Hirschkäfer

Der Hirschkäfer (Lucanus cervus, von lateinisch lucanus ‚Waldbewohner‘ und cervus ‚Hirsch‘) ist ein Käfer aus der Familie der Schröter (Lucanidae). Er gehört zu den größten und auffälligsten Käfern in Europa. Seinen Namen erhielt der Hirschkäfer aufgrund der bei den Männchen geweihartig vergrößerten Mandibeln (Oberkiefer).

Hirschkäfer

Hirschkäfer (Lucanus cervus), ♂

Systematik
Klasse: Insekten (Insecta)
Ordnung: Käfer (Coleoptera)
Unterordnung: Polyphaga
Familie: Schröter (Lucanidae)
Gattung: Lucanus
Art: Hirschkäfer
Wissenschaftlicher Name
Lucanus cervus
(Linnaeus, 1758)

Der Hirschkäfer wird auch als Schröter, Hornschröter, Feuerschröter, Donnergugi oder Donnergueg bezeichnet. Der Name Donnergugi geht auf den Beinamen Donar des Gottes Thor zurück. Die Art war bereits im Römischen Reich bekannt: Die Larven wurden als Delikatesse gegessen, die männlichen „Geweihe“ als Amulett getragen.

Der Hirschkäfer war das Insekt des Jahres 2012.

Merkmale

Vergleich: Männchen und Weibchen

Hirschkäfer sind die größten europäischen Käfer. Die männlichen Käfer werden meist deutlich größer als die weiblichen, jedoch gibt es vor allem bei den Männchen große Schwankungen. Männchen werden etwa 3,5 bis 8 Zentimeter lang, die Weibchen etwa 3 bis 5 Zentimeter.[1] Sie haben beide eine schwarzbraune Grundfärbung, die Deckflügel sind braunrot gefärbt. Weibchen und Männchen tragen, wie auch andere Arten der Gattung Lucanus, auf der Vorderseite ihrer Vorderschenkel leuchtend gelbe Flecken, die durch zahlreiche, dicht benachbarte Härchen gebildet werden, wie sie auch an den Grenzen zwischen den Körperabschnitten festzustellen sind.

Besonders auffällig an den Männchen ist das „Geweih“. Dabei handelt es sich um die massiv vergrößerten Mandibeln (Oberkiefer), die bei den Männchen braunrot schimmern. Sie können bei besonders großen Exemplaren fast die halbe Körperlänge ausmachen. Die Weibchen haben einen schmaleren Kopf und normal entwickelte Oberkiefer.

Gelegentlich kann die forma capreolus, auch Hungermännchen genannt, beobachtet werden, bei der die Männchen sehr klein sind und, ebenso wie die Weibchen, kein „Geweih“ tragen. Dies geschieht in Zeiten schlechter Ernährung.

Vorkommen

Die Käfer kommen in Süd-, Mittel- und Westeuropa, nördlich bis in den Süden Schwedens vor. Lokal findet man sie auch in England, Kleinasien und östlich bis nach Syrien. Sie leben in warmen, lichten (Eichen)-Wäldern, an besonnten Waldrändern, in unterschiedlichen Offenlandbereichen wie z. B. Obstwiesen, sowie in Gärten, Parks und Alleen unserer Dörfer und Städte.[2] Hirschkäfer sind erfolgreiche Kulturfolger.[2][3] Die Hauptflugzeit liegt in den letzten Jahren in Deutschland zwischen Mitte Mai und Ende Juni.

Lebensweise

Lebenserwartung

Männchen im Flug
Nahaufnahme eines Hirschkäfer-Männchens mit gut sichtbarem rechten Komplexauge

Hirschkäfer sind beim ersten Verlassen der Erde bereits in ihrem 3. bis 8. Lebensjahr. Die Lebenserwartung nach dem Schlupf der Käfer beträgt bei den Männchen nur wenige Wochen, auch die letzten Weibchen versterben im Spätsommer. Vor allem die Männchen unterliegen einem starken Prädatorendruck.

Bewegung und Ernährung

Hirschkäfer können fliegen und schwärmen besonders in der Dämmerung.

Das Männchen kann mit seinen Mandibeln kräftig zupacken, z. B. schmerzhaft in einen Finger; die Weibchen können mit ihren deutlich kleineren Mandibeln noch kräftiger zubeißen. Die Männchen können ihr „Geweih“ jedoch nicht zur Nahrungsaufnahme beziehungsweise zum Beißen und Kauen verwenden, sie saugen und lecken lediglich Pflanzensäfte. Die Weibchen helfen ihnen meist dabei, an Nahrung zu gelangen, indem sie mit ihren dafür gut geeigneten Mandibeln Wunden an der Rinde von Laubbaumzweigen vergrößern, an denen sie dann auch selbst lecken.

