaupt keine subjektiven Rechte, sind die Staatszielbestimmungen. Sie sind objektive Wertentscheidungen der Verfassung und bilden die Richtschnur zur Auslegung der Gesetze, geben jedoch dem Bürger kein eigenes subjektives Recht. Beispiele sind die in Art. 20a GG aufgenommenen Schutzmaßnahmen des Umwelt- und des Tierschutzes. Auf daneben noch denkbare weitere Staatszielbestimmungen, wurde bei Abfassung des Grundgesetzes bewusst verzichtet, um es nicht „zu verwässern“. Solche Rechte finden sich in jüngeren Landesverfassungen wie denjenigen Berlins oder Brandenburgs, zum Beispiel in den kodifizierten Rechten auf Arbeit, Wohnraum oder Sport. Solche „Grundrechte“ haben ihren „politischen Wert“ darin, dass sie, als in den Verfassungsrang gehoben, von jeder Regierung beachtet werden sollen (unabhängig von Parteiprogrammen oder Koalitionsvereinbarungen).

Auch in den meisten Landesverfassungen gibt es Grundrechtskataloge, die sich jeweils etwas voneinander unterscheiden, aber niemals ein durch das Grundgesetz garantiertes Grundrecht außer Kraft setzen können („Bundesrecht bricht Landesrecht“, Art. 31 GG). Solche durch Landesverfassung garantierten Grundrechte bleiben ungeachtet des Vorrangs von Bundesrecht gemäß Art. 142 GG in Kraft, soweit sie in Übereinstimmung mit den Art. 1 bis Art. 18 GG stehen.

Adressat und Träger

Aufgrund der objektiven Wertentscheidung für eine Grundrechtsbindung bedarf es der Bestimmung des Grundrechtsadressaten, der aus dem Grundrecht verpflichtet werden kann. Gemeinsam ist den Grundrechten, dass sie primär den Staat verpflichten, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Exekutive, Legislative oder Judikative, Bund, Land oder Kommune handelt. Verpflichtet bedeutet, dass die Grundrechte beachtet werden müssen. Ebenfalls wird nicht unterschieden, ob der Staat im Wege der unmittelbaren oder mittelbaren Staatsverwaltung (etwa durch Selbstverwaltungskörperschaften) agiert oder ob er privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich oder mittels juristischer Personen des Privatrechts tätig wird: stets ist die öffentliche Gewalt grundrechtsverpflichtet (Art. 1 Abs. 3 GG). Soweit die drei Staatsgewalten unstreitig bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben in der Form des öffentlichen Rechts stets gebunden sind, stellt sich gelegentlich die Frage der Fiskalgeltung der Grundrechte, d. h. bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben in den Formen des Privatrechts und privatrechtlichen Hilfsgeschäften der Verwaltung oder deren erwerbswirtschaftlicher Betätigung, was von der herrschenden Meinung grundsätzlich bejaht wird. Die Frage der mittelbaren Grundrechtsgeltung kann auch zwischen Privatpersonen aufgeworfen werden, so im Verhältnis zu den unbestimmten Rechtsbegriffen der Sittenwidrigkeit des § 138 BGB oder des Grundsatzes von Treu und Glauben im Rahmen des § 242 BGB.

Die Grundrechtsberechtigung ist ein Merkmal für die Grundrechtsträgereigenschaft (persönlicher Schutzbereich). Vergleichbar mit der zivilrechtlichen „Rechtsfähigkeit“, muss der Grundrechtsträger das Grundrecht innehaben können, er muss es darüber hinaus aber auch durchsetzen können. Neben der Grundrechtsfähigkeit, bedarf er damit einer Grundrechtsmündigkeit, mit der in etwa die zivilrechtliche „Geschäftsfähigkeit“ korreliert. Die beiden Rechtseigenschaften koinzidieren, wo auf die Einsichts- und Entscheidungsfreiheit des Einzelnen nicht abgestellt werden muss, etwa bei Grundrechten, die an der bloßen menschlichen Existenz gemäß der Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 2 GG haften. Eine Rolle spielt sie, wo einfachgesetzliche Regelungen Altersbestimmungen vorsehen, die eine geistige Auseinandersetzung mit der Regelungsmaterie erforderlich machen, etwa beim Eherecht (Art. 6 GG) oder der religiösen Selbstbestimmung (Art. 4 GG).

In diesem Zusammenhang werden die Jedermann-Grundrechte, deren Träger jeder Mensch ist (auch als Menschenrechte bezeichnet, beziehungsweise ohne personale Begrenzung zugestanden, so bei der Kunst- oder Eigentumsfreiheit), und die Deutschengrundrechte oder Bürgerrechte (auch: Staatsbürgerrechte, Deutschenrechte), die nur Deutschen zustehen, unterschieden.[1][2] Grund für die Beschränkung ist zumeist ein besonderer Bezug zur demokratischen Willensbildung und damit zum Staatsvolk, der Volkssouveränität. Unter die Deutschengrundrechte fallen etwa die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG), die Freizügigkeit (Art. 11 GG), die Berufsfreiheit (Art. 12 GG), der Schutz vor Ausbürgerung und Auslieferung (Art. 16 GG) sowie im weiteren Sinne das Wahlrecht und der Zugang zu öffentlichen Ämtern. Zu beachten ist allerdings, dass „Deutscher“ hier nicht alleine auf die deutsche Staatsangehörigkeit abstellt, sondern Artikel 116 GG auch die Statusdeutschen erfasst. Soweit ein Grundrecht nur für Deutsche gilt, wird jedoch auch Ausländern ein Grundrechtsschutz über die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) gewährt, wobei dieser durch die größeren Einschränkungsmöglichkeiten eine geringere Schutzintensität zukommt.

Die Grundrechtsfähigkeit ist auf juristische Personen erweitert, sofern Grundrechte „nach ihrem Wesen auf sie anwendbar“ sind, das heißt ein eigener, nicht von ihren Mitgliedern abgeleiteter oder treuhänderisch übertragener Rechtsstatus vorliegt. Da auf die körperschaftliche Struktur abgestellt wird, sind neben den echten privatrechtlich organisierten juristischen Personen (Kapitalgesellschaften) auch Personengesellschaften grundsätzlich grundrechtsfähig, wenn im Einzelfall die Ausübung des Grundrechts kollektiv möglich ist (allgemeines Persönlichkeitsrecht, Rundfunk- und Pressefreiheit). Juristischen Personen des öffentlichen Rechts kann dieser Schutz nur zugestanden sein, wenn sie „unmittelbar dem durch das Grundrecht geschützten Lebensbereich zuzuordnen ist“, was im Rahmen von Art. 4 GG den Kirchen und im Rahmen von Art. 5 GG dem Rundfunk (Abs. 1) und den Universitäten (Abs. 3) zugestanden ist. Keine Anwendung findet die Grundrechtsfähigkeit andererseits auf juristische Personen, soweit sie lediglich ihren öffentlichen Aufgaben, sei es auch in Form des Privatrechts, nachgehen.[3] Ausländische juristische Personen sind unter Umständen ebenso zu behandeln wie inländische Grundrechtsträger (siehe Grundrechtsschutz ausländischer juristischer Personen). Schließlich kennt das Grundgesetz mit dem Asylrecht auch ein Grundrecht, dessen Träger nur Ausländer sein können.

