Lorenzenit

Lorenzenit ist ein selten vorkommendes Mineral aus der Mineralklasse der „Silikate und Germanate“. Es kristallisiert im orthorhombischen Kristallsystem mit der idealisierten, chemischen Zusammensetzung Na2Ti2[O3|Si2O6][2], ist also chemisch gesehen ein Natrium-Titan-Silikat, das strukturell zu den Kettensilikate und Bandsilikaten gehört. Als Fremdbeimengung kann auch ein geringer Anteil Niob, Eisen, Fluor und Zirconium enthalten sein.[6]

Lorenzenit
Lorenzenit aus Lowosero (Halbinsel Kola, Russland), ausgestellt in der terra mineralia, Freiberg
Allgemeines und Klassifikation
IMA-Symbol

Lrz[1]

Andere Namen

Ramsayit

Chemische Formel Na2Ti2[O3|Si2O6][2]
Mineralklasse
(und ggf. Abteilung)
Silikate und Germanate
System-Nummer nach
Strunz (8. Aufl.)
Lapis-Systematik
(nach Strunz und Weiß)
Strunz (9. Aufl.)
Dana

VIII/F.03
VIII/F.03-050

9.DB.10
65.01.06.01
Kristallographische Daten
Kristallsystem orthorhombisch
Kristallklasse; Symbol orthorhombisch-dipyramida; 2/m 2/m 2/m[3]
Raumgruppe (Nr.) Pnca[2] (Nr. 60)
Gitterparameter a = 14,49 Å; b = 8,71 Å; c = 5,23 Å[2]
Formeleinheiten Z = 4[2]
Physikalische Eigenschaften
Mohshärte 6
Dichte (g/cm3) gemessen: 3,42 bis 3,45; berechnet: 3,44[4]
Spaltbarkeit deutlich nach {010}[4]
Bruch; Tenazität uneben; spröde
Farbe hellbraunviolett, hellrosa bis malvenfarben, braun bis schwarz
Strichfarbe weiß bis grau
Transparenz durchsichtig bis undurchsichtig
Glanz Glasglanz, Diamantglanz, Seidenglanz oder matt
Kristalloptik
Brechungsindizes nα = 1,910 bis 1,950
nβ = 2,010 bis 2,040
nγ = 2,030 bis 2,060[5]
Doppelbrechung δ = 0,120[5]
Optischer Charakter zweiachsig negativ
Weitere Eigenschaften
Besondere Merkmale hellgelbe bis mattgrüne Fluoreszenz unter kurzwelligem UV-Licht[4]

In reiner Form ist Lorenzenit farblos und durchsichtig. Durch vielfache Lichtbrechung aufgrund von Gitterbaufehlern oder polykristalliner Ausbildung kann er aber auch weiß erscheinen und durch Fremdbeimengungen eine hellbraunviolette, hellrosa bis malvenähnliche oder auch braune bis schwarze Farbe annehmen, wobei die Transparenz entsprechend bis zur völligen Undurchsichtigkeit abnehmen kann.

Lorenzenit entwickelt meist prismatische Kristalle mit dicktafeligem bis nadeligem Habitus, kommt aber auch in Form faseriger bis filziger oder lamellenförmiger Mineral-Aggregate vor.

Etymologie und Geschichte

Erstmals entdeckt wurde Lorenzenit nahe der ehemaligen Siedlung Narsarsuaq (auch Narssârssuk) im Nordwesten von Grönland und beschrieben 1897 durch G. Flink, der das Mineral nach dem dänischen Mineralogen Johannes Theodor Lorenzen (1855–1884) benannte. Die chemische Analyse nahm R. Mauzelius vor.

