Strukturtyp

Als Strukturtyp fasst man Kristallstrukturen zusammen, die die gleiche Symmetrie, d. h., die gleiche Raumgruppe haben, und in denen jeweils die gleichen Punktlagen besetzt sind (angegeben in der Wyckoff-Sequenz). Darüber hinaus müssen auch die Atomumgebungen (Koordinationspolyeder) übereinstimmen, was eine ungefähre Gleichheit der Achsenverhältnisse (Form der Elementarzelle) verlangt. Kristalline Substanzen, die zum gleichen Strukturtyp gehören, nennt man isotyp.

Die Stöchiometrie isotyper Substanzen muss übereinstimmen; die Art der Atome, der Charakter der Bindungen und die Atomabstände spielen dagegen für die Klassifizierung keine Rolle. Der Strukturtyp ist im Prinzip eine rein geometrische Angabe. Diese genügt aber, um Ordnung in unüberschaubar viele Verbindungen zu bringen. Darüber hinaus lassen sich über Strukturtypen und ihre zugehörige Symmetrie Verwandtschaftsverhältnisse aufzeigen.[1]

Mit Strukturtypen lassen sich Kristallstrukturen klassifizieren, die aus Ionen, Atomen und Atomgruppen, wie z. B. die Sulfatgruppe SO42−, aufgebaut sind. Dagegen sind Strukturtypen für Molekülstrukturen, wie sie bei den meisten organischen Verbindungen auftreten, weniger geeignet.

So ist der Strukturtyp als ein Hilfsmittel zu einer solchen Ordnungsfindung in der Datenbank anorganischer Kristallstrukturen ICSD dokumentiert.[2] Diese enthielt im November 2019 216.032 Einträge, von denen knapp 76 % in rund 9.400 Strukturtypen zusammengefasst sind.

Von hochsymmetrischen Strukturtypen leiten sich durch Symmetrieabbau häufig weitere Typen ab. Bei einigen Typen existieren ganze Stammbäume (z. B. beim Perowskit). Der höchstsymmetrische Typ ist dann der Aristotyp.

Häufigste Strukturtypen

Die 20 häufigsten Strukturtypen haben in der ICSD jeweils über 1000 Vertreter und repräsentieren damit etwa 18 % aller Einträge. Es sind:

Nomenklatur

Die Strukturtypen werden üblicherweise nach einer Substanz (Element, Verbindung oder Mineral) benannt.

Strukturbericht-Bezeichnungen

Eine andere Nomenklatur wird seit 1923 in den Strukturberichten verwendet (bis 1939). Diese Nomenklatur ist international unter dem deutschen Namen gebräuchlich (frz. notation Strukturbericht, engl. Strukturbericht designation) und wird vor allem in der Metallurgie noch häufig benutzt.

Die Nomenklatur der Strukturberichte teilt die Strukturtypen nach der Zusammensetzung in Gruppen ein, die durch Großbuchstaben bezeichnet sind. Innerhalb der Gruppen wurden die Strukturtypen nach der Reihenfolge der Entdeckung durchnummeriert. Die Strukturberichte enden 1939. Nach 1945 wurden sie als Structure Reports fortgesetzt, aber ohne weitere Namen für Strukturtypen zu vergeben.

  • A: Elemente
  • B: AB-Verbindungen
  • C: AB2-Verbindungen
  • D: AmBn-Verbindungen
  • E: mehr als 2 Elemente ohne ausgesprochene Komplexbildung
  • F: mit zwei- oder dreiatomigen Komplexen
  • G: mit vieratomigen Komplexen
  • H: mit fünfatomigen Komplexen

Pearson-Symbole

Eine andere Methode der Beschreibung von Strukturtypen sind die Pearson-Symbole. Sie geben das Bravais-Gitter und die Anzahl der Atome je (standardisierte) Elementarzelle an. Da die Atome aber an verschiedenen Positionen sitzen können, reichen die Pearson-Symbole alleine nicht aus, um Strukturtypen voneinander abzugrenzen. Für eine weitere Unterscheidung wird die Wyckoff-Sequenz benutzt, die die besetzten Punktlagen beschreibt.

Strukturen, die die gleiche Wyckoff-Sequenz und das gleiche Pearson-Symbol besitzen, werden isopointal genannt. Isopointale Strukturen lassen sich in der Datenbank ICSD suchen. Für eine weitere Abgrenzung müssen dann weitere Kriterien herangezogen werden wie Achsenverhältnisse, beta-Winkel, ANX-Formeln, nötige und ausgeschlossenen chemische Elemente.

