Josef Gabriel Rheinberger

Josef Gabriel Rheinberger (* 17. März 1839 in Vaduz, getauft auf den Namen Gabriel Joseph; † 25. November 1901 in München) war ein in Liechtenstein geborener Komponist, Organist und Musikpädagoge. Mit zwölf Jahren kam er zur musikalischen Ausbildung nach München und wirkte dort sein Leben lang, so dass er häufig als deutscher Komponist wahrgenommen und bezeichnet wird. Er war der Onkel des Liechtensteiner Künstlers Egon Rheinberger.

Josef Rheinberger, Aufnahme vom Atelier Müller-Hilsdorf

Biografie

Rheinbergers Geburtshaus in Vaduz: das Rheinbergerhaus
Josef und Fanny Rheinberger

Josef Gabriel Rheinberger zeigte schon früh ungewöhnliche Musikalität und versah bereits als Siebenjähriger den Organistendienst in seinem Heimatort. 1849 kam er für ein Jahr zu dem Feldkircher Organisten Philipp M. Schmutzer zur musikalischen Ausbildung. Anschließend ging er mit zwölf Jahren nach München und besuchte bis 1854 das von Franz Hauser geleitete Königliche Conservatorium für Musik. Er wurde von Johann Georg Herzog im Orgelspiel und von Julius Joseph Maier in Kontrapunkt (Kompositionslehre) unterrichtet. Privat bildete er sich bei dem Hofkapellmeister Franz Lachner weiter. Schon bald überflügelte er seine Kommilitonen und schuf zahlreiche frühe Werke.

1854 wurde Rheinberger Vizeorganist an der Pfarrkirche St. Ludwig und 1857 Hoforganist an der Theatinerkirche (St. Kajetan). Ab 1859 gab er zusätzlich Klavierunterricht am Konservatorium. 1863 wurde er Hoforganist an der Hofkirche St. Michael.

1867 wurde Rheinberger zum Professor für Orgel und Komposition an der neu gegründeten Königlich Bayerischen Musikschule (ab 1892 Königliche Akademie der Tonkunst) ernannt. Dieses Amt übte er bis kurz vor seinem Lebensende aus. Im selben Jahr heiratete er die Dichterin Franziska von Hoffnaaß („Fanny“), die Texte für einige seiner Vokalwerke verfasste (so auch für die Kantate Der Stern von Bethlehem und das Oratorium Christoforus). 1867 zog er auch in eine Wohnung in der Fürstenstraße 6 in der Münchener Maxvorstadt, in der er bis zu seinem Tod lebte.

Rheinbergers ehemalige Grabstätte in München (Standort)
Das Grab des Ehepaars in Vaduz.

Rheinberger gehörte zu den erfolgreichen Komponisten seiner Zeit. Verleger, Musiker und Chöre traten mit Kompositionsaufträgen an ihn heran. 1877 wurde er Nachfolger von Franz Wüllner als Hofkapellmeister des bayerischen Königs Ludwig II. Damit nahm er eine zentrale Position in der katholischen Kirchenmusik in Deutschland ein. Er komponierte lateinische Messen und Motetten, die in ihrer Unabhängigkeit von den einengenden Vorschriften der cäcilianischen Kirchenmusikreformer seiner Zeit wegweisend waren: „… kein einziges der 160 Werke geistlicher Vokalmusik wurde von den deutschen Cäcilianern würdig befunden, in den Katalog der von den Cäcilianern approbierten Kirchenwerke aufgenommen zu werden.“[1] Als Kompositionslehrer an der Münchner Musikschule und der Akademie der Tonkunst an 1893 war Rheinberger eine Kapazität von internationalem Rang. Zahlreiche Auszeichnungen spiegeln seinen Erfolg wider, darunter das Ritterkreuz des päpstlichen Gregoriusordens (1879), das Komturkreuz des Bayerischen Kronenordens (1895, verbunden mit dem persönlichen Adel) und der Ehrendoktor der Universität München (1899).

Grabstätte

Josef Rheinberger wurde auf dem Alten Südlichen Friedhof in München (Neue Arkaden, Platz 101 bei Gräberfeld 42, Standort) bestattet. 1949 wurde das im Zweiten Weltkrieg beschädigte Grab auf den Friedhof der Pfarrei St. Florin in seinem Heimatort Vaduz verlegt. Seit 1989 ruhen dort die sterblichen Überreste Rheinbergers und seiner Frau in einem Ehrengrab. Ein Grabstein auf dem Alten Südlichen Friedhof in München erinnert an Josef und Franziska Rheinberger.

Bedeutung und Rezeption

Werk und Einfluss

Rheinberger steht als bedeutender Repräsentant einer vielfältigen Musikkultur am Ende der klassisch-romantischen Epoche. Sein umfangreiches Œuvre, darunter allein 197 mit Opuszahl veröffentlichte Werke, umfasst Klaviermusik, Orgelmusik, geistliche und weltliche Chormusik, Sololieder, Kammermusik, Sinfonien, Konzertouvertüren, Schauspielmusiken und Opern.

