Lastfolgebetrieb

Lastfolgebetrieb bedeutet, dass ein Kraftwerk seine Stromerzeugung dem Marktpreis und den Anforderungen des Übertragungsnetzbetreibers anpasst.[1][2]

Spotpreis, Residuallast nach Abzug von Wind- und Solareinspeisung, und aggregierter tatsächlicher Einsatz verschiedener Erzeugungstypen in Deutschland und Luxemburg, Jan 2024, Daten Entso-E Transparenzplattform

Der Begriff Lastfolgefähigkeit besagt, um wie viel Prozent die Leistung eines Kraftwerks in einer Zeitspanne erhöht oder gedrosselt werden kann.[3]

Inwieweit der Kraftwerkseinsatz dem Marktpreis und den Notwendigkeiten der Lastdeckung tatsächlich folgt, hängt nicht nur von den hier beschriebenen technischen Flexibilitäten des Kraftwerks ab, sondern auch von den wirtschaftlichen Anreizen aus dem Marktdesign der Stromwirtschaft. Die Biomassekraftwerke (siehe Abbildung rechts) haben Flexibilitäten. Nach den Regelungen des Erneuerbare-Energien-Gesetz maximieren sie jedoch ihr Ergebnis, wenn sie unabhängig von Bedarf und Preis immer auf Maximallast fahren. Ganz anders sieht dies für Braunkohle-, Steinkohle- und Gaskraftwerke aus.

Allgemeines

Folgende Begriffe sind im Zusammenhang mit der Fähigkeit eines Kraftwerks zum Lastfolgebetrieb wesentlich:

Minimalleistung

Die Minimalleistung bzw. die Mindestbetriebsleistung sagt aus, bis auf wie viel Prozent der Nennleistung das Kraftwerk im Normalbetrieb heruntergefahren werden kann. Die Minimalleistung stellt also die unterste Grenze im Normalbetrieb des Kraftwerks dar. Sie wird i. d. R. in Prozent der Nennleistung des Kraftwerks angegeben. 45 % Minimalleistung bedeuten z. B. bei einem Kraftwerk mit 1.000 MW Nennleistung, dass die Leistung im Normalbetrieb bis auf 450 MW abgesenkt werden kann.

Alternativ wird auch der Begriff Leistungshub verwendet,[4] d. h., die Differenz zwischen Minimal- und Nennleistung des Kraftwerks. 45 % Leistungshub bedeuten bei einem Kraftwerk mit 1.000 MW Nennleistung, dass die Leistung im Normalbetrieb bis auf 550 MW abgesenkt werden kann.

Leistungsgradient

Der Leistungsgradient bzw. die Leistungsänderungsgeschwindigkeit gibt an, wie schnell das Kraftwerk seine Leistung steigern bzw. verringern kann. Der Leistungsgradient wird i. d. R. in Prozent der Nennleistung pro Minute angegeben. 10 % Leistungsänderungsgeschwindigkeit (korrekt: 10 %-Punkte/min) bedeuten bei einem Kraftwerk mit 1.000 MW Nennleistung, dass die Leistung im Normalbetrieb um bis zu 100 MW pro Minute erhöht bzw. abgesenkt werden kann.

Kraftwerkstyp

Nicht jeder Kraftwerkstyp ist für den Lastfolgebetrieb geeignet. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Kraftwerkstypen, die für den Lastfolgebetrieb geeignet sind:

