Jitzchak Schami

Jitzchak Schami (auch Jitzchak Sarwi, hebräisch: יצחק שמי; geboren am 4. August 1888 in Hebron, gestorben am 1. März 1949 in Haifa) war ein arabischer Schriftsteller und Dichter der modernen hebräischen Literatur, der Jude war und das Leben der levantinischen Araber und Juden beschrieb.

Jitzchak Schami

Leben

Jitzchak Schami wuchs in Hebron auf, wo Juden und Muslime zusammen um Heilige Stätten lebten. Seine Eltern waren Eliahu al-Schami und Rifka al-Schami, geborene Castel. Al-Schami hat die Bedeutung aus Damaskus stammend, von dort war sein Vater 1886[1] zugezogen. Al-Schami war somit ein von den Hebronern zugeschriebener Name, offiziell hieß die Familie Sarwi.[1] Die Ehe mit der sehr viel jüngeren ladinosprachigen Rifka war die dritte Ehe seines Vaters. In dieser Ehe wurden auch Jitzchak Schamis jüngere Brüder Jakub und Daud (David) geboren. Der Vater betrieb einen Textilhandel und besuchte daher häufig arabische Heimarbeiterinnen in Hebrons Hügeln, dem Jabal Khalil. So lernte auch Jitzchak Schami das bäuerliche Leben der Gegend kennen.

In der Schule lernte er Hebräisch und Arabisch und besuchte danach eine Talmud-Schule (Cheder) und Chaim Hezekiah Medinis Jeschiwa Sede Hemed,[1] von der er wegen angeblich „häretischem Verhalten“ bald verwiesen wurde. Gemeint war damit seine Lektüre moderner weltlich-jüdischer Autoren. Schami nahm das streng religiöse Umfeld in Hebron als bedrückend war. Mit 18 Jahren verließ er Hebron in Begleitung seines Freundes David Avitzuz (Avisar) und ging gegen den Willen seines Vaters an das Lehrerseminar des deutschen Hilfsvereins, der Esra in Jerusalem. 1909 erhielt er das Diplom.[2]

Seine Mutter hatte ihn zu seinem Gang nach Jerusalem hingegen ermutigt. Als er dort studierte, beging sie jedoch Suizid.[1] Dort legte er die bisher getragene lange arabische Kleidung Qumbaz khalili ab, die altansässige Juden in Hebron trugen und zog sich westlich – „französisch“ – an. Er begegnete dem jüdischen Aufklärungsdenken der Haskala, das aschkenasische Juden ins Land brachten und begann sich bei den Unterstützern einer Wiederbelebung der hebräischen Sprache einzubringen. Auch deutschsprachige Literatur begann er zu lesen.[1]

Schami befreundete sich mit Samuel Agnon und Jizchak Ben Zwi, er machte sich auch mit den Ideen des Zionismus vertraut. Da er einer der wenigen Sepharden in ihrem Kreis war, begann sich auch der polnische Immigrant David Ben-Gurion für ihn als „Experten“ zu interessieren, doch war Schami, anders als die anderen Arabisten in den Reihen der Jewish Agency und der Histadrut tief in der arabischen Kultur des Landes verwurzelt.[2] Sein Brot verdiente er aber hauptsächlich als schlecht bezahlter Lehrer an wechselnden Orten: In einer Pflanzung bei Ekron (1909–1910), in Damaskus (1910–1913), während des Kriegs in Plowdiw (damals Philipoli, 1913–1919) und dann wieder in Hebron (1919–1928). Um zu leben, unterrichtete er Buchbinderei und arbeitete als Büroangestellter. In Hebron unterrichtete er zugleich an einer jüdischen und an einer muslimischen Schule und zählte in den 1920er Jahren zu den Gründern einer Vereinigung für arabisch-jüdische Freundschaft.[3] Es ist auffällig, dass Jitzchak Schami mit Ausnahme seiner kurzen Tätigkeit in Ekron nie Lehrtätigkeiten in Städten wie Tel Aviv oder Jerusalem oder in den zionistischen Siedlungen annahm.[1]

Aus der Widersprüchlichkeit seiner persönlichen Lage entstand eine anhaltende Zerrissenheit, die durch die aufflammende Gewalt, besonders in Jaffa Anfang Mai 1921, verstärkt wurde. Nachdem 1929 die meisten Juden aus Hebron vertrieben worden waren, wuchs seine Verzweiflung. War er Anfang der 1920er Jahre wegen seiner Kritik an den Rabbinern zur Zuflucht in das Haus einer muslimischen Familie gezwungen gewesen, fand er sich 1929 in der umgekehrten Lage, vor muslimischen Gewalttätern in das Haus der jüdischen Familie Mani flüchten zu müssen.[2]

