Kaumagen
Der Kaumagen oder Muskelmagen (Ventriculus muscularis, auch Ventriculus pars muscularis) ist ein mit dicken Muskeln ausgestattetes Organ im Verdauungstrakt von Vögeln, Reptilien, Fischen, im übertragenen Sinne (nicht homolog) auch bei wirbellosen Tieren (hier meist Proventriculus genannt). Auch bei Dinosauriern wird er vermutet. Ausgestattet mit Hartteilen wie Reibplatten, Leisten oder „Zähnen“ sowie unter Umständen mit Gastrolithen (Magensteinen), dient er der Zerkleinerung der Nahrung und somit als eine Art Ersatz für die bei anderen Tiergruppen durch Kauen (im Mundraum mittels Zähnen) vorgenommene Zerkleinerung.[1]
Vogelmagen
Ein separater Muskelmagen findet sich vor allem bei pflanzenfressenden (herbivoren) Vögeln, insbesondere bei Körnerfressern.
Beim Vogelmagen ist der Kaumagen der zweite Magen nach dem Drüsenmagen (Ventriculus glandularis oder Proventriculus). Der Muskelmagen der Vögel ist ausgekleidet mit der gastralen Schleimhaut (Tunica mucosa), darunter sitzt ein Unterschleimhautgewebe (Tela submucosa), gefolgt von der eigentlichen Muskelschicht (Tunica muscularis). Seine Wand besteht überwiegend aus glatter Muskulatur. Sie lässt sich anatomisch in vier separate Muskeln gliedern. Die innere Oberfläche des Muskelmagens wird von einer derben, gelblichgrünen Schicht, der Cuticula gastrica, ausgekleidet, die aus einem erstarrten Drüsensekret besteht. Sie besteht aus dem Kohlenhydrat-Protein-Komplex Koilin, mit ähnlichen Eigenschaften wie Keratin. Die Cuticula dient als Reibeplatte, auf der die aufgenommenen Magensteinchen (Gastrolithe oder Grit genannt) die Nahrung zermahlen.[2]
Geflügelkaumagen ist Bestandteil des Geflügelkleins und findet Verwendung in der asiatischen, afrikanischen, südeuropäischen, ungarischen und jüdisch-koscheren Küche, unter anderem gebraten auf Salat oder in Suppen.
Fische
Verschiedene Entwicklungslinien von Knochenfischen haben konvergent zueinander Muskelmägen entwickelt. Dabei handelt es sich in fast allen Fällen um pflanzenfressende (herbivore) Arten, selten um Nutzer toter pflanzlicher Substanz (Detritivore). Muskelmägen existieren bei zahlreichen Vertretern der Meeräschen (Mugilidae),[3] Doktorfische (Acanthuridae) und Nagebarsche (Girellidae).[4] Zumindest die Meeräschen benutzen teilweise auch Gastrolithe.
Reptilien
Unter den lebenden (rezenten) Reptilien besitzt nur eine Gruppe einen muskulösen Kaumagen: die Krokodile.[5] Obwohl diese auch Magensteine aufnehmen, wurde eine Funktion für die Nahrungserschließung für diese bestritten[6] und erscheint heute unwahrscheinlich.[7]
Sauropoden
Die Existenz eines Kaumagens bei sauropoden Dinosauriern ist vor allem aus dem Fund von Gastrolithen, meist poliert wirkenden Kieseln, in den fossilen Skeletten geschlossen worden. Nach neueren Untersuchungen erscheint aber eine Funktion der Magensteine für diesen Zweck sehr unwahrscheinlich[8]. Hinweise auf entsprechende Funktion bieten zum Beispiel der Oviraptosaurier Caudipteryx und der Theropode Sinornithomimus. Dies deutet auf eine Entstehung des Kaumagens in der erweiterten Stammgruppe der Vögel hin.
Wirbellose
Rädertierchen verfügen über einen Mastax (Pl. Mastaces) genannten Kaumagen, welcher aus kieferartigen, komplexen Gerüsten aus einzelnen stäbchen-, schild- oder plattenförmigen, chitinhaltigen Hartteilen, den sogenannten Trophi (Sg. Trophus) besteht. In dem Mastax kann, je nach Form, die Nahrung durch Einsaugen, Zermahlen oder Zerquetschen zerkleinert werden.[9] Auch Regenwürmer haben einen Kaumagen.[10]
Einzelnachweise
- Volker Storch, Ulrich Welsch: Kükenthal – Zoologisches Praktikum. Spektrum Akademischer Verlag, 2009, ISBN 978-3-8274-1998-9, S. 117, 215, 228, 247, 255–257, 357, 401.
- Hans-Georg Liebich: Funktionelle Histologie der Haussäugetiere und Vögel: Lehrbuch und Farbatlas für Studium und Praxis. Schattauer Verlag, 2010, ISBN 978-3-7945-2692-5.
- I. J. Harrison, H. Senou: Order Mugiliformes. Mugilidae. Mullets. In: K. E. Carpenter, V. H. Niem (Hrsg.): FAO species identification guide for fishery purposes. The living marine resources of the Western Central Pacific. Volume 4: Bony fishes part 2 (Mugilidae to Carangidae). FAO, Rom 1997, S. 2069–2108.
- David H. Evans, James B. Claiborne: The Physiology of Fishes. (= CRC Marine Biology). 2. Auflage. CRC Press, 1997, ISBN 0-8493-8427-3, S. 52.
- G. M. King: Reptiles and Herbivory. Springer Verlag, 1996, ISBN 0-412-46110-2.
- Michael A. Taylor: Stomach Stones for Feeding or Buoyancy? The Occurrence and Function of Gastroliths in Marine Tetrapods. In: Philosophical Transactions of the Royal Society London B vol. 341 no. 1296, 1993, S. 163–175. doi:10.1098/rstb.1993.0100
- Oliver Wings: A review of gastrolith function with implications for fossil vertebrates and a revised classification. In: Acta Palaeontologica Polonica. 52 (1), 2007, S. 1–16.
- Oliver Wings, P. Martin Sander: No gastric mill in sauropod dinosaurs: new evidence from analysis of gastrolith mass and function in ostriches. In: Proceedings of the Royal Society. B 274, 2007, S. 636–640. doi:10.1098/rspb.2006.3763
- Alois Herzig et al. (Hrsg.): Rotifera X. Rotifer Research: Trends, New Tools and Recent Advances, Proceedings of the Xth International Rotifer Symposium, held in Illmitz, Austria, 7-13 June 2003. Springer, Dordrecht 2005, ISBN 978-1-4020-4408-3
- Regenwürmer, Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege, abgerufen am 25. März 2024