Lechi

Lechi (לח״י, Akronym für hebräisch לוֹחֲמֵי חֵרוּת יִשְׂרָאֵל Lōchamej Cherūt Jisraʾel, deutsch Kämpfer der Freiheit Israels) war eine radikal-zionistische, paramilitärische Untergrundorganisation in Palästina während des britischen Mandats. Die Briten bezeichneten sie nach ihrem Gründer Avraham Stern als Stern Gang, was oft als Stern-Bande ins Deutsche übersetzt wurde. Lechi führte terroristische Anschläge durch, die sich gegen die britische Mandatsherrschaft über Palästina richteten. Die Organisation wurde zu Beginn des israelischen Unabhängigkeitskrieges aufgelöst.

Geschichte

Avraham Stern

Lechi wurden von Stern 1940 als Abspaltung von der Irgun gegründet, als diese unter der Führung von David Raziel nach dem Tod von Wladimir Jabotinsky im Jahr 1940 ein Abkommen mit der britischen Polizei geschlossen hatte. Stern und seine Anhänger hingegen betrachteten die Briten als Hauptfeind und schlossen sogar eine Zusammenarbeit mit NS-Deutschland nicht aus. Grund war das britische Weißbuch von 1939, das unter anderem eine geringere jüdische Zuwanderung vorsah.[1] Avraham Stern wollte einen jüdischen Staat in einer Art Monarchie („Malchut Jisraʾel“) verwirklicht sehen. Er war der Meinung, dass die Briten das Land nicht freiwillig verlassen würden. Deshalb lehnte er den vom Irgun eingegangenen Waffenstillstand ab, insbesondere auch, weil die Briten nichts als Gegenleistung anbieten wollten.

Die Briten hielten vielmehr an der Politik des Weißbuchs fest. Obwohl dieses erklärte, es sei der Balfour-Deklaration verpflichtet, schränkte es sowohl die jüdische Einwanderung nach Palästina als auch die Möglichkeit, dort Land zu kaufen, substantiell ein. Stern sah den einzigen Ausweg für die Rettung der europäischen Juden vor dem Holocaust in der Einreise nach Erez Israel. Er sah keinen Sinn im Kampf an der Seite der Briten, da im Falle eines alliierten Sieges das Land Israel dann weiter von den Briten besetzt wäre. Die Briten machten diesbezüglich, im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg mit der Balfour-Deklaration, auch keine Versprechungen. Somit hielten er wie auch das spätere Zentralkommando von Lechi, das seine Nachfolge antrat, jede Art von Widerstand gegen die Briten für angemessen.[2]

Als Ende 1940 mit Großbritannien nur noch ein einziger europäischer Staat gegen das nationalsozialistische Deutschland Widerstand leistete und der Ausgang des Krieges mehr als ungewiss schien, suchte die Lechi in ihrem Kampf gegen die Mandatsmacht Unterstützung ausgerechnet bei Nazi-Deutschland. Anfang 1941 traf Naftali Lubentschik im von Vichy-Frankreich kontrollierten Beirut mit dem deutschen Geheimdienstler Rudolf Roser und dem Diplomaten Werner Otto von Hentig zusammen und händigte ein Memorandum aus. Lechi regte darin an, dass ein von den Nationalsozialisten angestrebtes „Neues Europa“ ohne Juden nur errichtet werden könne, wenn man die Juden nach Palästina bringe und dort einen zionistischen Staat errichten lasse, der mit dem Deutschen Reich vertraglich verbunden und verbündet sein sollte. Die deutschen Unterhändler lehnten das Ansinnen jedoch ab und unterstützten stattdessen das Unabhängigkeitsbestreben der Araber und den Großmufti von Jerusalem Mohammed Amin al-Husseini.[3]

Am 12. Februar 1942 wurde Stern von der britischen Polizei in seiner Wohnung erschossen. Viele Mitglieder der Gruppe wurden verhaftet. Daher trat sie zunächst in den Hintergrund, bis sie als „Lechi“ unter der Führung aus Israel Eldad, Nathan Yellin-Mor und Jitzhak Schamir wiedergegründet wurde.

Neben wenigen Anschlägen, die größere Bekanntheit erlangten, führte Lechi vor allem kleinere Operationen durch, so etwa Attentate auf britische Soldaten und Polizeibeamte und teilweise auch auf jüdische Kollaborateure. Zudem wurden Infrastruktureinrichtungen wie Brücken, Eisenbahngleise und Ölraffinerien sabotiert. Lechi finanzierte sich aus privaten Spenden, Schutzgelderpressung und Banküberfällen.

Im Mai 1944 übermittelte Joel Brand Heinrich Himmlers Vorschlag an die Briten, bis zu einer Million Juden (insbesondere aus Ungarn) auszutauschen, wenn dafür von den Westalliierten Waren an NS-Deutschland geliefert würden. Dieser Vorschlag wurde auch auf Anraten des britischen Nahostministers Lord Moyne abgelehnt. Brand schloss sich daraufhin Lechi an. Im November 1944 ermordete ein Lechi-Kommando Moyne in Kairo. Die beiden Attentäter wurden gefasst, zum Tode verurteilt und Anfang 1945 in Kairo hingerichtet.