Paarung

Zwei kämpfende Männchen
Paarung

Die Weibchen locken ihre Partner mit Hilfe von Sexuallockstoffen (Pheromonen) an. Treffen zwei Männchen aufeinander, versuchen sie, den Gegner mit Hilfe ihrer langen Mandibeln auf den Rücken zu werfen oder vom Ast zu hebeln. Nur der Gewinner eines solchen Kommentkampfes hat die Möglichkeit, sich mit dem Weibchen zu paaren.

Ein Stumpery in Südengland, der dem Hirschkäfer einen künstlichen Lebensraum bietet

Entwicklung der Larve

Nach der Paarung legt das Weibchen etwa 20 Eier bis zu 75 Zentimeter tief in den Boden an die Wurzeln von toten oder kranken Bäumen. Die Larven entwickeln sich in den Wurzeln, Stämmen und Stümpfen, brauchen jedoch durch Pilzbefall zermürbtes Totholz, insbesondere von Eichen. Selten werden auch andere Laubbäume wie etwa Linden, Buchen, Ulmen, Pappeln, Eschen, Weiden oder Obstbäume ausgewählt.

Die cremefarbenen engerlingsartigen Larven benötigen je nach Qualität des pilzmürben Holzes meist drei bis fünf, manchmal auch bis zu acht Jahre für ihre Entwicklung und werden bis zur letzten Häutung oft über 11 Zentimeter lang. Sie haben eine stark chitinisierte, hellbraune Kopfkapsel und kräftige Mandibeln. Sie verpuppen sich in einer faustgroßen Kammer, etwa 20 Zentimeter tief im Erdboden.

Systematik

Der Hirschkäfer wurde 1758 von Carl von Linné als Scarabaeus cervus erstbeschrieben. 1763 führte Giovanni Antonio Scopoli die Gattung Lucanus ein, deren Typusart Lucanus cervus ist. Die Benennung wurde von Scopoli nicht begründet, über eine Ableitung von lucus (lateinisch Hain, Wald) oder von der historischen Landschaft Lukanien, wo die männlichen Mandibeln als Amulett getragen worden sein sollen, wird spekuliert. Die Gattung Lucanus umfasst insgesamt ungefähr 90 Arten mit Verbreitung von Europa bis Ostasien. Innerhalb der Gattung gehört die Art zur Untergattung Lucanus s. str. (im engeren Sinne). Außer dem Hirschkäfer leben in Europa noch drei andere Arten der Gattung[4]: Lucanus ibericus (Motschulsky, 1845) in Albanien, Griechenland, der Türkei und Ukraine, Lucanus tetraodon (Thunberg, 1806) in Frankreich, Italien, Albanien und Griechenland und (aus der zweiten Untergattung Pseudolucanus Hope & Westwood, 1845) Lucanus barbarossa (Fabricius, 1801) in Spanien und Portugal. In der westlichen Paläarktis kommen darüber hinaus noch drei weitere Arten vor: Lucanus (Lucanus) orientalis Kraatz, 1860, Lucanus (Pseudolucanus) busignyi Planet, 1909 und Lucanus (Pseudolucanus) macrophyllus Kraatz, 1860[5], alle in der Türkei.

Innerhalb der Art werden folgende Unterarten unterschieden, wobei die Unterscheidung teilweise umstritten ist[5][6]:

  • Lucanus cervus cervus (Linnaeus, 1758). in ganz Europa verbreitet, außerdem in der Türkei (Kleinasien) und in Kasachstan. Formen mit fünfgliedriger Fühlerkeule werden teilweise als forma pentaphyllus unterschieden.
  • Lucanus cervus akbesianus Planet, 1896. Fühlerkeule mit sechs Lamellen, Männchen mit sehr großen, weit geöffneten Mandibeln. Türkei (im Süden), Syrien, Libanon.
  • Lucanus cervus turcicus Sturm, 1843. Fühlerkeule mit sechs Lamellen, Männchen mit Mandibeln vergleichbar der typischen Unterart. Griechenland, Bulgarien, Rumänien, europäische Türkei, Libanon. Wird von einigen Systematikern als synonym zu Lucanus cervus cervus betrachtet.
  • Lucanus cervus judaicus Planet, 1902. Fühlerkeule mit vier Lamellen, rotbraun gefärbt. Türkei, Syrien und Israel.
  • Lucanus cervus laticornis Deyrolle, 1864. Fühlerkeule mit sechs großen Lamellen, Mandibeln des Männchen mit zusätzlichen Zähnchen. Endemit der Türkei. Wird von einigen Systematikern als eigenständige Art angesehen.
  • Lucanus cervus fabiani Mulsant & Godart, 1855. Endemit Südfrankreichs. Wird von einigen Systematikern als Varietät der typischen Unterart angesehen oder nicht von dieser unterschieden.

