M-Aktion

Ab 1942 wurde eine „Dienststelle Westen“ des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete mit einer so genannten M-Aktion („M“ für Möbel) tätig und beschlagnahmte Möbel und sonstige Einrichtungsgegenstände aus „unbewachten jüdischen Wohnungen“ von geflohenen oder deportierten Juden in Frankreich und den Benelux-Ländern. Die Wohnungseinrichtungen wurden in Sammellager geschafft, anfangs den Verwaltungen in den besetzten Ostgebieten zur Verfügung gestellt, später jedoch bevorzugt den „Bombengeschädigten“ im Deutschen Reich zum Kauf angeboten.[1]

Dienststelle Westen

Der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) leitete in den besetzten westlichen Ländern eine zusätzliche Raubaktion ein. Jetzt galt es Möbel, Haushaltsgegenstände und auch Kleidung aus jüdischen Wohnungen in Frankreich, Belgien und den Niederlanden zu beschlagnahmen und abzutransportieren. Dies führte bald zu einer personellen Überlastung des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg, und so richtete Rosenberg nach Rücksprache mit dem „Führer“ am 17. April 1942 in Paris eine selbständige „Dienststelle Westen“ des RMO ein, von der aus weitere Dienststellen im besetzten Frankreich, in Belgien und in den Niederlanden geleitet wurden.[2]

Anfangs sollte die Dienststelle Westen die neu einzurichtenden Verwaltungsbehörden in den eroberten Ostgebieten mit Möbeln versorgen. Als die Bombardements der Alliierten zunahmen und große Zerstörungen in deutschen Städten angerichtet wurden, wurden die Möbel der M-Aktion zur Versorgung der Bombengeschädigten verwendet. Als „Leiter der Dienststelle Westen“ fungierte Kurt von Behr,[3] der Leiter des Amtes Westen des ERR (Frankreich, Belgien und die Niederlande) war und dem Leiter des ERR Gerhard Utikal unterstellt war.[4] Gleichzeitig war Behr bis Juni 1943 Chef des Sonderstabs „Bildende Kunst“ im Amt Westen des ERR. Von Behr war ein Hauptverantwortlicher für den Kunstraub des ERR im Westen. Behr hatte keinerlei Unrechtsbewusstsein und rühmte sich der Erfindung der Möbelraubaktion.[5] Das deutsche Personal der Dienststelle umfasste rund 80 männliche sowie 30 weibliche Beamte und Angestellte, die dem „Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete“ angehörten.[6] Insgesamt dürfte die Mitarbeiterzahl der M-Aktion mehrere Tausend betragen haben. Schon mit den Wohnungsräumungen waren täglich bis zu 1500 französische Arbeiter mit 150 Lastkraftwagen beschäftigt; in drei Sammellagern waren 800 jüdische Zwangsarbeiter eingesetzt und kaserniert.[7] Darüber hinaus wurden zahlreiche Polizisten und Arbeiter eingesetzt, die den Transport ermöglichten.

Ab 1942 war die Dienststelle Westen operativ tätig. Im April verließen die ersten Züge mit Raubgut Paris in Richtung Osten. Ein erstes Sammellager im Reich gab es in Köln; nach der Bombardierung von Köln am 30. Mai 1942 fuhren die Züge an diverse andere Orte.

Vorgehen

Im „Tätigkeitsbericht der Dienststelle Westen“ wird dargestellt, dass in vielen Fällen „Erfassungsbeamte“ in Paris von Haus zu Haus gingen, um verlassene Wohnungen geflohener Juden ausfindig zu machen, das Inventar aufzunehmen und die Tür zu versiegeln. Allein in Paris wurden über 38.000 Wohnungen erfasst.[8]

Um Einsprüche und Irrtümer zu vermeiden, blieben die Wohnungen meist zwei bis drei Monate versiegelt, bevor ein Beamter des Transportkommandos mit Dolmetscher und Möbelpackern die Räumung vornahm.[9] Die Möbel, andere Wohnungseinrichtungsgegenstände, Geschirr, Kleidung und Wäsche usw. wurden in sechs Warenhäusern und Lagerhallen gesammelt.[10] In drei von ihnen waren 800 Juden als Zwangsarbeiter zum Sortieren und Verpacken eingesperrt, sie wurden von SS-Einheiten bewacht. In angegliederten Werkstätten wurden die eingelieferten Gegenstände von Facharbeitern wie Tischlern, Kürschnern, Schuhmachern, Uhrmachern usw. instand gesetzt und anschließend verpackt. Zumeist wurde das Lager Aubervilliers, das über einen eigenen Gleisanschluss verfügte, für den Abtransport nach Deutschland genutzt.