Strittig ist, ob sich EU-Bürger auf die Deutschengrundrechte berufen können. Dafür spricht Art. 18 Abs. 1 AEUV („Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.“) Gegen eine Anwendung spricht der Wortlaut des Grundgesetzes. Hinsichtlich juristischer Personen mit Sitz in einem EU-Mitgliedsstaat bejaht das Bundesverfassungsgericht eine Grundrechtsträgerschaft. Dies stelle eine „aufgrund des Anwendungsvorrangs der Grundfreiheiten im Binnenmarkt (Art. 26 Abs. 2 AEUV) und des allgemeinen Diskriminierungsverbots wegen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) vertraglich veranlasste Anwendungserweiterung des deutschen Grundrechtsschutzes dar“.[4][5] Es gibt auch Forderungen danach, das Grundgesetz dahingehend zu ändern, dass die Deutschengrundrechte in Jedermann-Grundrechte umgewandelt werden.[6]

Nach ihrem Inhalt kann man die Grundrechte in Freiheitsrechte, Gleichheitsrechte und Justizgrundrecht einteilen.

Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes bestätigte das Gericht die auch bis dahin herrschende Auffassung, dass deutsche Behörden auch im Ausland Grundrechte beachten müssen.[7]

Systematik und Statuslehre

Die Grundrechte übernehmen multiple Funktionen im Verfassungssystem. So lassen sich aus ihnen verschiedene subjektive Rechtspositionen ableiten, gleichzeitig verdeutlichen sie objektive Wertentscheidungen der Verfassung. Als solche beeinflussen sie den Staat auf allen Ebenen seines Handelns und können unmittelbar und jederzeit vom Bürger geltend gemacht werden (Art. 1 Abs. 3 GG). Bisweilen wird hierbei eine Rangordnung im System der Verfassungsgüter gesehen.[8] Die verschiedenen Funktionen der Grundrechte beschreibt die Grundrechtstheorie.

Als Beispiel dafür lässt sich die Menschenwürde mit ihrem Dualcharakter anführen: Die Menschenwürde ist einerseits der zentrale und höchstrangige Wert des Grundgesetzes und geht allen anderen vor und ist mit keinem anderen Verfassungsgut abwägbar. Auch dem Recht auf Leben oder dem Schutz des Staates geht sie vor. Selbst wenn sie andererseits kein Grundrecht im engeren Sinne ist, lässt sich ohne Weiteres ein starker und in jeder Situation wirksamer Achtungs- und Schutzanspruch gegenüber dem Staat ableiten.

Die Grundrechte sind bewusst schlagwortartig und abstrakt gehalten. Bei Freiheitsgrundrechten wie zum Beispiel der Meinungs-, Versammlungs- oder Berufsfreiheit ist zu unterscheiden zwischen dem Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts und dem verfassungsrechtlich definitiv gewährleisteten Freiheitsspielraum. Beides ist nicht identisch, weil grundrechtliche Freiheiten durch gesetzliche Regelungen oder aufgrund gesetzlicher Regelungen beschränkt werden können; allerdings nur, soweit die sogenannte Schrankenregelung des jeweiligen Grundrechts es zulässt, und nur nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. So wird beispielsweise die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) u. a. eingeschränkt durch die gesetzliche Strafbarkeit von Beleidigungen (§ 185 StGB). Einzelne Grundrechte, für die der jeweilige Grundrechtsartikel keine ausdrückliche Schrankenregelung enthält, wie zum Beispiel die Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) oder die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG), können nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 122, 89 (107), mit Hinweisen auf weitere Entscheidungen) zwar dennoch eingeschränkt werden, allerdings nur zum Schutz anderer verfassungsrechtlich geschützter Belange wie z. B. kollidierender Grundrechte.

Ausgehend von der staatsrechtlichen Statuslehre lassen sich folgende Modi grob einteilen:[9][10]

  • Status negativus ist ein Abwehrrecht gegen den Staat und bildet das klassische Freiheitsrecht ab; es setzt seinem Handeln Grenzen, gleich welcher Form (Bsp.: Der Staat darf den Bürger nicht fragen, ob im Klassenzimmer nicht ein Kreuz aufzuhängen sei, denn uneingedenk des „Für“ und „Wider“, geht den Staat das bürgerliche Meinungsbild nichts an. Umgekehrt aber darf der Bürger seine Meinung dazu frei äußern, denn der Staat braucht vor Meinungsäußerungen seiner Bürger nicht geschont zu werden).
  • Status positivus ist ein Leistungs-, Teilhabe- und Schutzrecht, das den Staat zu einem bestimmten Handeln verpflichtet (Bsp.: Gewährung von Rechtsschutz durch ein effektiv funktionierendes Justizsystem; Gewährung von konsularischer Hilfe im Ausland).
  • Status activus ist ein Teilnahme- und Gestaltungsrecht innerhalb des staatlichen Gefüges (Bsp.: Teilnahme an Wahlen und indirekte Kreation von Staatsorganen).

Dieses System wird nach modernem Verfassungsverständnis zwar nicht abschließend verwendet, es gilt in seinen Grundzügen aber ungebrochen.[11]

Systematische Untergliederung der Grundrechte

Die Systematik der Grundrechte lässt sich untergliedern in

  • Grundrechtsarten,
  • Grundrechtsträger,
  • Anwendungsbereich der Grundrechte,
  • Funktionen der Grundrechte,
  • Rechtsschutz bei Grundrechtsverletzungen,
  • Einschränkung von Grundrechten.[12]

Katalog der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte im Grundgesetz

Die Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte bilden eine abschließende, nicht erweiterbare Aufzählung (→ Enumerationsprinzip).