Am 4. Januar 1948 sprengten Lechi in Jaffa das Neue Serail (al-Saray al-Ǧadida), Sitz des örtlichen Nationalkomitees, 26 Menschen starben, über 160 wurden verletzt, jedoch kein Mitglied des Komitees.[4] Am 26. Februar 1948 wurde der polnische Botschafter Witold Hulanicki, Vater von Barbara Hulanicki, entführt und in Sheikh Badr bei Jerusalem erschossen.[5]

Am 29. Februar 1948 wurde unter einem Wagen, der für britisches Militär reserviert war, kurz nachdem der Zug von Kairo nach Haifa den Bahnhof Rechovot verlassen hatte, eine Bombe gezündet. Dabei wurden 28 britische Soldaten getötet, weitere 35 Soldaten und 100 Zivilisten verletzt.

Am 9. April 1948 töteten beim Massaker von Deir Yasin Lechi-Mitglieder gemeinsam mit Angehörigen der Irgun über hundert Araber, darunter auch zahlreiche Frauen und Kinder.

Lechi wurde nach der Gründung des Staates Israel zwar formell aufgelöst, operierte aber weiterhin vor allem in Jerusalem, bis die Truppe nach der von ihr am 17. September 1948 durchgeführten Ermordung des UN-Gesandten Folke Bernadotte und des UN-Militärbeobachters André Serot im September 1948 gewaltsam zerschlagen wurde. Die mutmaßlichen Drahtzieher des Anschlags auf Bernadotte wurden zwar verhaftet, jedoch später amnestiert. Yellin-Mor, einer der Attentäter, wandte sich vom radikalen Zionismus ab und gründete zusammen mit Uri Avnery die Semitische Aktion, die mit wenig Erfolg eine antikolonialistische Zusammenarbeit mit den Palästinensern propagierte. Jitzchak Schamir und viele andere Lechi-Mitglieder fanden sich politisch bei Cherut bzw. später Likud wieder.

Ehrungen

  • 1980 wurde für ehemalige Lechi-Mitglieder ein staatliches Traditionsabzeichen in den Farben rot, schwarz, grau, dunkelblau und weiß eingeführt.
  • 1982 würdigte die israelische Post die beiden Moyne-Attentäter mit jeweils einer Drei-Schekel-Marke, die mit 18 anderen Marken im Gedenkblock „Märtyrer des israelischen Unabhängigkeitskampfes“ herauskamen.[6]

Literatur

  • Joseph Heller: The Stern Gang. Ideology, Politics, and Terror, 1940–1949. Frank Cass, London 1995, ISBN 0-7146-4558-3.
  • Arie Perliger und Leonard Weinberg: Jewish Self-Defence and Terrorist Groups Prior to the Establishment of the State of Israel. Roots and Traditions. In: Totalitarian Movements and Political Religions, Bd. 4 (2003), Heft 3, S. 91–118, ISSN 1469-0764
  • Israel Eldad: The first Tithe. Jabotinsky Institute in Israel, Tel-Aviv 2008, ISBN 978-965-416-015-5 (EA 1950).
  • Saul Zadka: Blood in Zion. How the Jewish guerillas drove the British out of Palestine. Brassey’s, London 1995, ISBN 1-85753-136-1.
  • David A. Charters: The British Army and Jewish Insurgency in Palestine, 1945–1947 (Studies in military and strategic history). Macmillan, London 1989, ISBN 0-333-42278-3.
  • Ian F. W. Beckett: Stern Gang. In: Ders.: Encyclopedia of Guerilla Warfare. Checkmark Books, New York 2001, ISBN 0-8160-4601-8, S. 224 (EA Santa Barbara, Calif. 1999)
  • James L. Gelvin: The Israel-Palestine Conflict. One Hundred Years of War. Cambridge University Press, Cambridge 2005, ISBN 0-521-85289-7.
  • Tom Segev: The seventh million. The Israelis and the holocaust. Macmillan, London 2000, ISBN 0-8050-6660-8.
  • Adel Safty: From Camp David to the Gulf. Negotiations, Language and Propaganda, and War. Black Rose Books, Montreal 1992, ISBN 1-895431-10-7.
  • Arthur Hertzberg: Jewish Polemics. Columbia University Press, New York 1992, ISBN 0-231-07842-0.
  • Lenni Brenner: The Iron Wall. Zionist Revisionism from Jabotinsky to Shamir. Zed Books, London 1984, ISBN 0-86232-216-2.
Belletristik
Commons: Lechi – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. James L. Gelvin: The Israel-Palestine Conflict. One Hundred Years of War, S. 120.
    Joseph Heller: The Stern Gang. Ideology, Politics, and Terror, 1940–1949, S. 85ff.
    Tom Segev: The Seventh Million. The Israelis and the Holocaust, S. 33f.
    Adel Safty: From Camp David to the Gulf. Negotiations, Language and Propaganda, and War, S. 33.
    Arthur Hertzberg: Jewish Polemics, S. 77.
  2. Gerald Clarke: When Terrorists Become Respectable. In: Time-Magazine vom 25. November 1974 und Israel Eldad: The first Tithe, S. 30ff.
  3. Lenni Brenner: The Iron Wall. Zionist Revisionism from Jabotinsky to Shamir, S. 194ff. und Yehuda Bauer: From diplomacy to resistance. A History of Jewish Palestine 1939-1945. Atheneum, New York 1973, S. 132.
  4. Simcha Flapan: The Palestinian Exodus of 1948. In: Journal of Palestine Studies. Band 16, Nr. 4, 1987, S. 11, doi:10.2307/2536718.
  5. Tom Segev: The man with too many friends. In: Haʾaretz vom 2. Dezember 2011 (englisch).
  6. Scott-Katalog, Israel Nr. 831a bis 831t.
  7. Dieses Werk wurde auch ins Dänische, Französische, Israelische und Niederländische übersetzt.
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