Ausgewählte Strukturtypen

Bezeichnung in den
Strukturberichten
Strukturtyp,
Hauptvertreter (Prototyp)
RaumgruppePearson-
Symbol
Weitere BeispieleAnzahl in der ICSDa)

(März 2020)

A
Ahα-Polonium, Po
kubisch primitives Gitter (sc)
Pm3m (Nr. 221)Vorlage:Raumgruppe/221cP143
A1Kupfer, Cu
kubisch flächenzentriertes Gitter (fcc)
kubisch dichteste Kugelpackung (ccp)
Fm3m (Nr. 225)Vorlage:Raumgruppe/225cF4γ-Eisen, Gold1728
A2Wolfram, W
kubisch raumzentriertes Gitter (bcc)
Im3m (Nr. 229)Vorlage:Raumgruppe/229cI2Vanadium, V

α-Eisen

1146
A3Magnesium, Mg
hexagonal dichteste Kugelpackung (hcp)
P63/mmc (Nr. 194)Vorlage:Raumgruppe/194hP2Cobalt, Co1049
A3'α-Lanthan, La
dhcp-Struktur
P63/mmc (Nr. 194)Vorlage:Raumgruppe/194hP4Nd, Cf 81
A4Diamant, CFd3m (Nr. 227)Vorlage:Raumgruppe/227cF8Silicium, Si156
A5β-Zinn, SnI41/amd (Nr. 141)Vorlage:Raumgruppe/141tI4NbRu 105
A6Indium, InI4/mmm (Nr. 139)Vorlage:Raumgruppe/139tI2MnNi 81
A7Arsen, AsR3m (Nr. 166)Vorlage:Raumgruppe/166hR2Bi, AsSb 105
A8Graues Selen, SeP3121 (Nr. 152)Vorlage:Raumgruppe/152 oder P3221 (Nr. 154)Vorlage:Raumgruppe/154hP3α-Tellur, Te 45
A9Graphit, CP63/mmc (Nr. 194)Vorlage:Raumgruppe/194hP4BN 14
A12α-Mangan, MnI43m (Nr. 217)Vorlage:Raumgruppe/217cI58Er5Mg24, Al12Mg17 126
A13β-Mangan, MnP4132 (Nr. 213)Vorlage:Raumgruppe/213cP20Fe2Re3, Mg3Ru2 53
A14Iod, I2Cmce[3] (Nr. 64)Vorlage:Raumgruppe/64oS8Br2 26
A15Cr3SiPm3n (Nr. 223)Vorlage:Raumgruppe/223cP8V3Si, Nb3Sn, Nb3Ge655
B
B1Natriumchlorid (NaCl)Fm3m (Nr. 225)Vorlage:Raumgruppe/225cF8FeO, PbS4798
B2Caesiumchlorid (CsCl)Pm3m (Nr. 221)Vorlage:Raumgruppe/221cP2FeAl, NiAl1734
B3Sphalerit-Typ (ZnS)F43m (Nr. 216)Vorlage:Raumgruppe/216cF8BP, InAs, CuI 1595
B4Wurtzit-Typ (ZnS)P63mc (Nr. 186)Vorlage:Raumgruppe/186hP4GaN 713
B8Nickelarsenid (NiAs) (Nickelin)P63/mmc (Nr. 194)Vorlage:Raumgruppe/194hP4PdTe, FeSe 680
C
C1Fluorit (CaF2)Fm3m (Nr. 225)Vorlage:Raumgruppe/225cF12SrCl2, Li2O1301
C2Pyrit (FeS2)Pa3 (Nr. 205)Vorlage:Raumgruppe/205cP12PtP2, SiP2 337
C3Cuprit (Cu2O)Pn3m (Nr. 224)Vorlage:Raumgruppe/224cP6Pb2O, Ag2O 42
C4Rutil (TiO2)P42/mnm (Nr. 136)Vorlage:Raumgruppe/136tP6MgF2 752
C5Anatas (TiO2)I41/amd (Nr. 141)Vorlage:Raumgruppe/141tI12TiNF 63
C6Cadmiumiodid (CdI2)P3m1 (Nr. 164)Vorlage:Raumgruppe/164hP3VCl2, Ti2O, SnS2 261
C7Molybdänit (MoS2(4H))P63/mmc (Nr. 194)Vorlage:Raumgruppe/194hP6Pt2B, TaReSe481
