Internationaler Strafgerichtshof
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH; englisch International Criminal Court, ICC; französisch Cour pénale internationale, CPI) ist ein ständiges internationales Strafgericht mit Sitz in Den Haag (Niederlande) außerhalb der Vereinten Nationen. Seine juristische Grundlage ist das multilaterale Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998. Er nahm seine Tätigkeit am 1. Juli 2002 auf und ist für 123 Staaten (60 % aller Staaten der Erde mit etwa 30 % der Weltbevölkerung) zuständig.[1][2]
Internationaler Strafgerichtshof IStGH | |
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Emblem des Internationalen Strafgerichtshofs | |
Englische Bezeichnung | International Criminal Court (ICC) |
Französische Bezeichnung | Cour pénale internationale (CPI) |
Status | internationales Gericht |
Sitz der Organe | Den Haag, Niederlande |
Vorsitz | Tomoko Akane (Präsidentin des Internationalen Strafgerichtshofs) Rosario Salvatore Aitala (Erster Vize-Präsident) Reine Alapini-Gansou (Zweite Vize-Präsidentin) |
Amts- und Arbeitssprachen |
Arabisch, Chinesisch, Englisch (Arbeitssprache), Französisch (Arbeitssprache), Russisch, Spanisch |
www.icc-cpi.int |
Seine Zuständigkeit umfasst die vier Kernverbrechen des Völkerstrafrechts, nämlich Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und Kriegsverbrechen, soweit sie nach seiner Gründung begangen wurden.[3] Im Dezember 2017 einigten sich die Vertragsstaaten, auch das Verbrechen der Aggression in seine Zuständigkeit aufzunehmen, mit Wirkung ab Juli 2018. Zwar besitzt der IStGH keine universelle, jedoch eine weitreichende Zuständigkeit, die im Römischen Statut konkret festgeschrieben ist. Gegenüber der nationalen Gerichtsbarkeit ist seine Kompetenz zur Rechtsprechung nachrangig; er kann eine Tat nur verfolgen, wenn eine nationale Strafverfolgung nicht möglich oder staatlich nicht gewollt ist, sog. Grundsatz der Komplementarität.
Der IStGH ist eine Internationale Organisation im völkerrechtlichen Sinn, aber kein Teil der Vereinten Nationen. Darin unterscheidet er sich von dem umgangssprachlich als „UN-Kriegsverbrechertribunal“ bezeichneten Internationalen Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und dem Internationalen Strafgericht für Ruanda (ICTR). Deren Zuständigkeit betraf nur bestimmte Konflikte, der IStGH dagegen unterliegt keiner derartigen Beschränkung.
Der IStGH wird von derzeit 123 Vertragsstaaten[4] unterstützt, darunter alle Staaten der Europäischen Union. Länder wie China, Indien, die Vereinigten Staaten, Russland, die Türkei und Israel haben das Römische Statut entweder gar nicht unterzeichnet, das Abkommen nach der Unterzeichnung nicht ratifiziert oder ihre Unterschrift zurückgezogen.
Die Beziehung des IStGH zu den Vereinten Nationen ist in einem Kooperationsabkommen geregelt. Er wird entweder aufgrund der Unterbreitung einer Situation an den Gerichtshof durch einen Vertragsstaat, einer Verweisung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen oder aufgrund eigener Initiative des Anklägers (proprio motu) tätig.
Seit dem 11. März 2021 steht der polnische Richter Piotr Hofmański dem IStGH als Präsident vor, wo er bereits seit 2015 arbeitet. Erste Vizepräsidentin ist Luz del Carmen Ibáñez Carranza aus Peru, Zweiter Vizepräsident der kongolesische Richter Antoine Kesia-Mbe Mindua.[5] Chefankläger ist seit dem 16. Juni 2021 der britische Jurist Karim Ahmad Khan. Bei der Richterwahl 2020 zum Internationalen Strafgerichtshof wurden im Dezember 2020 sechs neue Richter gewählt, die am 10. März 2021 vereidigt wurden.[6]
Statut
Die Grundlage des IStGH ist das so genannte Rom-Statut. Der Gerichtshof kann nur über Individuen und nicht über Staaten zu Gericht sitzen. Damit wird natürlichen Personen bei ihm eine völkerrechtlich ungewöhnliche, beschränkte Völkerrechtssubjektivität zuteil.
Straftaten
Vom IStGH können nur solche Verbrechen verfolgt werden, die in Art. 5 des Rom-Statuts namentlich benannt sind: Dies sind Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression, welche in den Artikeln 6, 7, 8 und 8bis des Statuts definiert werden.
Das Verbrechen der Aggression fällt jedoch erst seit dem 17. Juli 2018 in die Zuständigkeit des IStGH. Zum Tatbestand der Aggression zählen die Invasion und Besetzung eines anderen Staates sowie Bombardierung und Blockade von Häfen und Küsten, außerdem die Entsendung bewaffneter Banden. Ob auch humanitäre Interventionen dazu zählen, ist unter Völkerrechtlern umstritten, und die Stellung der Vertragsstaaten dazu ist auch nach der Einigung der Vertragsstaaten von 2017 noch unklar.