Gefährdung

Der Hirschkäfer ist in der Roten Liste Deutschlands als „stark gefährdet“ (Kategorie 2) geführt.[7] In der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie ist er im Anhang II gelistet. Dies bedeutet, dass die nationalen Behörden aufgefordert sind, zum Schutz der Art besondere Schutzgebiete im Rahmen des Netzes Natura 2000 einzurichten. Ein individueller Schutz aller Vorkommen (wie bei den Arten des Anhangs IV) ist damit nicht verbunden.

Sein Bestand hatte in Mittel- und Südeuropa stark abgenommen. Dies lag aber nicht etwa, wie häufig behauptet, an ihrer Beliebtheit für Sammler, sondern an dem Verlust geeigneter Lebensräume, insbesondere von geeigneten Bruthabitaten. Der rasche Landschaftswandel im letzten Jahrhundert durch die Aufgabe intensiver, lichtbringender Waldnutzungsformen wie Mittelwälder, Hutewälder oder Niederwälder sowie flächige Nadelholzanpflanzungen ließen viele Wälder dunkler werden. Gleichzeitig dehnte sich der urban-landwirtschaftliche Bereich rasant aus. Durch Baulanderschließung für Häuser, Industrieansiedlungen, Straßen- und Autobahnbauten sowie Intensivierung und Ausweitung der Landwirtschaft gingen Streuobstwiesen, Grünflächen mit Baumbestand und Wälder – meist zusammen mit vollständiger Stockrodung – verloren.[8] Erst in den letzten Jahren wird er wieder etwas häufiger gesehen.[9] Er nutzt weiterhin die ihm von Menschen angebotenen Baumstümpfe, nun scheinbar aber häufiger in unmittelbarer Nähe des Menschen, also auch in Gärten, Alleen und Parks unserer Dörfer und Städte. Der Schutz des abgestorbenen Baumstumpfes ist gerade dort für die Hirschkäfer oft von existentieller Bedeutung und gerade dieser Schutz wird ihm oft verwehrt. Notwendige Saftstellen dagegen können die Käfer fliegend aufsuchen.

Da für den Bau der Werft für den Airbus A380 am Flughafen Frankfurt Waldflächen benötigt wurden, in denen auch größere Hirschkäferpopulationen lebten, wurden für den Hirschkäfer Ausgleichsflächen ausgewählt, in denen sich die Larven weiterentwickeln sollen. Dazu wurden im Jahre 2005 etwa 50 Baumstümpfe, in denen Larven vermutet wurden, ausgegraben und an anderen Stellen in der Nähe des Flughafens wieder eingesetzt.[10] Wegen der langen Entwicklungszeit der Larven zog sich die Erfolgskontrolle über fünf Jahre hin. Als Stichprobe wurden zehn Baumstümpfe ausgewählt, die mit Zäunen vor Wildschweinen und in der Schlüpfzeit zusätzlich mit Netzen vor Vögeln geschützt wurden. Die Auszählungen in den Jahren 2006 bis 2010 ergaben, dass in jedem Jahr Käfer aus mehreren Baumstümpfen schlüpften. Nur aus einem der zehn Baumstümpfe schlüpften keine Käfer. Die Umsetzungsaktion wurde deshalb als erfolgreich bewertet.[11]

