Landsmannschaft Ulmia Tübingen
Die Landsmannschaft Ulmia ist die älteste Studentenverbindung an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Sie wurde am 6. November 1815 gegründet.[1] Sie ist ein pflichtschlagender Männerbund und gehört zu den ältesten Verbindungen des Coburger Convents und Deutschlands. Das Verbindungshaus befindet sich in der Stauffenbergstraße 10/1 auf dem Österberg.
Farbentragen, Fechten, Traditionen sind der Ulmia wichtig, aber letztlich doch marginal, Grundprinzip des Bundes ist die unverbrüchliche Lebensfreundschaft.
Couleur
- Fuxenband: schwarz-gelb mit silberner Perkussion in Bierbandbreite zu tragen über die rechte Schulter
- Burschenband: schwarz-weiß-gelb mit silberner Perkussion in Bierbandbreite zu tragen über die rechte Schulter
- Studentenmütze: gelbe Mütze[2] im Format mittlerer Teller, Burschenmütze mit umlaufenden Burschenfarben, Fuxenmütze mit umlaufenden Fuxenfarben und zwei umlaufenden silbernen Streifen
Vorgeschichte
Bereits vor der offiziellen Gründungskonstitution von 1815 taucht die „Ulmia“ in verschiedenen Quellen auf. K. Klüpfel berichtet von einer „Ulma“, die sich zwischen 1805 und 1810 zu einer „Danubia“ erweitert haben soll[3]. W. Fabricius spricht von 1803[4] und P. Beck erwähnt in dem „Academischen Monatshefte“ 1905 über die „die Anfänge des SC in Tübingen“ ebenfalls eine Ulma, die sich 1805 aufgelöst und in eine Danubia mit den Farben schwarz-weiß verwandelt haben soll[5]. Da jedoch alle Autoren keine Quellen angeben, können diese Berichte nur als ungesichert betrachtet werden. Sicher ist jedoch, dass nach der Eingliederung Ulms in das württembergische Gebiet im Jahr 1810 durch die napoleonischen Gebietsreformen, Ulmer Landsleute in größerer Zahl in den Matrikeln der Universität Tübingen auftauchten. Zuvor gab es Zusammenschlüsse Ulmer Studenten in Straßburg, Altdorf, Erlangen, Landshut, Jena etc. Die wenigen Ulmer Studenten vor 1810 waren allerdings bereits in der Obersuevia von 1808 organisiert. Vier Ulmer waren maßgeblich an der an der Rekonstitution der Obersuevia von 1812 beteiligt und ihre Namen tauchen auch in der Gründungsatzung von 1815 wieder auf. Für das Jahr 1813 ist ein geheimes, weil verbotenes „Ulmer Kränzchen“ im Evangelischen Stift mit Farben und „Hauübungen“, also offenbar korporativem Charakter, belegt[6]. Deren Namen finden sich auch in den Protokollen der 1815 neu gegründeten Korporation.
Geschichte
Am 6. November 1815 wurde von neun Studenten – drei Stadtulmern, drei Oberschwaben und drei Altwürttembergern – ein landsmannschaftliches Corps mit den Farben schwarz-weiß-gelb und dem Wahlspruch „Mein Gott, mein Vaterland, mein Schwert“ gestiftet, dessen Statuten und Protokollbücher noch existieren und von Oskar Schuh, Rainer Assmann und Georg Schmidgall transkribiert und veröffentlicht wurden. Die neue Verbindung blühte rasch auf und war Mitglied des Tübinger Seniorenconvents.
Behördliche Untersuchungen, aufgeflogene Duelle, Verbote und strenge Bestrafungen zwangen zu Geheimhaltung, immer wieder neuen Konstitutionen und Namensänderungen – Würtembergia, Ulma, Danubia und wieder Ulma. Statuen und Verzeichnisse mussten oft hastig vernichtet werden. Die Mitglieder sind dennoch durch Briefe, Stammbücher und Pfeifenköpfe gut dokumentiert.
