Inotropie

Der Begriff Inotropie[1] (auch: Inotropismus, Adjektiv: inotrop; von altgriechisch ἴς is (feminin), Genitiv ἰνός inós = Sehne, Faser,[2] Muskel, Kraft, Stärke; und τρέπω trépō = ich drehe, wende, ändere; bzw. τροπή tropḗ = Wendung, Veränderung[3]) bezeichnet in der Medizin die Einflussnahme auf die Kontraktionsfähigkeit der Herzmuskulatur. In diesen Zusammenhang beschreibt Inotropie die Herzkraft (Schlagkraft,[4][5] myokardiale Kontraktilität, Kontraktionskraft,[6][7] Verkürzungsgeschwindigkeit,[8] Verkürzungsfraktion (englisch: fractional shortening)). Die Inotropie bildet den funktionellen Gegensatz zur Lusitropie.

Definitionen

Die Inotropie ist

  • die kardiale Kontraktilität,[9][10]
  • die Einwirkung auf die Herzmuskelschlagstärke,[11]
  • "die Kontraktionsfähigkeit des Herzmuskels, bezogen auf die vergleichbare Vorbelastung (Preload) während der Ruhe vor der Zuckung",[12][13]
  • die Beeinflussung von Kraft oder Geschwindigkeit der muskulären Kontraktilität[14] oder
  • die "Beeinflussung der Kontraktionsfähigkeit von Muskeln."[15][16][17]

Physiologie

Die Herzkraft ist das Produkt aus der Blutmasse m (=Gewicht des Schlagvolumens) und ihrer Beschleunigung a. Für die Herzkraft gilt also die Formel F=ma mit der SI-Einheit Newton N=kgm/s2.[18][19] Die Herzkraft im kleinen Kreislauf ist viel kleiner als die Herzkraft im großen Kreislauf.

Die Herzarbeit (getrennt für beide Kreisläufe) ist jetzt das Produkt aus Herzkraft und Arterienlänge mit der Einheit Joule (J=Nm), denn Arbeit ist definiert als Kraft mal Weg.[20] Außerdem ist die Herzarbeit definiert als Produkt aus Blutdruck und Schlagvolumen; man spricht von der Druck-Volumen-Arbeit des Herzens.[21]

Die Herzleistung (mit der SI-Einheit Watt W=J/s) ist wiederum erstens der Quotient aus Herzarbeit und gemessener Zeitdauer, damit zweitens das Produkt aus Herzarbeit und Herzfrequenz sowie drittens das Produkt aus Herzzeitvolumen und arteriellem Mitteldruck. Auch hier müssen beide Kreisläufe getrennt betrachtet werden.

Das Herzzeitvolumen ist näherungsweise die Quadratwurzel des Quotienten aus Herzleistung[22][23] und peripherem Widerstand.[24] Außerdem ist das Herzzeitvolumen das Produkt aus Schlagvolumen und Herzfrequenz sowie der Quotient aus Blutdruck und peripherem Widerstand. Alle drei Formeln gelten unabhängig voneinander für beide Kreisläufe.

Medikamente

Arzneistoffe, die die Inotropie durch Steigerung der Kontraktionskraft des Herzes beeinflussen, bezeichnet man als Inotropika (Singular: Inotropikum) oder inotrope Substanzen. Es wird die positive Inotropie (Steigerung der Kontraktilität) von der negativen Inotropie (Herabsenken der Kontraktilität) unterschieden.

Mit positiven Inotropika will man durch Vergrößerung des Herzzeitvolumens die Symptome der Herzinsuffizienz verbessern.[25] Mit negativen Inotropika will man zur Vergrößerung der individuellen Lebenserwartung (Lebensverlängerung) das Herz entlasten (Kardiodepression, Kardioprotektion) unter Inkaufnahme einer möglichen Verschlechterung der Herzinsuffizienz.[26]

Positive Inotropie

Positive Inotropie steht grundsätzlich mit einer vermehrten Bereitstellung von Calciumionen in der Muskelzelle in Zusammenhang. Sie kann auf verschiedenen Mechanismen beruhen:[27]

Die Bindung von Katecholaminen (Noradrenalin aus lokalen sympathischen Varikositäten sowie Noradrenalin und Adrenalin aus dem Nebennierenmark) an β1-Adrenozeptoren setzt die Signalkette

G-Protein-gekoppelter Rezeptor aktiviertes Gα Adenylylcyclase cAMP Proteinkinase A (PKA)

in Gang. Die PKA phosphoryliert Calciumkanäle (L-Typ-Calciumkanal in der Plasmamembran und Ryanodin-Rezeptor des sarkoplasmatischen Retikulums), wodurch der Calciumeinstrom während der Plateauphase des Aktionspotentials verstärkt wird. Somit erhöhen Katecholamine die Maximalkraft und die Steilheit des Kraftanstiegs.