Zuständigkeit
Der IStGH erhielt keine universelle Zuständigkeit. Von IStGH verfolgt werden kann eine Person für Verbrechen, die nach dem 1. Juli 2002 begangen wurden, und nur dann, wenn
- die Person Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaates ist (Art. 12f.),
- die Tat auf dem Territorium eines Mitgliedsstaates begangen wurde (Art. 12f.),
- die Situation durch den UN-Sicherheitsrat an den IStGH gem. Kapitel VII verwiesen wurde (Art. 13) oder
- ein Staat, der nicht Mitglied ist, die Zuständigkeit des IStGH formell bejaht und die Tat auf seinem Territorium verübt wurde oder die Person Staatsangehöriger von diesem ist (Art. 12f.).
Weitere Grundsätze
Das IStGH-Statut enthält Regelungen zum Straf-, Strafprozess-, Strafvollstreckungs-, Gerichtsorganisations-, Rechtshilfe- und Auslieferungsrecht. Kerngrundsätze des IStGH sind:
- die Zuständigkeit und Gerichtsbarkeit für die oben genannten „schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganze“ berühren;
- der Vorrang der nationalen Gerichtsbarkeit, soweit diese existiert und fähig und willens ist, die Strafverfolgung tatsächlich zu betreiben (Komplementaritätsgrundsatz des IStGH, nur „Ergänzung“);
- die individualstrafrechtliche Verantwortlichkeit natürlicher Personen, ungeachtet eines von ihnen bekleideten, offiziellen Amtes;
- die prinzipielle Möglichkeit zur Annahme freiwilliger, finanzieller Beiträge von natürlichen und juristischen Personen und
- die Konstituierung als ständige Einrichtung.
Im Statut sind grundlegende Strafrechtsprinzipien verankert, z. B. die Grundsätze des Rückwirkungsverbotes (nullum crimen sine lege) und des Verbotes der Doppelbestrafung (ne bis in idem). Opfer können nicht als Nebenkläger auftreten.[7]
Nur solche Verbrechen können verfolgt werden, die nach dem Inkrafttreten des Statuts am 1. Juli 2002 begangen wurden. Wenn Staaten das Römische Statut später ratifiziert haben, gilt als frühester Zeitpunkt das Inkrafttretens für den jeweiligen Staat.
Die Vertretung der Anklage kann aus eigener Initiative heraus in weitem Umfang, aber nicht unbeschränkt, Vorermittlungen anstellen. Bemerkenswert ist der Versuch einer Synthese zweier Rechtssysteme, nämlich des römisch-germanischen und des angelsächsischen Rechts.[7]
Geschichte
Die Bemühungen zur Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofs reichen bis in die Zwischenkriegszeit zurück. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges scheiterten entsprechende Initiativen innerhalb der Vereinten Nationen sowie durch Menschenrechtsorganisationen insbesondere an den Vorbehalten der beiden Großmächte. Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre, hatte sich das Weltklima etwas zu Gunsten der Installation eines Internationalen Strafgerichtshofes geändert.[8]
Frühere internationale Strafgerichtshöfe wie der für Jugoslawien oder der für Ruanda wurden vom Sicherheitsrat der UN jeweils für die Rechtsprechung in einem bestimmten Konflikt ins Leben gerufen und werden deswegen auch als „Ad-hoc-Tribunale“ bezeichnet. Der Internationale Strafgerichtshof dagegen ist durch einen völkerrechtlichen Vertrag als auf Dauer angelegte juristische Einrichtung geschaffen worden, ist nicht Teil der Vereinten Nationen, sondern eine eigenständige Internationale Organisation mit Völkerrechtspersönlichkeit.
Die Ratifizierung des Rom-Statuts durch eine große Anzahl von Staaten verleiht dem Gerichtshof eine hohe Legitimität. Dieser Vertrag wurde nach fünfwöchigen Verhandlungen, an denen rund 160 Staaten und Nichtregierungsorganisationen teilnahmen,[1] am 17. Juli 1998 von der UN-Bevollmächtigtenkonferenz in Rom angenommen: 120 Staaten stimmten mit Ja, sieben mit Nein und 21 enthielten sich.[1] Kurz nach Hinterlegung der 60. Ratifikationsurkunde ist das Rom-Statut am 1. Juli 2002 in Kraft getreten. Zuständig ist das Gericht für seither begangene Verbrechen. Einige Monate später, am 11. März 2003, wurden die ersten 18 Richter feierlich vereidigt.[1] Erster Chefankläger wurde Luis Moreno Ocampo.
Im Jahr 2003 begann am Internationalen Strafgerichtshof die Arbeit am Projekt Legal Tools.[9] Seitdem werden laufend Informationen zum internationalen Strafrecht, insbesondere aus Gerichtsverfahren, gesammelt, aufbereitet und online als Datenbank („Legal Tools Database“) veröffentlicht. Damit sollen unter anderem Gerichtsverfahren zu den Straftatbeständen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord unterstützt werden.[10]
Im Juni 2010 tagte in Kampala (Uganda) die erste Überprüfungskonferenz des IStGH (englisch: „Review Conference of the Rome Statute“).[11][12] Ziel der Konferenz war es, unter anderem, das bisher ausgesparte Verbrechen der Aggression in das Römische Statut zu integrieren. Es gelang eine Einigung sowohl über die Definition als auch über die Bedingungen der Ausübung der Gerichtsbarkeit für das Verbrechen der Aggression in Umsetzung des Mandats von Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut.[13][14] Die USA schickten zur ersten Überprüfungskonferenz des IStGH eine Beobachterdelegation. Sie wollte vor allem „verhindern, dass die Anklagebehörde auf eigene Faust ermitteln kann, wenn sie ein Aggressionsverbrechen zu erkennen meint – also militärische Gewalt gegen einen Staat, die offensichtlich gegen die UN-Charta verstößt. Hinter dem Streit um den Straftatbestand des Angriffskrieges steckt […] immer auch die Debatte um die ‚Gleichheit vor dem Völkerrecht‘ und um die Frage, ob politisch einflussreiche Nationen sich dem Gerichtshof auf Dauer entziehen können“.[15] Deutschland wurde in Kampala durch Markus Löning, Beauftragter für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, vertreten.[16]
2012 umfasste der Haushalt des Internationalen Strafgerichtshofs rund 109 Millionen Euro.[17] Im Haushalt von 2010 war Deutschland nach Japan mit 12,7 Prozent (13,6 Millionen Euro von rund 103,6 Millionen Euro insgesamt) der zweitgrößte Beitragszahler.
