Mary Anning
Mary Anning (* 21. Mai 1799 in Lyme Regis; † 9. März 1847) war eine britische Fossiliensammlerin. Sie war eine der ersten professionellen Sammlerinnen von Fossilien und wird damit als eine der ersten Paläontologinnen betrachtet.
Leben und Wirken
Mary Anning wurde in dem an der südlichen englischen Küste gelegenen Dorf Lyme Regis in Dorset geboren. Ihr wird nachgesagt, schon im Alter von 15 Monaten als ungewöhnlich aufgefallen zu sein: Als im Jahr 1800 mitten im Dorf ein Blitz einschlug, der vier Frauen traf, war sie die einzige Überlebende. Mary war eines von zehn Kindern, von denen nur sie und ihr Bruder Joseph das Kindesalter überlebten. Sie wurde nach ihrer ältesten Schwester benannt, die bereits Mary geheißen hatte und im Alter von vier Jahren verstorben war.
Mary Annings Vater Richard war Tischler, der sein Einkommen dadurch aufbesserte, dass er an den Klippen in der Nähe von Lyme Regis Fossilien suchte, die er dann an Touristen verkaufte. Als er 1810 an Tuberkulose starb, blieb die Familie ohne Ernährer zurück und Mary und ihr Bruder Joseph fingen an, in großem Stil nach Fossilien zu suchen, mit deren Verkauf sie das Familieneinkommen aufbesserten.
Mary Anning freundete sich früh mit Elizabeth Philpot an. Trotz der fast 20 Jahre Altersunterschied und der Tatsache, dass Anning einer viel ärmeren Klasse entstammte, während Philpot aus dem begüterten Mittelstand kam, wurden sie fast täglich beim gemeinsamen Fossiliensammeln gesehen. Philpot ermunterte Anning, geologische Schriften zu lesen und so die Wissenschaft hinter den Fossilien, die sie gesammelt und verkauft hatte, zu verstehen.[2]
Das Sammeln von Fossilien war im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert in Mode gekommen. Anfangs nicht mehr als ein Hobby, erkannte man allmählich die Bedeutung von Fossilien für Geologie und Biologie. Auch wenn Anning das Sammeln lediglich begann, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, hatte sie bald Verbindungen zu den Geologen und Biologen ihrer Zeit. Der erste Anlass war die Entdeckung des Skeletts eines Ichthyosaurus, eines Fischsauriers, wenige Monate nach dem Tod ihres Vaters. Ihr Bruder hatte ein Jahr zuvor einen Schädel entdeckt, der aussah wie der eines großen Krokodils. Der Rest des Skeletts konnte anfangs nicht gefunden werden, bis Mary Anning nach einem Sturm, der Teile der Klippe wegriss, den Rest des Körpers fand. Dies war das erste komplette Skelett eines Ichthyosaurus, das man bis zu diesem Zeitpunkt gefunden hatte. Teile von Skeletten waren zuvor schon gefunden und die Art war anhand von Fragmenten, die man in Wales entdeckt hatte, schon 1699 beschrieben worden. Der wichtige Fund eines kompletten Skeletts fand jedoch Eingang in die Transactions of the Royal Society. Mary Anning war zu diesem Zeitpunkt zwölf Jahre alt.
Mit zunehmender Bekanntheit fiel sie Thomas Birch auf, einem wohlhabenden Fossiliensammler. Von der Armut Marys und ihrer Familie berührt, verkaufte er seine eigene Fossiliensammlung für 400 Britische Pfund, die an die Familie Anning gingen. Mit einem nun etwas gesicherten (wenn auch immer noch sehr geringen) finanziellen Rückhalt setzte Mary Anning ihre Suche nach Fossilien fort, auch nachdem ihr Bruder Arbeit als Polsterer gefunden hatte.
Ihr nächster großer Fossilienfund war der eines Plesiosaurus dolichodeirus im Jahre 1821, der erste, der von dieser Gattung gefunden wurde und der in seiner Qualität bis heute nicht übertroffen wurde. Er wurde von dem Paläontologen und Geologen William Daniel Conybeare wissenschaftlich beschrieben. 1828 fand sie als dritten großen Fund den ersten Flugsaurier außerhalb Deutschlands, von William Buckland 1829 als Pterodactylus macronyx beschrieben. Richard Owen stellte die Art später in die neue Gattung Dimorphodon. Gideon Mantell hielt seine bereits 1827 beschriebenen Flugsaurierfossilien für die Reste eines Vogels.[3]
1825 begleitete sie Charlotte Hugonin, die Frau des Paläontologen Roderick Murchison, auf ihren Sammeltouren.[4]
Anning starb im Alter von 47 Jahren an Brustkrebs.[5] Als ihre Erkrankung bekannt wurde, sammelte 1846 die Geological Society of London Geld für sie.[6] Im Juli 1846, einige Monate vor ihrem Tod, wurde sie zum ersten Ehrenmitglied des neuen Dorset Country Museum ernannt.