In der Zeit der Demagogenverfolgung und in der Hofackerzeit (Regierungskommissar Hofacker verfolgte im Auftrag der Landesregierung 1825–1829 alle studentischen Verbindungen, mittels Denunziation und sogar Militär, letztlich erfolglos) und danach werden dokumentarische Nachrichten über alle studentischen Verbindungen naturgemäß immer seltener; bis dann gegen Ende der 1830er Jahre, nach einer gewissen Liberalisierung und Lockerung der behördlichen Restriktionen, wieder vermehrt Dokumente erhalten sind. Am 6. November (dem Stiftungstag von 1815!) 1840 rekonstituierten 9 Ulmer Stadtstudenten im Bewusstsein der älteren Tradition die landsmannschaftliche Gesellschaft „Ulmia“, mit den Farben schwarz-weiß-schwarz, im Gasthaus Denneler am Markt zu Tübingen. Diese Ulmer trugen erst schwarze, ab 1845 weiße und ab 1853 (aus Abneigung gegen Preußen) gelbe Mützen – im Format, wie heute.
Die Ulmia war immer eine relativ kleine, arme Verbindung, dabei liberal, weltoffen, trinkfest, fechtfreudig und aufmüpfig, immer argwöhnisch von den Behörden beobachtet. Erstaunlich wie viele Mitglieder dieser „streng zu beobachtenden Gesellschaft“ – wie es in den Strafakten heißt – nach dem Studium trotzdem loyal und erfolgreich dem Staat dienten. Im 19. Jahrhundert gab es in den damals 63 württembergischen Oberämtern nicht weniger als 24 Oberamtmänner, Oberamtsrichter, Oberamtsärzte, außerdem 11 höhere und höchste Justizbeamte, 8 Landtagsabgeordnete, zahlreiche Stadträte, Dekane, Kanzleidirektoren, Stadtschultheißen und Bürgermeister. Daneben etliche Wissenschaftler, Universitäts- und Gymnasialprofessoren.
Von den 286 Mitgliedern des 19. Jahrhunderts wurden viele vom württembergischen König mit hohen Orden ausgezeichnet und zehn persönlich geadelt.
Am 2. November 1863 musste die Ulmia wegen Mitgliedermangel suspendieren.
Ein erfolgversprechender Rekonstitutionsversuch 1879 misslang, da gleich im zweiten Semester eine große Paukerei aufflog und die noch nicht einmal vollständig bezahlten Waffen konfisziert, viele Beteiligten bestraft oder von der Universität verwiesen wurden und die Hauptstifter auf der Festung württembergischen Hohenasperg einsitzen mussten. Mit Hilfe von Verbandsbrüdern der Ghibellinia Tübingen, Guilelmia Berlin und Paleomarchia Halle konnte die Ulmia am 1. Juli 1887 aber dann doch – und jetzt endgültig – rekonstituiert werden und blühte rasch auf.
Im Jahr 1908 konnte von der relativ kleinen Altersherrenschaft nach Ausräumung etlicher Schwierigkeiten, großer Opfer und mit vielen Schulden das Ulmerhaus auf dem Österberg gebaut und von der Aktivitas bezogen werden. Während im 19. Jahrhundert die Theologen meist in der Überzahl waren, dominierten seit 1887 Mediziner – drei Generalärzte – Zahnärzte, Chemiker und Rechtsanwälte – auch höhere Justizbeamte – und Philologen die Ulmia.
1936 wurde die Ulmia, wie alle anderen Verbindungen, durch die Nationalsozialisten aufgelöst. Es gab kein Aktivenleben mehr auf dem Haus, aber der Altherrenverein blieb bestehen und der Zusammenhalt unter den Bundesbrüdern war ungebrochen. Es konnten sogar noch Tanzveranstaltungen, AH-Treffen und Stiftungsfeste auf dem Ulmerhaus stattfinden, das, nachdem die Zusammenarbeit mit einer studentischen NS-Kameradschaft gescheitert war, inzwischen an die SS-Standarte Tübingen vermietet worden war.
Im Ersten Weltkrieg sind 18, im Zweiten Weltkrieg 30 Bundesbrüder gefallen. Nach Kapitulation und Kriegsende 1945 wurde das Ulmerhaus von den einmarschierten Franzosen beschlagnahmt und wurde Sitz der Gendarmerie bzw. Leibwache des im benachbarten Rhenanenhaus residierenden Gouverneurs der französischen Besatzungszone.
Dem rührigen Werben und Trommeln der Alten Herren Karl Röderer und Fritz Scheuffele ist es zu verdanken, dass am 30. April 1949 die Ulmia mit acht Aktiven und etwa 200 Alten Herren rekonstituiert werden konnte. Die alten Traditionen und der Fechtbetrieb konnten allerdings erst 1951 nach schweren Geburtswehen wieder aufgenommen werden.