Eine Bindung von Herzglykosiden[28][29][30] (wie Digoxin, Digitoxin oder Ouabain) an die α-Untereinheit der Natrium-Kalium-ATPase bewirkt eine Hemmung des aktiven Transports von Natriumionen aus der Zelle. Die zytosolische Natriumkonzentration steigt an, was thermodynamisch ungünstig für den durch den Natrium-Calcium-Austauscher vermittelten Calciumausstrom über die Plasmamembran ist. Die somit vermehrt ins sarkoplasmatische Retikulum aufgenommenen Calciumionen stehen damit für den Kontraktionsprozess zur Verfügung: die Kontraktionskraft steigt.

Methylxanthine führen über eine Hemmung der Phosphodiesterase zu einer vermehrten Calciumfreisetzung und wirken dadurch positiv inotrop.

Negative Inotropie

Vor allem sympatholytische Substanzen wie z. B. Betablocker haben eine negativ inotrope Wirkung.[31] Als unerwünschte Nebenwirkung von Antiarrhythmika wird ebenfalls eine negative Inotropie beschrieben.[32][33][34][35] Auch Calciumantagonisten haben eine negative Inotropie;[36][37] andererseits können einige Calciumantagonisten das Herzzeitvolumen deutlich steigern.[38]

Acetylcholin greift durch Bindung an den M2-Rezeptor in den oben beschriebenen Signalweg ein, indem es über Aktivierung eines inhibitorischen G-Proteins die Adenylylcyclase hemmt. Die parasympathische Innervation durch den Nervus vagus hat allerdings keinen bedeutenden negativ inotropen Effekt, da nur das Vorhofmyokard und nicht die Ventrikel innerviert sind.[39] (Siehe dazu den Artikel Parasympathikus, Abschnitt: Herz.)

