Legio I Martia
Die Legio prima Martia (lateinisch für „dem Mars geweihte erste Legion“) war eine Truppenformation der spätrömischen Armee. Die Informationen aus den bisher bekannten Quellen reichen nicht aus, um die Dauer ihres Bestehens zeitlich genau einzuordnen. Wahrscheinlich wurde die Legion im Rahmen der Neuorganisation der Verteidigung der Rheingrenze unter Diokletian (284–305) aufgestellt. Sie ist im späten 4. Jahrhundert in der pannonischen Provinz Valeria mehrfach nachgewiesen und wird auch in der Notitia dignitatum (Truppenbestand frühes 5. Jahrhundert) erwähnt.
Der genaue Name der Legion ist nicht völlig sicher; beispielsweise ist auch möglich, dass die offizielle Bezeichnung „Legio I Martiorum“ oder „Legio I Martensium“ lautete.[1]
Entwicklung
Nach den Germaneneinbrüchen um die Mitte des 3. Jahrhunderts wurde der Obergermanisch-Rätische Limes aufgegeben (sogenannter Limesfall) und die Rheingrenze und zum Teil auch die Nachschubwege unter Diokletian (284–305), Konstantin I. (306–337) und Valentinian I. (364–375) neu befestigt bzw. gesichert.
Die Legion wurde von Diokletian zunächst in der neu eingerichteten römischen Provinz Sequania stationiert. Von den spätrömischen Grenzeinheiten am Oberrhein sind Vexillationen der Legio I Martia vom frühen 4. Jahrhundert an für Augusta Raurica (Kaiseraugst und Augst) bezeugt. Auch auf dem Münsterberg in Breisach am Rhein (Mons Brisiacus) wurden gestempelte Ziegel der Legion gefunden, die in die Zeitspanne vor oder um die Mitte des 4. Jahrhunderts datiert werden können.[2] Ebenso ließ sich die Bautätigkeit der Legion in Brugg, Grenzach-Wyhlen, Horbourg-Wihr, Straßburg, Argentovaria (Oedenburg bei Biesheim),[3] Neuf-Brisach[4] und Eguisheim[5] durch gestempelte Ziegel nachweisen.[6] Die weite Streuung dieser Funde lässt vermuten, dass die Legion nach ihrer Verlegung an den Rhein in zahlreiche Teileinheiten (Vexillationen) aufgespalten wurde.[3]
Die Martienser wurden vermutlich unter Konstantin dem Großen[2] (306–337) von den Limitanei (Grenzheer) zu Comitatenses (Feldheer) befördert. Danach wurden sie zur Sicherung eines größeren Abschnitts der Reichsgrenze im Castrum Rauracense/Kaiseraugst stationiert.[7] Das um 300 an einem stark frequentierten Rheinübergang erbaute Kastell wird häufig als Hauptquartier der Einheit bezeichnet; es gibt jedoch auch Indizien, dass es zumindest noch weitere, gleich bedeutende Lager der Legion gab.[8] Dem Castrum Rauracense kam im 4. Jahrhundert große Bedeutung zu, da es an einer wichtigen Verbindungsstraße von Gallien zu den Donauprovinzen lag. Die Kaiser Constantius II. (337–361) und Julian (360–363) führten von hier unter anderem auch Feldzüge gegen die Alamannen durch. Die Namenskartusche LEGIMAR (LEG(io) I [prima] MAR(tia)) findet sich immer wieder auf Ziegeln im Castrum und seiner Umgebung. Dieser Fabrikationsstempel beweist, dass dort von der Legion im 4. Jahrhundert n. Chr. eine Ziegelei betrieben wurde. Zwei ihrer Brennöfen wurden am Rande der Liebrüti-Siedlung[9] ausgegraben. Die Römer stellten hier wohl auch einen Wachtturm auf, ein dort – im Jahr 1900 – entdeckter Dachziegel trug ebenfalls einen Stempel der Prima Martia. Außer den Ziegeln ist in Augst auch die Grabstele eines Veteranen der Legion erhalten geblieben.[10]
Wahrscheinlich wurde die Legio I Martia von Valentinian I. (364–375), der den Rheinlimes weiter ausbauen ließ und sich zu diesem Zweck 369 in Breisach aufhielt, nach Pannonien verlegt. Nach anderer Meinung wurde sie in den Jahren 352 bis 355 bei Abwehrkämpfen gegen Franken und Alemannen – mit Ausnahme einer bereits vorher nach Pannonien entsandten Vexillation – aufgerieben.[2]
Vexillationen
Folgende Einheiten sind vermutlich aus der Legion hervorgegangen:
Einheit | Bemerkung | Abbildung |
---|---|---|
Legio Prima Martiorum | Südwestlich von Visegrád, am pannonischen Donaulimes, wurden zwei valentinianische Burgus-Fundamente freigelegt. Die dabei aufgefundenen Bauinschriften aus den Jahren 371 und 372 belegen die Anwesenheit einer Legio Prima Martiorum unter dem Praepositus legionis Foscianus als Bautruppe in der Provinz Valeria (Westungarn).[11] Ob die Legio Prima Martiorum tatsächlich als eine vom Rhein hierher verlegte Vexillation der Legio I Martia anzusehen ist oder ob es sich um eine Truppe der comitatensischen Primi Martii handelt ist noch unklar.[3] | |
Martii | Die Truppe zählte zu den Comitatenses, die im frühen 5. Jahrhundert unter dem Magister militum per Illyricum dienten.[12] Der Bezug der Legion zu Pannonien legt nahe, dass diese Einheit[12] ebenfalls aus der Legio I Martia hervorgegangen ist.[13] | |
Martenses | Diese Truppe stand im frühen 5. Jahrhundert unter dem Oberbefehl des Magister Peditum praesentalis.[14]
Ein Zusammenhang zwischen den Martenses und der Legio I Martia ist jedoch nach wie vor umstritten.[13] |
Literatur
- Emil Ritterling: Legio (I Martia). In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XII,2, Stuttgart 1925, Sp. 1417–1419.