Am 5. Februar 2021 entschied der IStGH, dass er aufgrund der Mitgliedschaft von Palästina auch für die Strafverfolgung von Völkerstrafrechtsverbrechen in den von Israel besetzten Gebieten des Westjordanlands, in Ostjerusalem und im von der Hamas kontrollierten Gazastreifen zuständig ist.[18]
Zu den historischen Vorläufern des IStGH siehe: Geschichte des Völkerstrafrechts
Struktur
Vertragsparteien des Rom-Statuts
Bis August 2017 sind 123 Staaten dem Rom-Statut zum Internationalen Strafgerichtshof beigetreten:[2]
- in Afrika 34 Staaten, nämlich Benin, Botswana, Burkina Faso, Dschibuti, die Elfenbeinküste, Gabun, Gambia, Ghana, Guinea, Kap Verde, Kenia, die Komoren, die Demokratische Republik Kongo, die Republik Kongo, Lesotho, Liberia, Madagaskar, Malawi, Mali, Mauritius, Namibia, Niger, Nigeria, Sambia, Senegal, die Seychellen, Sierra Leone, Südafrika, Tansania, Tschad, Tunesien, Uganda und die Zentralafrikanische Republik,
- in Amerika 29 Staaten, und zwar Antigua und Barbuda, Argentinien, Barbados, Belize, Bolivien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Dominica, die Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Grenada, Guatemala, Guyana, Honduras, Kanada, Kolumbien, Mexiko, Panama, Paraguay, Peru, St. Kitts und Nevis, St. Lucia, St. Vincent und die Grenadinen, Suriname, Trinidad und Tobago, Uruguay und Venezuela,
- in Asien und Ozeanien 21 Staaten, nämlich Afghanistan, Bangladesch, Japan, Jordanien, Kambodscha, die Malediven, die Mongolei, Osttimor, Staat Palästina[19][20], Südkorea und Tadschikistan, Australien, die Cookinseln, Fidschi, die Marshallinseln, Nauru, Neuseeland, Samoa und Vanuatu.
- in Europa 40 Staaten, und zwar Albanien, Andorra, Belgien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Griechenland, Irland, Island, Italien, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, die Republik Moldau, Montenegro, Niederlande, Nordmazedonien, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, San Marino, Schweden, die Schweiz, Serbien, die Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, das Vereinigte Königreich und Zypern.
Ab 1. Februar 2024 gehört auch Armenien dazu.[21]
26 andere Staaten haben den Vertrag zwar unterzeichnet, ihn aber bisher nicht ratifiziert:
- Ägypten, Algerien, Angola, die Bahamas, Bahrain, Eritrea, Guinea-Bissau, Haiti, Iran, Jamaika, Jemen, Kamerun, Kuwait, Kirgisistan, Marokko, Monaco, Mosambik, Oman, die Salomonen, São Tomé und Príncipe, Simbabwe, Syrien, Thailand, die Ukraine (Zuständigkeit 2013 dennoch anerkannt[22]), Usbekistan und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Vier Staaten haben die Unterschrift unter dem Vertrag zurückgezogen. Sie haben dem Generalsekretär der Vereinten Nationen als dem Verwahrer des Statuts mitgeteilt, dass sie nicht beabsichtigen, das Statut zu ratifizieren:
Mehrere Staaten haben zumindest zeitweilig die Absicht bekundet, wieder aus dem Vertrag auszuscheiden (siehe dazu weiter unten: Austritte aus dem IStGH):
2016 kündigten die drei afrikanischen Staaten Südafrika, Burundi und Gambia an, ihre IStGH-Mitgliedschaft zu beenden, traten später jedoch teilweise von dieser Ankündigung zurück.[23][24] Südafrika und Gambia sind weiterhin Mitglied,[25] Burundi schied am 27. Oktober 2017 aus.[26] Die Philippinen entschieden sich im März 2018 ihre Mitgliedschaft aus dem Internationalen Strafgerichtshof zurückzuziehen und traten am 17. März 2019 offiziell aus.[27] Die Ukraine hat das Rom-Statut unterzeichnet, jedoch bisher nicht ratifiziert; dennoch hat sie sich seiner Gerichtsbarkeit 2015 rückwirkend für alle Fälle ab 2013 unterworfen. Damit sollen auch russische Kriegsverbrechen in ihrem Land verfolgt werden können.[28]
Von den 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sind damit 124 dem Statut beigetreten (die Cookinseln und Palästina sind keine UN-Mitgliedstaaten). 31 haben es unterzeichnet, aber nicht ratifiziert, und 41 haben das Statut nicht unterzeichnet.
