Ligue de défense de la race nègre
Die Ligue de défense de la race nègre war eine französische Bürgerrechtsorganisation schwarzer Menschen. Sie wurde 1927 aus einer Vorgängerorganisation heraus gegründet, deren Wurzeln bis 1924 zurückgehen. Ihr Sitz war in Paris, 1937 wurde die französische Organisation aufgelöst. Unter dem Namen Liga zur Verteidigung der Negerrasse gab es in Berlin von 1929 bis 1935 eine deutsche Sektion.
Vorgeschichte – Das Comité de défense de la race nègre
Im März 1926 wurde das Comité de Défense de la Race Nègre (CDRN) in Paris von Lamine Senghor und Joseph Gothon-Lunion gegründet. Viele Mitglieder waren bereits zuvor Mitglied der ersten Sammelorganisation schwarzer Menschen in Frankreich gewesen, der Ligue universelle de défense de la race noire.[1] Das Comité gab die Zeitschrift La Voix des Negres heraus.[2] Insbesondere durch den Einsatz Senghors, der durch französische Hafenstädte reiste und vor Arbeitern Reden hielt, gründeten sich dort wie sogar in Westafrika Ableger des Comité de Défense.[3] 1926 hatte das Comité rund 1000 Mitglieder, in Marseille 250, in Bordeaux 150, in Le Havre 300 und in Paris 200.[1]
Rasch entwickelten sich in der Führung des Comité jedoch inhaltliche Dispute, in deren Zentrum die Frage nach der politischen Radikalität der Gruppe stand. Der assimilationistische Teil des Komitees zeigte sich besorgt über die dezidiert antikolonialen sowie stärker an der Arbeiterklasse und daraus folgend kommunistisch ausgerichteten Vorstellungen der linken Fraktion um Senghor und deren Bereitschaft, die französische Regierung offen zu kritisieren, was als antifranzösisch ausgelegt werden könnte.[1]
Daneben ging es auch um die Frage, ob der Begriff nègre oder der Begriff noir als Selbstbezeichner dienen sollte – die Beibehaltung des Begriffs nègre war Senghor wichtig, er wollte es als Geusenwort nutzen und „dieses Wort aus dem Schlamm ziehen, durch den sie es ziehen, um es zu einem Symbol zu machen“. Der Begriff nègre symbolisiere danach afrikanische Herkunft und politische Radikalität, wohingegen Noir mit nur kolonialreformerischen politischen Vorstellungen assoziiert würde.[1]
Diese Dispute führten bei einer Generalversammlung am 27. Februar 1927 zur Spaltung der CDRN. Die moderate Fraktion unter afro-karibischer Führung übernahm das Comité und benannte es um in Comité de défense de la race noire.[1]
Die Ligue de Défense de la Race Nègre
Als Resultat der Spaltung gründeten Senghor, Tiemoko Garan Kouyaté und der Postangestellte Camille Sainte-Rose aus Martinique im Mai 1927 die Ligue de Défense de la Race Nègre, anfangs geführt von Senghor.[1] Ab Juni erschien als Organ der Gruppe die Monatszeitschrift La Race Nègre.[4]
Nunmehr ohne Einschränkungen durch die kolonialreformerischen und assimilationistischen Mitglieder formulierte die Liga antikolonialistische Positionen wie die Forderung nach Unabhängigkeit der Kolonien aus und verknüpfte sie mit kommunistischen Ideen. Sie besaß in allen bedeutenden Hafenstädten aktive Gruppen mit insgesamt rund 1000 Mitgliedern. Von den Behörden wurde die LDRN wie ihre Vorgänger- und Nachfolgeorganisation überwacht, von den rund 50 ausspionierten Mitgliedern in Paris waren rund die Hälfte als Dienstleister oder Arbeiter tätig, 7 Studenten und 5 Rechtsanwälte, der Rest waren mehrheitlich kleine Angestellte.[1]
Während man sich im antikolonialen Grundprinzip einig war, waren die genauen Forderungen in der Gruppe recht variabel. Während einige Mitglieder nationalistische Positionen artikulierten, vertraten andere panafrikanistische Ideen. Wenngleich eine wie auch immer geartete Unabhängigkeit der Kolonien unbestritten gemeinsames Ziel war, kämpfte die Gruppe auch für Verbesserungen des alltäglichen status quo afrikanischstämmiger Franzosen. Die vor allem von der Führung kultivierten kommunistischen Ideen stießen in Teilen der Gruppe immer wieder auf Bedenken, weil dadurch zwar antiimperialistisch gesinnte, aber nicht kommunistische mögliche Mitglieder der Gruppe fernbleiben würden. Ludovic Lacombe, ein haitianisches Mitglied der Gruppe, formulierte es mit den Worten, er sei ein „nationalistischer, aber antikommunistischer Neger, der keinen Herrn wolle, sei er weiß oder rot“.[1]