Artikel Inhalt Volltext
Artikel 1Schutz der Menschenwürde1
Artikel 1 I  i. V. m. Artikel 20 IGrundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums;[13][14][15][16][17][18] alternativ: Grundrecht auf Sicherung eines Existenzminimums,[19] Grundrecht auf Existenzsicherung,[20] soziales Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenz- und Teilhabeminimum[21] oder Grundrecht auf Zusicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums[22]1, 20
Artikel 2Freie Entfaltung der Persönlichkeit, Allgemeine Handlungsfreiheit, Freiheit der Person, Recht auf Leben, Recht auf körperliche Unversehrtheit2
Artikel 2 I  i. V. m. Artikel 1 IAllgemeines Persönlichkeitsrecht, Recht auf Privatsphäre[23][24], Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Datenschutz), Anspruch auf Strafverfolgung Dritter[25][26], Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, Recht auf sexuelle Selbstbestimmung[27][28], Selbstbelastungsverbot (Niemand darf gezwungen werden, sich selbst anzuklagen, sich selbst aktiv zu belasten)[29], Recht auf selbstbestimmtes Sterben[30]1, 2
Artikel 2 I  i. V. m. Artikel 7Grundrecht auf schulische Bildung[31][32]2, 7
Artikel 2 I  i. V. m. Artikel 20 IIIAllgemeines Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren[Anm. 1]2, 20
Artikel 2 I  i. V. m. Artikel 20 IIIGrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz[33] bzw. Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes[34]; Grundrecht auf Selbstbelastungsfreiheit[35]2, 20
Artikel 3Gleichheitssatz, Gleichberechtigung3
Artikel 3  i. V. m. Artikel 20 Abs. 1 und Artikel 20 Abs. 3Grundrecht auf Rechtsschutzgleichheit[36] bzw. auf Rechtswahrnehmungsgleichheit[37]3, 20
Artikel 3 Abs. 1 GG  i. V. m. Artikel 20 Abs. 1 GGGrundrecht auf soziale Teilhabe[38] bzw. auf Grundrecht auf gleiche Teilhabe[39]3, 20
Artikel 4Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, Recht auf Kriegsdienstverweigerung4
Artikel 5Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, Pressefreiheit sowie die Freiheit der Kunst und der Wissenschaft5
Artikel 6Schutz von Ehe und Familie6
Artikel 7Staatliche Aufsicht über das Schulwesen; Recht auf Erteilung und Teilnahme am Religionsunterricht, zur Errichtung von Privatschulen7
Artikel 8Versammlungsfreiheit8
Artikel 9Vereinigungsfreiheit, Koalitionsfreiheit9
Artikel 10Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis10
Artikel 11Freizügigkeit im Bundesgebiet11
Artikel 12Freiheit der Berufswahl, Verbot der Zwangsarbeit12
Artikel 13Unverletzlichkeit der Wohnung13
Artikel 14Eigentumsrechte, Erbrecht14
Artikel 15Vergesellschaftung, Gemeineigentum15
Artikel 16Verbot von Ausbürgerung und Auslieferung16
Artikel 16aAsylrecht16a
Artikel 17Petitionsrecht17
Artikel 19Abs. 4: Justizgewährleistung, Effektiver Rechtsschutz[Anm. 2][Anm. 3][Anm. 4]19
Artikel 20Abs. 4: Widerstandsrecht20
Artikel 33Staatsbürgerliche Rechte und Pflichten, gleicher Zugang zu öffentlichen Ämtern33
Artikel 38Wahlrecht[40][41]38
Artikel 101

→ siehe auch Justizgrundrecht

Abs. 1 Satz 1: Verbot von Ausnahmegerichten
Abs. 1 Satz 2: Recht auf einen gesetzlichen Richter

101
Artikel 103→ siehe auch Justizgrundrecht

Abs. 1: Anspruch auf rechtliches Gehör (sog. Justizgrundrecht)

Abs. 2 (lat. nulla poena sine lege): Gesetzlichkeitsprinzip, Bestimmtheitsgrundsatz, Rückwirkungsverbot
Abs. 3: Verbot der Doppelbestrafung (lat. ne bis in idem)
NN: Selbstbelastungsverbot (lat. nemo tenetur se ipsum accusare) – Niemand darf gezwungen werden, sich selbst anzuklagen bzw. sich selbst aktiv zu belasten (Derivat aus dem Achtungsgebot der Menschenwürde)

103
Artikel 104→ siehe auch Justizgrundrecht und Habeas-Corpus-Akte

Rechtsgarantien bei Freiheitsentzug

104

Die Rechtsnatur des Artikel 21 GG ist umstritten. Während eine Ansicht von einer bloßen Einrichtungsgarantie ausgeht,[42] wird Artikel 21 Abs. 1 GG zum Teil selbst als Grundrecht interpretiert.[43] Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu bislang keine Stellung bezogen; stellt in seinen Urteilen aber meist neben der Parteienfreiheit noch auf ein (anderes) Grundrecht ab.[44]

Einschränkbarkeit

Grundrechte können eingeschränkt werden. So wird etwa die Freiheit einer Person eingeschränkt, die zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und inhaftiert worden ist; die Strafbarkeit der Beleidigung schränkt die Meinungsfreiheit eines Kundtuenden ein. Grundrechte dürfen jedoch gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG nur durch ein Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden (so genannter Gesetzesvorbehalt). Erfolgt eine solche Einschränkung, muss das Grundrechte einschränkende Gesetz gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG das oder die Grundrecht(e) unter Angabe des Artikels nennen (Zitiergebot). Manche Grundrechte, wie die Gewissens- und die Kunstfreiheit oder das Versammlungsrecht in geschlossenen Räumen, sehen keinen solchen Gesetzesvorbehalt vor. Das zuletzt genannte Versammlungsrecht unterliegt einer grundrechtsimmanenten Schranke. Dies bedeutet, dass die Voraussetzung seiner Gewährung direkt im Grundrecht bezeichnet ist (Art. 8 Abs. 1 GG, friedlich und ohne Waffen). Des Weiteren unterliegen Grundrechte verfassungsimmanenten Schranken, können also im Falle kollidierenden Verfassungsrechts gegenseitig insoweit eingeschränkt werden, als alle miteinander kollidierenden Grundrechte grundsätzlich trotz Kollision ausgeübt werden können (praktische Konkordanz). Auch insoweit bedarf es aber eines Gesetzes, um die kollidierenden Rechtsgüter optimal abzugleichen (Vorbehalt des Gesetzes).

Nur die Menschenwürde ist nach herrschender Ansicht als Höchstwert der Verfassung gänzlich „unantastbar“ und damit das einzige schrankenlose Grundrecht des Grundgesetzes.

Formelle Voraussetzungen

Die Einschränkung von Grundrechten ist exklusives Parlamentsrecht. Durch den sogenannten Parlamentsvorbehalt wird diese Rechtsetzungsmacht auf den Deutschen Bundestag und die Länderparlamente konzentriert und kann nicht auf andere Organe wie Regierung, Behörden oder Justiz delegiert werden: Sie brauchen eine gesetzliche Eingriffsermächtigung. Gleichzeitig wird durch den Vorbehalt des Gesetzes gesichert, dass Grundrechtseinschränkungen nur auf der Ebene von Parlamentsgesetzen (des Bundes wie der Länder) kodifiziert werden und sich nicht in Regelungswerke wie Verordnungen oder Satzungen einschleichen.

Materielle Voraussetzungen

Materiell dürfen Grundrechtseinschränkungen gemäß Art. 19 Abs. 2 GG nicht den Wesensgehalt eines Grundrechts antasten. Diese Maxime gilt unabhängig von der juristischen Technik oder vom Standort der Einschränkungsnorm (durch Gesetz, aufgrund eines Gesetzes, Erweiterung von Schranken u. ä.). Selbst Verfassungsnormen dürfen in ihrer grundrechtseinschränkenden Wirkung nicht zu weit gehen oder zu weit interpretiert werden, es handelte sich dann gegebenenfalls um verfassungswidriges Verfassungsrecht.

Schranken (Rechtstechnik)

Wirksam eingeschränkt werden können Grundrechte durch:

  • einfachen Gesetzesvorbehalt in der Verfassung – wenn ein Artikel des Grundgesetzes die Klausel enthält „Dieses Grundrecht kann (nur) durch Gesetz (oder aufgrund eines Gesetzes) eingeschränkt werden“
  • qualifizierten Gesetzesvorbehalt in der Verfassung – wenn ein Artikel des Grundgesetzes die Klausel enthält „Dieses Grundrecht kann (nur) durch Gesetz (oder aufgrund eines Gesetzes) zum Zwecke … eingeschränkt werden“

Die Aufsplittung von qualifizierten und einfachen Gesetzesvorbehalt findet sich in mancher Literatur auch zusammengefasst als Vorbehaltsschranke.