- Rudolf Fellmann: Spätrömische Festungen und Posten im Bereich der Legio I Martia. In: Clive Bridger, Karl-Josef Gilles (Hrsg.): Spätrömische Befestigungsanlagen in den Rhein- und Donauprovinzen. Beiträge der Arbeitsgemeinschaft ‚Römische Archäologie‘ bei der Tagung des West- und Süddeutschen Verbandes der Altertumsforschung in Kempten 08.06.–09.06.1995 (= BAR International Series. Band 704). Archaeopress, Oxford 1998, S. 95–103.
- Rudolf Fellmann: La légion Ia Martia, une légion du Bas-Empire. In: Yann Le Bohec, Catherine Wolff (Hrsg.): L’armée romaine de Dioclétien à Valentinien Ier. (= Collection du Centre d’Études Romaines et Gallo-Romaines. N. S., Band 26). De Boccard, Paris 2004, S. 201–209.
Weblinks
- Jona Lendering: Legio I Martia. In: Livius.org (englisch)
- Legio I Martia bei imperiumromanum.com
- Legio Prima Martia bei augustaraurica.ch
Einzelnachweise
- Rudolf Fellmann: Spätrömische Festungen und Posten im Bereich der Legio I Martia. In: Clive Bridger, Karl-Josef Gilles (Hrsg.): Spätrömische Befestigungsanlagen in den Rhein- und Donauprovinzen. Archaeopress, Oxford 1998, S. 95–103, hier S. 95.
- Roksanda M. Swoboda: Ziegelstempel der Legio I Martia. In Der Münsterberg in Breisach. Band 1. Römische Zeit und Frühmittelalter, karolingisch-vorstaufische Zeit. C.H.Beck, München 2006, ISBN 3-406-10756-7 (Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 39), S. 234–244.
- Tagungsbericht (PDF; 362 kB) zu dem internationalen Kolloquium „Römische Legionslager in den Rhein- und Donauprovinzen – Nuclei spätantikfrühmittelalterlichen Lebens?“, Bayerische Akademie der Wissenschaften, 2006, S. 12–13.
- AE 1977, 592
- AE 1941, 32
- Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer (Hrsg.): Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 3: Bilro̜st – Brunichilde, de Gruyter, 1978, ISBN 978-3-11-006512-1, S. 433.
- Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer (Hrsg.): Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 11: Germanen, Germania, Germanische Altertumskunde, de Gruyter, 1998, ISBN 978-3-11-016782-5, S. 74.
- Rudolf Fellmann: Spätrömische Festungen und Posten im Bereich der Legio I Martia. In: Clive Bridger, Karl-Josef Gilles (Hrsg.): Spätrömische Befestigungsanlagen in den Rhein- und Donauprovinzen. Archaeopress, Oxford 1998, S. 95–103, hier S. 95 f. und 100.
- Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer (Hrsg.): Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 16: Jadwingen – Kleindichtung, de Gruyter, 2000, ISBN 978-3-11-016383-4, S. 165.
- CIL 13, 5270
- Zsolt Visy: Der pannonische Limes in Ungarn. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, ISBN 3-8062-0488-8. S. 71.
- Notitia dignitatum Or. IX.
- Ralf Scharf: Der Dux Mogontiacensis und die Notitia Dignitatum. Eine Studie zur spätantiken Grenzverteidigung, Reihe: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (Ergänzungsbände), Walter de Gruyter, Berlin 2005, ISBN 3-11-018835-X, S. 251.
- Notitia dignitatum Oc. V.
- Notitia dignitatum Oc. VII.
- Notitia dignitatum Oc. XXXVII.
- Notitia dignitatum Oc. XLI; vgl. Jürgen Oldenstein: Kastell Alzey. Archäologische Untersuchungen im spätrömischen Lager und Studien zur Grenzverteidigung im Mainzer Dukat. Habilitationsschrift, Universität Mainz 1992, S. 299 doi:10.25358/openscience-4527.