Nach dem entsetzlichen „Pogrom“ in Hebron, einer nicht-zionistischen jüdischen Gemeinschaft, zog er für eine kurze Zeit nach Tiberias und 1931 weiter nach Haifa, wo er bis ans Ende seines Lebens blieb. Er war zwei Mal verheiratet. Seine erste Frau, die Lehrerin Penina Gingold,[1] hatte er in Bulgarien kennengelernt. Sie stammte aus Russland. Nach ihrem Tod durch ein Herzleiden 1926 heiratete er Sarah Kalish,[1] eine Krankenschwester, der er in Damaskus begegnet war. 1927 starb sein Vater. Jitzchak Schami selbst litt ab dem Ende der 1920er Jahre an einem Emphysem.[1]

Vieles im Leben Schamis liegt heute im Dunkeln. Archivquellen besagen, dass er sich im Rahmen seiner Tätigkeit für die Zionisten 1919 in Istanbul aufhielt. Im bulgarischen Plowdiw war sein Sohn aus erster Ehe und einziges Kind Yedidiah geboren, der zunächst ebenfalls in Hebron aufwuchs. Yedidiah sollte später Physik am Technion in Haifa und in den USA studieren. Er nannte sich später Shamir.[1] Indes wurde sein Bruder David Mitglied der Chabad-Chassidim und heiratete Sarah Schneerson aus renommierter chassidischer Familie. Sarah Kalish sollte 1943 an Krebs sterben.[1]

Schlaflosigkeit, Depressionen und die Sehnsucht nach seinem Geburtsort Hebron verfolgten ihn. Es trieb ihn deshalb, seinen Erinnerungen einen literarischen Ausdruck zu geben. In einem Brief an seinen Freund David Avitzuz gab er 1932 seinen Entschluss bekannt ein mehr als 1000-seitiges erzählendes Werk über das Leben in Hebron verfassen zu wollen. Bisher hatte er sich mit kleineren Arbeiten in Hebräisch und Arabisch hervorgetan. Erste veröffentlichte Novellen erschienen bereits 1908 in der Zeitschrift HaOmer,[1] in der auch Samuel Agnon veröffentlichte. Zudem rezipierte er arabische Literatur und den aus Beirut stammenden Historiker Dschurdschī Zaidān,[3] einen der bedeutendsten Vertreter der arabischen Nahda, und brachte eine jüdische Perspektive zur Nahda ein. Mit dem sephardischen Schriftsteller und Verleger Jehuda Burla (1886–1969) korrespondierte er in Arabisch. Wiewohl ein Mitarbeiter am zionistischen Projekt, einem eigentlichen Nationalismus, stand Jitzchak Schami dem nationalistischen Aspekt zeitlebens kritisch gegenüber, doch fand er auch den Zugang zum arabischen Nationalismus bereits verschlossen vor, als er diesen suchte.[2]

Werk und Rezeption

Jitzchak Schami entwickelte eine naturalistische Arbeitsweise, die viele an Jack Londons Ruf der Wildnis erinnert hat. Schauplätze seiner Handlungen waren Hebron, Jerusalem, Jericho oder Nablus und ihre Umgebung. Seine Protagonisten und intradiegetischen Erzähler sind überwiegend Muslime, was Schami in der hebräischen Literatur laut Anton Schammas eine Alleinstellung gibt. Die mit ethnografischer Genauigkeit gezeichneten Charaktere und Gesellschaftsbilder gewinnen überzeugende palästinensische Authentizität, reichen aber auch in Bereiche des Orientalistischen.[2] Arnold Band von der University of California lobt die hohe Beherrschung des Hebräischen bei Schami und meint, dass sich dieses aus dem sprachlichen Reichtum eines Chaim Nachman Bialik speißt.[1] Er widerspricht Salim Tamari hinsichtlich des von Edward Said eingebrachten Orientalismus-Begriffs, wenn er sagt: „Noch bemerkenswerter ist es, wenn Figuren, beschrieben mit einer psychologischen Durchdringung, wie sie nur die westliche Literatur kennt, vom Autor in keiner Weise an westlichen Bewertungsmaßstäben gemessen werden. Es gibt nichts Orientalistisches in seiner Art zu erzählen.“[1]

Sein Hauptwerk Die Rache der Patriarchen stieß auf widersprüchliche Reaktionen des Fachpublikums. Josef Chaim Brenner bemängelte damals die fehlende Einhaltung universeller erzählerischer Standards, die Brenner zufolge die „neue hebräische Literatur“ zu beachten habe. Brenner meinte, dies sei Schami nicht gelungen, weil es ihm an Distanz zu seiner kulturellen Umgebung fehlte. Der palästinensische Literaturkritiker Issa Boullata meint jedoch, das gerade diese Eigenschaft Schamis Werk besonders auszeichnet. Seinem Urteil zufolge ist Schamis Sprache nüchtern, gesetzt und entschleunigt. Schamis Erzählstil biete zwar keine Action, jedoch aber ein Eintauchen in eine erfüllend beschriebene Atmosphäre, die bewegt und von empathischer Menschlichkeit geleitet ist.[2] Josef (Yossi) Zernik, der den literarischen Nachlass verwaltet, betont Schamis Fürsprache für die Frauen im Judentum. In Die unfruchtbare Frau ist es eine Kritik an ihrer halachisch erlaubten Verstoßung.[3]

