Jörg Litwinschuh-Barthel
Jörg Litwinschuh-Barthel (* 12. August 1968 in Weiskirchen/Saar) ist ein deutscher Medienwissenschaftler und Diskriminierungsexperte mit dem Schwerpunkt LGBT-Personen. Er setzt sich seit Mitte der 1990er Jahre für die Sichtbarkeit und Gleichstellung von Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierungen und Geschlechtsidentitäten ein. Von 2011 bis 2021 war Litwinschuh-Barthel hauptamtlicher, geschäftsführender Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.
Leben
Litwinschuh-Barthel verbrachte seine Kindheit im Landkreis Merzig-Wadern im Saarland und legte 1988 sein Abitur am Hochwald-Gymnasium in Wadern ab. 1995 schloss er den Studiengang Medienmanagement an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover ab.[1] Es folgten berufliche Stationen in den Bereichen Handel, E-Commerce-Consulting und im Ticketing/Live Entertainment in jeweils leitenden Positionen.[2] Von 2002 bis 2005 war er Geschäftsführer des LSVD Landesverband Berlin-Brandenburg und übernahm die Leitung dessen Zentrums für Migranten MILES.[3] 2005 begründete Litwinschuh-Barthel gemeinsam mit Jan Feddersen die Initiative Queer Nations e.V. mit dem Ziel, das von Magnus Hirschfeld gegründete Institut für Sexualwissenschaft in zeitgemäßer Form wieder zu errichten.[4][5] 2007 wurde er Fundraiser und Pressesprecher der Deutschen Aidshilfe.
Nach einer Tätigkeit als Unternehmensberater mit den Schwerpunkten Public Health und Antidiskriminierung ernannte die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Litwinschuh-Barthel am 10. November 2011 zum Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.[6][7][8] Litwinschuh-Barthel brachte sein 2009 gegründetes Projekt „Fußball gegen Homophobie“ in die Stiftung ein, wo es gemeinsam mit Martin Schweer von der Universität Vechta als Projekt „Fußball für Vielfalt – Fußball gegen Homofeindlichkeit und gegen Sexismus“ weiterentwickelt wurde.[9][10][11] Zum 10-jährigen Bestehen der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld erfuhr Litwinschuh-Barthels langjährige Arbeit als Vorstand eine breite mediale Würdigung.[12] Im Rahmen eines Festakts im Juni 2021 gab er bekannt, sich nicht für eine dritte Amtszeit beworben zu haben und im November 2021 nach zwei Amtszeiten aus der Stiftung auszuscheiden.[13] Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), die Vorsitzende des Kuratoriums ist, setzte laut dem Magazin queer.de die Ausschreibung der Vorstandsstelle persönlich durch.[14][15]
Für sein langjähriges Engagement für LGBTI-Rechte wurde Jörg Liwinschuh-Barthel im Oktober 2022 mit der Goldenen Ehrennadel des Völklinger Kreises ausgezeichnet.[16]
Seit 2022 ist Litwinschuh-Barthel in der Bestattungsbranche tätig.[17][18]
Litwinschuh-Barthel ist langjährig ehrenamtlich engagiert in der Evangelischen Kirche und Mitglied im Kreiskirchenrat (KKR) Berlin Stadtmitte.[19] Er ist verheiratet und lebt mit seinem Mann in Berlin.[20]
Haltungen und Kontroversen
Als Geschäftsführer des LSVD Landesverband Berlin-Brandenburg und Pressesprecher der Deutschen Aidshilfe äußerte sich Litwinschuh-Barthel regelmäßig zu kontrovers diskutierten Themen. 2002 erstattete er Strafanzeige gegen Norbert Geis aufgrund dessen Äußerungen gegenüber Homosexuellen.[21] Über viele Jahre kritisierte Litwinschuh-Barthel Haltungen der Katholischen Kirche – insbesondere deren Sexualmoral.[22][23][24][25]