1952 wurde das Ulmerhaus von den Franzosen geräumt und konnte von der Aktivitas wieder als Mittelpunkt ihres Studentenlebens bezogen werden.
Bekannte Mitglieder
- Friedrich von Römer (1794–1864), Kriegsrat, Landtag Führer der liberalen Opposition, im Frankfurter Nationalparlament, Justizminister, Ministerpräsident, Präsident des württembergische Landtages, geadelt und Alterspräsident des Landtages
- Johann Michael Lindenmayer (1796–1858), württembergischer Oberamtmann
- Konrad Dietrich Haßler (1803–1873), Pädagoge, Theologe, Orientalist, Philologe, Politiker und Denkmalpfleger
- Carl Ludwig von Golther (1823–1876), Kultusminister von Württemberg, Ministerpräsident
- Julius Gös (1830–1897), Stadtschultheiß (1874), Oberbürgermeister von Tübingen (1887–1897)
- Hermann Haußer (1867–1927), Oberbürgermeister von Tübingen
- Karl von Schmid (1832–1893), Stadtschultheiß in Munderkingen, Politiker (Nationalliberale Partei, Deutsche Reichspartei) und Innenminister des Königreichs Württemberg
- Michel Buck (1832–1888), Oberamtsarzt in Ehingen, Mundartforscher, Kulturhistoriker und schwäbischer Dialektdichter
- Otto Keller (1838–1927), Professor der klassischen Philologie in Freiburg, Ehrenmitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften
- Karl Theodor Wenzelburger (1839–1918), Journalist, Redakteur, Historiker
- Albert von Schnürlen (1843–1926), württembergischer General der Infanterie und Kriegsminister
- Heinrich von Wagner (1857–1925), Oberbürgermeister von Ulm
- Polykarp Pflieger (1867–1932), Oberamtmann von Vaihingen und Ehingen
- Karl Kircher (1874–1939), württembergischer Oberamtmann und Landrat
- Walther Baerwolff (1896–1969), Lehrer und Politiker (DNVP), Landtagsabgeordneter, Reichstagsabgeordneter, Mitglied des Bayerischen Landtags, wehrte sich 1933 gegen die Machtübernahme der NSDAP
- Kurt Lindemann (1901–1966), Orthopäde, Hochschullehrer und Rektor der Universität Heidelberg
- Wilhelm Schöneck (1902–1974), erster Regierungspräsident von Nord-Württemberg
- Gerd Huber (1921–2012), Ordinarius der Psychiatrie und Neurologie, Begründer und Ehrenvorsitzender der internationalen Arbeitsgemeinschaft für Psychosenforschung
- Günther Oettinger (* 1953), Politiker (CDU), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, EU-Kommissar
- Rainer Wieland (* 1957), Rechtsanwalt und Politiker (CDU), Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Präsident der überparteilichen Europa-Union
- Harald Jatzke (* 1959), Honorarprofessor der Universität Tübingen, Vorsitzende Richter am Bundesfinanzhof in München
- Andreas Schütze (* 1963), Ministerialdirektor a. D. und Ministerialdirigent im Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration[7]
- Gunther Krichbaum (* 1964), Politiker (CDU) und Mitglied des Bundestags
Einzelnachweise
- Wilhelm G. Neusel: Kleine Burgen, große Villen: Tübinger Verbindungshäuser im Porträt. Hrsg. vom ArbeitsKreis Tübinger Verbindungen (AKTV). Tübingen : AKTV 2009, ISBN 978-3-924123-70-3, S. 243.
- E. H. Eberhard: Handbuch des studentischen Verbindungswesens. Leipzig, 1924/25, S. 110.
- Karl August Klüpfel: Geschichte und Beschreibung der Stadt und Universität Tübingen. Fues, 1849.
- Wilhelm Fabricius: Die Deutschen Corps. Eine historische Darstellung mit besonderer Berücksichtigung des Mensurwesens. Thilo, Berlin 1898.
- Paul Beck: Academisches Monatshefte. Band XII, Heft 9, 1905, S. 22 ff.
