Internationale Psychoanalytische Vereinigung

Die Internationale Psychoanalytische Vereinigung (kurz IPV) ist der größte Weltverband von Psychoanalytikern. Sie wurde – auf Anregung von Sándor Ferenczi – im März 1910 von Sigmund Freud und anderen Psychoanalytikern in Nürnberg gegründet und hat sich zu einer global verbreiteten Institution entwickelt.[1] Die englische Bezeichnung ist International Psychoanalytical Association (kurz IPA).[2]

Geschichte

Im Jahr 1908 gründete Karl Abraham die Berliner Psychoanalytische Vereinigung (BPV, seit 1926 Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft, DPG) und die Wiener Psychoanalytische Vereinigung (WPV) entstand aus den Mittwoch-Gesellschaften, die in Sigmund Freuds Wohnung tagten. Im selben Jahr wurde auf dem „Ersten Kongress für Freudsche Psychologie“ die Gründung einer internationalen Vereinigung beschlossen, die im März 1910 in Nürnberg vollzogen wurde. Erster Sitz der IPV war Zürich und Gründungspräsident war C. G. Jung, dem Sándor Ferenczi, Ernest Jones, Karl Abraham, Max Eitingon und andere folgten. Zweite österreichische Zweig-Gesellschaft der IPV ist der Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse, der 1947 gegründet wurde und heute von August Ruhs geleitet wird. Die 1919 gegründete Schweizerische Gesellschaft für Psychoanalyse (SGPsa) vertritt in der IPV die Schweizerische Eidgenossenschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der deutsche Zweig der IPV lange die 1949 gegründete Deutsche Psychoanalytische Vereinigung (DPV), mit der sich Namen wie Alexander Mitscherlich und Horst-Eberhard Richter verbinden. Nunmehr ist auch die 1938 aufgelöste und 1945 neu gegründete Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft (DPG) in der IPV vertreten. 1998 erhielt die Vereinigung den Konsultationsstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC). Ende 2009 war die IPV auf mehr als 12.000 Mitglieder angewachsen.[3][4][5]

Organisation

Die IPV sieht sich als das „weltweit wichtigste Akkreditierungs- und Regulierungsorgan“ der professionellen Psychoanalyse mit dem Auftrag, „die kontinuierliche Vitalität und Entwicklung der Psychoanalyse sicherzustellen“.[6] Zugehörig zur IPV sind 79 Zweiggesellschaften[7] (Component Society), die autonom Kandidaten für die klinische Psychoanalyse auswählen, ausbilden und Supervision anbieten. Dazu kommen 6 vorläufige Gesellschaften und 17 Arbeitsgruppen, die auf dem Weg zur Anerkennung als Zweiggesellschaft sind. Zudem sind acht befreundete Zentren (Allied Centre), sechs Regionalgruppen sowie die American Psychoanalytic Association als einzige Regionalvereinigung mit der IPV assoziiert (Stand: 10. Oktober 2019).[8]

Präsidentschaft

Von links nach rechts, sitzend: Sigmund Freud, Sándor Ferenczi (IPV-Präsident 1918–19), Hanns Sachs; stehend: Otto Rank, Karl Abraham (IPV-Präsident 1914–18 und 1924–25), Max Eitingon (IPV-Präsident 1925–32), Ernest Jones (IPV-Präsident 1920–24 und 1932–49). Aufnahmedatum: 1922.

Aktuell wechselt der Vorsitz jeweils zwischen Europa, Latein- und Nordamerika.

 
  • 1973–1977 Serge Lebovici
  • 1977–1981 Edward D. Joseph
  • 1981–1985 Adam Limentani
  • 1985–1989 Robert S. Wallerstein
  • 1989–1993 Joseph Sandler
  • 1993–1997 R. Horacio Etchegoyen
  • 1997–2001 Otto F. Kernberg
  • 2001–2005 Daniel Widlöcher
  • 2005–2009 Cláudio Laks Eizirik
  • 2009–2013 Charles M.T. Hanly
  • 2013–2017 Stefano Bolognini
  • 2017–0000 Virginia Ungar

Ehrenpräsidenten

Kongresse

Die ersten 23 Kongresse hatten keinen spezifischen Titel. Seit 1949 findet der Kongress alle zwei Jahre statt und trägt ein Motto.[11] Der jeweilige Kongresspräsident ist im Regelfall deckungsgleich mit dem Präsidenten der IPV.