  • verfassungsimmanente Schranken – Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter, die nicht als Einschränkungsmechanismen explizit vorgesehen sind, aber einen Eingriff in Grundrechte ermöglichen (Bsp.: Staatsziel Umweltschutz vs. Religionsfreiheit). Der Konflikt dieser widerstreitenden Prinzipien wird durch die Herstellung einer praktischen Konkordanz aufgelöst.

Insbesondere bei staatlichen Eingriffen in die Kommunikationsgrundrechte (z. B. das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 1. Var. GG) hat die Interpretation dieser Einschränkungsmechanismen jedoch im Lichte des Grundrechts selbst zu erfolgen, so dass sich der zulässige Eingriffsbereich und das Grundrecht sich gegenseitig bedingen und quantitativ definieren (sog. Wechselwirkungslehre).

  • grundrechtsimmanente (-unmittelbare) Schranken – Einzelne Grundrechte werden schon in der Verfassung selbst eingeschränkt bzw. unterliegt ihre Gewährung der Erfüllung bestimmter Bedingungen. Zum Beispiel haben alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis „friedlich und ohne Waffen“ zu versammeln. Von der Verfassung wird der Normbereich des Grundrechtes also unmittelbar eingeschränkt. Ein Teil der Literatur nimmt hingegen an, dass hier lediglich die sachliche Reichweite der Grundrechtsnorm beschrieben wird; ordnet ihn also unmittelbar dem Normbereich zu, als Beschreibung der sachlichen Gewährleistungsreichweite.

Gegen die Verletzung eines Grundrechts durch die öffentliche Gewalt kann jedermann nach Erschöpfung des Rechtswegs Verfassungsbeschwerde erheben.

Grenzen für die Einschränkung von Grundrechten

In Art. 19 Abs. 1 u. 2 GG werden Grenzen gesetzt, welche den Gesetzgeber bzw. die Exekutive einschränken, wenn diese die Grundrechtsausübung beschränken bzw. in geschützte Grundrechtspositionen eingreifen wollen.[45]

Zu diesen sogenannten Schranken-Schranken gehören stets:

Bei Beschränkung aufgrund eines qualifizierten Gesetzesvorbehalts sind als spezielle Schranken-Schranke außerdem dessen Anforderungen zu erfüllen.

Grundrechtsbeschränkende Gesetze sind nach der Wechselwirkungslehre verfassungskonform restriktiv auszulegen.

Die Bezeichnung ‚Schranken-Schranken‘ für die Grenzen für die Einschränkung von Grundrechten wurde von Karl August Bettermann erstmals gebraucht.[46] Ferner finden sich auch in anderen europäischen Rechtsordnungen analoge Konzepte, etwa in Italien, wo die sogenannten „Controlimiti“ auf eine lange Tradition in der Verfassungsrechtsprechung und Rechtswissenschaft zurückblicken.[47]

Verletzung von Freiheitsgrundrechten

Ein Freiheitsgrundrecht ist verletzt, wenn ein staatlicher Eingriff in seinen Schutzbereich nicht gerechtfertigt ist. Ob ein Akt der Staatsgewalt in diesem Sinne grundrechtsverletzend ist, wird dreistufig geprüft:

  • Definition des grundrechtlichen Schutzbereichs
  • Eingriff: Tangiert dieser Akt der Staatsgewalt den Schutzbereich direkt oder indirekt (→ Edukationseffekt)
  • Rechtfertigung durch Normen auf Verfassungsebene.

Gerechtfertigt ist ein Eingriff, wenn er durch formelles (Parlaments-)Gesetz des Bundes (Vorbehalt des Gesetzes) oder eines Landes oder auf gesetzlicher Grundlage geschieht (Gesetzesvorbehalt), das Grundrecht also verfassungsrechtlich wirksam eingeschränkt ist. Dieses einschränkende Gesetz muss aber selbst verfassungskonform sein:

  • In formeller Hinsicht bedeutet das, dass der Gesetzgeber die erforderliche Gesetzgebungskompetenz besaß (Verbandskompetenz des Bundes oder der Länder) und das vorgeschriebene Gesetzgebungsverfahren eingehalten wurde.
  • In materieller Hinsicht muss das einschränkende Gesetz die Schranken-Schranken (grundsätzliches Zitiergebot, Wesensgehaltsgarantie, Übermaßverbot) und die sonstigen Staatszielbestimmungen oder Verfassungsprinzipien (Demokratieprinzip, Gewaltenteilung etc.) beachten und darf nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen.
  • Selbst wenn eine verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage vorhanden ist, ist der Eingriff nicht gerechtfertigt, sofern er innerhalb dieses Rahmens unverhältnismäßig ist. Andererseits gilt aber auch, dass nicht jedes Gesetz nichtig ist, wenn eine verfassungskonforme Auslegung möglich ist.

Verletzungen von Grundrechten können nicht nur durch typische Handlungsformen der Staatsgewalt wie Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung geschehen, sondern durch schlicht jedes andere Handeln oder Unterlassen, direkt oder mittelbar. Für diese Fälle ist gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a, § 90, §§ 92 ff. BVerfGG der besondere Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde vorgesehen, mit dem sich der Grundrechtsträger an das Bundesverfassungsgericht wenden kann.

Aufhebung von Grundrechten durch Verfassungsänderung

Von der Einschränkung eines Grundrechtes durch Gesetz ist die Frage zu unterscheiden, ob Grundrechte im Wege der Verfassungsänderung beseitigt werden können.

Da eine Verfassungsänderung grundsätzlich zulässig ist, kann ein solches Vorhaben nur an der Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG scheitern. Diese schützt aber unmittelbar nur die Artikel 1 und (nicht: bis) 20 GG vor Änderungen. Allerdings werden Grundrechte auch als Derivat der Menschenwürde (Art. 1 GG) definiert, weshalb sie einen gewissen Ewigkeitsschutz genießen, soweit ihr „Menschenwürdekern“ betroffen ist. Andere Grundrechte sind für eine demokratische Regierungsform unerlässlich und damit über das Demokratieprinzip geschützt, jedoch in ihrer Ausgestaltung abänderbar. Schließlich bekennt sich Art. 1 Abs. 3 GG, der von der Ewigkeitsgarantie erfasst wird, zu den Grundrechten „als unmittelbar geltendes Recht“, sodass es zumindest überhaupt Grundrechte geben muss. In einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1970 zur Vereinbarkeit des Grundrechts des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses mit der Ewigkeitsgarantie des Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes wurde diesbezüglich angemerkt, dass „die Sperrvorschrift des Art. 79 Abs. 3 GG – zwar nicht extensiv, aber – streng und unnachgiebig ausgelegt und angewandt werden sollte. Sie ist nicht zuletzt dazu bestimmt, schon den Anfängen zu wehren.“[48] Damit sind der Aufhebung von Grundrechten durch Verfassungsänderung insgesamt enge Grenzen gezogen.

Bezug zum Internationalen Recht

Nach Art. 25 GG sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts vorrangiger Bestandteil des Bundesrechts und gehen den einfachen Gesetzen vor. Dazu zählen insbesondere Regeln des völkerrechtlichen ius cogens, des zwingenden Völkerrechts, von dem man davon ausgeht, dass es durch völkerrechtliche Verträge oder Gewohnheitsrecht nicht geändert werden darf.