Gerichtsorganisation
Der Gerichtshof setzt sich zusammen aus:
- Präsidium (1 Präsident und 2 Vizepräsidenten)
- Vorverfahrensabteilung (7 Richter; jeweils in Dreierbesetzung als Kammer tätig)
- Hauptverfahrensabteilung (6 Richter; jeweils in Dreierbesetzung als Kammer tätig)
- Rechtsmittelabteilung (5 Richter)
- Anklagebehörde (1 Ankläger und 2 stellvertretende Ankläger)
- Chefankläger des IStGH ist seit dem 16. Juni 2021 Karim Ahmad Khan, ein britischer Jurist. Er ist Nachfolger von Fatou Bensouda, die von Juni 2012 an Chefanklägerin des IStGH war.
- Kanzlei (untersteht dem Präsidenten)
- Registrar (oberster Verwaltungschef) ist seit April 2018 der Brite Peter Lewis. Von 2013 bis 2018 hatte der niederländische Jurist Herman von Hebel dieses Amt inne.[29] Vorgänger waren Bruno Cathala (2003–2008) und Silvana Arbia (2008–2013).
Das Gehalt eines Richters[30] wie auch des Anklägers (Art. 49 IStGH-Statut) entspricht dem eines Untergeneralsekretärs der Vereinten Nationen (ca. 180 000 € im Jahr); der Präsident erhält außerdem eine Zulage von 18 000 €.
Derzeitige Richter
Herkunftsstaat | Name | Amtszeit | Präsident | Vizepräsident |
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Frankreich | Marc Perrin de Brichambaut | 2015–2024 | 2018–2021 | |
Polen | Piotr Hofmański | 2015–2024 | 2021–2024 | |
Demokratische Republik Kongo | Antoine Kesia-Mbe Mindua | 2015–2024 | 2021–2024 | |
Deutschland | Bertram Schmitt | 2015–2024 | ||
Ungarn | Péter Kovács | 2015–2024 | ||
Südkorea | Chung Chang-ho | 2015–2024 | ||
Philippinen | Raul Cano Pangalangan | 2015–2021 | ||
Peru | Luz del Carmen Ibáñez Carranza | 2018–2027 | 2021–2024 | |
Uganda | Solomy Balungi Bossa | 2018–2027 | ||
Japan | Tomoko Akane | 2018–2027 | ||
Benin | Reine Alapini-Gansou | 2018–2027 | ||
Kanada | Kimberly Prost | 2018–2027 | ||
Italien | Rosario Salvatore Aitala | 2018–2027 | ||
Vereinigtes Königreich | Joanna Korner | 2021–2030 | ||
Georgien | Gocha Lordkipanidze | 2021–2030 | ||
Sierra Leone | Miatta Maria Samba | 2021–2030 | ||
Mexiko | Maria del Socorro Flores Liera | 2021–2030 | ||
Costa Rica | Sergio Gerardo Ugalde Godinez | 2021–2030 | ||
Trinidad und Tobago | Althea Violet Alexis-Windsor | 2021–2030 |
Sitz
Der Sitz des Internationalen Strafgerichtshofs befand sich zunächst an der Ecke Maanweg/Regulusweg im Den Haager Stadtteil Laak in einem als De Arc bezeichneten Bürogebäude, das im Besitz der Firma ING Real Estate ist. Die entsprechenden Mietzahlungen wurden bis 2012 von den Niederlanden und anschließend von der Gemeinschaft der Vertragsstaaten geleistet. Da dieses Gebäude die Anforderungen, die durch die Aktivitäten des Gerichts entstehen, insbesondere hinsichtlich der Lage, der Sicherheit und der räumlichen Ausstattung nur unzureichend erfüllte, wurde ab Mitte 2012 auf dem Gelände der Alexanderkaserne im Stadtteil Scheveningen die Errichtung eines Neubaus geplant. Dieser sollte ab Ende 2015 als dauerhafter Sitz des Gerichts fungieren. Die Finanzierung erfolgte durch einen zinsgünstigen Kredit mit langer Laufzeit durch die Niederlande an die Gemeinschaft der Vertragsstaaten. Die Niederlande stellen darüber hinaus das Grundstück für den Neubau kostenfrei zur Verfügung. Im April 2016 wurde das neue Gerichtsgebäude durch den niederländischen König Willem-Alexander auf einer Zeremonie in Anwesenheit hochrangiger Gäste eröffnet.[31]
Situationen und Fälle
Allgemeines
Ein Strafverfahren nach dem IStGH-Statut unterscheidet sich in Ablauf und Terminologie von einem Strafverfahren nach nationalem Recht. Es gliedert sich folgendermaßen (Artikel nach IStGH-Statut):
- Vorprüfung (preliminary examination, Art. 15) eines Konfliktfalls („Situation“) durch die Anklagebehörde
- Prüfungsphasen: 1. Kommunikation; 2. Gerichtsbarkeit; 3. Zulässigkeit; 4. Interesse der Gerechtigkeit
- Ermittlungen (investigations, Art. 53 ff.) unter Beteiligung einer Vorverfahrenskammer
- Begründung der Gerichtsbarkeit durch Unterbreitung (referral) von einem Vertragsstaat oder vom Sicherheitsrat oder aufgrund eigener Initiative (proprio motu) des Anklägers (Art. 13)
- Strafverfolgung (prosecution) einzelner Personen („Fälle“); Haftbefehl oder Ladung (Art. 58)
- Fixierung der Anklagepunkte (charges, Art. 61) aus den Bereichen Völkermord (Art. 6), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7), Kriegsverbrechen (Art. 8), Aggression (Art. 8bis), Rechtspflege (Art. 70)
- Hauptverfahren (trial, Art. 62 ff.) gegen Angeklagte vor einer Hauptverfahrenskammer
- Urteil (decision, Art. 74): Freispruch (acquittal) oder Verurteilung/Schuldspruch (conviction) und Strafspruch (sentencing, Art. 76)
- a. Berufung (appeal, Art. 81) vor der Berufungskammer; b. Wiederaufnahme (revision, Art. 84)
- a. Wiedergutmachung (reparation, Art. 75) an Opfer; b. Entschädigung (compensation, Art. 85) an Festgenommene/Verurteilte
Ein Aktenzeichen für eine Situation bzw. einen Fall wird vergeben, wenn die Vorverfahrenskammer erstmals damit befasst ist, d. h.:
- bei einer Situation: wenn die Situation von einem Vertragsstaat oder vom Sicherheitsrat unterbreitet wurde oder wenn der Ankläger die Genehmigung von Ermittlungen beantragt hat (Art. 13);
- bei einem Fall: wenn der Ankläger für die betreffende(n) Person(en) Haftbefehl oder Ladung beantragt hat (Art. 58), ferner wenn Strafverfahren getrennt oder verbunden wurden. Das Aktenzeichen eines Falls beginnt mit dem Aktenzeichen für die Situation.