NummerJahrOrtPräsidentThema
11908Osterreich Kaisertum Salzburg
21910Deutsches Reich NürnbergCarl Gustav Jung
31911Deutsches Reich WeimarCarl Gustav Jung
41913Deutsches Reich MünchenCarl Gustav Jung
51918Ungarn 1867 BudapestKarl Abraham
61920Niederlande Den HaagSándor Ferenczi
71922Deutsches Reich BerlinErnest Jones
81924Osterreich SalzburgErnest Jones
91925Deutsches Reich Bad Homburg vor der HöheAbraham/Eitingon
101927Osterreich Innsbruck[12]Max Eitingon
111929Vereinigtes Konigreich OxfordMax Eitingon
121932Deutsches Reich WiesbadenMax Eitingon
131934Schweiz LuzernErnest Jones
141936Tschechoslowakei 1920 MarienbadErnest Jones
151938Frankreich ParisErnest Jones
161949Schweiz ZürichErnest Jones
171951Niederlande AmsterdamLeo Bartemeier
181953Vereinigtes Konigreich LondonHeinz Hartmann
191955Schweiz GenfHeinz Hartmann
201957Frankreich ParisHeinz Hartmann
211959Danemark KopenhagenWilliam H. Gillespie
221961Vereinigtes Konigreich EdinburghWilliam H. Gillespie
231963Schweden StockholmMaxwell Gitelson
241965Niederlande AmsterdamGillespie/GreenacrePsychoanalytic Treatment of the Obsessional Neurosis
251967Danemark KopenhagenP.J. van der LeeuwOn Acting Out and its Role in the Psychoanalytic Process
261969Italien RomP.J. van der LeeuwNew Developments in Psychoanalysis
271971Osterreich WienLeo RangellThe Psychoanalytical Concept of Aggression
281973Frankreich ParisLeo RangellTransference and Hysteria Today
291975Vereinigtes Konigreich LondonSerge LeboviciChanges in Psychoanalytic Practice and Experience
301977Israel JerusalemSerge LeboviciAffects and the Psychoanalytic Situation
311979Vereinigte Staaten New York CityEdward D. JosephClinical Issues in Psychoanalysis
321981Finnland HelsinkiEdward D. JosephEarly Psychic Development as Reflected in the Psychoanalytic Process
331983Spanien MadridAdam LimentaniThe Psychoanalyst at Work
341985Deutschland HamburgAdam LimentaniIdentification and its Vicissitudes
351987Kanada MontrealRobert S. WallersteinAnalysis Terminable and Interminable – 50 Years Later
361989Italien RomRobert S. WallersteinCommon Ground in Psychoanalysis
371991Argentinien Buenos AiresJoseph SandlerPsychic Change
381993Niederlande AmsterdamJoseph SandlerThe Psychoanalyst’s Mind – From Listening to Interpretation
391995Vereinigte Staaten San FranciscoR. Horacio EtchegoyenPsychic Reality – Its Impact on the Analyst and Patient Today
401997Spanien BarcelonaR. Horacio EtchegoyenPsychoanalysis and Sexuality
411999Chile Santiago de ChileOtto F. KernbergAffect in Theory and Practice
422001Frankreich NizzaOtto F. KernbergPsychoanalysis – Method and Application
432004Vereinigte Staaten New OrleansDaniel WidlöcherWorking at the Frontiers
442005Brasilien Rio de JaneiroDaniel WidlöcherNew Developments in Psychoanalysis
452007Deutschland BerlinCláudio Laks EizirikRemembering, Repeating and Working Through
462009Vereinigte Staaten ChicagoCláudio Laks EizirikPsychoanalytic Practice - Convergences and Divergences
472011Mexiko Mexiko-StadtCharles HanlyExploring Core Concepts: Sexuality, Dreams and the Unconscious
482013Tschechien PragCharles HanlyFacing the Pain: Clinical Experience and the Development of Psychoanalytic Knowledge
492015Vereinigte Staaten BostonStefano BologniniChanging World: The Shape and Use of Psychoanalytic Tools today
502017Argentinien Buenos AiresStefano BologniniIntimacy
512019Vereinigtes Konigreich LondonVirginia UngarThe Feminine