Bedeutung
Mit diesen drei bedeutenden Funden fand Mary Anning ihren Platz in der Paläontologie. Ihre Leistung bestand nicht nur in ihrer außergewöhnlichen Begabung, Fossilien aufzufinden, sondern auch in der Sorgfalt und Geduld, mit der sie diese ausgrub. An der Ausgrabung des Plesiosaurus arbeitete sie zehn Jahre lang ohne Unterstützung von außen und mit einfachstem Werkzeug. Darüber hinaus war sie – die niemals eine wissenschaftliche Ausbildung irgendeiner Art genoss – sowohl in der Lage, ihre Funde kompetent zu zeichnen als auch sie treffend zu beschreiben.[7]
Anning suchte ihr gesamtes Leben nach Fossilien und trug mit ihren Funden wesentlich zur Entwicklung der frühen Paläontologie bei. Als Enddreißigerin erhielt sie eine jährliche Pension der British Association for the Advancement of Science als Dank für ihre Leistungen.
Annings Funde waren wichtige Belege für das Aussterben von Tierarten. Bis zu ihrer Zeit wurde allgemein angenommen, dass Tierarten nicht aussterben; jeder merkwürdige Fund wurde als ein Tier erklärt, das noch irgendwo in einem unentdeckten Teil der Erde lebe. Die bizarre Natur der Fossilien, die Anning fand, unterlief dieses Argument und unterstützte die umstrittene These Georges Cuviers, dass es sich dabei um ausgestorbene Arten handelte. Dies bereitete den Weg für das Verständnis des Lebens in früheren geologischen Zeitaltern.[8]
Die Küste, an der Mary Anning ihre Funde machte, ist heute eine der berühmtesten Fundstellen für Saurierfossilien weltweit. Die ältesten Schichten der Küste stammen aus der Trias und können auf ein Alter von ca. 250 Millionen Jahren datiert werden, die jüngsten Schichten stammen aus dem Ende der Kreidezeit – somit decken sie einen Großteil des Erdmittelalters, einer von Sauriern dominierten Erdepoche, ab. Sie wird allgemein Jurassic Coast genannt und gehört zum Weltkulturerbe der UNESCO.[9]
Mary Anning selbst geriet nach ihrem Tod in Vergessenheit, wurde in den letzten Jahrzehnten jedoch als eine der wichtigsten und außergewöhnlichsten Figuren der frühen Paläontologie wiederentdeckt.
Auszeichnungen und Ehrungen
- Im Jahr 1991 wurde eine Ansammlung von flachen Vulkanen auf der nördlichen Hemisphäre des Planeten Venus nach ihr benannt: Anning Paterae.[10]
- Am 4. Mai 1999 wurde ein Asteroid nach ihr benannt: (3919) Maryanning.[11]
- Nach ihr sind unter anderem folgende Taxa benannt:
- 2020 wurde sie in dem britischen Spielfilm Ammonite von Francis Lee durch Kate Winslet porträtiert.
Literatur
- Marie Day: Dragon in the Rocks: A Story Based on the Childhood of the Early Paleontologist, Mary Anning. Firefly Books, New York 1995, ISBN 1-895688-38-8.
- Crispin Tickell: Mary Anning of Lyme Regis. Lyme Regis Philpot Museum, Lyme Regis 1996, ISBN 0-9527662-0-5.
- Dennis B. Fradin: Mary Anning – The Fossil Hunter (Remarkable Children). Silver Burdett Press, Parsippany NJ 1997, ISBN 0-382-39487-9.
- Nigel J. Clarke: Mary Anning 1799–1847 – A Brief History. Nigel J Clarke Publications, Lyme Regis Dor 1998, ISBN 0-907683-57-6.
- Jeannine Atkins: Mary Anning and the Sea Dragon. Illustrationen von Michael Dooling. Farrar, Straus, Giroux, New York 1999, ISBN 0-374-34840-5.
- Sally M. Walker: Mary Anning – Fossil Hunter. On My Own Biographies. Carolrhoda Books, Minneapolis 2000, ISBN 1-57505-425-6.
- Thomas W. Goodhue: Curious Bones – Mary Anning and the Birth of Paleontology. Great Scientists. Morgan Reynolds Pub., Greensboro NC 2002, ISBN 1-883846-93-5.
- Don Brown: Rare Treasure: Mary Anning and Her Remarkable Discoveries. Houghton Mifflin Co, Boston 2003, ISBN 0-618-31081-9.
- Thomas W. Goodhue: Fossil Hunter – The Life and Times of Mary Anning (1799–1847). Academica Press, Bethesda 2004, ISBN 1-930901-55-0. ISBN 1-883846-93-5
- Sheila Cole: The Dragon in the Cliff. A Novel Based on the Life of Mary Anning. iUniverse, Lincoln Neb 1991, 2005, ISBN 0-595-35074-7.
- Laurence Anholt: Stone Girl Bone Girl: The Story of Mary Anning. Frances Lincoln Publishers, New York 2006, ISBN 1-84507-700-8.
- Patricia Pierce: Jurassic Mary – Mary Anning and the Primeval Monsters. Sutton Publishing, Stroud 2006, ISBN 0-7509-4039-5.
- Bernhard Kegel: Ausgestorben, um zu bleiben. Dinosaurier und ihre Nachfahren. DuMont, Köln 2008, ISBN 978-3-8321-6495-9.