Zum Welt-AIDS-Tag äußert sich Litwinschuh-Barthel regelmäßig zur Sichtbarkeit des Lebens mit HIV/Aids und fordert Solidarität mit den Betroffenen ein. So stellte er 2020 Bildung und Teilhabe als wirksamste Form der Prävention in den Mittelpunkt.[26] Die Verhaftung der Sängerin Nadja Benaissa und den Umgang der Behörden mit ihrer HIV-Infektion bezeichnete er 2009 als „moderne Form der Hexenjagd“.[27]
Als Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld war Litwinschuh-Barthel auch Kritik von rechts ausgesetzt: So griffen im Oktober 2016 Politiker der AfD von der Stiftung geförderte sexualpädagogische Workshops in Thüringen an.[28] Litwinschuh-Barthel entgegnete, die Rechtspopulisten würden versuchen, Vielfaltspädagogik und Anti-Diskriminierungsarbeit durch haltlose Vorwürfe zu diskreditieren.[29][30] Im Sommer 2018 traf Litwinschuh-Barthel den rechtspopulistischen und damaligen US-amerikanischen Botschafter Richard Grenell auf dessen CSD-Empfang in seiner privaten Residenz in Berlin-Dahlem.[31] Daraufhin kam es zu einer vor allem in Social-Media-Kanälen ausgetragenen Kontroverse, als Litwinschuh-Barthel ein gemeinsames Foto mit Grenell, veröffentlichte.[32] Hierfür entschuldigte sich Litwinschuh-Barthel einen Tag später mit dem Hinweis, dass er dennoch im Dialog mit dem US-Botschafter bleiben werde.[33][34]
Litwinschuh-Barthel ist ein „flammender Befürworter der Ehe für alle“ (Saarbrücker Zeitung).[35] Gemeinsam mit der damaligen Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes Christine Lüders engagierte er sich für die Aufhebung der Urteile nach § 175 StGB und die Rehabilitierung sowie Entschädigung der Opfer.[36][37][38] 2019 setzte sich Litwinschuh-Barthel maßgeblich als Projektleiter der wissenschaftlichen Bestandsaufnahme zu Konversionsbehandlungen gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für das geplante gesetzliche Verbot sogenannter „Konversionstherapien“ ein.[39][40] Während der Coronakrise 2020 machte Litwinschuh-Barthel auf die erschwerte Situation von LGBT-Personen in den Zeiten der Pandemie aufmerksam und warnte vor gravierenden Folgen für die Community.[41][42] Gemeinsam mit mehr als 100 Organisationen und Prominenten forderte Litwinschuh-Barthel im Februar 2021 in der Initiative „Grundgesetz für alle“ die Ergänzung des Art. 3 GG um den Schutz von LGBT-Personen vor Diskriminierung.[43]
Anlässlich des islamistischen Messerangriffs am 4. Oktober 2020 auf zwei schwule Touristen in Dresden forderte Litwinschuh-Barthel die Polizeibehörden auf, homofeindliche Hasskriminalität zu benennen und bundesweit statistisch zu erfassen. Außerdem forderte er den Islam in Deutschland auf, sich wie die christlichen Kirchen mit Homofeindlichkeit auseinanderzusetzen.[44][45][46][47] Im Mai 2021 plädierte Litwinschuh-Barthel als Botschafter der Akzeptanzkampagne „Liebe ist halal“ für einen „religiösen Brückenschlag“ zwischen Islam und LSBTIQ und eine zeitgemäße Interpretation der Heiligen Schrift des Koran durch Imame in Deutschland.[48]
Veröffentlichungen
- Geleitwort zur S3-Trans*-Leitlinie. In: Nieder, Strauß (Hg.): Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit. Psychosozial, Berlin 2021.[49]
- Hirschfeld antworten – für Emanzipation und Teilhabe von LSBTTIQ. In: Liebe und Gerechtigkeit. Sonderausgabe der Hirschfeld Lectures zum 150. Geburtstag von Magnus Hirschfeld. Wallstein, Göttingen 2020.
- Wissen fordern – Gerechtigkeit stärken. Zu Geschichte, Gründung und Aufgaben der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. In: Jahrbuch Sexualitäten. Wallstein, Göttingen 2018.