1922 fand eine Expedition unter A. E. Fersman im Nephelin-Syenit auf der russischen Halbinsel Kola ein verwandtes Mineral, das erstmals von E. Kostyleva beschrieben (veröffentlicht 1923) und nach dem finnischen Geologen Wilhelm Ramsay als Ramsayit bezeichnet wurde. Kostyleva bemerkte allerdings bereits bei seiner Erstbeschreibung die große Ähnlichkeit mit Lorenzenit in Bezug auf chemische Zusammensetzung und Kristallform und vermutete, dass die beiden Minerale identisch sein könnten. Mithilfe weiterer Analysen durch Barth und Berman 1930 sowie durch Kraus und Mussgnuga 1941 konnten die Strukturdaten von Lorenzenit korrigiert und damit belegt werden, dass Ramsayit und Lorenzenit praktisch identisch waren. Lediglich die Zusammensetzung unterschied sich geringfügig dahingehend, dass die von Mauzelius analysierte Lorenzenit-Probe einen signifikanten Anteil Zirconium (11,92 % in Form von ZrO2[7]) enthielt.
Die erneute Analyse einer sehr reinen Probe des Lorenzenit-Typmaterials durch T. G. Sahama ergab allerdings, dass der Zirconiumanteil ebenso wie beim Ramsayit verschwindend gering war. Selbst die ebenfalls in beiden Proben festgestellte Fremdbeimengung von Niob war höher.[6] Da jedoch zum einen das von Mauzelius analysierte Originalmaterial nicht mehr zur Verfügung stand und zum anderen der Beschreibung von Flink eine detaillierte Angabe der Analysemethode fehlte, konnte Sahama nicht mit letzter Sicherheit klären, ob Mauzelius’ Analyse fehlerhaft war oder der Zirconiumanteil einfach eine Verunreinigung der Probe darstellte. Im Hinblick auf die Höhe des Anteils von fast 12 % ist allerdings zweifelhaft, ob Mauzelius’ Probe so unrein gewesen sein konnte. Die Möglichkeit besteht zwar aufgrund der an der Typlokalität Narsaarsuk vorgefundenen Vergesellschaftung mit dem Natrium-Zirconium-Silikat Elpidit, jedoch lässt sich dieses Mineral sehr leicht vom Lorenzenit trennen.[8]

Im deutschsprachigen bzw. westlichen internationalen Sprachraum, gestützt durch die International Mineralogical Association (IMA), setzte sich inzwischen die Bezeichnung Lorenzenit (englisch Lorenzenite) durch[9], während im russischen Sprachraum die Bezeichnung Ramsayit noch weit verbreitet ist. Der finnische Mineraloge Wilhelm Ramsay erhielt allerdings 2004 durch das neu entdeckte Mineral Wilhelmramsayit doch noch eine international anerkannte Ehrung.

Klassifikation

In der mittlerweile veralteten, aber noch gebräuchlichen 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Lorenzenit zur Abteilung der „Kettensilikate und Bandsilikate (Inosilikate)“, wo er zusammen mit Balipholit, Ferrokarpholith, Kaliumkarpholith, Karpholith, Kukisvumit, Lintisit, Magnesiokarpholith, Manganokukisvumit, Paravinogradovit, Vanadiokarpholith und Vinogradovit die „Karpholithgruppe“ mit der System-Nr. VIII/F.03 bildete.

Die seit 2001 gültige und von der IMA verwendete 9. Auflage der Strunz’schen Mineralsystematik ordnet den Lorenzenit ebenfalls in die Abteilung der „Ketten- und Bandsilikate (Inosilikate)“ ein. Diese ist allerdings weiter unterteilt nach der Struktur der Kettenbildung, so dass das Mineral entsprechend seinem Aufbau in der Unterabteilung „Ketten- und Bandsilikate mit 2-periodischen Einfachketten Si2O6; mit zusätzlich O, OH, H2O Pyroxen-verwandte Minerale“ zu finden ist, wo es als einziges Mitglied die unbenannte Gruppe 9.DB.10 bildet.

Auch die vorwiegend im englischen Sprachraum gebräuchliche Systematik der Minerale nach Dana ordnet den Lorenzenit in die Abteilung der „Kettensilikatminerale“ ein. Hier ist er als Namensgeber der „Lorenzenitgruppe“ mit der System-Nr. 65.01.06 und den weiteren Mitgliedern Kukisvumit, Lintisit, Manganokukisvumit und Punkaruaivit innerhalb der Unterabteilung „Kettensilikate: Einfache unverzweigte Ketten, W=1 mit Ketten P=2“ zu finden.

Kristallstruktur

Lorenzenit kristallisiert orthorhombisch in der Raumgruppe Pnca (Raumgruppen-Nr. 60, Stellung 3)Vorlage:Raumgruppe/60.3 mit den Gitterparametern a = 14,49 Å; b = 8,71 Å und c = 5,23 Å sowie 4 Formeleinheiten pro Elementarzelle.[2]

Eigenschaften

Unter kurzwelligem UV-Licht zeigen manche Lorenzenite eine hellgelbe bis mattgrüne Fluoreszenz, ähnlich der von neonfarbenen Textmarkern.

