KZ-Außenlager Vaihingen
Das Konzentrationslager Vaihingen wurde im August 1944 in der Nähe von Vaihingen an der Enz im unteren Glattbachtal angelegt, wo etwa 500 Meter talabwärts bereits ein Zwangsarbeiterlager mit der Bezeichnung „Wiesengrund“ bestand. Formal war es ein Außenlager des deutschen Konzentrationslagers Natzweiler im zuvor annektierten Elsass (Ostfrankreich).[1] Dieses Außenlager, zeitgenössisch und umgangssprachlich auch Konzentrationslager Wiesengrund genannt, das zwei unterschiedliche Phasen durchlief, bestand bis April 1945.
Geschichte
Bei den zunächst im Konzentrationslager untergebrachten Häftlingen handelte es sich um 2187 als Juden verfolgte Personen, die aus dem KZ Radom über Auschwitz nach Vaihingen transportiert worden waren. Sie wurden – neben rund 900 Zwangsarbeitern – auf verschiedenen Baustellen des vom „Jägerstab“ (Luftwaffenministerium) betreuten Projekts „Stoffel“ (Idee einer getarnten mehrgeschossigen Fabrikanlage für die Flugzeugwerke Messerschmitt AG) eingesetzt und sollten dabei der „Vernichtung durch Arbeit“ preisgegeben werden. Lagerführer war Friedrich Berlinghof; Kommandant der Wachmannschaft Wilhelm Lautenschlager. Geplant war die Errichtung eines unterirdischen Rüstungsbetriebs, in dem auf einer Fläche von rd. 80.000 m² Teile für den Strahljäger Me 262 hergestellt werden sollten. Die Baustelle war ein früherer Steinbruch der Firma Baresel auf dem Flurstück „Am Ensinger Weg“. Bereits 1942 etablierte sich in dem von der Firma Baresel aufgelassenen Steinbruch die deutsche Rüstungsindustrie, weil Versuche mit dem katapultgestarteten Marschflugkörper Fieseler Fi 103 („V1“) durchgeführt wurden.[2][3] Die Bauarbeiten am Projekt „Stoffel“ wurden durch die Organisation Todt (OT) geleitet. Das Projekt musste jedoch wegen des Kriegsverlaufs und wegen ständiger Luftangriffe Ende Oktober 1944 aufgegeben werden, worauf ein Großteil der Häftlinge in andere Arbeitslager abtransportiert wurde. Das Konzentrationslager wurde ab 1. Dezember 1944 dann als zentrales „SS-Kranken- und Erholungslager“ für andere Konzentrationslager in Südwestdeutschland genutzt. Der Begriff diente der Verschleierung der Vernichtungsfunktion des Lagers. Tatsächlich handelte es sich zu diesem Zeitpunkt um ein Kranken- und Sterbelager, was für Außenlager zu dem Zeitpunkt ein Novum war.[4] Ab November wurden rund 2400 kranke Häftlinge z. B. aus den Neckarlagern zwischen Heilbronn und Eberbach, aus dem KZ Haslach des KZ Natzweiler und aus den Lagern des so genannten Unternehmens Wüste hierher transportiert. Viele von ihnen starben an Entkräftung, hervorgerufen durch bewusst herbeigeführten Nahrungsmangel oder an Krankheiten, die nicht behandelt wurden. Anfang 1945 brach im Lager eine Flecktyphus-Epidemie aus, die zu sehr vielen Todesfällen führte. In den in unmittelbarer Nähe des Lagers angelegten Massengräbern wurden bis zum April 1945 1578 Häftlinge begraben. Weitere Häftlinge starben nach der Befreiung im Vaihinger Krankenhaus. Insgesamt kamen in kurzer Zeit rund 1700 Menschen in diesem Konzentrationslager zu Tode.
Nachdem die gehfähigen Häftlinge Anfang April zum KZ Dachau transportiert worden waren, wurden hier noch rund 600 überlebende Häftlinge am 7. April 1945 durch Truppen der französischen 1. Armee befreit. Die Mehrzahl von ihnen wurde ab 13. April in Neuenbürg (Kraichtal)[5] unter Quarantäne gestellt.
1954 wurden die Massengräber geöffnet, die Leichen exhumiert und untersucht. Dabei konnten 223 Opfer identifiziert und in ihre Heimatländer überführt werden.
1267 Opfer wurden auf dem neu gestalteten KZ-Friedhof beigesetzt. Das Gräberfeld und ein Gedenkstein wurden 1958 eingeweiht.
1990 gründete sich ein Verein zur Errichtung einer Gedenkstätte. Die Arbeiten an der KZ-Gedenkstätte dauerten mehrere Jahre, ehe sie am 16. April 2005 in Anwesenheit von Gästen aus Frankreich, Israel, Kanada, den Niederlanden, Polen und den USA eröffnet werden konnte. Unterstützt wurden diese Arbeiten durch die Europäische Kommission sowie der Landesstiftung Baden-Württembergs und diverse Firmen mittels Zuschüssen und Sachleistungen. Eine etwa zwanzigminütige audiovisuelle Präsentation erinnert an das Geschehen der Jahre 1944 und 1945.
Die Topografie des KZ-Geländes ist durch den Neubau der Schnellbahntrasse seit 1987 nicht mehr vollständig erhalten.
