Missa Prolationum
Missa Prolationum ist der (postume) Titel einer Vertonung des Ordinarium Missae von Johannes Ockeghem. Die Besonderheit liegt in der kompositorischen Gestaltung: notiert sind nur jeweils zwei von vier Stimmen – die beiden nicht notierten Stimmen sind aus den vorhandenen in der Art von Intervall- und Proportionskanons heraus abzuleiten. Als Entstehungszeitraum wird die Mitte bzw. zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts angenommen.
Komposition
Die Komposition ist für vier Stimmen (Bassus, Tenor, Contratenor, Superius) ausgelegt und umfasst die fünf Teile des Messordinariums:
- Kyrie
- Gloria
- Credo
- Sanctus und Benedictus
- Agnus Dei (in drei Abschnitten: I, II, III)
In der Komposition der Messe verwendet Ockeghem das Prinzip der Intervallvergrößerung in den Kanons von Messteil zu Messteil: im „Kyrie“ verlangt er zuerst den Kanon im Unisono, in der Obersekund und in der Unterterz, das „Gloria“ bringt den Kanon in der Unterquart, das „Credo“ in der Unterquint, das „Sanctus“ in der Obersext, der Unterseptim, der Oktave und im Benedictus wieder den Kanon in der Unterquart, ebenso das Agnus Dei I; das Agnus Dei II und III bringen den Unter- bzw. Oberquintkanon.
Palestrinas Missa Repleatur os meum verwendet eine ähnliche Idee, nur nicht in der konsequenten Durchführung Ockeghems, auch wenn im ersten Agnus Dei dieser Messe die Notenwerte der den Kanon auflösenden Stimme ebenfalls vergrößert (verdoppelt) werden sollen.
Das beeindruckende Moment dieser Messvertonung ist die Leistung Ockeghems, eine vierstimmige Vertonung in zwei Stimmen so anzulegen, dass sie allen Regeln und Erfordernissen der polyphonen Komposition seiner Zeit Genüge tut.
Gegenwärtig sind die (gewöhnlich anzunehmenden) Choral- oder Liedvorlagen noch nicht identifiziert und man geht also von einer vollkommenen Neukomposition ohne Rückgriff auf einen Cantus firmus aus – eine sehr ungewöhnliche Erscheinung zu jener Zeit.
Quellen und Datierung
Zwei handschriftliche Quellen geben die Messvertonung in sehr verschiedener Gestalt wieder, Codex Chigi (f.106v bis 114r), der für Philipp I. von Kastilien zwischen 1498 und 1503 angelegt wurde, also kurz nach Ockeghems Tod, die andere Quelle ist die Wiener Handschrift (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Handschriftensammlung, MS 11883, f.208r bis 221r). Das genaue Kompositionsdatum der Missa prolationum ist unbekannt, allen Bemühungen zum Trotz kann der Zeitraum der Entstehung nur auf ungefähr die Mitte bzw. zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts eingegrenzt werden.
Erste (Teil-)Drucke
1540 wird aus diesem Werk in Sebaldus Heydens "De Arte canendi" das Kyrie I, der Abschnitt „et in terra pax“ und das „Osanna“ mit jeweiliger Auflösung gedruckt. 1554 erscheint das Kyrie I ebenfalls mit Auflösung in Joannes Zangers „Practicae musicae praecepta“ und 1563 in Ambrosius Wilphlingseders „Erotemata musices practicae“.
Edition im 20. Jahrhundert
Die Messe wurde innerhalb einer Serie mit weiteren Kompositionen Ockeghems erstmals vollständig aufgelöst abgedruckt in:
- Johannes Ockeghem: Masses and Mass Sections IX–XVI. In: Publikationen älterer Musik, ii. Ed. D. Plamenac, New York 1947, (2/1966).
Weblinks
- Katalogeintrag und Digitalisat der Wiener Handschrift (Ockeghems Missa: Scans 421 bis 447; entsprechen den fol. 208r bis 221r der Handschrift)
- Digitalisat des Codex Chigi (Ockeghems Missa in: "Part 3 of 7" u. dort S. 44 bis 59 der pdf; entsprechen den fol. LXXXXVIIIv bis CVIr des Codex)
- Hier kann die Edition der Messe bei der Goldberg Stiftung eingesehen und heruntergeladen werden