Bildung und Fundorte

Nadeliger Lorenzenit aus dem Steinbruch Poudrette, Mont Saint-Hilaire, Québec, Kanada (Sichtfeld 2,9 × 2,2 mm)

Lorenzenit bildet sich magmatisch in alkalischen Syeniten und syenitischen Pegmatiten. Als Begleitminerale treten unter anderem Aegirin, Apatit, Arfvedsonit, Astrophyllit, Elpidit, Eudialyt, Ilmenit, Låvenit, Loparit, Mikroklin, Nephelin, manganhaltiger Neptunit, Rinkit und Titanit auf.[4]

Als seltene Mineralbildung ist Lorenzenit bisher (Stand: 2013) nur von wenigen Fundorten bzw. in geringer Stückzahl bekannt (nach mindat.org rund 70 Fundorte[10]). Neben seiner Typlokalität Narsaarsuk konnte das Mineral in Grönland bisher nur noch am „Gardinerkomplex“ nahe Kangerlussuaq und im Ilimaussaq-Komplex bei Narsaq gefunden werden.[11]

Bekannte Fundorte in Deutschland sind der Steinbruch „Michelsberg“ am Katzenbuckel in Baden-Württemberg und der Steinbruch „Caspar“ am Ettringer Bellerberg bei Ettringen in der nordrhein-westfälischen Eifel.

In Russland wurde aufgrund der komplexen Fundgeschichte des Minerals vor allem die Halbinsel Kola als Fundgebiet bekannt, wobei die meisten Lorenzenitfunde aus den Gebirgsmassiven der Chibinen und der Lowosero-Tundra stammen. Erwähnenswert im Einzelnen ist unter anderem der Berg Flora im Lowosero-Tundra-Massiv, wo Kristalle von bis zu acht Zentimetern gefunden wurden.[12]

Weitere Fundorte liegen unter anderem in Kanada, Libyen, Marokko, Norwegen, Spanien, Südafrika sowie Arkansas und New Mexico in den Vereinigten Staaten von Amerika.[11]

Siehe auch

Literatur

  • Markku R. Sundberg, Martti Lehtinen, Raikko Kivekäs: Refinement of the crystal structure of ramsayite (lorenzenite), in: American Mineralogist, Band 72 (1987), S. 173–177 (PDF 519,5 kB)
  • T. G. Sahama: Analysis of ramsayite and lorenzenite, in: American Mineralogist, Band 32 (1947), S. 59–63 (PDF 303,4 kB)
  • G. Flink: Undersøgelser af mineraler fra Julianehaab indsamlede - 27. Lorenzenite, in: On the minerals from Narsarsuk on the Firth of Tunugdliarfik in Southern Greenland, Meddelelser om Grønland, Band 24, S. 9–180 (PDF 4,68 MB)
Commons: Lorenzenite – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. Laurence N. Warr: IMA–CNMNC approved mineral symbols. In: Mineralogical Magazine. Band 85, 2021, S. 291–320, doi:10.1180/mgm.2021.43 (englisch, cambridge.org [PDF; 320 kB; abgerufen am 5. Januar 2023]).
  2. Hugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. 9. Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S. 622.
  3. Webmineral - Lorenzenite
  4. Lorenzenite, in: John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols (Hrsg.): Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America, 2001 (PDF 71 kB)
  5. Mindat - Lorenzenite
  6. T. G. Sahama: Analysis of ramsayite and lorenzenite, in: American Mineralogist, Band 32 (1947), S. 61 (PDF 303,4 kB; S. 3)
  7. T. G. Sahama: Analysis of ramsayite and lorenzenite, in: American Mineralogist, Band 32 (1947), S. 59 (PDF 303,4 kB; S. 1)
  8. T. G. Sahama: Analysis of ramsayite and lorenzenite, in: American Mineralogist, Band 32 (1947), S. 63 (PDF 303,4 kB; S. 5)
  9. IMA/CNMNC List of Mineral Names (2009) - Lorenzenite (PDF 1,8 MB; S. 168)
  10. Mindat - Anzahl der Fundorte für Lorenzenit
  11. Fundorte für Lorenzenit bei Mindat und beim Mineralienatlas
  12. Petr Korbel, Milan Novák: Mineralien-Enzyklopädie. Nebel Verlag GmbH, Eggolsheim 2002, ISBN 3-89555-076-0, S. 237 (Dörfler Natur).
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