- Der Hirschfeld kommt! In: Siegessäule. Mai 2018 (PDF auf docdroid.net).
- mit Janine Dieckmann: Die interdisziplinäre Zusammenführung der LSBTI*-Forschung als Experiment – eine Einführung in dieses Buch. In: Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (Hg.): Forschung im Queerformat. Aktuelle Beiträge der LSBTI*-, Queer- und Geschlechterforschung. transcript, Bielefeld 2014, ISBN 978-3-8394-2702-6
- Diversity Barometer. Gmünder, Berlin 2011.[50]
Einzelnachweise
- Alumnus Jörg Litwinschuh-Barthel. (PDF) 1. Juni 2021, abgerufen am 22. Juni 2021.
- CTS Eventim: Litwinschuh leitet Marketingkommunikation. In: Manager Magazin online. Abgerufen am 13. Februar 2019.
- LSVD-Rundbrief Oktober 2002, Teil 3. Abgerufen am 9. Januar 2019.
- Initiative Queer Nations begrüßt Bundestagsentscheidung: Über 10 Mio. EUR für Magnus-Hirschfeld-Stiftung. Abgerufen am 9. Januar 2019.
- Peter-Philipp Schmitt: Magnus-Hirschfeld-Institut: „Es war seiner Zeit um Jahrzehnte voraus“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 26. Januar 2006 (faz.net).
- Hans-Hermann Kotte: Magnus Hirschfeld-Stiftung: Der schwule Netzwerker. 29. Februar 2012, abgerufen am 13. Februar 2019.
- Saarbrücker Zeitung Verlag und Druckerei GmbH: Ein Saarländer kämpft für Schwulen-Rechte Bundesjustizministerin ernennt Saarländer zum Stiftungschef. Abgerufen am 9. Januar 2019.
- Fördern unterm Regenbogen. Abgerufen am 13. Februar 2019.
- Fußball für Vielfalt - Fußball gegen Homophobie. AB Pädagogische Psychologie der Universität Vechta, 18. Mai 2020, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 22. Januar 2021; abgerufen am 26. Februar 2024.
- Presseinformation: Ex-Fußballnationalspieler Thomas Hitzlsperger setzt sich für die Bildungs- und Forschungsinitiative „Fußball für Vielfalt“ ein. In: Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. 7. Mai 2014, abgerufen am 3. Mai 2019.
- Gay City News: The Einstein of Sex at 150. 10. Mai 2018, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 7. Juni 2019; abgerufen am 26. Februar 2024.
- Abschied von Jörg Litwinschuh-Barthel. Abgerufen am 11. April 2022 (deutsch).
- Kevin Hanschke: Hier fördert der Staat die „andere Erinnerung“. 23. Juli 2021, abgerufen am 11. August 2021.
- Wollte die Ministerin den Vorstandswechsel? In: DIE STIFTUNG. 29. Juni 2021, abgerufen am 11. April 2022 (deutsch).
- Micha Schulze: Führt eine Frau demnächst die Hirschfeld-Stiftung? Abgerufen am 11. April 2022 (deutsch).
- Goldene Ehrennadel für Litwinschuh-Barthel. Abgerufen am 10. Oktober 2022 (deutsch).
- Jörg Litwinschuh-Barthel wirbt ab sofort für die "Reerdigung". Abgerufen am 11. April 2022 (deutsch).
- Litwinschuh-Barthel ist Senior Manager PA & Communications bei Circulum Vitae. Abgerufen am 14. April 2022 (deutsch).
- Kreiskirchenrat. Abgerufen am 21. September 2020.
- Ja-Wort im Leuchtturm. 7. Juni 2019, abgerufen am 8. Juni 2019.
- Skandalöse Diskriminierung der Lesben und Schwulen durch die Union. Abgerufen am 13. Februar 2019.
- Sylke Heun: Wer heiratet, fliegt raus - Schwule demonstrieren gegen katholische Kirche. 22. August 2002, abgerufen am 3. Mai 2019.
- Empörte Reaktionen auf Papst-Äußerung. 18. März 2009, abgerufen am 3. Mai 2019.