Literatur

  • Bernhard Klausnitzer: Die Hirschkäfer (Lucanidae). Westarp & Spektrum, Magdeburg, Heidelberg, Berlin und Oxford 1995, ISBN 3-89432-451-1 (Die Neue Brehm-Bücherei Bd. 5).
  • Fritz Brechtel, H. Kostenbader (Hrsg.): Die Pracht- und Hirschkäfer Baden-Württembergs. 30 Tabellen. Ulmer Verlag, Stuttgart 2002, ISBN 3-8001-3526-4.
  • M. Rink: Der Hirschkäfer Lucanus cervus in der Kulturlandschaft: Ausbreitungsverhalten, Habitatnutzung und Reproduktionsbiologie im Flusstal. Dissertation, Universität Koblenz-Landau 2006. (E-Text, PDF)
  • Jiří Zahradník, Irmgard Jung, Dieter Jung et al.: Käfer Mittel- und Nordwesteuropas: ein Bestimmungsbuch für Biologen und Naturfreunde. Parey, Berlin 1985, ISBN 3-490-27118-1.
  • Andreas Schüring: Der Hirschkäfer (Lucanus cervus), ein seltener Gigant im Käferreich, in: Studiengesellschaft für Emsländische Regionalgeschichte (Hrsg.): Emsländische Geschichte 19, Haselünne 2012, S. 54–60.
  • E. Sprecher-Uebersax: The stag beetle ‘Lucanus cervus’ (Coleoptera, Lucanidae) in art and mythology. In: La Terre et la Vie – Revue d’Ecologie. Supplement 10: 153–159. Volltext
Commons: Hirschkäfer (Lucanus cervus) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Hirschkäfer – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Ein Steckbrief. In: hirschkaefer-suche.de. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 3. Mai 2019; abgerufen am 7. Mai 2023.
  2. Markus Rink: Lebensräume. In: www.hirschkaefer-suche.de. Abgerufen am 14. Dezember 2018.
  3. Markus Rink, Ulrich Sinsch: Habitatpräferenzen des Hirschkäfers (Lucanus cervus) in der Kulturlandschaft – eine methodenkritische Analyse. In: Entomologische Zeitschrift. Nr. 116. Stuttgart 2006, S. 228–234 (hirschkaefer-suche.de [PDF; 328 kB; abgerufen am 14. Dezember 2018]).
  4. Deborah Harvey, Alan Gange, Colin Hawes, Markus Rink (2011): Bionomics and distribution of the stag beetle, Lucanus cervus (L.) across Europe. Insect Conservation and Diversity 4: 23–38. doi:10.1111/j.1752-4598.2010.00107.x
  5. Karen Cox, Arno Thomaes, Gloria Antonini, Michele Zilioli, Koen De Gelas, Deborah Harvey, Emanuela Solano, Paolo Audisio, Niall McKeown, Paul Shaw, Robert Minetti, Luca Bartolozzi, Joachim Mergeay (2013): Testing the performance of a fragment of the COI gene to identify western Palaearctic stag beetle species (Coleoptera, Lucanidae). Zookeys 365: 105–126. doi:10.3897/zookeys.365.5526 (open access)
  6. Alper Polat, Erol Yıldırım Contribution to the Knowledge of the Lucanidae (Coleoptera) of Turkey with a Checklist. Entomological News 128 (5): 473-485. doi:10.3157/021.128.0505
  7. Ulrich Schaffrath: Rote Liste und Gesamtartenliste der Blatthornkäfer (Coleoptera: Scarabaeoidea) Deutschlands. In: Ries, M.; Balzer, S.; Gruttke, H.; Haupt, H.; Hofbauer, N.; Ludwig, G. & Matzke-Hajek , G. (Hrsg.): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, 5: Wirbellose Tiere (Teil 3) (= Naturschutz und Biologische Vielfalt. Band 70, Nr. 5). Landwirtschaftsverlag, Münster 2021 (gesamter Datensatz auf rote-liste-zentrum.de). Artensteckbrief Hirschkäfer: pdf, 35kb
  8. Markus Rink: Der Hirschkäfer Lucanus cervus in der Kulturlandschaft. Dissertation. Alf 2006, Gesamtdiskussion, S. 132 ff. (hirschkaefer-suche.de [PDF; 3,0 MB; abgerufen am 22. Februar 2019]).
  9. Wohnorte unserer Hirschkäfer. In: hirschkaefer-suche.de. Abgerufen am 22. Februar 2019.
  10. Flughafen-Hirschkäfer erfolgreich umgesiedelt: 7 Larven geschlüpft (Memento vom 22. Februar 2013 im Webarchiv archive.today). In: rhein-main.net, 23. Mai 2006.
  11. Jürgen Ebert: Umsiedlungserfolg von Larven des Hirschkäfers. In: Naturschutz und Landschaftsplanung. Nr. 03, 2011 (nul-online.de [abgerufen am 22. Februar 2019]).
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