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. In vielen einschlägigen Fachbüchern, auch in den neuesten Auflagen der Standardwerke wie Harrisons Innere Medizin oder Merck Manual sowie in der 3. Auflage des Lehrbuches der inneren Medizin von Walter Siegenthaler et alii, ISBN 3-13-624303-X, oder im Handbuch der Inneren Erkrankungen von Gerhard Brüschke im Band 1, Teil 1, Herz-, Kreislauf- und Gefäßerkrankungen von Bernd Heublein, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1985, ISBN 3-437-10806-9, wird die Inotropie weder erwähnt noch definiert. Wie im Folgenden gezeigt wird, sind die zitierten Definitionen sehr uneinheitlich und sogar widersprüchlich.
  2. Ludwig August Kraus: Kritisch-etymologisches medicinisches Lexikon, 3. Auflage, Verlag der Deuerlich- und Dieterichschen Buchhandlung, Göttingen 1844, S. 541 und 1066. Digitalisat der Ausgabe von 1844, Internet Archive.
  3. Also wohl mit der Bedeutung Kraftänderung im Sinne von Zunahme der Herzmuskelkraft bei der positiven Inotropie beziehungsweise Abnahme der Herzmuskelkraft bei der negativen Inotropie. Das wird heute als weit gehend synonym mit zunehmender beziehungsweise abnehmender Kontraktilität angesehen.
  4. Das Herzzeitvolumen (als Maß für die Schwere oder als Kriterium für das Vorliegen einer Herzinsuffizienz) ist das Produkt aus Schlagvolumen und Herzfrequenz, der Quotient aus Herzleistung und Blutdruck, der Quotient aus Blutdruck und peripherem Widerstand sowie die Quadratwurzel des Quotienten aus Herzleistung und peripherem Widerstand. Dabei sind das Schlagvolumen das Produkt aus enddiastolischem Höhlenvolumen und der zugehörigen Netto-Ejektionsfraktion und die Herzleistung das Produkt aus Herzarbeit und Herzfrequenz.
  5. Otto Martin Hess, Rüdiger W. R. Simon (Hrsg.): Herzkatheter, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 2000, ISBN 978-3-642-62957-0, S. 171: "Schlagkraft = Schlagarbeit pro Austreibungszeit". – Das ist physikalisch falsch. Arbeit pro Zeit ist Leistung und nicht Kraft. Die Definition von "Schlagarbeit = mittlerer systolischer Blutdruck mal Schlagvolumen" (am angegebenen Ort) ist dagegen wohl korrekt.
  6. Maxim Zetkin, Herbert Schaldach (Hrsg.): Wörterbuch der Medizin, 1. Auflage, Verlag Volk und Gesundheit, Berlin 1956, S. 407.
  7. Willibald Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch, 267. Auflage, de Gruyter, Berlin, Boston 2017, ISBN 978-3-11-049497-6, S. 876.
  8. Gerhard Brüschke (Hrsg.): Handbuch der Inneren Erkrankungen, Band 1, Teil 1, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1985, ISBN 3-437-10806-9, Seiten 128 und 141.
  9. Robert H. G. Schwinger, Klara Brixius: Die Regulation der intrazellulären Ca2+-Homöostase. In: Erland Erdmann: Herzinsuffizienz. 4. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2005, ISBN 3-8047-2196-6, S. 90.
  10. Wolfgang Trautwein, Otto Heinrich Gauer, Hans-Peter Koepchen: Herz und Kreislauf, Urban & Schwarzenberg, München, Berlin, Wien 1972, ISBN 3-541-05411-5, S. 129–134.
  11. Lexikon Medizin, 4. Auflage, Sonderausgabe, Naumann & Göbel Verlagsgesellschaft, Elsevier, München ohne Jahr, ISBN 3-625-10768-6, S. 840.
  12. Maxim Zetkin, Herbert Schaldach (Hrsg.): Lexikon der Medizin, 16. Auflage, Ullstein Medical, Wiesbaden 1999, ISBN 3-86126-126-X, S. 966.
  13. Otto Martin Hess, Rüdiger W. R. Simon (Hrsg.): Herzkatheter, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 2000, ISBN 978-3-642-62957-0, S. 171: "Fähigkeit der Myokardfasern zur Verkürzung und zur Kraftentwicklung (=Kontraktilität)".
  14. Robert M. Youngson: Collins Dictionary of Medicine, Harper Collins, Glasgow 1992, ISBN 0-583-31591-7 [sic!], S. 316.
  15. Duden: Das Wörterbuch medizinischer Fachausdrücke, Bibliographisches Institut, 4. Auflage, Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York 1985, ISBN 3-411-02426-7, ISBN 3-13-437804-3, S. 352.
  16. Willibald Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch, 85.–99. Auflage, de Gruyter Verlag, Berlin 1951, S. 391: "inotrop = die Herzkontraktion beeinflussend". – Das ist die erstmalige Erläuterung im "Klinischen Wörterbuch"; in der vorherigen Ausgabe aus 1944 wurde auf Seite 335 nur auf einen fehlenden Anhang zur Erläuterung verwiesen.
  17. Markwart Michler, Jost Benedum: Einführung in die Medizinische Fachsprache, 2. Auflage, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York 1981, ISBN 3-540-10667-7, S. 187.