Situationen
Bis März 2022 war die Anklagebehörde mit insgesamt 27 Konfliktsituationen befasst. Geographisch betrafen 13 Situationen Afrika, acht Asien, fünf Südamerika und eine Europa.
In sieben Situationen wurde die Vorprüfung ohne Einleitung von Ermittlungen geschlossen. In drei Situationen dauert die Vorprüfung an. In 17 Situationen wurden Ermittlungen aufgenommen.
Von diesen 17 Situationen wurden acht durch Vertragsstaaten dem Ankläger unterbreitet (sechs durch die betroffenen Regierungen, zwei durch Drittstaaten), zwei Situationen wurden vom Sicherheitsrat der UN überwiesen, und für sieben Situationen hat der Ankläger die Genehmigung für Ermittlungen von einer Vorverfahrenskammer erhalten.
Konfliktsituation (Beginn) | Gerichtsbarkeit begründet durch | Monat | Aktenz. | Ergebnis | Ref. |
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Kolumbien (2002) | – | – | – | Vp. geschl. 2021-10 | [32] |
Irak/ UK (2003) | – | – | – | Vp. geschl. 2020-12 | [33] |
Honduras (2009) | – | – | – | Vp. geschl. 2015-10 | [34] |
Südkorea (2010) | – | – | – | Vp. geschl. 2014-06 | [35] |
Komoren/ Staat Palästina (2010) | Komoren | 2013-05 | ICC-01/13 | Vp. geschl. 2017-11 | [36] |
Gabun (2016) | Gabun | 2016-09 | ICC-01/16 | Vp. geschl. 2018-09 | [37] |
Bolivien (2020) | Bolivien | 2020-09 | ICC-02/20 | Vp. geschl. 2022-02 | [38] |
Nigeria (2009) | – | – | – | Vp. laufend (fertig) | [39] |
Guinea (2009) | – | – | – | Vp. laufend | [40] |
Venezuela II (2014) | Venezuela | 2020-02 | ICC-01/20 | Vp. laufend | [41] |
D.R. Kongo (2002) | D.R. Kongo | 2004-04 | ICC-01/04 | Erm. ab 2004-06 | [42] |
Uganda (2002) | Uganda | 2004-01 | ICC-02/04 | Erm. ab 2004-07 | [43] |
Zentralafrikan. Rep. I (2002) | Zentralafrikan. Rep. | 2004-12 | ICC-01/05 | Erm. ab 2007-05 | [44] |
Sudan, Darfur (2002) | UN-Sicherheitsrat (S/RES/1593) | 2005-03 | ICC-02/05 | Erm. ab 2005-06 | [45] |
Kenia (2007) | Ankläger | 2009-11 | ICC-01/09 | Erm. ab 2010-03 | [46] |
Libyen (2011) | UN-Sicherheitsrat (S/RES/1970) | 2011-02 | ICC-01/11 | Erm. ab 2011-03 | [47] |
Elfenbeinküste (2002, 2010) | Ankläger | 2011-06 | ICC-02/11 | Erm. ab 2011-10 | [48] |
Mali (2012) | Mali | 2012-07 | ICC-01/12 | Erm. ab 2013-01 | [49] |
Zentralafrikan. Rep. II (2012) | Zentralafrikan. Rep. | 2014-05 | ICC-01/14 | Erm. ab 2014-09 | [50] |
Georgien (2008) | Ankläger | 2015-10 | ICC-01/15 | Erm. ab 2016-01 | [51] |
Burundi (2015) | Ankläger | 2017-09 | ICC-01/17 | Erm. ab 2017-10 | [52] |
Afghanistan (2003) | Ankläger | 2017-11 | ICC-02/17 | Erm. ab 2020-03 | [53] |
Staat Palästina (2014) | Staat Palästina | 2018-05 | ICC-01/18 | Erm. ab 2021-03 | [54] |
Venezuela I (2014) | Argentinien u. a. | 2018-09 | ICC-02/18 | Erm. ab 2021-11 | [55] |
Bangladesch/ Myanmar (2016) | Ankläger | 2019-07 | ICC-01/19 | Erm. ab 2019-11 | [56] |
Philippinen (2011) | Ankläger | 2021-05 | ICC-01/21 | Erm. ab 2021-09 | [57] |
Ukraine (2013) | Litauen u. a. | 2022-03 | ICC-01/22 | Erm. ab 2022-03 | [58] |
Fälle und Beschuldigte
Bis März 2022 entstanden aus den 17 Konfliktsituationen, in denen die Anklagebehörde Ermittlungen aufgenommen hat, 30 Strafverfahren („Fälle“) gegen 45 Personen[59] (darunter zwei Frauen).