Medien

Im Mai 2020 legte die IPV unter dem Titel Talks On Psychoanalysis eine eigene Seite auf der Plattform Podbean an und stellte dort im Verlauf eines Jahres 49 Podcasts ein. Im August 2023 lagen 82 Podcasts vor. Die IPV tritt als Produzent auf, betreut wird das Projekt von einem international besetzten Team von Mitgliedern unter Vorsitz eines Team-Koordinators. Mit dieser Website wird die Absicht verfolgt, Vorträge, die auf wissenschaftlichen Konferenzen gehalten und in Fachzeitschriften veröffentlicht wurden, im Originalton ihrer jeweiligen Autoren einer breiteren Öffentlichkeit nahe zu bringen. Alle Vorträge liegen auf englisch vor, daneben sind sechs weitere Sprachen vertreten – deutsch, französisch, italienisch, japanisch, portugiesisch und spanisch. Die Themen sind vielfältig:[13]

In deutscher Sprache liegen vor:

  • Georg Northoff: Zeitliche Kontinuität und das Selbst
  • Werner Bohleber: Trauma. Katastrophische Realität und die überwältigte Psyche
  • Angelika Staehle: Treffen der Gesellschaften zum Austausch über die Ausbildung
  • Udo Hock: Die Entstellung. Ein Grundbegriff der Freudschen Psychoanalyse
  • Cordelia Schmidt-Hellerau: Über den Triebdrang zur Selbst- und Objekterhaltung

Literatur

  • Werner Bohleber: 100 Jahre Internationale Psychoanalytische Vereinigung. In: Psyche. 65. Jahrgang, Heft 7, Januar 2011, S. 730–751, doi:10.21706/ps-65-8-730.
  • Peter Loewenberg, Nellie L. Thompson (Hrsg.): 100 Years of the IPA: The Centenary History of the International Psychoanalytical Association 1910–2010: Evolution and Change. Karnac Books 2011, ISBN 978-0-429-89595-1.

Einzelnachweise

  1. Werner Bohleber: 100 Jahre Internationale Psychoanalytische Vereinigung. In: Psyche. 65. Jahrgang, Heft 7, Januar 2011, S. 730–751, doi:10.21706/ps-65-8-730.
  2. Website der IPA. Abgerufen am 9. Oktober 2019.
  3. Ludger M. Hermanns, Ursula Kreuzer-Haustein: 100 Jahre Internationale Psychoanalytische Vereinigung (IPV) – 100 Jahre institutionalisierte Psychoanalyse in Deutschland. S. 2–3.
  4. Geschichte der IPV auf der Website der Vereinigung. Abgerufen am 9. Oktober 2019.
  5. Membership, www.ipa.world, gibt 12.842 Mitglieder an (Stand: 9. Oktober 2019).
  6. Our Mission: „The IPA exists to advance psychoanalysis. It is the world’s primary accrediting and regulatory body for the profession, and our mission is to ensure the continued vigour and development of the science of psychoanalysis.“ Website der Vereinigung. Abgerufen am 10. Oktober 2019.
  7. Wissenschaftliche Verbindungen zu ausländischen Vereinigungen. Website der Deutsche Psychoanalytischen Vereinigung, abgerufen am 10. Oktober 2019.
  8. Societies and regional institutes und Full list of Societies, Website der Vereinigung. Abgerufen am 10. Oktober 2019.
  9. IPA Organisational Officers Past and Current, Website der Vereinigung. Abgerufen am 9. Oktober 2019.
  10. Nach dem Tod von Gitelson während seiner Funktionsperiode übernahmen 1964/65 Willian H. Gillespie und Phyllis Greenacre interimistisch dessen Aufgaben.
  11. Past IPA Congresses, Website der Vereinigung, abgerufen am 9. Oktober 2019.
  12. Der zehnte internationale psychoanalytische Kongreß. In: Allgemeiner Tiroler Anzeiger / Tiroler Anzeiger / Tiroler Anzeiger. Mit der Beilage: „Die Deutsche Familie“ Monatsschrift mit Bildern / Tiroler Anzeiger. Mit den illustrierten Beilagen: „Der Welt-Guck“ und „Unser Blatt“ / Tiroler Anzeiger. Mit der Abendausgabe: „IZ-Innsbrucker Zeitung“ und der illustrierten Wochenbeilage: „Weltguck“ / Tiroler Anzeiger. Tagblatt mit der illustrierten Wochenbeilage Weltguck, 1. September 1927, S. 8 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/tan
  13. Talks On Psychoanalysis. In: PodBean. International Psychoanalytical Association, abgerufen am 17. Mai 2021 (englisch).
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