Zur Bekanntheit Rheinbergers hat vor allem seine Orgelmusik beigetragen, obwohl sie nur ein Viertel seines Gesamtwerkes ausmacht. Insbesondere die 20 Orgelsonaten, alle in unterschiedlichen Tonarten gesetzt, haben daran einen großen Anteil. Ab 1875 hat Rheinberger fast jedes Jahr eine Sonate komponiert. Sie waren eher nicht zur Aufführung in der Kirche vorgesehen, sondern primär für den Konzertsaal gedacht.[2] Für die Entwicklung dieser Gattung war seine Arbeit prägend:

„Rheinbergers Bedeutung für diese Gattung kann nicht leicht überschätzt werden. Von den Komponisten, die sich überhaupt mit der Orgelsonate befaßten, war er nach Mendelssohn der bedeutendste.“

Martin Weyer: Orgelsonate[3]
Die Rheinberger-Orgel in St. Florin, Vaduz

Nicht zuletzt als Lehrer für Komposition hatte Rheinberger große Bedeutung. Zu seinen Schülerinnen und Schülern zählten unter vielen anderen Stevan Stojanović Mokranjac, Luise Adolpha Le Beau, Max Bruch, Alfredo Cairati, Sophie Menter, Hans Koessler, Engelbert Humperdinck, Alberto Franchetti, Ermanno Wolf-Ferrari, Joseph Renner jun., Richard Strauss, Lothar Windsperger, Wilhelm Furtwängler und Aloys Fleischmann sowie eine ganze Generation junger US-amerikanischer Komponisten (z. B. Horatio Parker und George Chadwick).

Rheinberger wurde Anfang der 1870er Jahre vom damaligen Fürsten von Liechtenstein gebeten, einen guten Orgelbauer für die neu errichtete Kathedrale St. Florin zu suchen. Rheinberger disponierte daraufhin eine Orgel, welche die von ihm angeschriebene Firma Steinmeyer baute, und spielte sie zur Einweihung auch. Diese ist in den 2010er Jahren, nachdem mehrere Umbauten über sie ergingen, von der Firma Eule, soweit möglich, in den originalen Zustand rückrestauriert worden.[4]

Aufführungsgeschichte

Während Rheinberger Ende des 19. Jahrhunderts von bekannten Pianisten aufgeführt wurde und zu Lebzeiten unmittelbar erfolgreich war, wurde er nach dem Ersten Weltkrieg weitestgehend vergessen und bis 1980 in deutschen Konzerthallen kaum aufgeführt.[5] Als ein mutmaßlicher Grund dafür wurde schon 1939 die Tatsache genannt, dass er als entschiedener Klassizist, der besonders Bach und Beethoven als seine Leitbilder ansah, zwar hervorragende Kompositionen kreierte, in der Musikgeschichte aber stets nur Komponisten, die auf einem Gebiet etwas „Neues“ schufen, in Erinnerung geblieben sind.[6] Weitere Ursachen mögen sein einerseits die Unbedeutendheit der Gattungen dramatische Musik, Lieder, weltliche Chormusik, Klavier- und Orchestermusik in der Aufführungspraxis, andererseits die Ächtung seiner geistlichen Komposition seitens der Cäcilianer – insbesondere des Domkapellmeisters Ignaz Mitterer in Regensburg –, die für einen einfachen A-cappella-Stil in Tradition Palestrinas eintraten.[7]

Auch wenn Rheinberger nach dem Zweiten Weltkrieg in den Domen zu Würzburg und Regensburg zunehmend öfter aufgeführt wurde, waren dies größtenteils die gleichen Kompositionen. Erst ab den 1980er-Jahren wurde dieses Repertoire erweitert und ihm auch überregional im ganzen deutschsprachigen Raum größere Bedeutung eingeräumt. Dies ging einher mit einer allgemeinen „Wiederentdeckung“ kleinerer Komponisten früherer Jahrhunderte gegen Ende des 20. Jahrhunderts, wobei der Effekt bei Rheinberger außergewöhnlich stark war.[8]

Ehrungen

1895 wurde er geadelt (Josef Gabriel Ritter von Rheinberger). Im Jahr 1909 wurde an Rheinbergers Wohnhaus in München eine Gedenktafel angebracht. Als Andenken an sein Schaffen wurde im Jahr 1940 ein Rheinberger-Denkmal mit Gedenktafel vor dem Geburtshaus in Vaduz erstellt. Dieses ist außerdem seit 1968 der Hauptsitz der Liechtensteinischen Musikschule. Die Orgel in der Kathedrale St. Florin ist ebenfalls nach ihm benannt.

Die Gemeinde Vaduz vergibt seit 1976 alle zwei Jahre den Josef Gabriel von Rheinberger-Preis.