Kraftwerkstyp Minimalleistung (%) Leistungsgradient (%/min) Leistungsgradient (MW/min) Zeitdauer
Gaskraftwerk 20[5] 20,[5] bis 20[6]
GuD-Kraftwerk 33[5] 6[5][6]
Kernkraftwerk 20,[7][8] 30,[4] 45[3], 50[9] 2 bis 5,[4] (3,8 bis 5,2),[9] (5 bis 10),[3] 10[4] 30 bis 40;[8] bis zu 65;[4] bis zu 100[4][A 1] 1 Stunde[4][A 2]
  Druckwasserreaktor 20,[10][A 3] 45[2] bzw. 50[4][11] (3,8 bis 5,2),[6] 10[10][A 4] 15 Minuten,[10] (10 bis 40 Min.),[6] 60 Min.,[12][A 5] (3 bis 4 Stunden)[11]
  Siedewasserreaktor 20,[4] 35[11] bzw. 60[4][10] (1,1 bis 4,6),[6] 10[6] (10 bis 35 Minuten),[6] (1,8 Stunden)[11][A 6]
Kohlekraftwerk 3 bis 4[6]
  Braunkohlekraftwerk 40[5] 3[5]
  Steinkohlekraftwerk 38[5] 4[5]
Laufkraftwerk nahezu 0[A 7]
Pumpspeicherkraftwerk 0[13] bis 200[13]
  1. Siedewasserreaktor im Bereich zwischen 60 und 100 % der Nennleistung
  2. Die Anlage ist auf Eigenbedarf gehalten
  3. Vorkonvoi- und Konvoi-Anlagen
  4. Oberhalb von 80 % der Nennleistung
  5. Leistungsabsenkung
  6. Von 50 % bis auf 90 % der Volllast und weitere 10 Stunden bis 100 % der Volllast
  7. Ein Lastfolgebetrieb ist bei Laufkraftwerken zwar technisch möglich, wird aber nicht durchgeführt, da aufgrund anderer Aspekte wie etwa der Pegelhaltung der Flüsse ein gleichmäßiger Betrieb bevorzugt wird.

Gaskraftwerk

Für ein Gaskraftwerk werden als Minimalleistung 20 % der Nennleistung angegeben, für ein GuD-Kraftwerk 33 %. Bei Minimalleistung weisen aber beide Kraftwerkstypen eine z. T. erhebliche Verringerung des Wirkungsgrades auf.[5][6] Als Leistungsgradienten werden für ein Gaskraftwerk 20 % der Nennleistung pro Minute angegeben, für ein GuD-Kraftwerk 6 %.[5][6]

Kernkraftwerk

Die Fähigkeit zum Lastfolgebetrieb war für die meisten deutschen Kernkraftwerke (KKW) ein konzeptbestimmendes Auslegungskriterium. Daher sind die Kernüberwachung und die Reaktorregelung schon beim Entwurf der Reaktoren so ausgelegt worden, dass keine nachträgliche Ertüchtigung der Anlagen für den Lastfolgebetrieb nötig ist.[3][4][9][10] Die bayerische Staatsregierung antwortete auf Anfrage, dass alle bayerischen KKW für den Lastfolgebetrieb ausgelegt sind.[11]

Deutsche KKW, die im Lastfolgebetrieb gefahren wurden, sind z. B. Emsland,[2][12] Grafenrheinfeld,[11] Gundremmingen Block B und C,[11] Isar 2,[1][11][14] Neckarwestheim 1,[4][10][15][16] und Philippsburg 1[4][10]. Für die deutschen KKW werden als Minimalleistung 20,[7] 30,[4] 45[3] oder 50[9] % der Nennleistung angegeben. Als Leistungsgradienten werden (2 bis 5),[4] (3,8 bis 5,2),[9] (5 bis 10)[3] oder 10[4] % der Nennleistung pro Minute bzw. 65[4] oder bis zu 100[4] MW pro Minute angegeben.

In Frankreich werden etwa 40 KKW im Lastfolgebetrieb gefahren.[10] Die französischen KKW sind daraufhin ausgelegt (u. a. mit speziellen Steuerstäben), dass sie ihre Leistung innerhalb von 30 min von 100 % der Nennleistung bis auf 20 % verringern können bzw. in demselben Zeitraum die Leistung von 20 bis auf 100 % steigern können. Der Leistungsgradient liegt bei 30 bis 40 MW/min.[8]

Druckwasserreaktor

Für deutsche Druckwasserreaktoren (DWR) werden als Minimalleistung 20,[10] 45[2] (bzw. 50)[4][11] % der Nennleistung angegeben. Als Leistungsgradienten werden 3,8 bis 5,2[6] bzw. 10[10] % der Nennleistung pro Minute angegeben.

