KZ-Außenlager München-Riem
Das KZ-Außenlager München-Riem (OT, SS-Reit- & Fahrschule), teils auch kurz KZ-Außenlager München-Riem genannt, war ab Februar 1943 eines der 169 Außenlager des Konzentrationslagers Dachau, das zweitgrößte in München. Meist 300 bis 600 KZ-Häftlinge mussten nach Bombardierungen im Auftrag der Organisation Todt (OT) Aufräum- und Instandsetzungsarbeiten an den Rollbahnen des Flughafens München-Riem und den Werkstätten vornehmen. Sie waren in den etwa zwei Kilometer entfernten Pferdeställen der SS-Reit- und Fahrschule untergebracht.[1]
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Lage des ehemaligen KZ-Außenlagers München-Riem (OT, SS-Reit- & Fahrschule) in München. |
In München gab es zudem die KZ-Außenlager Agfa Kamerawerke und München-Neuaubing (Dornier), sowie mehr als 30 weitere Münchner KZ-Außenkommandos.
Betrieb des KZ-Außenlagers
Die Pferdeställe des KZ-Außenlagers in Münchens östlichem Stadtteil Riem waren mit Stacheldrahtzaun umgeben und wurden von der SS bewacht.[1] Die Häftlinge stammten vor allem aus „Russland“ sowie Polen, Frankreich, Italien und dem Deutschen Reich. Etwa 200 Sinti und Roma waren unter ihnen sowie eine unbekannte Zahl von Juden.[2] Als „Russen“ wurden die Gefangenen aus der Sowjetunion bezeichnet, sie standen bezüglich ihrer Nationalität am unteren Ende der Hierarchie und wurden besonders hart behandelt. So wurde ihnen zur Demütigung eine „Straße“ ins Haar rasiert, sie durften keine Pakete empfangen und wurden auch keine Funktionshäftlinge.[3]
Die Gefangenen mussten schwere Erdarbeiten verrichten, doch die Ernährung war mangelhaft. Neben dünnem Kaffee gab es mittags wässrige Kohl- oder Kartoffelsuppe, abends Kaffee und etwas Brot. Im Ergebnis waren viele durch Unterernährung geschwächt und wurden bei Arbeitsunfähigkeit zurück ins KZ Dachau überstellt.[2]
Bei alliierten Luftangriffen brachte sich die SS-Mannschaft in Schutzräumen in Sicherheit, die Häftlinge waren den Bombardierungen ausgeliefert. So wurden am 9. April 1945 mindestens 41 getötet, am 11. April insgesamt 94 Verwundete ins KZ Dachau transportiert. Teils wurden Verwundete auch vor Ort von der SS erschossen.[2]
Im Frühjahr 1945 wurden 20 russische Häftlinge mittels Genickschuss vor Ort auf dem Appellplatz erschossen. Auch die meisten Fluchtversuche endeten so.[2] Letzter Lagerführer war SS-Hauptscharführer Franz Xaver Trenkle, der Gefangene beim nichtigsten Anlass erschoss.[2]
Räumung des Lagers
Zum Monatswechsel März/April 1945 wurden hunderte Gefangene der Räumungen der Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof hierher gebracht, wie aus Neckarelz oder dessen Außenkommando KZ Neckargerach.[1] Die verspätete Stärkemeldung vom 26. April 1945 gab 1542 Gefangene in diesem KZ-Außenlager an. Doch bereits am 24. und 25. April waren die jüdischen Häftlinge mit Lastkraftwagen in das KZ Dachau transportiert worden, sie wurden dort am 29. April von der US-Armee befreit.[2]
Todesmarsch Richtung Bad Tölz
Frühestens am 25. April mussten sich etwa tausend KZ-Häftlinge auf den Todesmarsch Richtung Tirol machen. Etwa 500 kamen wohl über Trudering, die anderen über Großhesselohe, Grünwald, Deiningen und Dettenhausen (Egling)[2] über Unterleiten (Dietramszell) bis kurz vor Bad Tölz. Fotos aus Grünwald zufolge handelte es sich wohl vor allem um Russen.[4] Die Marschstrecke selbst ist durch die Toten in Egling, Unterleiten und Hechenberg gut belegt sowie die in Kirchbichl und Ellbach.[5] Überlebende berichteten von Misshandlungen und Erschießungen derjenigen, die zu schwach zum Gehen waren.[2]
Befreiung des Lagers
Im Außenlager München-Riem wurden nur die 137 dort zurückgelassenen Gefangenen von der US-Armee befreit.[2]
Juristische Aufarbeitung
Der letzte Lagerführer Franz Xaver Trenkle wurde im Dachau-Hauptprozess Ende 1945 zum Tode verurteilt[1] und im Mai 1946 in Landsberg am Lech hingerichtet.[2] Die Staatsanwaltschaft München I stellte die Ermittlungen zu den Misshandlungen und Morden 1977 ein, da dieser Hauptverdächtige bereits verurteilt worden war.[2]
Erinnerung und Gedenken
Viele nach diesem Todesmarsch angelegte KZ-Friedhöfe und -Grabstätten wurden zwischen 1955 und 1959 aufgelöst, die sterblichen Überreste der Todesopfer auf den KZ-Friedhof Dachau-Leitenberg und die Gräberanlage für KZ-Todesopfer auf dem Waldfriedhof Dachau umgebettet.