Konfliktsituation | Aktenzeichen | Beschuldigte | Ergebnisse (kursiv = vorläufig) | Ref. |
---|---|---|---|---|
D.R. Kongo | ICC-01/04-01/06 | Lubanga | Freiheitsstrafe (14 Jahre) | [60] |
ICC-01/04-02/06 | Ntaganda | Freiheitsstrafe (30 Jahre) | [61] | |
ICC-01/04-01/07 | Katanga | Freiheitsstrafe (12 Jahre) | [62] | |
ICC-01/04-01/10 | Mbarushimana | Anklage nicht bestätigt | [63] | |
ICC-01/04-01/12 | Mudacumura | verstorben (?) | [64] | |
ICC-01/04-02/12 | Ngudjolo Chui | freigesprochen | [65] | |
Uganda | ICC-02/04-01/05 | Kony | flüchtig | [66] |
Otti | verstorben | |||
Lukwiya | verstorben | |||
Odhiambo | verstorben | |||
ICC-02/04-01/15 | Ongwen (ex -01/05) | Hauptverfahren | [67] | |
Zentralafrikan. Rep. I | ICC-01/05-01/08 | Bemba | freigesprochen | [68] |
ICC-01/05-01/13 | Bemba | Freiheitsstrafe (1 Jahr), Geldstrafe (300 000 EUR) | [69] | |
Kilolo Musamba | Freiheitsstrafe (11 Monate), Geldstrafe (30 000 EUR) | |||
Mangenda Kabongo | Freiheitsstrafe (11 Monate) | |||
Babala Wandu | Freiheitsstrafe (6 Monate) | |||
Arido | Freiheitsstrafe (11 Monate) | |||
Sudan, Darfur | ICC-02/05-01/07 | Harun | flüchtig | [70] |
ICC-02/05-01/20 | Abd-ar-Rahman (ex -01/07) | Hauptverfahren | [71] | |
ICC-02/05-01/09 | al-Baschir | flüchtig | [72] | |
ICC-02/05-02/09 | Abu Garda | Anklage nicht bestätigt | [73] | |
ICC-02/05-03/09 | Banda | flüchtig | [74] | |
Jerbo | verstorben | |||
ICC-02/05-01/12 | Hussein | flüchtig | [75] | |
Kenia | ICC-01/09-01/11 | Ruto | Hauptverfahren eingestellt | [76] |
Sang | Hauptverfahren eingestellt | |||
Kosgey | Anklage nicht bestätigt | |||
ICC-01/09-02/11 | Kenyatta | Anklage zurückgenommen | [77] | |
Muthaura | Anklage zurückgenommen | |||
Ali | Anklage zurückgenommen | |||
ICC-01/09-01/13 | Barasa | flüchtig | [78] | |
ICC-01/09-01/15 | Bett | flüchtig | [79] | |
ICC-01/09-01/20 | Gicheru (ex -01/15) | Hauptverfahren | [80] | |
Libyen | ICC-01/11-01/11 | al-Gaddafi S. | flüchtig | [81] |
al-Gaddafi M. | verstorben | |||
as-Sanusi | Verfahren in Libyen | |||
ICC-01/11-01/13 | Chalid | flüchtig | [82] | |
ICC-01/11-01/17 | al-Warfalli | flüchtig | [83] | |
Elfenbeinküste | ICC-02/11-01/15 | Gbagbo L. (ex -01/11) | freigesprochen | [84] |
Blé Goudé (ex -02/11) | freigesprochen | |||
ICC-02/11-01/12 | Gbagbo S. | Verfahren eingestellt | [85] | |
Mali | ICC-01/12-01/15 | al-Mahdi | Freiheitsstrafe (9 Jahre) | [86] |
ICC-01/12-01/18 | al-Hassan | Hauptverfahren | [87] | |
Zentralafrikan. Rep. II | ICC-01/14-01/18 | Yekatom | Hauptverfahren | [88] |
Ngaïssona | Hauptverfahren | |||
ICC-01/14-01/21 | Said | Hauptverfahren | [89] | |
Ukraine[58] | – | Wladimir Putin | flüchtig | [90] |
Marija Lwowa-Belowa | flüchtig | |||
Strafverfahren des IStGH (Auswahl)
Die erste Verhandlung fand im Januar 2009 im Verfahren der Anklage gegen Thomas Lubanga statt.[91] Ihm wurde zur Last gelegt, als Gründer und Führer der bewaffneten Miliz Union des Patriotes Congolais in der Demokratischen Republik Kongo Kinder zwangsrekrutiert und in kriegerischen Auseinandersetzungen eingesetzt zu haben. Ende 2009 wurde auch in der Sache Germain Katanga und Mathieu Ngudjolo Chui verhandelt.[92] Am 14. März 2012 erließ der IStGH sein erstes Urteil und verurteilte den ehemaligen Milizenführer Thomas Lubanga wegen Rekrutierung von Kindersoldaten im Zuge des zweiten Kongokrieges.[93] Das Strafmaß wurde am 10. Juli 2012 verkündet: 14 Jahre Freiheitsstrafe.[94][95][96][97]
Am 14. Juli 2008 hat Luis Moreno Ocampo, der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, erstmals gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt, den sudanesischen Staatschef Umar Hasan Ahmad al-Baschir, Haftbefehl wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen beantragt.[98] Das Gericht gab diesem Antrag am 4. März 2009 nur teilweise statt und stellte einen Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen aus.[99]
