Michail Michailow

Michail Michailow (* 14. September 1888 in Tschornobyl; † 23. Dezember 1923) eigentlich: Finkelstein, war ein russisch-jüdischer Geiger und Kapellmeister.[1]

Werdegang

Michail Michailow wurde als Kind eines Kulaken in Tschornobyl, Ukraine geboren, sein Geburtsname war Finkelstein. Seine musikalische Begabung wurde früh entdeckt. Den ersten Geigenunterricht erhielt er bei dem Konzertmeister (J. Schura?) Polischuk[2] aus Kiew, dessen Tochter er 1906 heiratete. Ab 1908 ging er nach Berlin und studierte ab September 1911 am Sternschen Konservatorium bei Alexander Fudemann. Neben dem Studium arbeitete er als Geiger, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er stellte ein eigenes Ensemble zusammen und bestritt damit längere Engagements im Admirals-Café und im Prinzeß-Café[3] in Berlin. Hier nahm Finkelstein den Künstlernamen Michail Michailow an, möglicherweise weil der jüdisch klingende Name Finkelstein einer erfolgreichen Karriere im Wege gestanden hätte.

Gleichwohl findet sich der Name M. Finkelstein noch auf dem markenlosen Etikett (ähnlich dem mit der Nr. 125.103: Nocturno von Chopin, siehe Abbildungen) einer 30 cm-Schallplatte, auf deren einer Seite die Meditation aus Thais von Jules Massenet (Matr. Nr. 5170), auf der anderen die Serenade von (Gabriel) Pierné (Matr. Nr. 5168) aufgenommen ist, gespielt als Violin-Solo von M. Finkelstein. Der Klavierbegleiter bleibt ungenannt. Die Platte stammt aus der ehemaligen Sammlung Paul Sauerlaender und wird derzeit im Deutschen Filmmuseum Frankfurt/Main aufbewahrt.

Mit seiner Kapelle machte er etwa ab 1912 erste Schallplattenaufnahmen für die Lindström-Marke Parlophon. Er spielte eigene Kompositionen, aber auch klassische wie Michail Glinkas Der Zweifel, im Trio mit Armin Liebermann am Cello und Friedrich Schmidt-Marlissa am Klavier, Fritz Kreislers Wiener Melodie oder Edvard Griegs Norwegischer Tanz No.2.[4]

Am 11. Mai 1912 wurde sein Sohn Mordechaj[5] geboren, der später ebenfalls Violinist wurde.

Am 22. Januar 1913 fand im Admirals-Café ein Benefiz-Konzert „für den beliebten Kapellmeister und russischen Geigenkönig Michailow mit verstärktem Orchester unter gefälliger Mitwirkung von Herrn Kapellmeister Julius Einödshofer“[6] statt. Am 1. Juli 1914 schloss Finkelstein sein Studium in Berlin ab. „Aufgrund seiner verzüglichen Leistungen als Violinspieler“[7] bekam er zum Abschied die Gustav-Hollaender-Medaille verliehen.

Als der Erste Weltkrieg ausbrach, floh Finkelstein zusammen mit anderen ukrainischen Musikern ins neutrale Schweden. Hier konnte er seine Karriere als Violinsolist unbehelligt fortsetzen. Bei Konzerten in Stockholm wurde er u. a. von Nathaniel Broman und Kerstin Sondbaum-Strömberg am Klavier begleitet.

Nach Kriegsende kehrte er nach Berlin zurück. In einer Veranstaltung des Russischen Klubs Berlin am 29. September 1919 spielte er im Kaisersaal des Weinhauses Rheingold bei der Aufführung von Artur Rubinsteins Romance; Solisten waren außerdem Lidija Potozkaja und Giorgij Kjakscht (1873–1936), Ballettmeister der ehem. Kaiserl. Theater.[7] Während er auf dem Parlophon-label weiter das klassische Repertoire pflegte, machte er als Tanz-Orchester, Direktion M. Michailow auch Aufnahmen bei der Grammophon und deren Filialmarken Polyphon und Reneyphon, meist mit konzertanten Stücken wie der populären Toselli-Serenade oder der beliebten Russischen Romanze Habe Mitleid mit mir/Pozalej von N. R. Bakalainikow, aber auch mit Ragtime-beeinflußter[8] Tanz-Musik, so z. B. mit Kitty[9] (auf Gr 13 674), mit Hitchy-Koo, oder dem One-step Waitin’ for the Robert E. Lee, (alle c. 1920).