Die ehemalige SS-Reitschule fand ihre Nachnutzung in der Polizeireitschule.[2] Vor Ort gibt es keine Erinnerung an dieses Außenlager. Das 1937 von der Stadt München errichtete Reiterstandbild von Mathias Gasteiger erinnert an die Vergangenheit als SS-Reitschule.[6]
Literatur
- Sabine Schalm: Frühe Lager, Dachau, Emslandlager. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors – Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 2. C. H. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52962-3, S. 442–445 (607 S.).
- Sabine Schalm: Early Camps, Youth Camps, and Concentration Camps and Subcamps under the SS-Business Administration Main Office (WVHA). Enzyklopädie. In: United States Holocaust Memorial Museum, Geoffrey P. Megargee (Hrsg.): Encyclopedia of Camps and Ghettos, 1933–1945. I A. Indiana University Press, Bloomington, USA 2009, ISBN 978-0-253-35328-3, S. 523 f. (englisch, 900 S., ushmm.org [PDF; 68,0 MB; abgerufen am 23. September 2020] Encyclopedia Vol-I, Part A, Eintrag „München-Riem (OT, SS-Reit- und Fahrschule)“).
- Guenter Lewy: „Rückkehr nicht erwünscht“ – die Verfolgung der Zigeuner im Dritten Reich. Propyläen, Berlin 2001, ISBN 978-3-549-07141-0 (471 S.).
- Ludwig Eiber, Eva Strauß, Michael Krausnick: Ich wusste, es wird schlimm – die Verfolgung der Sinti und Roma in München 1933 – 1945. Aufsatzsammlung. Hrsg.: Landeshauptstadt München. Buchendorfer, München 1993, ISBN 978-3-927984-16-5 (153 S.).
- Sabine Schalm: Überleben durch Arbeit? Außenkommandos und Außenlager des KZ Dachau 1933–1945. In: Geschichte der Konzentrationslager 1933-1945. Band 10. Metropol, Berlin 2009, ISBN 978-3-940938-45-9 (368 S., zugleich Dissertation an der TU Berlin 2008 / Überblick über räumliche und zeitliche Ausdehnung, Machtstrukturen und Handlungsoptionen der führenden Akteure, Häftlingszwangsgesellschaft mit einzelnen Häftlingsgruppen, Existenzbedingungen der Häftlinge).
- Andreas Wagner: Todesmarsch – die Räumung und Teilräumung der Konzentrationslager Dachau, Kaufering und Mühldorf Ende April 1945. Panther-Verlag Tietmann, Ingolstadt 1995, ISBN 978-3-9802831-7-5, Der Marsch der KZ-Häftlinge über Grünwald und Kirchbichl nach Bad Tölz, S. 68–72 (152 S., Todesmarsch (Memento vom 6. November 2016 im Internet Archive) [abgerufen am 17. September 2021]).
Weblinks
- Friedrich Schreiber, Verein „Gedenken im Würmtal“: Häftlingsmärsche aus dem Osten Münchens. Ruth Kaner, Januar 2009 (s. a. Quellenanalyse / Informationslücken bei der Evakuierung von Außenlagern Allach und München-Ost: 2. Evakuierungsmärsche von KZ-Lagern im Münchner Osten / a. Russen von Riem).
Einzelnachweise
- Sabine Schalm: Early Camps, Youth Camps, and Concentration Camps and Subcamps under the SS-Business Administration Main Office (WVHA). Enzyklopädie. In: United States Holocaust Memorial Museum (Hrsg.): Encyclopedia of Camps and Ghettos, 1933–1945. I A. Indiana University Press, Bloomington, USA 2009, ISBN 978-0-253-35328-3, S. 523 f. (englisch).
- Sabine Schalm: Frühe Lager, Dachau, Emslandlager. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Band 2. C. H. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52962-3, S. 442–445.
- Sabine Schalm: Überleben durch Arbeit? Außenkommandos und Außenlager des KZ Dachau 1933–1945. In: Geschichte der Konzentrationslager 1933-1945. Band 10. Metropol, Berlin 2009, ISBN 978-3-940938-45-9, S. 165 (368 S., zugleich Dissertation an der TU Berlin 2008).
- Friedrich Schreiber, Verein „Gedenken im Würmtal“: Häftlingsmärsche aus dem Osten Münchens. Ruth Kaner, Januar 2009, abgerufen am 5. September 2021.
- Friedrich Schreiber, Verein „Gedenken im Würmtal“: Quellenanalyse / Informationslücken bei der Evakuierung von Außenlagern Allach und München-Ost. Ruth Kaner, Januar 2009, abgerufen am 5. September 2021 (2. Evakuierungsmärsche von KZ-Lagern im Münchner Osten / a. Russen von Riem).
- KZ-Außenlager München-Riem. In: nordostkultur-muenchen.de. NordOstKultur München, abgerufen am 13. August 2022: „erinnert nichts an die Vergangenheit des Geländes.“