Bei DWR sind sowohl bei Leistungserhöhungen als auch bei Leistungsreduzierungen Laständerungen von 50 % der Nennleistung in einer Zeit von maximal einer Viertelstunde möglich. Eine noch höhere Lastfolgefähigkeit ist im Bereich oberhalb von 80 % der Nennleistung mit maximalen Leistungsgradienten von bis zu 10 % der Nennleistung pro Minute möglich.[10]

Für das KKW Isar 2 wurden die folgenden Leistungsgradienten im Betriebshandbuch festgelegt: 2 % pro Minute bei Leistungsänderungen im Bereich von 20 bis 100 % der Nennleistung, 5 % pro Minute im Bereich von 50 bis 100 % der Nennleistung und 10 % pro Minute im Bereich von 80 bis 100 % der Nennleistung.[14]

Siedewasserreaktor

Für deutsche Siedewasserreaktoren (SWR) werden als Minimalleistung 20,[4] 35[11] bzw. 60[4] % der Nennleistung angegeben. Als Leistungsgradienten werden 1,1 bis 4,6[6] bzw. 10[6][4] % der Nennleistung pro Minute angegeben.

Die Leistungsregelung beim SWR erfolgt entweder durch die Variation des Kühlmitteldurchsatzes (Umwälzregelbereich) oder durch das Aus- bzw. Einfahren von Steuerstäben. Über den Umwälzregelbereich hinaus werden Leistungsänderungen durch das Verfahren von Steuerelementen realisiert, so dass Leistungshübe zwischen ca. 20 und 100 % möglich sind.[4]

Kohlekraftwerk

Braunkohlekraftwerk

Für ein Braunkohlekraftwerk wird als Minimalleistung 40 % der Nennleistung angegeben. Bei Minimalleistung tritt eine Verringerung des Wirkungsgrades ein. Als Leistungsgradient wird 3 % der Nennleistung pro Minute angegeben.[5][6]

Steinkohlekraftwerk

Für ein Steinkohlekraftwerk werden als Minimalleistung 38[5] (bzw. 40 %)[7] % der Nennleistung angegeben. Bei Minimalleistung tritt eine Verringerung des Wirkungsgrades ein.[6][7] Als Leistungsgradienten werden 4[5] (bzw. 3 bis 6 %)[7] der Nennleistung pro Minute angegeben.