Der Grundrechtsschutz in Deutschland wird durch die Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergänzt. Infolge ihrer Einführung ins deutsche Recht durch Vertragsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG genießt die EMRK grundsätzlich nur den Rang eines einfachen Bundesgesetzes und steht damit in der Normhierarchie unterhalb des Grundgesetzes. Sofern jedoch Menschenrechtsgewährleistungen der EMRK zugleich völkerrechtliches ius cogens oder auch Völkergewohnheitsrecht sind,[49] genießen sie bereits aufgrund von Art. 25 GG Vorrang vor Bundesgesetzen.

Entwicklung

Ereignisgeschichte

Bereits die Frankfurter Nationalversammlung 1848 verabschiedete am 21. Dezember 1848 die Grundrechte des deutschen Volkes als Reichsgesetz. Dieser Grundrechtskatalog war allerdings nicht deckungsgleich mit dem modernen Grundrechtskatalog des Grundgesetzes. Bereits aufgeführt wurden die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, Meinungsfreiheit, Niederlassungsfreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit sowie die Habeas-Corpus-Grundrechte. Der Grundrechtskatalog wurde im März 1849 in der Frankfurter Reichsverfassung wiederholt. Die größeren Staaten Deutschlands lehnten Reichsgesetz und Verfassung allerdings ab, und 1851 erklärte der Bundesreaktionsbeschluss die Grundrechte ausdrücklich für rechtswidrig.

Nachdem die Weimarer Reichsverfassung lediglich Programmsätze enthielt, sollte mit dem Grundgesetz ein Regelwerk geschaffen werden, das dem Staat gegenüber verbindlich festlegte, inwieweit er in bestimmte Rechte des Bürgers eingreifen darf. Grundsätzlich sind Eingriffe, die die Grundrechte nicht selbst vorsehen und die sich nicht aus anderen Verfassungswerten ergeben, unzulässig. Gegen diese kann der Bürger sich wehren, z. B. mit Klagen vor den Verwaltungsgerichten oder vor den ordentlichen Gerichten. Sollte der Bürger nach Erschöpfung des Rechtswegs der Meinung sein, dass immer noch eine Grundrechtsverletzung besteht, kann er das Bundesverfassungsgericht im Wege einer Verfassungsbeschwerde anrufen.

Begriffsgeschichte

Der deutschsprachige, von Jacob Venedey in die Frankfurter Nationalversammlung eingeführte Begriff der „Grundrechte“ trat durch die Grundrechte des deutschen Volkes allmählich an die Stelle der zuvor verbreiteten uneinheitlichen Rede von z. B. „Volksrechten“, „Garantien“, „Menschenrechten“, „bürgerlichen und politischen Rechten“, „Freiheitsrechten“ und „Untertanenrechten“. Bis zur Weimarer Reichsverfassung, die an die Revolutionsbewegung von 1848 auch durch die Übernahme des Grundrechtsbegriffs anknüpfte, galten Grundrechte jedoch weniger als rechtsdogmatischer Gattungsbegriff als vielmehr als historische Bezeichnung des Rechtekatalogs aus den Jahren 1848/1849.

Vor 1848 kam der Ausdruck „Grundrechte“ im Sinne allgemeiner persönlicher Rechte im Deutschen nur sehr vereinzelt vor. Sein Aufkommen wurde durch folgende Entwicklungen begünstigt: Seit ca. Ende des 17. Jahrhunderts wurde in Deutschland zunächst der Begriff der „Grundgesetze“ üblich (der lateinische der „leges fundamentales“ bereits hundert Jahre früher), zu ungefähr gleicher Zeit im Französischen bzw. Englischen die Ausdrücke „droit fondamental“ bzw. „fundamental right“. Für 1792 ist bisher zum ersten Mal belegt, dass „Grundrechte“ als deutsche Übersetzung für „fundamental rights“ diente.

Dieser Entwicklung vorgelagert existierten wohl zum einen „auf Grund und Boden bezogener“ Wortgebrauch von „Grundrechte“, den das Deutsche Wörterbuch an erster Stelle zu „Grundrecht“ nennt,[50] zum anderen die Figur der „Grundrechte der Staaten“.[51] Die Einzelheiten und Wechselbeziehungen der drei genannten Bedeutungslinien sind bisher nur ansatzweise erforscht.[52]

Drittwirkung von Grundrechten

Insbesondere im Gewand der klassischen Abwehrrechte dienen die Grundrechte vornehmlich der Machtbegrenzung der staatlichen Hoheitsträger. Originär gelten sie damit nicht im bürgerlichen Privatrecht, auch nicht im Verhältnis natürlicher Personen zu den juristischen Personen. Konsequent angewendet wäre eine Drittwirkung von Grundrechten nicht denkbar.

Hierzu werden allerdings Ausnahmen gemacht. Eine Ausnahme enthält Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG, der die Koalitionsfreiheit im Arbeitsleben regelt und davon abweichende privatrechtliche Vereinbarungen für nichtig erklärt. Weitere Ausnahmen befinden sich in Art. 20 Abs. 4 GG und in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 48 Abs. 2 GG. Hierbei handelt es sich um ausdrückliche, direkte Drittwirkungen, die den Rechtsverkehr zwischen Privatpersonen mitbestimmen.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Lüth-Urteil allerdings auch eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht anerkannt, die aus Art. 1 Abs. 3 GG hergeleitet wird. Praktische Bedeutung hat dies insbesondere bei unbestimmten Rechtsbegriffen, so innerhalb von Generalklauseln wie Treu und Glauben (§ 242 BGB) oder Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB): Die Grundrechte „strahlen über die Generalklauseln in das einfache Recht ein“. Weiterhin sind objektive Wertentscheidungen der Verfassung als Bestandteil der Grundrechte auch Beurteilungsmaßstäbe für privatrechtliche Rechtsbeziehungen und die Entscheidungen von Zivilgerichten. Sie beeinflussen die Entwicklung des modernen Zivilrechts, neuer Rechtsinstitute und die Rechtsfortbildung durch Rechtsprechung. Eine ungenügende Beachtung dieser Maßstäbe macht Entscheidungen revisibel und eröffnet im Extremfall selbst im Zivilrecht die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde.