Der am stärksten von der Atmosphäre Hebrons geprägte Text ist laut Salim Tamari Jumah, der Idiot, der in einer ländlichen Umgebung spielt und eine profunde Kenntnis bäuerlicher Sitten, des landwirtschaftlichen Gewohnheitsrechts und der Weltanschauungen dieser Menschen verrät. Schami vermeidetet aber jede Idealisierung: Die Natur ist feindselig, der Lebenskampf ist hart.[2] Die großen Ereignisse der Zeit – der Arabische Aufstand, der Holocaust oder die Nakba – flossen kaum in sein schmales literarisches Werk ein. Arnord Band glaubt, dass Schami, der künstlerische Schöpfer, darin keine Möglichkeiten zum fiktionalen Ausdruck sah. Doch sieht Band in Die Rache der Patriarchen eine Klage um eine Welt, die nach dem Ersten Weltkrieg zu existieren aufhörte.[1]

David Shasha schrieb in der Zeitschrift The American Muslim, Schami sei das fehlende Bindeglied zwischen der Geniza von Shlomo Dov Goitein und der Kairoer Trilogie von Nagib Mahfuz. Die heutige Sicht auf das Werk hat es nach Meinung von Salim Tamari nicht immer vermieden, das literarische Schaffen Schamis in den Kontext des heute so polarisierten israelisch-palästinensischen Konflikts zu stellen. Tamari betont, dass die meisten Juden, die Schami in seinen Erzählungen beschreibt, sich als Araber oder Khalayleh (Hebroniten) betrachteten. Juden aus altansässigen Gemeinschaften war es zunehmend erschwert, am kulturellen Leben der Arabischen Welt teilzunehmen, weshalb Jitzchak Schami laut Tamari lange auch bei arabischen Lesern in Vergessenheit geraten war.[2]

Ausgaben

  • Hebroner Novellen. Neuman (Verlag), Jerusalem 1952. (hebräisch)
    • Hebron Stories. Labyrinthos, Lancaster 2000. (englisch)
    • Nouvelles d’Hébron, Labor et Fides, Genf 2006. (französisch)

Literatur

  • Hever Hannan: Yitzhak Shami: Ethnicity as an Unresolved Conflict. In: Shofar, Band 24, Nr. 2, Winter 2006. S. 124–139.
  • Gershon Shaked: Ha Siporet ha'ivrit. Band 2, S. 70–83. (hebräisch)
  • Zefirah Ogen: [Der Mann und sein Werk]. In: Bikoret ufarshanut, Nr. 21, 1986, S. 35–52. (hebräisch)
  • Salim Tamari: Ishaq al-Shami and the Predicament of the Arab Jew in Palestine. In: Jerusalem Quarterly, 21, 2/2004, S. 10–26.
  • Salim Tamari: Ishâq al-Shami et le dilemme des juifs arabes en Palestine. In: La Montagne contre la Mer, Essais sur la société et la culture palestiniennes, (= Farouk Mardam-Bey [Hrsg.]: La bibliothèque arabe : Hommes et sociétés). Éditions Sindbad/Actes Sud/Institut des études Palestiniennes, Arles/Beirut 2011, ISBN 978-2-7427-9667-0. S. 216–237.
  • David Shasha. In: The American Muslim, Januar–Februar 2003.
  • Interview mit Sheri Lev Ari: The Last Arabic Jew. In: Haaretz, 22. Dezember 2003.

Einzelnachweise

  1. Arnold J. Band (Introduction), in: Yitzhaq Shami: Nouvelles d’Hébron. In: Josef Zernik (Hrsg.): Collection terres promises. Éditions Labor et Fides, Übersetzung von Iris Mizrachi und Laurent Schuman mit Finanzierung der Kulturstiftung Pro Helvetia, Genève 2006, ISBN 2-8309-1196-2, S. 9–17.
  2. Salim Tamari: Ishaq Shami: Le dilemme des juifs arabes en Palestine, 1888–1949. In: Sabri Giroud (Hrsg.): La Palestine en 50 portraits – De la préhistoire à nos jours. Éditions Riveneuve, Paris 2023, ISBN 978-2-36013-674-2, S. 201–210 und Fußnoten S. 411 f.
  3. Josef Zernik (Epilogue), in: Yitzhaq Shami: Nouvelles d’Hébron. In: Josef Zernik (Hrsg.): Collection terres promises. Éditions Labor et Fides, Genève 2006, ISBN 2-8309-1196-2, S. 249 ff.
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