- Julia Bihar: Mary Anning. Im Selbststudium zur Paläontologin. In: Geographische Rundschau, Jg. 74 (2022), Heft 6, S. 57.
- Michael A. Taylor und Michael J. Benton: The Life of Mary Anning, Fossil Collector of Lyme Regis: a Contemporary Biographical Memoir by George Roberts. In: Journal of the Geological Society. Onlineveröffentlichung vom 11. Januar 2023, doi:10.1144/jgs2022-053 (Open Access).
Trivia
- Es wird allgemein angenommen, dass der alte englische Zungenbrecher She sells sea shells by the sea shore vom englischen Schriftsteller Terry Sullivan stammt und auf der Geschichte von Mary Anning basiert.[15][5]
- In jüngerer Zeit war sie auch Gegenstand des Lieds Do You Know Mary Anning? der Gruppe Artichoke.[16]
- Im Roman Die Geliebte des französischen Leutnants kritisiert John Fowles, dass während ihres Lebens kein einziger britischer Paläontologe eine Art nach ihr benannte.[6]
- Tracy Chevalier veröffentlichte im Jahr 2009 den Roman Zwei bemerkenswerte Frauen, in dem die Lebensgeschichte von Elizabeth Philpot und Mary Anning als Grundlage eines fiktiven Liebesromans dient.[17] 2010 hat eine australische Filmproduktion sich das Recht an der Verfilmung des Buches gesichert.[18]
Weblinks
- Soaraya Een Hajji, James Portnow: Mary Anning – Princess of Paleontology. (Streaming-Video auf YouTube, 9:34 Minuten) In: Extra History. 22. April 2017 (englisch).
- Silke Wolfrum: Mary Anning – Pionierin der Paläontologie. (mp3-Audio, 23:54 Minuten, 21,9 MB) In: Bayern-2-Sednung radioWissen. 2. September 2022 .
- Biographie bei fembio https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/mary-anning/
Einzelnachweise
- Yvette Gayrard-Valy: Zeugen der Urzeit (= Abenteuer Geschichte; 15). Ravensburger Buchverlag, Ravensburger, 3. Auflage, 1990, ISBN 3-473-51015-7, S. 102.
- Emling, 2009, S. 17, 40, 65–66.
- Peter Wellnhofer: Die große Enzyklopädie der Flugsaurier. Mosaik Verlag, München 1993. S. 27–29.
- Geikie 1875, Band 2, S. 334
- Shelley Emling: The fossil hunter: dinosaurs, evolution, and the woman whose discoveries changed the world. Palgrave Macmillan, New York 2009, ISBN 978-0-230-61156-6.
- Hugh Torrens: Mary Anning (1799–1847) of Lyme; ‘the greatest fossilist the world ever knew’. In: The British Journal for the History of Science. Band 28, Nr. 3, 1995, ISSN 1474-001X, S. 257–284, doi:10.1017/s0007087400033161 (cambridge.org [abgerufen am 8. Juli 2017]).
- Bill Bryson: A short History of nearly Everything. Broadway Books, New York 2003, ISBN 0-552-15174-2, S. 114f.
- Emling, Shelley.: The fossil hunter: dinosaurs, evolution, and the woman whose discoveries changed the world. Palgrave Macmillan, New York 2009, ISBN 978-0-230-61156-6, S. 48–49.
- Marco Evers: Das Grab Gottes. In: Der Spiegel. Hamburg 2008, 2, S. 128ff. ISSN 0038-7452
- Anning Paterae im Gazetteer of Planetary Nomenclature der IAU (WGPSN) / USGS (englisch)
- The Minor Planet Circulars vom 4. Mai 1999, Seite 34619 (englisch)
- Emling, Shelley.: The fossil hunter : dinosaurs, evolution, and the woman whose discoveries changed the world. 1st ed Auflage. Palgrave Macmillan, New York 2009, ISBN 978-0-230-61156-6.
- Peggy Vincent, Roger B. J. Benson: Anningasaura, a basal plesiosaurian (Reptilia, Plesiosauria) from the Lower Jurassic of Lyme Regis, United Kingdom. In: Journal of Vertebrate Paleontology. Band 32, Nr. 5, 1. September 2012, ISSN 0272-4634, S. 1049–1063, doi:10.1080/02724634.2012.686467.
- Dean R. Lomax, Judy A. Massare: A new species of Ichthyosaurus from the Lower Jurassic of West Dorset, England, U.K. In: Journal of Vertebrate Paleontology. Band 35, Nr. 2, 4. März 2015, ISSN 0272-4634, S. e903260, doi:10.1080/02724634.2014.903260.
- Bill Bryson: A short History of nearly Everything. S. 115.
- The Wyrdest Greek, abgerufen am 27. Dezember 2011
- Zwei bemerkenswerte Frauen. (Remarkable Creatures.) Knaus Verlag, München 2010, ISBN 978-3-8135-0368-5
- Memorable TV The Galvanized Film Group Acquires Film Rights to Tracy Chevalier’s novel Remarkable Creatures, abgerufen am 26. Dezember 2011.