Beispiele für die Drittwirkung der Grundrechte im Zivilrecht sind:

Siehe auch

Literatur

  • Robert Alexy: Theorie der Grundrechte. Suhrkamp, 3. Aufl. 1996, ISBN 3-518-28182-8.
  • Claus-Wilhelm Canaris: Grundrechte und Privatrecht. In: AcP 1984, S. 201–246.
  • Torsten Hartleb: Grundrechtsschutz in der Petrischale. Grundrechtsträgerschaft und Vorwirkungen bei Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 1 Abs. 1 GG. Duncker & Humblot, Berlin 2006.
  • Gertrude Lübbe-Wolff: Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte. Nomos, 1988 (online bei Leibniz Publik).
  • Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier: Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa. C.F. Müller, Bd. I, 2004; Bd. II, 2005.
  • Georg M. Oswald: Unsere Grundrechte. München 2018, ISBN 978-3-492-05882-7 (empfehlenswerte Einführung für Schüler, Studierende und Nichtjuristen).
  • Bodo Pieroth, Bernhard Schlink (Hrsg.): Grundrechte. Staatsrecht II. 28. Auflage, C.F. Müller, Heidelberg 2012, ISBN 978-3-8114-9851-8.
  • Michael Sachs: Verfassungsrecht II. Grundrechte. 2. Aufl., Berlin/Heidelberg 2003.
  • Rolf Schmidt: Grundrechte. 23. Aufl. 2018.
  • Angelika Siehr: Die Deutschenrechte des Grundgesetzes. Bürgerrechte im Spannungsfeld von Menschenrechtsidee und Staatsmitgliedschaft. Berlin 2001, ISBN 3-428-10098-0.
  • Klaus Stern/Michael Sachs: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Bd. III/1, 1988, Bd. III/2 1994, Bd. IV/1 2005 (i. E.).
  • Emanuel V. Towfigh, Alexander Gleixner: Smartbook Grundrechte. Nomos, Baden-Baden 2022, ISBN 978-3-7489-1119-7 (online).
Wiktionary: Grundrecht – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Im Einzelnen sind dies Art. 8, 9 Abs. 1, 11, 12 Abs. 1, 16, 20 Abs. 4 und 33 Abs. 1 f. sowie 38 Abs. 1 S. 1 GG; siehe hierzu Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 27. Aufl. 2011, Rn. 122.
  2. Das Tatbestandsmerkmal der „Deutschen“ in den Grundrechten. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Sachstand vom 20. Dezember 2018.
  3. Vgl. Sasbach-Beschluss zum privatrechtlichen Handeln einer Gemeinde und der Innehabung privatrechtlichen Eigentums.
  4. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. Juli 2011 – 1 BvR 1916/09 –, Leitsatz 1.
  5. BVerfG: Zum Grundrechtsschutz juristischer Personen aus der Europäischen Union und zum Verbreitungsrecht nach dem Urheberrechtsgesetz (nachgeahmte Designermöbel). Pressemitteilung Nr. 56/2011. 9. September 2011, abgerufen am 9. September 2011.
  6. Fraktion DIE.LINKE: Deutscher Bundestag Drucksache 18/6877: Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, Deutscher Bundestag, 1. Dezember 2015, S. 1. Abgerufen am 22. Januar 2018
  7. Gigi Deppe: Urteil zum BND-Gesetz: Abhören erlaubt – in engeren Grenzen. In: tagesschau.de. Norddeutscher Rundfunk, 19. Mai 2020, abgerufen am 19. Mai 2020.
  8. Vgl. dazu Bernhard Schlink: Abwägung, S. 131 ff.; Fritz Ossenbühl: Abwägung im Verfassungsrecht, in: Wilfried Erbguth u. a. (Hrsg.): Abwägung im Recht: Symposium und Verabschiedung von Werner Hoppe am 30. Juni 1995 in Münster aus Anlass seiner Emeritierung, 1996, S. 33.
  9. Uwe Keßler: Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik. Grundrechte – Abwehr- und Teilhaberechte, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2003.
  10. Näher zur Status-Lehre Georg Jellineks siehe Michael Sachs, Verfassungsrecht II – Grundrechte. 2. Aufl., Springer, Berlin/Heidelberg/New York 2003, S. 43–45.
  11. Vgl. Görg Haverkate: Rechtsfragen des Leistungsstaats. Verhältnismäßigkeitsgebot und Freiheitsschutz im leistenden Staatshandeln. Mohr, Tübingen 1983, ISBN 3-16-644655-9, S. 94, Anm. 113.
  12. Alexandra Heinen: Die Grundrechte. Universität Saarland – Bereich: Rechtsterminologie – Öffentliches Recht, abgerufen am 27. August 2013.
  13. BVerfG, 1 BvL 1/09 vom 9. Februar 2010, Leitsätze. Abgerufen am 8. September 2013.
  14. Pressemitteilung Nr. 5/2010 vom 9. Februar 2010 (Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09): Regelleistungen nach SGB II („Hartz IV- Gesetz“) nicht verfassungsgemäß. Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts, 9. Februar 2013, abgerufen am 8. September 2013.
  15. Dipl.-Ing. Ulrich Engelke: Warum Hartz IV Verfassungswidrig ist In: Der Freitag, 1. Juni 2013. Abgerufen am 8. September 2013
  16. BVerfG, 1 BvL 10/10 vom 18. Juli 2012. In: Bundesverfassungsgericht. 18. Juli 2012, abgerufen am 25. November 2013.
  17. Pressemitteilung Nr. 56/2012 vom 18. Juli 2012 – Urteil vom 18. Juli 2012 zu 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11: Regelungen zu den Grundleistungen in Form der Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verfassungswidrig. In: Bundesverfassungsgericht. 18. Juli 2012, abgerufen am 25. November 2013.
  18. Professor Dr. Stefan Muckel, Universität zu Köln: Rechtsprechung Öffentliches Recht – Grundrechte – Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums – Art. 1 I iVm Art. 20 I GG, § 3 AsylbLG – BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 In: Juristische Arbeitsblätter (JA) 10/2012, Oktober 2012, S. 794–796. Abgerufen am 4. Dezember 2013
  19. Wolfgang Neskovic und Isabel Erdem: Zur Verfassungswidrigkeit von Sanktionen bei Hartz IV – Zugleich eine Kritik an das Bundesverfassungsgericht In: Die Sozialgerichtsbarkeit 03/2012, März 2012, S. 134–140. Abgerufen am 8. September 2013
  20. Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deutscher Bundestag Drucksache 18/8077: Grundsicherung einfacher und gerechter gestalten – Jobcenter entlasten, Deutscher Bundestag, 13. April 2016, S. 1. Abgerufen am 20. April 2016
  21. Fraktion DIE.LINKE: Deutscher Bundestag Drucksache 18/8076: Die Gewährleistung des Existenz- und Teilhabeminimums verbessern – Keine Rechtsvereinfachung auf Kosten der Betroffenen, Deutscher Bundestag, 13. April 2016, S. 1. Abgerufen am 20. April 2016
  22. Isabel Erdem und Wolfgang Neskovic: Sanktionen bei Hartz IV: Unbedingt Verfassungswidrig! In: Standpunkte 06/2012, Juni 2012. Abgerufen am 8. September 2013
  23. Briefüberwachungsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts v. 26.4.1994, Az. 1 BvR 1968/88 Rn. 20 f. BVerfGE 90, 255. Internetprojekte Axel Tschentscher, abgerufen am 25. Januar 2014.
  24. Caroline von Monaco II Beschluss des Bundesverfassungsgerichts v. 9.11.1999, Az. 1 BvR 653/96, Rn. 75 f. BVerfGE 101, 361. Internetprojekte Axel Tschentscher, abgerufen am 26. Januar 2014.
  25. Dirk Diehm, Der subjektive Anspruch auf effektive Strafverfolgung, in: Fabian Scheffczyk und Kathleen Wolter (Hrsg.): Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 4, ISBN 978-3-11-042644-1, S. 223–246.
  26. Helge Sodan: Kommentar zum Grundgesetz. 3. Aufl. 2015, Rn. 23a und 34a zu Art. 2 GG.
  27. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008, Az. 2 BvR 392/07.
  28. Strafbarkeit des Geschwisterinzests verfassungsgemäß. In: Pressemitteilung Nr. 29/2008 vom 13. März 2008 zum Beschluss vom 26. Februar 2008 – 2 BvR 392/07 –. Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts, abgerufen am 21. September 2013.
  29. Sabine Stetter: Die Fälle mittelbarer Selbstbelastung wegen einer Steuerstraftat durch Erfüllung steuerrechtlicher Erklärungspflichten – Zugleich ein problembezogener Vergleich des deutschen und amerikanischen Rechts. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2007, S. 7 ff.
  30. BVerfG: Pressemitteilung Nr. 12/2020 vom 26. Februar 2020.
  31. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021, Az. 1 BvR 971/21, 1 BvR 1069/21 – Bundesnotbremse II, Leitsatz 1 und Randnummer 42 ff.
  32. Sebastian Piecha: Was folgt aus dem neuen Bildungsgrundrecht? In: lto.de, 1. Dezember 2021, abgerufen am 8. August 2023.
  33. Grundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz: Nachweis des rechtzeitigen Einwurfs in Gerichtsbriefkasten. In: Kölner Haus- und Grundbesitzerverein von 1888. Kölner Haus- und Grundbesitzerverein von 1888, 17. Februar 2014, archiviert vom Original am 11. Oktober 2014; abgerufen am 27. Juni 2014: „Das Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise zu erschweren.“  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.koelner-hug.de
  34. BGH, 17.08.2011 – XII ZB 50/11 – Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes wegen nicht rechtzeitiger Weiterleitung einer Akte durch ein Gericht an das zuständige Gericht; Fristversäumung und Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Nichtweiterleitung der Beschwerde an das zuständige Amtsgericht vor Eingang der Gerichtsakten durch das Beschwerdegericht. In: Bundesgerichtshof. anwalt24.de, 17. August 2011, abgerufen am 18. Juni 2014.