Wasserkraftwerk

Wasserkraftwerke sind unter bestimmten Voraussetzungen (u. a. ausreichend großer Stauraum, Variation des Stauziels) für den Lastfolgebetrieb geeignet.[17]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Kernkraftwerk Isar 2 zum 10. Mal Weltspitze. E.ON, 5. Mai 2014, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 24. September 2015; abgerufen am 27. Juli 2015.
  2. Kernenergie. RWE, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 24. September 2015; abgerufen am 27. Mai 2015.
  3. Der Energiemarkt im Fokus – Kernenergie – Sonderdruck zur Jahresausgabe 2010. In: BWK DAS ENERGIE-FACHMAGAZIN. Nr. 5, 2010, S. 10 (ruhr-uni-bochum.de [PDF; 2,1 MB; abgerufen am 27. Mai 2015]).
  4. Holger Ludwig, Tatiana Salnikova und Ulrich Waas: Lastwechselfähigkeiten deutscher KKW In: Zeitschrift für Kernenergie Sonderdruck aus atw, Jahrgang 55 (2010), Heft 8/9 August/September, S. 1–8, hier S. 2–3, 5–6 (PDF).
  5. M. Hundt, R. Barth, N. Sun, S. Wissel, A. Voß: Bremst eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke den Ausbau erneuerbarer Energien? Hrsg.: Universität Stuttgart – Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung. 16. Februar 2010, S. 7 (bdi.eu [PDF; 1,8 MB; abgerufen am 23. Juli 2015]). Bremst eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke den Ausbau erneuerbarer Energien? (Memento vom 23. September 2015 im Internet Archive)
  6. M. Hundt, R. Barth, N. Sun, S. Wissel, A. Voß: Bremst eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke den Ausbau erneuerbarer Energien? Hrsg.: Universität Stuttgart – Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung. 16. Februar 2010, S. 2530 (bdi.eu [PDF; 1,8 MB; abgerufen am 23. Juli 2015]). Bremst eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke den Ausbau erneuerbarer Energien? (Memento vom 23. September 2015 im Internet Archive)
  7. Statusreport 2013 – Fossil befeuerte Großkraftwerke in Deutschland. (PDF; 15,1 kB; S. 29 (19)) VDI, Dezember 2013, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 30. Juli 2014; abgerufen am 29. Mai 2015.
  8. World Nuclear Performance Report 2020. (PDF) World Nuclear Association, August 2020, S. 15–17, abgerufen am 21. November 2022 (englisch).
  9. Matthias Hundt, Rüdiger Barth, Ninghong Sun, Steffen Wissel, Alfred Voß: Verträglichkeit von erneuerbaren Energien und Kernenergie im Erzeugungsportfolio – Technische und ökonomische Aspekte. Hrsg.: Universität Stuttgart – Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung. Oktober 2009, S. iii (uni-stuttgart.de [PDF; 291 kB; abgerufen am 23. Juli 2015]).
  10. Matthias Hundt, Rüdiger Barth, Ninghong Sun, Steffen Wissel, Alfred Voß: Verträglichkeit von erneuerbaren Energien und Kernenergie im Erzeugungsportfolio – Technische und ökonomische Aspekte. Hrsg.: Universität Stuttgart – Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung. Oktober 2009, S. 6–7 (uni-stuttgart.de [PDF; 291 kB; abgerufen am 23. Juli 2015]).
  11. Bayerischer Landtag 16. Wahlperiode Drucksache 16/18315 Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Ludwig Wörner SPD vom 16.07.2013 Regelbarkeit bayerischer Kernkraftwerke. (PDF) Bayerischer Landtag 16. Wahlperiode, 13. September 2013, S. 1, abgerufen am 21. November 2022.
  12. Große Flexibilität macht Kernkraftwerk Emsland zum zuverlässigen Partner der erneuerbaren Energien. RWE, 15. August 2014, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 24. September 2015; abgerufen am 28. Mai 2015.
  13. M. Steininger: Welche Chancen bzw. Risiken für Pumpspeicherkraftwerke resultieren aus den Veränderungen in der Elektrizitätswirtschaft? (PDF; 2,5MB) S. 27, archiviert vom Original am 5. Dezember 2017; abgerufen am 4. Dezember 2017.
  14. LASTFOLGEBETRIEB UND PRIMÄRREGELUNG – ERFAHRUNGEN MIT DEM VERHALTEN DES REAKTORS – Kernkraftwerk Isar. (PDF) E.ON, S. 1, abgerufen am 21. November 2022.
  15. Michael Bolz und Andreas Speck, Philippsburg; Fred Böttcher und Steffen Riehm, Neckarwestheim: Einfluss des Lastfolgebetriebs auf die Chemie des Primär- und Sekundärkreislaufs eines Kernkraftwerks mit Druckwasserreaktor In: atw, Vol. 58 (2013) July, S. 440–445, hier S. 440 (PDF).
  16. Laufzeiten der Kernkraftwerke in Deutschland. Öko-Institut, abgerufen am 28. Mai 2015.
  17. Gregor Czisch: Szenarien zur zukünftigen Stromversorgung Kostenoptimierte Variationen zur Versorgung Europas und seiner Nachbarn mit Strom aus erneuerbaren Energien, Dissertation, Kassel, 2005, (PDF S. 96–98).
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