Kettenkomplex
Ein (Ko-)Kettenkomplex in der Mathematik ist eine Folge von abelschen Gruppen oder -Moduln oder – noch allgemeiner – Objekten in einer abelschen Kategorie, die durch Abbildungen kettenartig verknüpft sind.
Definition
Kettenkomplex
Ein Kettenkomplex besteht aus einer Folge
von -Moduln (abelschen Gruppen, Objekten einer abelschen Kategorie A) und einer Folge
von -Modul-Homomorphismen (Gruppenhomomorphismen, Morphismen in A), so dass
für alle n gilt. Der Operator heißt Randoperator. Elemente von heißen n-Ketten. Elemente von
- bzw.
heißen n-Zykel bzw. n-Ränder. Aufgrund der Bedingung ist jeder Rand ein Zykel. Der Quotient
heißt n-te Homologiegruppe (Homologieobjekt) von , ihre Elemente heißen Homologieklassen. Zykel, die in derselben Homologieklasse liegen, heißen homolog.
Kokettenkomplex
Ein Kokettenkomplex besteht aus einer Folge
von -Moduln (abelschen Gruppen, Objekten einer abelschen Kategorie A) und einer Folge
von -Modul-Homomorphismen (Gruppenhomomorphismen, Morphismen in A), so dass
für alle n gilt. Elemente von heißen n-Koketten. Elemente von
- bzw.
heißen n-Kozykel bzw. n-Koränder. Aufgrund der Bedingung ist jeder Korand ein Kozykel. Der Quotient
heißt n-te Kohomologiegruppe (Kohomologieobjekt) von , ihre Elemente Kohomologieklassen. Kozykel, die in derselben Kohomologieklasse liegen, heißen kohomolog.
Doppelkomplex
Ein Doppelkomplex[1] in der abelschen Kategorie A ist im Wesentlichen ein Kettenkomplex in der abelschen Kategorie der Kettenkomplexe in A. Etwas genauer besteht aus Objekten
zusammen mit Morphismen
- und
die die folgenden drei Bedingungen erfüllen:
Der Totalkomplex des Doppelkomplex ist der Kettenkomplex gegeben durch
mit der folgenden Randabbildung: für mit ist
Doppelkomplexe werden unter anderem benötigt, um zu beweisen, dass der Wert von nicht davon abhängt, ob man M auflöst oder N.[2]
Eigenschaften
- Ein Kettenkomplex ist genau dann exakt an der Stelle , wenn ist, entsprechend für Kokettenkomplexe. Die (Ko-)Homologie misst also, wie stark ein (Ko-)Kettenkomplex von der Exaktheit abweicht.
- Ein Kettenkomplex heißt azyklisch, wenn alle seine Homologiegruppen verschwinden, er also exakt ist.
Kettenhomomorphismus
Eine Funktion
heißt (Ko-)Kettenhomomorphismus, oder einfach nur Kettenabbildung, falls sie aus einer Folge von Gruppenhomomorphismen besteht, welche mit dem Randoperator vertauscht. Das heißt für den Kettenhomomorphismus:
- .
Für den Kokettenhomomorphismus gilt entsprechend
- .
Diese Bedingung stellt sicher, dass Zykel auf Zykel und Ränder auf Ränder abbildet.
Kettenkomplexe bilden zusammen mit den Kettenhomomorphismen die Kategorie Ch(MOD R) der Kettenkomplexe.
Euler-Charakteristik
Es sei ein Kokettenkomplex aus -Moduln über einem Ring . Sind nur endlich viele Kohomologiegruppen nichttrivial, und sind diese endlichdimensional, so ist die Euler-Charakteristik des Komplexes definiert als die ganze Zahl
Sind auch die einzelnen Komponenten endlichdimensional und nur endlich viele von ihnen nichttrivial, so ist auch
Im Spezialfall eines Komplexes mit nur zwei nichttrivialen Einträgen ist diese Aussage der Rangsatz.
Etwas allgemeiner nennt man einen Kettenkomplex perfekt, wenn nur endlich viele Komponenten nichttrivial sind und jede Komponente ein endlich erzeugter projektiver Modul ist. Die Dimension ist dann durch die zugehörige Äquivalenzklasse in der K0-Gruppe von zu ersetzen und man definiert als Euler-Charakteristik
Ist jeder projektive Modul frei, etwa wenn ein Körper oder ein Hauptidealring ist, so kann man von Dimensionen reden und erhält mit . Dann fällt diese allgemeinere Definition mit der zuerst gegebenen zusammen.
Beispiele
- Simplizialkomplex
- Der singuläre Kettenkomplex zur Definition der singulären Homologie und der singulären Kohomologie topologischer Räume.
- Gruppen(ko)homologie.
- Jeder Homomorphismus definiert einen Kokettenkomplex
- Legt man die Indizes so fest, dass sich in Grad 0 und in Grad 1 befindet, so ist
- und
- Die Euler-Charakteristik
- von wird in der Theorie der Fredholm-Operatoren der Fredholm-Index von genannt. Dabei bezeichnet den Kokern von .
- Ein elliptischer Komplex oder ein Dirac-Komplex ist ein Kokettenkomplex, der in der Globalen Analysis von Bedeutung ist. Diese treten zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Atiyah-Bott-Fixpunktsatz auf.
Literatur
- Peter John Hilton, Urs Stammbach: A Course in Homological Algebra (Graduate Texts in Mathematics 4). Springer, New York u. a. 1971, ISBN 0-387-90033-0.
Einzelnachweise
- S. 7–8 in Charles A. Weibel: An introduction to homological algebra (= Cambridge Studies in Advanced Mathematics. Band 38). Cambridge University Press, 1994, ISBN 0-521-43500-5.
- Abschnitt 2.7 in Charles A. Weibel: An introduction to homological algebra (= Cambridge Studies in Advanced Mathematics. Band 38). Cambridge University Press, 1994, ISBN 0-521-43500-5.
- J. Cuntz, R. Meyer, J. Rosenberg: Topological and Bivariant K-Theory, Birkhäuser Verlag (2007), ISBN 3-764-38398-4, Definition 1.31