  35. BVerfG, 2 BvR 2048/13 vom 25. August 2014. In: Bundesverfassungsgericht. 25. August 2014, abgerufen am 7. Oktober 2014: „Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. August 2013 – 5 StR 253/13 – und das Urteil des Landgerichts Berlin vom 19. Dezember 2012 – (503) 254 Js 306/11 KLs (9/12) – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren und in seiner Selbstbelastungsfreiheit (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). […] Die Aussagefreiheit des Beschuldigten und das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung (nemo tenetur se ipsum accusare) sind notwendiger Ausdruck einer auf dem Leitgedanken der Achtung der Menschenwürde beruhenden rechtsstaatlichen Grundhaltung (vgl. BVerfGE 38, 105 (113 f.); 55, 144 (150 f.); 56, 37 (43)). Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ist im Rechtsstaatsprinzip verankert und hat Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 38, 105 (113 f.); 55, 144 (150 f.); 56, 37 (43); 110, 1 (31)). Er umfasst das Recht auf Aussage- und Entschließungsfreiheit innerhalb des Strafverfahrens. Dazu gehört, dass im Rahmen des Strafverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen (vgl. BVerfGE 56, 37 (49); 109, 279 (324)). Der Beschuldigte muss frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und gegebenenfalls inwieweit er im Strafverfahren mitwirkt (vgl. BVerfGE 38, 105 <113>; 56, 37 (43)). Dies setzt voraus, dass er über seine Aussagefreiheit in Kenntnis gesetzt wird (vgl. BVerfGE 133, 168 (201, Rn. 60)).“
  36. BVerfG, 1 BvR 474/05 vom 26. Februar 2007. In: Bundesverfassungsgericht. 26. Februar 2007, abgerufen am 18. Juni 2014: „Insbesondere sind die Voraussetzungen für einen Verstoß gegen die in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Rechtsschutzgleichheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt […]. […] Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 81, 347 (356)). Es ist zwar verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>). Die Auslegung und Anwendung des § 114 Satz 1 ZPO obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Verfassungsrecht wird jedoch verletzt, wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen. Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht verfassungsrechtlich zukommt, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird. Das ist namentlich dann der Fall, wenn das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung überspannt und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt (vgl. BVerfGE 81, 347 (358); stRspr). So verkennt ein Fachgericht die Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit, wenn es § 114 Satz 1 ZPO dahin auslegt, dass auch schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren „durchentschieden“ werden können (vgl. BVerfGE 81, 347 (359)). Sieht es eine solche Rechtsfrage hingegen fehlerhaft als geklärt an, hängt es vornehmlich von der Eigenart der jeweiligen Rechtsmaterie und der Ausgestaltung des zugehörigen Verfahrens ab, wann hierbei der Zweck der Prozesskostenhilfe deutlich verfehlt wird (vgl. BVerfGE 81, 347 (359 f.).“
  37. Pressemitteilung Nr. 64/2009 vom 18. Juni 2009 zum Beschluss vom 11. Mai 2009 – 1 BvR 1517/08: Verfassungsbeschwerde gegen Versagung von Beratungshilfe erfolgreich. In: Pressestelle Bundesverfassungsgericht. Pressestelle Bundesverfassungsgericht, 18. Juni 2009, abgerufen am 31. Januar 2014: „Die Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf Rechtswahrnehmungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG), wonach eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten auch im außergerichtlichen Rechtsschutz geboten ist. Vergleichsmaßstab ist das Handeln eines Bemittelten, der bei der Inanspruchnahme von Rechtsrat auch die Kosten vernünftig abwägt. Ein vernünftiger Rechtsuchender darf sich unabhängig von Begründungspflichten aktiv am Verfahren beteiligen. Für die Frage, ob er einen Anwalt hinzuziehen würde, kommt es insbesondere darauf an, inwieweit er fremde Hilfe zur effektiven Ausübung seiner Verfahrensrechte braucht oder selbst dazu in der Lage ist.“
  38. Ausnahme vom gesetzlichen Mindestlohn für Flüchtlinge vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG. WD 6 – 3000 – 004/16. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages – Fachbereich WD 6: Arbeit und Soziales, 8. Februar 2016, S. 7 (bundestag.de [PDF; abgerufen am 22. Februar 2016]): „Art. 3 Abs. 1 GG begründet in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG ein soziales Teilhaberecht.“
  39. Volker Epping: Grundrechte. Fünfte, aktualisierte und erweiterte Auflage, Springer, Heidelberg 2012, S. 347 Rn. 774: „In der Praxis hat Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Wirkung als Teilhaberecht – häufig in Verbindung mit Freiheitsrechten oder dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG – große Bedeutung: Da originäre Leistungsrechte aus der Verfassung nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen und daher der Einzelne in der Regel kein Recht auf Schaffung bestimmter Leistungen hat, möchte er wenigstens, dass die bestehenden Ressourcen gerecht verteilt werden. Dabei geht es regelmäßig um die gleiche, chancengleiche und qualifikationsgerechte Zuteilung von Ansprüchen. Das Recht auf gleiche Teilhabe wird dabei oft zum Verfahrensrecht, das sich auf die Organisation und das Verfahren der Leistungsgewährung auswirkt. Für den Zugang zum öffentlichen Dienst trifft Art. 33 Abs. 2 GG eine spezielle Regelung.“
  40. BVerfG, Beschluss vom 18. März 2013, 2 BvR 1390/12, Rn. 159
  41. Verfassungsbeschwerden und Organstreitverfahren gegen Europäischen Stabilitätsmechanismus und Fiskalpakt erfolglos. In: Pressemitteilung Nr. 23/2014 vom 18. März 2014 zum Urteil vom 18. März 2014 in den Verfahren 2 BvR 1390/12, 2 BvR 1421/12, 2 BvR 1438/12, 2 BvR 1439/12, 2 BvR 1440/12, 2 BvR 1824/12 und 2 BvE 6/12. Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts, 18. März 2014, abgerufen am 18. März 2014: „Das durch Art. 38 Abs. 1 GG geschützte Wahlrecht gewährleistet als grundrechtsgleiches Recht die politische Selbstbestimmung der Bürger und garantiert die freie und gleiche Teilhabe an der in Deutschland ausgeübten Staatsgewalt. Sein Gewährleistungsgehalt umfasst die Grundsätze des Demokratiegebots im Sinne von Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG, die Art. 79 Abs. 3 GG als Identität der Verfassung auch vor dem Zugriff des verfassungsändernden Gesetzgebers schützt.“
  42. A.A. Pieroth/Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, Rn. 505, wonach ausdrücklich „Art. 21 […] selbst kein Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht ist […]“.
  43. Dolzer/Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar), Loseblattsammlung, S. 185, Art. 21 Rn. 216: „Art. 21 Abs. 1 S. 2 gibt mit den Worten, die Gründung der Parteien sei frei, zunächst ein Grundrecht der Parteifreiheit für jeden Bürger“; S. 186, Rn. 217: „Art. 21 Abs. 1 S. 2 schafft in Verbindung mit Art. 9 ferner ein Grundrecht der Parteien selbst.“
  44. Epping/Hillgruber: BeckOK Grundgesetz. 39. Ed. 15.11.2018. GG Art. 21 Rn. 93-97.
  45. Bärbel Schmidt: GS 2.1 Staatsrecht, Schranken-Schranken
  46. Laut Klaus Stern: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Band III/2, C.H. Beck, München 1994, S. 711 erstmals von Bettermann verwendet in einem Vortrag vor der Berliner Juristischen Gesellschaft im Jahr 1964; erstmals publiziert in Bettermann: Grenzen der Grundrechte. Berlin 1968.
  47. Lukas Staffler: Controlimiti als Integrationsfaktor für die Europäisierung von Strafrecht. In: Michael Stürner u. a. (Hrsg.): Jahrbuch für Italienisches Recht. Band 31. C.F. Müller, Heidelberg 2019, S. 167–200.
  48. Bundesverfassungsgericht, Abweichende Meinung der Richter Geller, von Schlabrendorff und Rupp zu dem Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1970 – 2 BvF 1/69, 2 BvR 629/68 und 308/69 –. Abgerufen am 28. Oktober 2015.
  49. Vgl. Matthias Herdegen, in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Hrsg.): Grundgesetz – Kommentar. 62. Ergänzungslieferung 2011, Art. 25, Rn. 15.
  50. Grundrecht. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Hrsg.): Deutsches Wörterbuch. Band 9: Greander–Gymnastik – (IV, 1. Abteilung, Teil 6). S. Hirzel, Leipzig 1935, Sp. 881–888 (woerterbuchnetz.de).
  51. Miloš Vec: Grundrechte der Staaten. In: Rechtsgeschichte – Legal History. Band 2011, Nr. 18, 1. Januar 2011, ISSN 2195-9617, S. 066–094, doi:10.12946/rg18/066-094 (rg.rg.mpg.de [abgerufen am 8. Oktober 2016]).
  52. Jörg Michael Schindler: Rechtsmetaphorologie – Ausblick auf eine Metaphorologie der Grundrechte. Duncker & Humblot, Berlin 2016, ISBN 978-3-428-14758-8, S. 217 ff.