Michailow starb am 23. Dezember 1923 im Alter von nur 35 Jahren an Tuberkulose.

Tondokumente (Auswahl)

Parlophon

  • Parlophon P.1040–I (mx. 2–2483) Solveigs Sang aus “Peer Gynt” (Edvard Grieg op. 23) M. Michailow, vl. mit Klavier. Aufgen. 22. Juli 1919
  • Parlophon P.1040–II (mx. 2–2484) Poème (Zdenko Fibich, op. 41) M. Michailow, vl. mit Klavier. Aufgen. 22. Juli 1919
  • Parlophon P.1319–I (mx. 2–5733) Si vous l’aviez compris (Denza - Bordése) M. Michailow, vl. und F. Schmidt-Marlissa, p., aufgen. 15. Februar 1922
  • Parlophon P.1319–II (mx. 2–5736) La serenata (Tosti) M. Michailow, vl. und F. Schmidt-Marlissa, p., aufgen. 15. Februar 1922
  • Parlophon P.1356–I (mx. 2–5734) Der Zweifel (Mihail Glinka) M. Michailow, vl., Armin Liebermann vcl., F. Schmidt-Marlissa, p., aufgen. 15. Februar 1922
  • Parlophon P.1356–II (mx. 2–5737) Pour un baiser - Mélodie (Paolo Tosti) M. Michailow, vl., Armin Liebermann vcl., F. Schmidt-Marlissa, p., aufgen. 15. Februar 1922
  • Parlophon P.1325–I (mx. 2–5763) Souvenir in D (Franz Drdla) M. Michailow, vl. mit Orchester. Aufgen. 15. März 1922.
  • Parlophon P.1340–II (mx. 2–5766) Gavotte Michailow (M. Michailow) M. Michailow, vl., mit Orchester. Aufgen. 15. März 1922.

Deutsche Grammophon

  • Grammophon 13 674 (mx. 377 at) Kitty. Foxtrot von René Richard Schmal. Tanz-Orchester, Direktion M. Michailow.
  • Grammophon 13 683 (mx. 428 ar) Hiawatha. Gesellschaftstanz (G. Urban) Tanz-Orchester, Direktion M. Michailow.
  • Grammophon 15 765 (mx. 68 ap) Célébre Serenata, Boston-Walzer (Enrico Toselli) Tanz-Orchester, Direktion M. Michailow.
  • Grammophon 15 765 (mx. 186 as) Waitin’ For The Robert E. Lee. One-step (Lewis F. Muir & M. Abrams) Tanz-Orchester, Direktion M. Michailow.
  • Grammophon 15 775 (mx. 41 an) Hitchy-Koo (Lewis F. Muir) Tanz-Orchester, Direktion M. Michailow.
Polyphon
  • Polyphon 50 061 (mx. 99 as) Habe Mitleid mit mir. Russ. Romanze (Pawlowicz[10]) M. Michailow, vl. mit Orchester.
  • Polyphon 50 061 (mx. 100 as) Berceuse tendre (Daniderff) M. Michailow, vl. mit Orchester.
  • Polyphon 50 063 (mx. 43 ap) Serenade aus dem Ballett „Die Millionen des Harlekin“. M. Michailow mit Künstler-Ensemble.
  • Polyphon 50 063 (mx. 44 ap) „Lied ohne Worte“ (Tschaikowsky) M. Michailow mit Künstler-Ensemble.