Der frühere kongolesische Milizenführer Mathieu Ngudjolo Chui wurde mangels Beweisen von den Vorwürfen „Kriegsverbrechen“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (u. a. wegen Rekrutierung von Kindersoldaten, sexueller Versklavung und Angriffen gegen die Zivilbevölkerung) freigesprochen.[100]
2013 wurde Laurent Gbagbo, der ehemalige Präsident der Elfenbeinküste, wegen „indirekter Mittäterschaft an Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vor Gericht gestellt.[101] Im Januar 2019 wurde Gbagbo freigesprochen.[102]
Am 7. März 2014 wurde Germain Katanga wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei einem Massaker in einem Dorf in der Provinz Ituri (Demokratische Republik Kongo) schuldig gesprochen. Am 23. Mai 2014 wurde er dafür zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt.[103]
Drei Jahre nach der Erhebung der Anklage und nachdem der Beginn des Prozesses mehrfach vertagt werden musste, erschien Uhuru Kenyatta am 8. Oktober 2014 als erster amtierender Staatspräsident vor dem Strafgerichtshof.[104] Am 5. Dezember 2014 gab die Chefanklägerin Fatou Bensouda bekannt, dass sie die Anklage gegen Kenyatta wegen Mangels an Beweisen zurückziehe. Der kenianischen Regierung warf sie mangelnde Kooperation vor und kam zum Schluss, es handle sich um einen schwarzen Tag für die internationale Strafjustiz.[105]
Im September 2016 wurde Ahmad al-Faqi al-Mahdi wegen der Zerstörung von Kulturgütern in Timbuktu zu neun Jahren Haft verurteilt. Da al-Mahdi geständig war und mit dem Gericht kooperierte, konnte der Prozess innerhalb eines Jahres abgewickelt werden.[106][107]
Erstmals beantragten 2018 sechs Mitgliedsstaaten, Ermittlungen gegen ein anderes Mitgliedsland einzuleiten; der Regierung Venezuelas wurde von fünf südamerikanischen Staaten sowie Kanada Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.[108][109]
Im November 2019 nahm der IStGH infolge der Vertreibung der muslimischen Rohingya offizielle Untersuchungen in Myanmar auf wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.[110]
Am 17. März 2023 erließ der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehl gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin sowie die russische Kinderrechtskommissarin Marija Lwowa-Belowa wegen Kriegsverbrechen im Rahmen des Angriffskriegs gegen die Ukraine. Konkret wird den beiden vorgeworfen, völkerrechtswidrige Deportationen von ukrainischen Kindern nach Russland verantwortet zu haben.[90][111]
Internationale Akzeptanz
Befürwortung des IStGH
Um eine Verwirklichung des IStGH auch gegen den Widerstand der USA und anderer Staaten haben sich insbesondere die Länder der Europäischen Union bemüht, da es der EU wie auch den anderen Unterzeichnerstaaten ein wichtiges Anliegen ist, Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch auf internationaler Ebene durch ein unabhängiges Gericht ahnden zu können. Andernfalls wäre man immer an den oft schwer erzielbaren Konsens im UN-Sicherheitsrat und die nationale Strafverfolgung gebunden. Die Straftatbestände, die in die Zuständigkeit des IStGH fallen, berühren wegen ihrer Schwere die Internationale Gemeinschaft als Ganzes. Die Einführung eines international tätigen Strafgerichtshofes stärkt folglich das UN-System.
Eine wesentliche Rolle bei der Durchsetzung des IStGH hatte auch die Coalition for an International Criminal Court (CICC), ein Zusammenschluss von weltweit mehr als 1.500 nichtstaatlichen Organisationen, die 1995 vom World Federalist Movement initiiert wurde. Die CICC wurde zum Teil von der EU finanziert.