C8β-Quarz (SiO2) (Hochquarz, >846 K)P6222 (Nr. 180)Vorlage:Raumgruppe/180hP9BeF2 24
C8aα-Quarz (SiO2) (Tiefquarz, <846 K)P3121 (Nr. 152)Vorlage:Raumgruppe/152hP9GrO2 176
C9Cristobalit (SiO2)HTFd3m (Nr. 227)Vorlage:Raumgruppe/227cF2475
C10Tridymit (SiO2)HTP63/mmc (Nr. 194)Vorlage:Raumgruppe/194hP129
C14MgZn2
hexagonale Laves-Phase
P63/mmc (Nr. 194)Vorlage:Raumgruppe/194hP12Np5Si3U4, HoMg2 1251
C15Cu2Mg
kubische Laves-Phase
Fd3m (Nr. 227)Vorlage:Raumgruppe/227cF24Al2Ca, CsBi2 2704
C18Markasit (FeS2)Pnnm (Nr. 58)Vorlage:Raumgruppe/58oP6RuP2, RuAs2 199
C19Cadmiumchlorid (CdCl2)R3m (Nr. 166)Vorlage:Raumgruppe/166hR3Ho2C anti-Typ 45
C21Brookit (TiO2)Pbca (Nr. 61)Vorlage:Raumgruppe/61oP24HfO2 24
D
D02Skutterudit (CoAs3)Im3 (Nr. 204)Vorlage:Raumgruppe/204cI32NiP3, ReO3 126
D51Korund (Al2O3)R3c (Nr. 167)Vorlage:Raumgruppe/167hR10Ti2O3 398
D58Stibnit (Antimonit, Sb2S3)Pnma (Nr. 62)Vorlage:Raumgruppe/62oP20Sc2As3, Sc3P2 167
E
E11Chalkopyrit (CuFeS2)I42d (Nr. 122)Vorlage:Raumgruppe/122tI16ZnGeP2, ZnSiP2 612
E21Perowskit (ideal) (CaTiO3)Pm3m (Nr. 221)Vorlage:Raumgruppe/221cP5CsHgF3, KCoF32685
E22Ilmenit (FeTiO3)R3 (Nr. 148)Vorlage:Raumgruppe/148hR10LiNbO3, NaMnCl3 268
F
F51Delafossit (CuFeO2)R3m (Nr. 166)Vorlage:Raumgruppe/166hR4RbHoO2, NaCrS2 1147
G
G01Calcit (CaCO3)R3c (Nr. 167)Vorlage:Raumgruppe/167hR10LuBO3, NaNO3312
G02Aragonit (CaCO3)Pnma (Nr. 62)Vorlage:Raumgruppe/62oP20KNO3 125
H
H11Spinell (MgAl2O4)Fd3m (Nr. 227)Vorlage:Raumgruppe/227cF56Fe3O4, MgCr2S4 4148
H2Baryt (BaSO4)Pnma (Nr. 62)Vorlage:Raumgruppe/62oP24CsGaBr4, KBF4 172
L
L11AuCuP4/mmm (Nr. 123)Vorlage:Raumgruppe/123tP2LiBi, HgPd 133
L12Auricuprid (Cu3Au)Pm3m (Nr. 221)Vorlage:Raumgruppe/221cP4NpSi3, In3Lu1522
L21Heusler-Phase (AlCu2Mn)Fm3m (Nr. 225)Vorlage:Raumgruppe/225cF16Li3Sb1203
S
S11Zirkon (ZrSiO4)I41/amd (Nr. 141)Vorlage:Raumgruppe/141tI24LuVO4, LuPO4 386
S12Forsterit (Mg2SiO4, siehe auch Olivingruppe)Pnma (Nr. 62)Vorlage:Raumgruppe/62oP28NaCdPO4, Na2BaF4867
S14Granat, Grossular (Al2Ca3Si3O12)Ia3d (Nr. 230)Vorlage:Raumgruppe/230cI160Fe5Tb3O13 737
S21Thortveitit (Sc2Si2O7)C2/m (Nr. 12)Vorlage:Raumgruppe/12mS22Mg2As2O7 67
S6Analcim (NaAlSi2O6H2O)I43d (Nr. 220)Vorlage:Raumgruppe/220cI208NaGaSi2O6H2O 22
S62Sodalith (Na8Al6Si6O24Cl2)P43n (Nr. 218)Vorlage:Raumgruppe/218cP46Mg3(BeSiO4)2S 365
a) 
Die Anzahl enthält auch Mehrfachbestimmungen