- Stiftsarchiv Kasten VII, Fach 35.1 und Kasten 227/Fach VII.2.2
- Schütze wechselt ins Innenministerium Baden-Württemberg. In: Magazin: politik & kommunikation – Deutschlands Fachportal für politische Kommunikation, abgerufen am 15. April 2018.
Literatur
- Das Verbindungswesen in Tübingen. Eine Dokumentation im Jahre des Universitätsjubiläums 1977. S. 61.
- Martin Biastoch: Tübinger Studenten im Kaiserreich. Eine sozialgeschichtliche Untersuchung. Sigmaringen 1996 (Contubernium – Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte Bd. 44), ISBN 3-515-08022-8.
- Max Lindemann: Handbuch der Deutschen Landsmannschaft. 10. Aufl., Berlin 1925, S. 239–241.
- Rainer Assmann: Dokumente aus der Frühgeschichte des SC zu Tübingen 1814 bis 1816, und in Einst und Jetzt, Jahrbuch des Vereines für Corpsstudentische Geschichtsforschung 47 (2002), S. 105 ff.
- Rainer Assmann: Quellen zur Geschichte des SC zu Tübingen … 1813-1816. Tübinger Corpsliste 1805 bis 1827. (In Schriftenreihe des Archives des Corps Rhenania zu Tübingen) 1981.
- Erich Bauer, Rainer Assmann: Ulma, Danubia und Herzynia Tübingen, Mitgliederliste 1815-1823, und in Einst und Jetzt, 31 (1986), S. 244 ff.
- Otto Fischer: Neues über die alte Ulmia. Ulmerzeitung 1926, Nr. 3, S. 3 ff.
- Otto Fischer: Einiges Neue über die alte Ulm. Ulmerzeitung 1936, Nr. 3, 1936, S. ff.
- Martin Hauff, Fr. Traub, Bernhard Faber, Hans Huber: 150 Jahre Landsmannschaft Ulmia zu Tübingen. Tübingen 1990.
- Hans Huber: Conrad Dietrich Haßler und seine Ulmer Landsleute in Tübingen. Tübingen 2005, und in Einst und Jetzt, 48, 49, 50 (2005).
- Hans Huber: Mitglieder-Verzeichnis der Ulmia 1815-1880. 2020.
- Hans Huber: Tübinger Paukereien im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts, und in Einst und Jetzt, 51 (2006), S. 77 ff.
- Hermann Huß: Geschichte der Landsmannschaft Ulmia. Ulmer-Zeitung Nr. 4 und Nr. 5, 1911.
- Matrikel der Universität Tübingen.
- Frank Raberg: Biographisches Handbuch der württembergischen Landtagsabgeordneten 1815-1933. Stuttgart 2001.
- Regierungsblatt für das Königreich Württemberg, 1813 ff.
- Georg Schmidgall: Beiträge zur Tübinger Studentengeschichte. 1937–1952.
- Bernhard Schuh: Vor hundert Jahren. Deutsche Korpszeitung 1914/15.
- Christian Sigel: Das Evangelische Württemberg. 1913.
- Verzeichnisse der Studierenden auf der kgl. Universität Tübingen.
Ungedruckte Quellen
- Bergman, Joachim-Hans: Hand- und maschinenschriftliche Notizen im Archiv der Landsmannschaft Ulmia zu Tübingen.
- Haßlerbriefe im Stadtarchiv Ulm (G 2; H CD Haßler 48-71).
- Protokollbücher der Disziplinarkommission Universitätsarchiv Tübingen (UAT).
- Protokolle des Justitiaramtes im Universitätsarchiv Tübingen (UAT).
- Repetentenannalen im Stiftsarchiv Tübingen.
- Schmidgall, Georg: Abschrift aus Eiferts Erinnerungen, o. J. UAT (214/160).
- Stammbuchsammlung des Universitätsarchives Tübingen (UAT S 127 bis 128/94).
- Stammbuchsammlung des Institutes für Hochschulkunde Würzburg.
- Strafakten und Strafbücher (UAT 165/25, 243/3 bis 243 230, UAT 122/11, 166/14 und 243/2 und Strafverzeichnis 166/2)
- Terzi, Alfred Otto: Notizen zur Geschichte der Landsmannschaft Ulmia, Manuskript o. J. (ca. 1970).
- Traub, Fritz: Chronologisches Verzeichnis der frühen Ulmia, o. J.(UAT 214/42)
- Württembergische Landesbibliothek, Handschriftenabteilung.