  18. Gerd Harald Herold: Innere Medizin 2019, Selbstverlag, Köln 2018, ISBN 978-3-9814660-8-9, S. 210: "Die Kontraktilität (Inotropie; Kraft und Geschwindigkeit der Muskelfaserverkürzung) ist die primäre Determinante der Auswurfleistung des Herzens".
  19. Günter Thiele (Hrsg.): Handlexikon der Medizin, Band 2 (F–K), Urban & Schwarzenberg, München, Wien, Baltimore ohne Jahr, S. 1198: "Inotrop = mit Änderung der Muskelkraft" des Herzmuskels.
  20. Hinweis: Streng genommen gehört zur Herzarbeit auch noch die Beschleunigungsarbeit W nach der Formel W=mv2/2 mit der Masse m des Schlagvolumens und der maximalen Geschwindigkeit v des Blutstromes. Sie beträgt etwa 10 % der Herzarbeit und kann vereinfacht nach der Formel W=mv2 geschätzt werden, weil das Herz zwei Kammern hat.
  21. Erklärung: Druck ist Kraft pro Fläche. Also ist Kraft Druck mal Fläche. Arbeit ist Kraft mal Weg. Also ist Arbeit Druck mal Fläche mal Weg. Fläche mal Weg ist Volumen. Also ist Arbeit Druck mal Volumen.
  22. "Inotrop = mit Wirkung auf die Kontraktilität (Leistungsfähigkeit) des Herzmuskels." Quelle: Roche Lexikon Medizin, 5. Auflage, Urban & Fischer, München, Jena 2003, ISBN 978-3-437-15156-9, S. 929.
  23. Hexal Taschenlexikon Medizin, Urban & Fischer, 2. Auflage, München, Jena 2000, ISBN 978-3-437-15010-4, S. 353.
  24. Wenn man das Herzzeitvolumen HZV in m3/s, die Herzleistung L in W=J/s und den peripheren Widerstand R in Pas/m3 = Ns/m5 misst, erkennt man leicht, dass die SI-Einheiten der Gleichung HZV2=L/R korrekt sind. – Außerdem kann zur Kontrolle die Berechnung der Dimensionen durchgeführt werden. Das Herzzeitvolumen hat die Dimension L3T−1. Die Herzleistung hat die Dimension ML2T−3. Die Dimension des peripheren Widerstandes ist der Quotient der Dimensionen von Druck und Volumenfluss; also (ML−1T−2) : (L3T−1) = ML−4T−1. Jetzt gilt für die Definitionsformel HZV2=L/R die Dimensionenrechnung (L3T−1)2 = L6T−2 = (ML2T−3) : (ML−4T−1) mit L=Länge, T=Zeit und M=Masse.
  25. Gudrun Späth: Herzinsuffizienz, de Gruyter, Berlin, New York 1988, ISBN 3-11-011801-7, S. 61 und 81–87.
  26. Franz Gross (Hrsg.): Die Bedeutung der Kalzium-Antagonisten für die Hochdrucktherapie, MMV Medizin-Verlag, München 1984, ISBN 3-8208-1038-2, S. 41.
  27. M. Boeckh, T. Böckers: Original-Prüfungsfragen mit Kommentar GK 2 (Allgemeine Pharmakologie und Toxikologie). Thieme Verlag, Stuttgart 2002, ISBN 3-13-112535-7, S. 181. (online)
  28. Joachim Girndt: Herz- und Kreislaufkrankheiten durch Arteriosklerose, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1994, ISBN 3-8047-1340-8, S. 191.
  29. Felix Anschütz: Herzinsuffizienz, Aesopus-Verlag, Basel, Wiesbaden 1984, ISBN 3-87949-095-3, S. 157 f.
  30. Felix Anschütz: Die chronische Herzinsuffizienz, Aesopus-Verlag, Basel 1988, ISBN 3-905031-12-4, S. 162 f.
  31. Hubert Mörl: Gefäßkrankheiten in der Praxis, 2. Auflage, Edition Medizin, Weinheim, Deerfield Beach, Basel 1984, ISBN 3-527-15096-X, S. 99.
  32. Berndt Lüderitz (Hrsg.): Arrhythmiebehandlung und Hämodynamik, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York 1990, ISBN 3-540-52056-2, ISBN 0-387-52056-2, S. 147.
  33. Berndt Lüderitz: Therapie der Herzrhythmusstörungen, 2. Auflage, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York, Tokio 1984, ISBN 3-540-13090-X, ISBN 0-387-13090-X, S. 42 und 209.
  34. Heinz Losse et al. (Hrsg.): Rationelle Therapie in der inneren Medizin, 2. Auflage, Thieme-Verlag, Stuttgart, New York 1980, ISBN 3-13-512902-0, S. 33.
  35. Georg Schmidt: Antiarrhythmische Therapie: Kardiodepressive Nebenwirkungen, Schattauer Verlag, Stuttgart, New York 1989, ISBN 3-7945-1317-7, 128 Seiten.
  36. Franz Gross (Hrsg.): Die Bedeutung der Kalzium-Antagonisten für die Hochdrucktherapie, MMV Medizin-Verlag, München 1984, ISBN 3-8208-1038-2, S. 41.
  37. Andere Ansicht: Die Kontraktilität wird nicht beeinflusst. Quelle: Ulrich Borchard: Kalziumantagonisten, de Gruyter, Berlin, New York 1993, ISBN 3-11-013167-6, S. 74–79.
  38. Hermann Eichstädt, Steven F. Horowitz: Nuklearkardiologie, Hoechst Aktiengesellschaft 1984, S. 68.
  39. Erwin-Josef Speckmann, Jürgen Hescheler, Rüdiger Köhling (Hrsg.): Physiologie, 5. Auflage, Elsevier/Urban & Fischer, München u. Jena 2008, ISBN 978-3-437-41318-6: „Demgegenüber ist eine deutliche negativ inotrope Wirkung des Vagus nur am Vorhofmyokard des Warmblüters zu finden. Eine Abschwächung der Herzkraft über den Vagus ist damit nicht möglich.“
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