Zur Förderung und Verbreitung seines vielseitigen Schaffens im heutigen Kulturleben wurde im Jahre 2003 die Internationale Josef-Gabriel-Rheinberger-Gesellschaft gegründet.[9]

Im Stadtbezirk Maxvorstadt in München ist die Rheinbergerstraße nach ihm benannt.[10]

Werke

Denkmal und Gedenktafel in Vaduz
Gedenktafel am Wohnhaus in der Fürstenstraße 6 in München

Diese Aufzählung berücksichtigt nur die von Rheinberger selbst mit Opuszahlen versehenen Werke.

  • Weltliche Chormusik
    • Chorballaden
    • Gesangsensembles mit und ohne Begleitung
    • gemischte Chöre
    • Frauenchöre
    • Männerchöre
  • 12 Lieder für eine Singstimme und Klavier
  • Orchestermusik
    • 2 Sinfonien
    • 3 Ouvertüren
    • 4 Solokonzerte (darunter 1 Klavierkonzert, 2 Orgelkonzerte F-Dur op. 137 und g-Moll op. 177)
  • Kammermusik
    • Streichquartette, Streichquintette
    • Klaviertrios, Sonaten für Soloinstrumente und Klavier
      • u. a. Sonate für Klarinette und Klavier op. 105 a
    • 4 Klaviersonaten
  • Orgelwerke
    • 2 Orgelkonzerte, Nr. 1 F-Dur, op. 137, und Nr. 2 g-moll, op. 177
    • 20 Orgelsonaten
    • 12 Fughetten op. 123a, 12 Fughetten op. 123b
    • 12 Monologe op. 162
    • 12 Meditationen op. 167
    • Präludien, Trios, Charakterstücke
    • Werke für Violine bzw. Oboe und Orgel

Literatur

  • Harald Wanger: Rheinberger, Josef Gabriel. In: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein
  • Karl Dienst: Rheinberger, Joseph Gabriel. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 8, Bautz, Herzberg 1994, ISBN 3-88309-053-0, Sp. 134–136.
  • Stephan Hörner: Rheinberger, Josef Gabriel von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, ISBN 3-428-11202-4, S. 489 f. (Digitalisat).
  • Hans-Josef Irmen: Thematisches Verzeichnis der musikalischen Werke Gabriel Josef Rheinbergers. (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts; Bd. 37). Forschungsunternehmen der Fritz Thyssen Stiftung. Arbeitskreis Musikwissenschaft. Regensburg 1974.
  • Hans-Josef Irmen: Gabriel Joseph Rheinberger als Antipode des Cäcilianismus. (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts; Bd. 22). Forschungsunternehmen der Fritz Thyssen Stiftung. Arbeitskreis Musikwissenschaft. Regensburg 1970.
  • Hans-Josef Irmen, Harald Wanger: Gabriel Joseph Rheinberger. Briefe und Dokumente. 9 Bände. Vaduz 1982–1988.
  • Birger Petersen-Mikkelsen, Martin West (Hrsg.): Gabriel Josef Rheinberger und seine Zeit: Die Referate des Symposions anläßlich der 15. Internationalen Orgelwochen Eutin 2001. Books on Demand, 2002, ISBN 978-3-8311-3873-9.
  • Harald Wanger: Josef Gabriel Rheinberger. Leben und Werk in Bildern. Carus Verlag, Stuttgart 1998, ISBN 978-3-923053-56-8.
  • Martin Weyer: Die Orgelwerke Josef Rheinbergers. Florian Noetzel Verlag, Wilhelmshaven 1994. ISBN 3-7959-0665-2.
Commons: Josef Gabriel Rheinberger – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Hans-Josef Irmen: Gabriel Josef Rheinberger als Antipode des Cäcilianismus. Gustav Bosse Verlag, Regensburg 1970, S. 206.
  2. Martin Weyer: Die Orgelwerke Josef Rheinbergers. Hrsg.: Florian Noetzel Verlag. Wilhelmshaven 1994, S. 11.
  3. Martin Weyer: Die deutsche Orgelsonate von Mendelssohn bis Reger. Regensburg 1969, S. 135.
  4. HERMANN EULE ORGELBAU - Vaduz, Kathedrale St. Florin. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 18. Juni 2020; abgerufen am 11. Juli 2020.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.euleorgelbau.de
  5. Hanns Steger: Die Musikanschauung Josef Rheinbergers. Hrsg.: Georg Olms Verlag. Hildesheim 2001, S. 235–239.
  6. Ludwig Lade: „Josef Rheinberger“. In: Zeitschrift für Musik. Nr. 106, 1939, S. 295–297.
  7. Hanns Steger: Die Musikanschauung Josef Rheinbergers. Hrsg.: Georg Olms Verlag. Hildesheim 2001, S. 42–44.
  8. Hanns Steger: Die Musikanschauung Josef Rheinbergers. Hrsg.: Georg Olms Verlag. Hildesheim 2001, S. 44–47.
  9. Harald Wanger: Rheinberger, Josef Gabriel. In: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein. 31. Dezember 2011, abgerufen am 13. Juni 2019.
  10. Hans Dollinger: Die Münchner Straßennamen. 7. Auflage. Südwest-Verlag, München, 2007, ISBN 978-3-517-08370-4
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