Noch 1927 starb Senghor. Sein Nachfolger wurde Tiemoko Garan Kouyaté, der in den folgenden Jahren ein internationales Netzwerk aufbaute, darunter zu einer kongolesischen Gruppe in Brüssel, einer kurzlebigen Gruppe um Jomo Kenyatta in London, zu amerikanischen Aktivisten wie W. E. B. Du Bois und in den französischen Kolonien wie Senegal und Kamerun. Nach Kamerun schmuggelte Kouyaté auch Propagandamaterial ein, kurzfristig gab es auch einen direkten Ableger der Liga in Kribi.[5] Die Aktivitäten der LDRN in Frankreich und den französischen Kolonien in Westafrika beunruhigten die französischen Behörden sehr, die die LDRN bereits überwachten und als antifranzösische kommunistische Frontorganisation betrachteten.[6]
1931 begann ein Disput um die Führung der Gruppe zwischen dem kommunistischen Flügel um Kouyaté und einem „nur“ antiimperialistischen Flügel um Émile Faure.[1] Dies führte dazu, dass nun zwei verschiedene Gruppen als LDRN auftraten. Nachdem Faure bei der Polizei Anzeige gegen Kouyate erstattet hatte, folgten zahlreiche Durchsuchungen, Verhaftungen und Schikanen bei Mitgliedern durch die Polizeikräfte.[7] Im April 1931 dann erschienen zeitgleich zwei verschiedene Ausgaben von La Race Nègre, eine von Émile Faure, André Béton und Ludovic Lacombe, die andere von Kouyaté.[1] Die Frage des Eigentums an der Bezeichnung Ligue de Défense de la Race Nègre und der Zeitschrift La Race Nègre wurde vor Gericht zwischen Faure und Kouyaté ausgefochten, und 1932 entschied das Gericht, dass sie Faure gehörten. Im August 1931 hatte Kouyaté den Titel seiner Zeitschrift jedoch bereits in Le Cri des Nègres geändert.[7] Entweder 1931 oder 1932[7] wurde dann die Union des travailleurs nègres (UTN) als undogmatische kommunistische Nachfolgeorganisation der Ligue gegründet, die aber bald von dogmatischen Kommunisten übernommen wurde und Kouyaté ausschloss. Im Jahr 1939 löste sich die UTN auf.[1]
Nach der Spaltung blieb die nun geschwächte LDRN bis 1934 inaktiv, als sie anlässlich des Todes von Blaise Diagne wiederauflebte. Unter der Leitung von Émile Faure als Präsident vertrat sie nun eine entschieden panafrikanische und antikolonialistische Position und griff sowohl Assimilationisten als auch kommunistische Antikolonialisten und die Vertreter der Négritude an. Die La Race Nègre wurde bis zu ihrer Einstellung im Jahr 1936 sporadisch veröffentlicht, sie „stellt den Kern einer umfassenden Doktrin des kulturellen und politischen Nationalismus dar, den ersten Durchbruch dieser Art“ in der Geschichte des schwarzen Aktivismus in Frankreich.[8] Die LDRN wurde schließlich 1937 von den französischen Behörden verboten, Faure wurde verhaftet und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in die Sahara verbannt.[6]
Die deutsche Sektion – Liga zur Verteidigung der Negerrasse
In Berlin gründeten am 17. September 1929 sieben Männer aus Douala, Kamerun, die Liga zur Verteidigung der Negerrasse (LzVN). Mit diesem Schritt wandten sie sich gegen sich verschärfende ökonomische Schwierigkeiten und rassistische Vorurteile in Deutschland und wollten eine politische Organisation sowie ein Netzwerk zur gegenseitigen moralischen und finanziellen Unterstützung aufbauen.[5] Im Laufe des Jahres fanden sich etwa 30 schwarze Männer und Frauen zusammen, die sich zum Teil bereits im Mitte der 1920er Jahre aufgelösten Afrikanischen Hilfsverein kennengelernt hatten.[9] Die Gründung der deutschen Sektion der LDRN wurde von Willi Münzenberg, Gründer der Liga gegen Imperialismus unterstützt, der bereits seit 1926 wichtige Personen der afrikanischen Gemeinde in Berlin aus antikolonialistischen Motiven zusammenbrachte. Er stellte auch den Kontakt zu Tiemoko Garan Kouyaté her, der bei der Gründungsversammlung anwesend war[10]. Bereits einige Monate zuvor hatte Kouyaté über Münzenberg Exemplare des La Race Nègre in Berlin verteilen lassen.[5]