„Leistungsbilanz“

In einem „Gesamtleistungsbericht bis zum 31. Juli 1944“[11] werden folgende Daten genannt:

  • 69.619 jüdische Wohnungen erfasst, 69.512 komplette Wohnungen an die bombengeschädigten Orte in Deutschland transportiert
  • 26.984 dafür benötigte Güterzugwaggons
  • sichergestellt ferner Devisen und Wertpapiere im Wert von 11.695.516 RM
  • abtransportiert außerdem 2.191.352 kg Altmetall, Altpapier und Spinnstoffe

Im Rahmen der Aktion geraubte verwertbare Bücher wurden in Paris in der Alliance Israélite Universelle und in einem Sortierzentrum in Amsterdam gesammelt und dann großteils an das Institut zur Erforschung der Judenfrage in Frankfurt oder an die Zentrale Buchleitstelle in Berlin und später Ratibor gesandt.[12]

Ferner wurden zahlreiche in Antwerpen vorgefundene Lifts, seefeste Kisten mit Umzugsgut von Emigranten, mit Binnenschiffen abtransportiert.[13] So erhielt Hamburg beispielsweise 45 Schiffsladungen mit 27.227 Tonnen an Möbeln, Einrichtungsgegenständen und Kleidung.[14] Dies wird jedoch in der „Leistungsbilanz“ nicht erwähnt und könnte auch von anderer Stelle veranlasst worden sein.

Profiteure

Ursprünglich hatte Rosenberg geplant, das in Frankreich beschlagnahmte Mobiliar zugunsten der Verwaltung im Osten zu verwenden.[15] Da die Bahnstrecken durch Militärtransporte überlastet waren, wurde das geraubte Inventar jedoch in elf „Reichslagern“ als Reserve gesammelt[16] oder unmittelbar an „Fliegergeschädigte“ veräußert.

Beliefert wurden auch SS-Divisionen sowie die Reichsbahn und Reichspost. Zu den Begünstigten gehörten neben Ausgebombten die Kriegsversehrten sowie kinderreiche Familien und Neuvermählte.[17] Auch „Ritterkreuzträger“ durften „Zuwendungen aus der M-Aktion“ beanspruchen.[18] Teilweise gab es auch öffentliche Versteigerungen, die in Zeitungen angekündigt wurden. Alle Einnahmen wurden an die Reichskasse abgeführt.

Die M-Aktion der Dienststelle Westen galt als „siegwichtige Arbeit für die Not leidenden Volksgenossen“, mit der die Kriegsmoral gestützt wurde, indem schwer Bombengeschädigte alsbald mit einer vollständigen Wohnungseinrichtung ausgestattet werden konnten.[19] Privatwirtschaftliche Kooperationspartner der NS-Stellen wie beispielsweise die Spedition Kühne + Nagel profitierten ebenfalls von den Aufträgen durch die Aktion.

Wiedergutmachung

Bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs ordneten die West-Alliierten die Rückerstattung der noch feststellbaren, in der Zeit des Nationalsozialismus entzogenen Vermögensgegenstände an. Für die amerikanische und britische Besatzungszone erging das Militärregierungsgesetz Nr. 59,[20] für die französische Besatzungszone die Verordnung Nr. 120 vom 10. November 1947[21] und für Berlin (West) die Anordnung BK/O (49) 180 vom 26. Juli 1949.[22] Darunter fiel auch die noch vorhandene Beute aus den sog. M-Aktionen.[23]

Im Rahmen der deutschen Wiedergutmachungspolitik wurden diese Regelungen für das Gebiet der Bundesrepublik im Bundesrückerstattungsgesetz (BRüG) von 1957 vereinheitlicht (§ 11 Nr. 1a bis d BRüG).

Siehe auch

Literatur

  • Quelle „Bericht über die M-Aktion der Dienststelle Westen vom August 1944“ = Dokument 188-L abgedruckt in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem IMT – Nachdruck München 1989, ISBN 3-7735-2527-3, Band XXXVIII (= Dokumentenband 14), S. 25–32.
  • Wolfgang Dreßen: Betrifft Aktion 3 – Deutsche verwerten jüdische Nachbarn. Aufbau-Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-351-02487-8.
  • Götz Aly: Hitlers Volksstaat. S. Fischer, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-10-000420-5 (Kapitel: Unbürokratische Soforthilfe).
  • Jean-Marc Dreyfus, Sarah Gensburger: Des camps dans Paris. Austerlitz, Lévitan, Bassano, juilet 1943 – août 1944. Fayard, Paris 2003, ISBN 2-213-61707-4.
  • Hanns Christian Löhr: Kunst als Waffe – Der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, Ideologie und Kunstraub im „Dritten Reich“. Berlin 2018, S. 83 ff. ISBN 978-3-7861-2806-9.
  • Margarete Rosenbohm-Plate: Hollandmöbel – Auslandsmöbel – Judenmöbel. In: Oldenburger Jahrbuch 103 (2003), S. 169–176.
  • Margarete Rosenbohm-Plate: Der Verkauf von „Judenmöbeln“ der „M-Aktion“ 1942–1944 im Gau Weser Ems. In: Christina Hemken, Karl-Heinz Ziessow (Hrsg.).: Im Schatten des totalen Krieges: Raubgut, Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit. Museumsdorf Cloppenburg 2018, S. 197–221. ISBN 978-3-938061-42-8.
  • Christina Hemken: Der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg und die „M-Aktion“. In: Christina Hemken, Karl-Heinz Ziessow (Hrsg.).: Im Schatten des totalen Krieges: Raubgut, Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit. Museumsdorf Cloppenburg 2018, S. 185–196. ISBN 978-3-938061-42-8.