Die KZ-Gedenkstätte Vaihingen/Enz e.V. gehört zu den 12 Gründungsmitgliedern des Verbundes der Gedenkstätten im ehemaligen KZ-Komplex Natzweiler.[6]
Sonstiges
- Vor dem Eingang thematisiert eine Skulptur des Vaihinger Steinmetz- und Bildhauermeisters Lothar Morlock die Leiden und Qualen der Gefangenen.
- Neben den in Buchform vorliegenden Augenzeugenberichten finden sich zahlreiche weitere Dokumente (darunter viele Fotos) im Archiv der KZ-Gedenkstätte Vaihingen/Enz, das im Stadtarchiv Vaihingen verwahrt wird und dort eingesehen werden kann.
Videodokumentation
- Im Blick zurück – kein Vergessen. Erinnerungen von Wendelgard von Staden an die Häftlinge des KZ Wiesengrund. DVD-Videofilm, Farbe/SW, 19 Minuten, 2005
- Die andere Reise. Amsterdam – KZ Vaihingen an der Enz. Jules Schelvis Juni 1943 bis April 1945. DVD-Videofilm, Farbe/SW, 20 Minuten, 1995
Literatur
- KZ-Gedenkstätte Vaihingen/Enz e. V. (Hrsg.): Das Konzentrationslager Vaihingen/Enz – Vom Arbeitslager zum Sterbelager, Broschüre, 8. überarbeitete Auflage 2014.
- Bärbel Böckle: Das SS-Arbeits- und Krankenlager Vaihingen/Enz (1944/45). In: Schriftenreihe der Stadt Vaihingen an der Enz, Band 2, 1990, S. 141–193.
- Hanns Grosspeter: Mit dem Rücken zur Wand. Autobiographische Erzählungen vom Alltag und Überleben im Konzentrations-Revierlager Vaihingen an der Enz. In: Schriftenreihe der Stadt Vaihingen an der Enz, Band 4, 1985, S. 179–325.
- Brigitta Isermeyer, Albrecht Wittmann (Hrsg.): Medienkoffer: Konzentrationslager »Wiesengrund«, Vaihingen/Enz 2002. Lernstationen, Video, Audio-CDs, Broschüren.
- Ursula Krause-Schmitt, Marianne Ngo, Joachim Schlör, Michael Schmid, Gottfried Schmidt (Red.): Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933–1945. Bd. 5: Baden-Württemberg, Teil I: Regierungsbezirke Karlsruhe und Stuttgart, hrsg. vom Studienkreis „Deutscher Widerstand“. VAS, Verlag für akademische Schriften, Köln 1991, S. 245–247.
- Bernd Martin: Das Konzentrationslager Wiesengrund. In: Schriftenreihe der Stadt Vaihingen an der Enz, Bd. 4 (1985), S. 135–178.
- Manfred Scheck (Hrsg.): Das KZ vor der Haustüre. Augenzeugen berichten über das Konzentrationslager Vaihingen genannt »Wiesengrund«. 4., durchgesehene und erweiterte Aufl. Vaihingen an der Enz 2010.
- Manfred Scheck: Vaihingen an der Enz (»Wiesengrund«). In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 6: Natzweiler, Groß-Rosen, Stutthof. C.H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-52966-5, S. 177–181.
- Manfred Scheck: Zwangsarbeit und Massensterben. Politische Gefangene, Fremdarbeiter und KZ-Häftlinge in Vaihingen an der Enz 1933 bis 1945. Metropol Verlag, Berlin 2014.
- Jules Schelvis: Eine Reise durch die Finsternis. Ein Bericht über zwei Jahre in deutschen Vernichtungs- und Konzentrationslager. Unrast, Münster 2005.
- Wendelgard von Staden: Nacht über dem Tal. Eine Jugend in Deutschland. dtv, München 1991 und weitere Auflagen, ISBN 3-423-01738-4, S. 46–98.
- Robert Steegmann: Das Konzentrationslager Natzweiler-Struthof und seine Außenkommandos an Rhein und Neckar 1941–1945. Metropol, Berlin 2010, ISBN 978-3-940938-58-9.
- Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrsg.): Streiflichter aus Verfolgung und Widerstand 1933–45, Heft 3, Ludwigsburg 1987.
- Herwart Vorländer (Hrsg.): Nationalsozialistische Konzentrationslager im Dienst der totalen Kriegführung. Sieben württembergische Außenkommandos des Konzentrationslagers Natzweiler/Elsaß. Kohlhammer, Stuttgart 1978 (= Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, Bd. 91).
Weblinks
Fußnoten
- Dieses deutsche KZ-Stammlager existierte nach der Befreiung Frankreichs nur noch auf dem Papier, sein noch vorhandener SS-Stab diente als Kommandantur für rund 50 Außenlager. Der Stab wechselte mehrmals den Standort, ab September 1944 befand er sich in Guttenbach.
- Geschichte des Lagers (Memento vom 11. Oktober 2011 im Internet Archive)
- Das Projekt »Stoffel« der Organisation Todt
- Stefan Hördler: Ordnung und Inferno – Das KZ-System im letzten Kriegsjahr. Wallstein Verlag, Göttingen 2015, ISBN 978-3-8353-2559-3, S. 328.
- Quarantäne in Neuenbürg (Memento vom 11. Oktober 2011 im Internet Archive)
- KZ-Gedenkstätten gründen Netzwerk der Erinnerung. In: VGKN.eu. 7. Februar 2017, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 23. Dezember 2018.