Die meisten Mitglieder stammten aus der ehemaligen deutschen Kolonie Kamerun, einige aus Westafrika, etwa dem heutigen Togo. Mitglied des Vereins konnten alle schwarzen Deutschen und ihre Angehörigen werden. Präsident war Victor Bell, weitere Vorstandsmitglieder waren Thomas ul Kuo Ngambi, Louis Brody, Richard Ekamby Menzel sowie als Generalsekretär und zentrale Figur der Panafrikanist und Kommunist Joseph Bilé, der mit Hilfe seiner Mentoren George Padmore und Kouyaté zunehmend international politisch tätig war.[9][5] Wegen ihrer kommunistischen Verbindungen wurde die Gruppe zeitweise durch staatliche Behörden überwacht.[11]
In ihrer Satzung erklärte sie zum Vereinszweck, international die „Befreiung der Neger“ zu erreichen und national für einen großen, unabhängigen afrikanischen Staat zu kämpfen.[5] Sie befürwortete die Unabhängigkeit afrikanischer Staaten, insbesondere die Verteidigung der Unabhängigkeit von Liberia und Äthiopien, ermutigte schwarze Deutsche dazu, deutschen Gewerkschaften beizutreten, und hielt ihre Mitglieder zu gegenseitiger moralischer und materieller Unterstützung an, ein Erbe aus dem Afrikanischen Hilfsverein.[10]
Die LzVN war organisatorisch Teil der Liga gegen Imperialismus, wurde von dieser finanziert und hatte in deren Räumen in der Friedrichstraße 24 auch ihren Sitz.[10] Sie kooperierte neben ihrer französischen Schwesterorganisation mit der Kommunistischen Internationale und einem größeren Netzwerk schwarzer internationalistischer Organisationen und Aktivisten in Europa und Afrika.[12] Die Gruppe schmuggelte politische Schriften wie die Satzung der LzVN u. a. nach Kamerun und hielt Kontakt zu dortigen Aktivisten, höchstwahrscheinlich waren sie auch in antikoloniale Proteste in Douala involviert.[5] 1930 führte die Gruppe in Neukölln das Theaterstück Sonnenaufgang im Morgenland von Brody auf, die erste Hälfte in Duala, die zweite in Französisch, Englisch und Deutsch. Das Stück präsentierte vermutlich erstmals in Deutschland afrikanische Geschichte und Kultur von Afrikanern ohne Rückgriff auf zeitgenössische Stereotypen.[10] Pläne zur Gründung eines eigenen Theaters wurden allerdings nicht realisiert, da die von Kouyatés Ligue erhoffte finanzielle Unterstützung ausblieb.[5]
Ebenfalls 1930 nahm Bilé als Delegierter der LzVN an der Ersten Internationalen Konferenz der Neger-Arbeiter in Hamburg teil, was seinen Status innerhalb der antikolonialen Bewegung ebenso aufwertete wie die folgenden Gespräche über ihn in der Liga gegen Imperialismus und der Komintern, die ihn für eine Schulung in Moskau und einen Einsatz als Agitator in Afrika vorsahen.[5]
Im weiteren Verlauf der Debatte um Bilé kam es auch zu Vorwürfen der LzVN gegenüber der Liga gegen Imperialismus, dass sie die Gruppe finanziell nicht ausreichend unterstützte. Die zuständigen Betreuer, Virendranath Chattopadhyaya und Bohumír Šmeral, hatten laut Bilé mehrere Finanzierungszusagen nicht eingehalten, Chattopadhyaya hatte laut Kouyaté sich sogar gegen jede weitere Finanzierung der Gruppe gesperrt, da er es als keinen Verlust ansah, wenn sie sich auflöse. Als Ergebnis weigerte sich die LzVN weiter mit der LgI zusammenzuarbeiten und wandte sich stattdessen mit der Bitte um Unterstützung an die KPD. Zwar konnte dadurch der Konflikt befriedet werden, die persönliche Not der Mitglieder führte aber zu internen Streitereien und Intrigen. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde die Gruppe schutzlos. Die KPD und die Liga gegen Imperialismus waren aufgelöst worden, Padmore und Münzenberg hatten das Land verlassen, Kouyaté war von der französischen Ligue ausgestoßen worden. Als Ergebnis stellte die LzVN ihre Arbeit komplett ein. Viele Mitglieder der LzVN verließen Deutschland, im August 1934 hatte die Gruppe laut Bell nur noch zwei Mitglieder.[5] 1935 wurde die Gruppe offiziell aufgelöst.[10]
Literatur
- Jennifer Anne Boittin: Black in France: The Language and Politics of Race in the Late Third Republic. In: French Politics, Culture & Society. Band 27, Nr. 2, 2009, ISSN 1537-6370, S. 23–46
- Robbie Aitken: From Cameroon to Germany and Back via Moscow and Paris: The Political Career of Joseph Bilé (1892–1959), Performer, “Negerarbeiter” and Comintern Activist. In: Journal of Contemporary History. Band 43, Nr. 4, Oktober 2008, ISSN 0022-0094, S. 597–616
Weblinks
- Philipp Koepsell: Die deutsche Sektion der Liga zur Verteidigung der Negerrasse. In: Black Central European Studies Network. 20. April 2020 (deutsch, englisch).