Hörbeispiele

  • youtube.com Blaue Adria. Foxtrot (A. Rebner): Tanz-Orchester, Direktion M. Michailow. Grammophon 13 676 (mx. 14 098 r), nach 1918[11]
  • grammophon-platten.de Waitin’ For The Robert E. Lee. One-step (Lewis F. Muir & M. Abrams) Tanz-Orchester, Direktion M. Michailow. Grammophon 15 765 (mx. 186 as) (30 cm)[12]

Abbildungen

  • Favorite-label F 226–I (F 016) Libellen-Tänze vom Orchester Polischuk: Dixie Landgramofon.nava.hu (auch Klangbeispiel)
  • Favorite-label F 226–II (F 017) Libellen-Tänze vom Orchester Polischuk: Smilesgramofon.nava.hu (auch Klangbeispiel)
  • Namenloses label 125.103: Nocturno (Chopin) Violin-Solo, vorgetragen von M. Michailow, mit Orchesterbegleitung. Odessa. i.ebayimg.com
  • Parlophon-label P.1319–I (mx. 5733) Si vous m’aviez compris (Denza) Solo de violon M. Michailow / P.1319-II (mx. 5736) La serenata (F. Paolo Tosti) Solo de violon M. Michailow. ebay.de
  • Parlophon-label P.1340–II (mx. 5766) Gavotte Michailow. Michailow, Violin-Solo mit Orchester. historicalmusicstore.com
  • Polyphon-label Nr. 50 066 (mxx. 120.012 u. 120.013) Fantasie aus “Tosca” 1./2. Teil von Puccini. M. Michailow mit Künstler-Ensemble. ebay.de
  • Grammophon-label Nr. 15 765 (mx. 186 as) Waitin’ For The Robert E. Lee. One-step von Lewis F. Muir und Maurice Abrams. Tanz-Orchester, Direktion M. Michailow.grammophon-platten.de

Literatur

  • Horst J. P. Bergmeier, Rainer E. Lotz: Das Rätsel des M. Michailow. In: Fox auf 78. Heft 19 – Frühjahr 2000, S. 16–19.
  • HBi [d. i. Herbert Birett]: Paul-Sauerlaender-Sammlung. In: Lexikon der Filmbegriffe. filmlexikon.uni-kiel.de
  • Simon Géza Gábor, Wolfgang Hirschenberger: Ragtime in der k. u. k. Monarchie. Aufsatz 2008, (mit Klangbeispielen) wiedergegeben bei grammophon-platten.degrammophon-platten.de
  • Wolfgang Hirschenberger: Cakewalk im Cafehaus. Kleine Geschichte des Ragtime in Österreich. In: K. Krüger (Hrsg.): Fox auf 78. Nr. 3 (Frühjahr 1987), p. 46–47
  • Horst Heinz Lange: Jazz in Deutschland: die deutsche Jazz-Chronik bis 1960. Ausgabe 2, illustriert; Hildesheim, Verlag G. Olms, 1996.
  • Horst Heinz Lange: Die deutsche „78er“: Discographie der Jazz- und Hot-Dance-Musik 1903–1958. Berlin, Colloquium Verlag, 1966, Länge 775 Seiten.
  • Rainer E. Lotz: German Ragtime and Prehistory Of Jazz. Chigwell, Essex, England: Storyville Publications, 1985. ISBN 0-902391-08-9.
  • Stengel-Gerigk = Lexikon der Juden in der Musik. Mit einem Titelverzeichnis jüdischer Werke. Zusammengestellt im Auftrag der Reichsleitung der NSDAP auf Grund behördlicher, parteiamtlich geprüfter Unterlagen, Theo Stengel, Herbert Gerigk (Bearb.), (= Veröffentlichungen des Instituts der NSDAP zur Erforschung der Judenfrage, Bd. 2), Berlin: Bernhard Hahnefeld, 1941.
  • Christian Zwarg: on line Diskographie PARLOPHON (Matrix Numbers – 2–5500 to 2–6999: German)discography.phonomuseum.at (PDF; 1,0 MB)