Einzelnachweise

  1. Bericht über die M-Aktion der Dienststelle Westen vom August 1944 = Dokument 188-L in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem IMT - Nachdruck München 1989, ISBN 3-7735-2527-3, Band XXXVIII (=Dokumentenband 14), S. 25–32.
  2. Jean Marc Dreyfus im Aufsatz Almost-Camps in Paris: The difficult description of three annexes of Drancy - Austerlitz, Levitan, and Bassano, hier im Abschnitt Why these camps? The Möbel Action, S. 224 in Gray Zones: Ambiguity and Compromise in the Holocaust and Its Aftermath, edited by Jonathan Petropoulos and John K. Roth, New York 2005
  3. Falsche Schreibung „von Bohr’“ bei Wolfgang Dreßen: Betrifft 'Aktion 3'. Deutsche verwerten jüdische Nachbarn, Berlin 1998, ISBN 3-351-02487-8, S. 54.
  4. Jean Marc Dreyfus: "Almost-Camps" im Aufsatz Paris: The difficult description of three annexes of Drancy - Austerlitz, Levitan, and Bassano, hier im Abschnitt Why these camps? The Möbel Action, S. 224. In Gray Zones: Ambiguity and Compromise in the Holocaust and Its Aftermath. Edited by Jonathan Petropoulos and John K. Roth. New York 2005.
  5. Götz Aly: Hitlers Volksstaat. Frankfurt a. M. 2005, ISBN 3-10-000420-5, S. 142.
  6. Bericht über die M-Aktion der Dienststelle Westen vom August 1944 = Dokument 188-L, S. 31.
  7. Jean Marc Dreyfus, "Almost-Camps" im Aufsatz Paris: The difficult description of three annexes of Drancy - Austerlitz, Levitan, and Bassano, hier im Abschnitt Why these camps? The Möbel Action, S. 224 in Gray Zones: Ambiguity and Compromise in the Holocaust and Its Aftermath, edited by Jonathan Petropoulos and John K. Roth, New York 2005
  8. Die Darstellung dieses Abschnitts folgt dem mehrseitigen „Bericht über die M-Aktion der Dienststelle Westen vom August 1944“ = Dokument 188-L
  9. Satz aus Originalquelle IMT: Um Einsprüche zu vermeiden, vor allem durch Versiegelung arischer Wohnungen oder der nicht unter die Aktion fallenden Juden...
  10. Wolfgang Dreßen: Aktion 3 - Deutsche verwerten jüdische Nachbarn. Aufbau-Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-351-02487-8, S. 55.
  11. Anhang zum „Bericht über die M-Aktion der Dienststelle Westen vom August 1944“ = Dokument 188-L, S. 32 / Dokument VEJ 11/158.
  12. Patricia Kennedy Grimstead: Roads to Ratibor: Library and Archival Plunder by the Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg. Holocaust and Genocide Studies, Volume 19, Issue 3, Winter 2005, S. 396.
  13. Wolfgang Dreßen: Aktion 3..., S. 48.
  14. Frank Bajohr: Arisierung in Hamburg. Hamburg 1997, ISBN 3-7672-1302-8, S. 334.
  15. „Aktennotiz für den Führer“ vom 18. Dezember 1941 - Dokument 001-PS in IMT: Der Nürnberger Prozess... Bd. XXV (Dokumentenband 1), Nachdruck München 1989, ISBN 3-7735-2521-4.
  16. Wolfgang Dreßen: Aktion 3..., S. 53.
  17. Margarete Rosenbohm-Plate: Hollandmöbel – Auslandsmöbel – Judenmöbel. In: Oldenburger Jahrbuch 103 (2003), S. 175.
  18. Wolfgang Dreßen: Aktion 3..., S. 205.
  19. Götz Aly: Hitlers Volksstaat. S. 155.
  20. Rückerstattung feststellbarer Vermögenswerte an Opfer der nationalsozialistischen Unterdrückungsmaßnahmen, Amtsblatt der Militärregierung Deutschland, Britisches Kontrollgebiet S. 1169.
  21. Amtsbl. des französischen Oberkommandos in Deutschland Nr. 119 vom 14. November 1947 S. 1219.
  22. Verordnungsbl. für Groß-Berlin Teil I 1949 S. 221.
  23. Jürgen Lillteicher: Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Studie über Verfolgungserfahrung, Rechtsstaatlichkeit und Vergangenheitspolitik 1945–1971. Univ.-Diss., Freiburg i. Br. 2002/2003, S. 334 ff.
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