Anmerkungen

  1. Das Recht auf ein faires Verfahren ist als ein vor dem Bundesverfassungsgericht einklagbares Grundrecht verfassungsmäßig verankert. Es hat seine Grundlage in Artikel 2 Absatz 1 GG bzw. spezielleren Freiheitsgrundrechten in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Artikel 20 Absatz 3 GG. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet ein justizförmiges Verfahren, zu dem auch gehört, dass es fair ist. Das Bundesverfassungsgericht führte 1974 diesbezüglich für den Bereich von Strafverfahren exemplarisch aus: „Zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zählt das Recht auf ein faires Verfahren […]. Es erschöpft sich nicht in der Selbstbeschränkung staatlicher Mittel gegenüber den beschränkten Möglichkeiten des Einzelnen, die sich in der Verpflichtung niederschlägt, daß staatliche Organe korrekt und fair zu verfahren haben […]. Als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens und daran anknüpfender Verfahren gewährleistet es dem Betroffenen, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde selbständig wahrnehmen und Übergriffe der im vorstehenden Sinn rechtsstaatlich begrenzten Rechtsausübung staatlicher Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können.“ (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 8. Oktober 1974, 2 BvR 747/73, Rn. 16.)
  2. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Wirksam ist nur ein zeitgerechter Rechtsschutz. Im Interesse der Rechtssicherheit sind strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären (vgl. BVerfGE 60, 253 (269); 88, 118 (124); 93, 1 (13)). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (vgl. BVerfGE 55, 349 (369); BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 – 1 BvR 775/07 –, NJW 2008, S. 503; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 – 1 BvR 1304/09 –, GesR 2009, S. 651). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Natur des Verfahrens und die Bedeutung der Sache für die Parteien, die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie, sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00 –, NJW 2001, S. 214 f.). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 – 1 BvR 901/03 –, NVwZ 2004, S. 334 f.) BVerfG, 1 BvR 331/10 vom 24. August 2010, Absatz-Nr. 1–20, hier Rn. 10–11.
  3. Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die überlange Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens von knapp vier Jahren den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Absatz 4 Satz 1 GG verletzt. Im Interesse der Rechtssicherheit sind strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären. Wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist, ist eine Frage der Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls, wobei insbesondere die Bedeutung der Sache für die Parteien, die Ursachen und die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für sie sowie die Schwierigkeit der Sachmaterie zu berücksichtigen sind. […] Rechtfertigende Umstände für die erhebliche Verfahrensdauer, insbesondere den Beteiligten oder Dritten zuzurechnende Verfahrensverzögerungen, sind nicht erkennbar. Die hohe Verfahrensbelastung der Sozialgerichtsbarkeit erster Instanz stellt für sich genommen keinen Rechtfertigungsgrund dar. Der Staat kann sich nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen. (Pressemitteilung Nr. 88/2010 vom 29. September 2010, „Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen überlange Verfahrensdauer beim Sozialgericht“ zum Beschluss 1 BvR 331/10 vom 24. August 2010)
  4. Allerdings gewährt nach der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (BayVerfGH) – Vf. 32-VI-15 – vom 17. November 2015 gesetze-bayern.de (Memento vom 28. August 2017 im Internet Archive) die Bayerische Verfassung kein Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, wie ihn das Grundgesetz in Art. 19 Abs. 4 GG gewährt.

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