Einzelnachweise

  1. M. Michailow war auf den Plattenetiketten die übliche Abkürzung, daneben oft nur „Michailow“, z. B. auf Parlophon-label P.1340–II. Voll ausgeschriebener Name kommt nicht vor.
  2. dieser ukrainisch-jüdische Musiker leitete später die Orchester auf so mancher Beka-Aufnahme in den 1920er Jahren, ohne auf dem label erwähnt zu werden; diese Ehre wurde ihm lediglich auf einigen Favorite-Platten erwiesen, z. B. auf Favorite F.211–II (F 08/30 415) Mister Mendelssohn, Ragtime von Leo Beresowski, vom 12. Mai 1919, oder auf F.226–II (F 017/1–30 461) Dixie Land, Amerikanischer One-Step von Cobb & Gumble, beide aus der Reihe Libellen-Tänze vom Orchester Polischuk, vgl. gramofon.nava.hu@1@2Vorlage:Toter Link/gramofon.nava.hu (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Mai 2019. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  3. eine Photopostkarte des Cafés am Kurfürstendamm Nr. 16 aus der Sammlung Prof. Giesbrecht, Uni-Osnabrück, bei bildpostkarten.uni-osnabrueck.de
  4. vgl. Christian Zwarg: on line Diskographie Parlophon
  5. vgl. Eintrag bei LexM.: Mordechaj Finkelstein, später: Max Michailow, geb. am 11. Mai 1912 in Berlin, Deutschland, Orchestermusiker, Geiger (2007, aktualisiert am 19. Jan. 2012) lexm.uni-hamburg.de; Stengel-Gerigk sp. 74 und 208 nennt ihn „Morduch (Max)“; Michailow sen. wird dort nicht geführt.
  6. Komponist u. Kapellmeister (1863–1930), von 1911 bis 1921 am Admirals-Palast, vgl. ÖBL I, S. 234 biographien.ac.at, operone.de Kathrin Chod, Herbert Schwenk, Hainer Weisspflug: Einödshofer, Julius. In: Hans-Jürgen Mende, Kurt Wernicke (Hrsg.): Berliner Bezirkslexikon, Mitte. Luisenstädtischer Bildungsverein. Haude und Spener / Edition Luisenstadt, Berlin 2003, ISBN 3-89542-111-1 (luise-berlin.de Stand 7. Oktober 2009).
  7. vgl. Bergmeier-Lotz S. 16
  8. vgl. Lotz: German Ragtime... S. 192
  9. zu diesem Stück und seinem Komponisten: Simon Géza Gábor, Wolfgang Hirschenberger: Ragtime in der k. u. k. Monarchie. Aufsatz (mit Klangbeispielen), grammophon-platten.de, Odenthal/Osterwitz 2008: „‚Kitty-Foxtrot‘ ist demgegenüber vielleicht nicht gerade Schmals beste Komposition, dafür aber seine weitaus erfolgreichste. Mit ihren außerordentlich hohen Verkaufszahlen (Klaviernoten inklusive Tanzanleitung) trug sie zumindest in Wien wohl einiges zur Popularisierung des Foxtrot bei.“
  10. so das Etikett. Allgemein gilt N. R. Bakalainikow als Verfasser; Name eines Bearbeiters?
  11. Der Text zu diesem posting verwechselt den Sohn Max mit dem Vater Michail, welcher hier dirigiert. Max, 1912 geboren, wäre 1918 gerade 6 Jahre alt gewesen. Bedenklich ist ferner die Angabe des Komponisten mit „A. Rebner“ auf dem label, denn geschrieben hat das Stück der Amerikaner Percy Wenrich, der es schon vor dem Kriege in den Staaten als Moonlight Bay herausgebracht hatte; Arthur Rebner mag 1918 die Melodie allenfalls als Foxtrot bearbeitet haben.
  12. vgl. Lange 78er Diskographie S. 768–769, ders. Jazz in Deutschland S. 10
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