Zugehörige Begriffe

Anisotypie
Neben der Isotypie existiert noch eine Anisotypie. Hierbei sind die Plätze von Kationen und Anionen vertauscht, als Beispiel seien Calciumfluorid (CaF2) und Lithiumoxid (Li2O) genannt. Li2O kristallisiert im Anti-CaF2-Typ
Aristotyp
Ist die idealisierte Stammstruktur, von der sich die gegebene Struktur durch Symmetrieabbau ableitet. So gilt der Cu-Typ als der Aristotyp des AuCu3-Typs oder der CaTiO3-Typ als der des GdFeO3-Typs.
Homöotypie
Im strengen Sinne sind zwei Kristallstrukturen nur bei analoger chemischer Summenformel, gleicher Symmetrie (Raumgruppe) und weitgehender Ähnlichkeit in der Atomanordnung isotyp. Für Kristalle, die dem zwar nicht voll entsprechen, aber trotzdem in ihren Strukturen sehr ähnlich sind, wurde der Begriff Homöotypie geprägt. So sind beispielsweise die Kohlenstoffmodifikation Diamant und Sphalerit (ZnS), Calcit (CaCO3) und Dolomit (CaMg(CO3)2) sowie Quarz (SiO2) und Berlinit (AlPO4) homöotyp.
Isopointal
Als isopointal werden zwei Strukturen bezeichnet, die in Pearson-Symbol und Wyckoff-Sequenz übereinstimmen. Trotzdem können sie zu verschiedenen Strukturtypen gehören.
Isotypie
Als isotyp oder auch isostrukturell[4] (von altgriechisch ἴσος ísos "gleich", und altgriechisch τύπος týpos "Wesen, Charakter") werden Substanzen bezeichnet, die zum selben Strukturtyp gehören. Der Gegensatz ist Heterotypie.[5]
Polytypie
Bezeichnet zum einen das Phänomen, dass eine Substanz in verschiedenen Stapelfolgen schichtartiger Struktureinheiten auftreten kann, wie z. B. beim ZnS. Zum anderen kann dieselbe Substanz in verschiedenen Strukturtypen auftreten, verursacht durch Druck- oder Temperaturänderung. So ist die Hochdruckform von Kohlenstoff der Diamant, während bei Normaldruck der Graphit stabil ist.
Wyckoff-Sequenz
In den International Tables for Crystallography sind u. a. die 230 Raumgruppen mit ihren verschiedenen Punktlagen aufgelistet. Die Punktlagen sind alphabetisch durchnummeriert. Den Buchstaben a bekommt die Lage mit der höchsten Symmetrie, meist im Nullpunkt 0 0 0 der Zelle gelegen. Die allgemeine Lage x y z ohne Eigensymmetrie bekommt den höchsten Buchstaben. In der Wyckoff-Sequenz wird angegeben, welche Lagen wie oft besetzt sind. So hat der NaCl-Typ die Wyckoff-Sequenz "b a". Die Wyckoff-Sequenz ist nicht ganz eindeutig, sondern bei einigen Raumgruppen abhängig von der Nullpunktswahl. So geht die Wyckoff-Sequenz des Spinelltyps "e d a" bei einer Verschiebung um 0.5 0.5 0.5 über in "e c b". Um solche Mehrdeutigkeiten zu vermeiden, sollten vor einem Vergleich die Strukturen standardisiert werden (z. B. mit dem Programm Structure Tidy[6]).

Siehe auch

Literatur

  • Will Kleber, Hans-Joachim Bautsch, Joachim Bohm, Detlef Klimm: Einführung in die Kristallographie. 19. Auflage. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2010, ISBN 978-3-486-59075-3.
  • J. Lima-de-Faria, E. Hellner, F. Liebau, E. Makovicky, E. Parthé (1990). Nomenclature of inorganic structure types. Acta Cryst. A46, 1–11. doi:10.1107/S0108767389008834.
Commons: Strukturbericht – Album mit Bildern

Einzelnachweise

  1. Hartmut Bärnighausen: Group-Subgroup Relations between Space Groups: A Useful Tool in Crystal Chemistry, "MATCH", Communication in Mathematical Chemistry 1980, 9, 139–175.
  2. Rudolf Allmann, Roland Hinek: The introduction of structure types into the Inorganic Crystal structure Database ICSD, Acta Cryst. A63, 2007, 412–417. doi:10.1107/S0108767307038081.
  3. Die ehemalige Bezeichnung dieser Raumgruppe lautete Ccma.
  4. Michael Szönyi (Hrsg.): Studienlexikon Geowissenschaften. vdf Hochschulverlag, Zürich 2006, ISBN 978-3-8252-2812-5, S. 82 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  5. Stichwort Isotypie, Spektrum Lexikon Chemie
  6. L. M. Gelato, E. Parthé (1987). STRUCTURE TIDY - a computer program to standardize crystal structure data. J. Appl. Cryst. 20, 139–143. doi:10.1107/S0021889887086965.
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