- Robbie Aitken: Berlin’s Black Communist. Joseph Bilé, the Comintern, and the struggle for the rights of Black people. In: rosalux.de. 13. Juni 2019 (englisch).
Einzelnachweise
- Jennifer Anne Boittin: Black in France: The Language and Politics of Race in the Late Third Republic. In: French Politics, Culture & Society. Band 27, Nr. 2, 2009, ISSN 1537-6370, S. 23–46, JSTOR:42843598.
- La Voix des Nègres. In: SISMO (Portail Mondial des Revues). Institut national d'histoire de l’art (INHA), abgerufen am 28. September 2023 (französisch).
- Brigitte Matern: Rebell:innenrätsel: Der lästige Kriegsversehrte. In: Die Wochenzeitung. 16. März 2022, abgerufen am 28. September 2023.
- La Race Nègre. In: SISMO (Portail Mondial des Revues). Institut national d'histoire de l'art (INHA), abgerufen am 28. September 2023.
- Robbie Aitken: From Cameroon to Germany and Back via Moscow and Paris: The Political Career of Joseph Bilé (1892–1959), Performer, “Negerarbeiter” and Comintern Activist. In: Journal of Contemporary History. Band 43, Nr. 4, Oktober 2008, ISSN 0022-0094, S. 597–616, doi:10.1177/0022009408095417.
- J. Ayo Langley: Pan-Africanism in Paris, 1924–1936. In: The Journal of Modern African Studies. 7. Jahrgang, Nr. 1, April 1969, ISSN 0022-278X, S. 69–94, doi:10.1017/s0022278x00018024, JSTOR:159359 (englisch).
- Felix Jean-Louis: Between Harlem and Paris: Haitian Internationalism in the Interwar Period, 1919-1937. In: FIU Electronic Theses and Dissertations. 27. März 2020 (fiu.edu [abgerufen am 26. November 2023]).
- Martin Steins: Brown France vs. Black Africa: The Tide Turned in 1932. In: Research in African Literatures. 14. Jahrgang, Nr. 4, 1983, ISSN 0034-5210, S. 474–497, JSTOR:3819692 (englisch).
- Robbie Aitken: Black Germany - Zur Entstehung einer Schwarzen Community in Deutschland. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Aus Politik und Zeitgeschichte. Band 72, Nr. 12, 2022, S. 4–10 (bpb.de [PDF; abgerufen am 23. März 2022]).
- Robbie Aitken: Berlin’s Black Communist. Joseph Bilé, the Comintern, and the struggle for the rights of Black people. In: rosalux.de. 13. Juni 2019, abgerufen am 28. September 2023 (englisch).
- Andreas Eckert: Louis Brody (1892–1951) of Cameroon and Mohammed Bayume Hussein (1904–1944) of Former German East Africa: Variety Show Performers and the Black Community in Germany between the Wars. In: Dennis D. Cordell (Hrsg.): The Human Tradition in Modern Africa (= Human tradition around the world. Band 49). Rowman & Littlefield, Lanham 2012, ISBN 0-7425-3732-3, S. 159–174.
- Stefan Gerbing: Afrodeutscher Aktivismus: Interventionen von Kolonisierten am Wendepunkt der Dekolonisierung Deutschlands 1919. Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-631-61394-8, S. 15 ff.