- Kondom-Streit überschattet Reise des Papstes. 18. März 2009, abgerufen am 3. Mai 2019.
- Kritik an "autoritärer Rhetorik" der katholischen Kirche. 4. Februar 2013, abgerufen am 3. Mai 2019.
- »Bildung und Teilhabe sind die beste Prävention«. 28. November 2020, abgerufen am 8. Dezember 2020.
- Nach Nadja Benaissas Verhaftung: Aids-Hilfe: Moderne Form der Hexenjagd. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 15. April 2009 (faz.net).
- Marc Röhlig (bento): So verdreht die AfD Fakten, um gegen Schwule zu hetzen. Abgerufen am 9. Januar 2019.
- Ulrike Fröbel (Thüringen24): Abseits vom Analsex-Workshop: Worum es bei den Hirschfeld-Tagen geht. Abgerufen am 14. März 2019.
- AfD-Politiker Höcke verdreht Fakten, um gegen Homosexuelle zu ätzen. 5. Oktober 2016, abgerufen am 3. Januar 2020.
- Litwinschuh entschuldigt sich für Grenell-Foto. In: www.siegessaeule.de. 30. Juli 2018, abgerufen am 11. April 2022.
- Berlins LSVD-Chef Jörg Steinert unter Beschuss. 28. Juni 2019, abgerufen am 11. April 2022 (deutsch).
- Frederik Eikmanns: Der Berliner CSD, ein Foto und die Folgen: Zu nah am US-Botschafter. In: Die Tageszeitung: taz. 31. Juli 2018, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 9. Januar 2019]).
- Litwinschuh entschuldigt sich. Abgerufen am 9. Januar 2019.
- Matthias Zimmermann: Streit bahnt sich an: Höchst unangenehm? AfD schickt Homo-Ehe-Gegnerin ins Befürworter-Gremium. Abgerufen am 3. Mai 2019.
- Gutachten zur §175-Rehabilitierung vorgestellt. 11. Mai 2016, abgerufen am 3. Januar 2020.
- Endlich Gerechtigkeit: Bundestag Bundeskabinett bringt Rehabilitierungsgesetz auf den Weg. 22. März 2017, abgerufen am 3. Januar 2020.
- Ein historischer Tag: Bundestag beschließt Rehabilitierungsgesetz. 22. Juni 2017, abgerufen am 3. Januar 2020.
- Gudula Geuther: Verbot von „Konversionstherapien“ beschlossen. 18. Dezember 2019, abgerufen am 3. Januar 2020.
- Markus Bernhardt: „Das geht bis zur ‚Teufelsaustreibung‘“. 18. November 2019, abgerufen am 3. Januar 2020.
- Warum die LGBTQ+ Community besonders von Corona betroffen ist. 3. September 2020, abgerufen am 21. September 2020.
- Queere Initiativen leiden massiv unter der Pandemie. 11. März 2021, abgerufen am 22. März 2021.
- Leonie Feuerbach: LGBTIQ-Kampagne: Gleiches Recht für alle. In: FAZ.NET. 24. Februar 2021, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 22. März 2021]).
- Messerattacke in Dresden – Vertrauen einmal mehr erschüttert. 29. Oktober 2010, abgerufen am 14. November 2020.
- Homofeindlichkeit als mögliches Tatmotiv wird verschwiegen. 31. Oktober 2010, abgerufen am 14. November 2020.
- Interview: „Wir müssen uns mit dem radikalen Islamismus beschäftigen“. 9. November 2010, abgerufen am 14. November 2020.
- „Den Finger in die Wunde legen“. 11. April 2021, abgerufen am 13. April 2021.
- Berliner Moschee wirbt für LGBTI-Akzeptanz im Islam. 11. Mai 2021, abgerufen am 12. Mai 2021.
- Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit. Eine kommentierte Dokumentation zur S3-Leitlinie. Abgerufen am 22. März 2021.
- Diversity Barometer: Commerzbank homofreundlichstes DAX-Unternehmen. Abgerufen am 23. November 2020 (deutsch).