Fürsprecher des IStGH betonen, dass dieser mittlerweile bei allen Schwierigkeiten dennoch zu einer Instanz geworden sei, die auch von Staaten wie den USA und China ins Kalkül gezogen werde, während noch vor wenigen Jahrzehnten der Gedanke an ein Weltstrafgericht abwegig erschienen sei. Auf staatlicher Ebene ist zudem eine vorsichtig steigende Bereitschaft zur Verfolgung von Völkerstraftaten zu beobachten. So hat beispielsweise Deutschland ein nationales Völkerstrafgesetzbuch geschaffen, das der Anpassung des deutschen Strafrechts an das Rom-Statut dient.[112]
Ablehnung des IStGH
Die US-Regierung hat im Jahr 2000 das Statut des IStGH unterzeichnet, jedoch die zulässige Rücknahme der Unterzeichnung erklärt. Bill Clinton erklärte dazu, dass er das Rom-Statut nicht ratifizieren wolle, solange den Vereinigten Staaten keine ausreichende Möglichkeit geboten würde, den Internationalen Strafgerichtshof und dessen Funktionsweise über einen längeren Zeitraum zu überprüfen.[113] Durch den Abschluss bilateraler Verträge mit IStGH-Vertragsparteien und anderen Staaten versuchen die USA, eine Überstellung von US-Staatsangehörigen an den IStGH vorsorglich auszuschließen. 2002 wurde der American Service-Members’ Protection Act rechtskräftig, der den US-Präsidenten implizit dazu ermächtigt, eine militärische Befreiung von US-Staatsbürgern anzuordnen, die sich in Den Haag vor dem IStGH verantworten müssten. Eine Zusammenarbeit mit dem Gericht wird US-Behörden verboten. Zudem kann allen Staaten, die nicht Mitglied der NATO sind und das Statut ratifizieren, die US-Militärhilfe gestrichen werden. Im Zusammenhang mit einem Ermittlungsersuchen der Chefanklägerin am IStGH, Fatou Bensouda, gegen US-Streitkräfte und US-Geheimdienste wegen möglicher Kriegsverbrechen in Afghanistan kündigte die USA im September 2018 an, im Fall von Ermittlungen gegen US-Staatsbürger Einreiseverbote und Finanzsanktionen gegen Richter und Staatsanwälte am IStGH auszusprechen sowie die Richter und Staatsanwälte am IStGH durch US-Strafjustizbehörden verfolgen zu lassen.[114] Im März 2019 setzten die Vereinigten Staaten erstmals die angedrohten Sanktionen um, erließen Einreiseverbote und entzogen erteilte Visa.[115] Im Juni 2020 genehmigte US-Präsident Trump Einreiseverbote und Finanzsanktionen gegen IStGH-Mitarbeiter für den Fall, dass sie ohne Zustimmung Washingtons gegen US-Soldaten ermitteln.[116] Anfang April 2021 wurden diese Sanktionen vom neuen US-Präsidenten Joe Biden zurückgenommen.[117]
Weitere Staaten, die das Rom-Statut nicht ratifiziert haben, sind die Volksrepublik China, Indien, Irak, Iran, Israel, Kuba, Nordkorea, Pakistan, Russland, Syrien, Saudi-Arabien, Sudan und die Türkei. Tschechien, das sich lange gegen eine Ratifizierung gesträubt hatte, führte diese im Vorfeld ihrer EU-Ratspräsidentschaft im Oktober 2008 durch.[118]
Die Afrikanische Union warf dem IStGH im Jahr 2013 eine einseitige Verfolgung von Verbrechern nach Rassekriterien, „eine Art von Rassenhetze“ vor. Bis dahin hatte der Strafgerichtshof ausschließlich Verfahren gegen Afrikaner eröffnet.[119] Gegen den Vorwurf, der IStGH sei ein neokoloniales Instrument, resümiert der Journalist Ulrich Ladurner in der Wochenzeitung Die Zeit: „Der Internationale Strafgerichtshof ist nicht antiafrikanisch, aber er ist unvollständig … Die Kritik am ICC kommt vor allem von denen, die ihn zu fürchten haben – nicht aber von den Opfern der Verbrechen. Für sie ist der Strafgerichtshof die einzige Hoffnung auf Gerechtigkeit.“[120]
Menschenrechtsorganisationen kritisieren zudem die fehlende Effizienz des Strafgerichtshofes. Sie begründen ihre Kritik insbesondere damit, dass Nichtvertragsstaaten, in denen Menschenrechtsverletzungen begangen werden, ein Strafverfahren mit Unterstützung eines der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates verhindern können. Zudem haben einige der einflussreichsten Staaten, darunter die Vetomächte im UN-Sicherheitsrat China, Russland und USA, das Statut des Strafgerichtshofs nicht ratifiziert. Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt betrifft die Auswahl der Fälle, die größtenteils aus Afrika kommen, während Angehörige mächtigerer Staaten kaum etwas zu befürchten hätten. Schwierigkeiten und Widerstände für den IStGH ergeben sich in der Praxis daraus, dass Den Haag auf die Unterstützung der Staaten angewiesen ist, gegen deren Bürger ermittelt wird.[121]
Rücktritt vor Ratifikationsverfahren
Russland erklärte am 16. November 2016, es werde das IStGH-Statut nicht ratifizieren, und zog seine Unterschrift, die es im Jahr 2000 geleistet hatte, wieder zurück.[122]
Das russische Außenministerium erklärte dazu, der IStGH arbeite ineffizient und einseitig und dass er in den 14 Jahren seit seiner Gründung erst vier Urteile gefällt, aber mehr als eine Milliarde Dollar ausgegeben habe. Russland verstehe, dass die Afrikanische Union beschlossen habe, koordinierte Maßnahmen zum Rückzug der afrikanischen Staaten vom Rom-Statut zu entwickeln. Russland vertraue auch nicht dem IStGH in Bezug auf den Kaukasuskrieg im Jahr 2008.[123] In Medienkommentaren wurde das russische Vorgehen in der Ukraine seit 2014[124][125][126] als Grund vermutet.[127] Die Ukraine ist kein Vertragsstaat, hat aber die Zuständigkeit des IStGH für Ereignisse im Zeitraum von Ende November 2013 bis Ende Februar 2014 anerkannt, um Ermittlungen gegen den gestürzten ukrainischen Staatspräsidenten Wiktor Janukowytsch und frühere Regierungsmitglieder zu ermöglichen.[128] In einem ersten Bericht im November 2015 hat die Anklägerin des IStGH Janukowytsch entlastet; es habe schwere Menschenrechtsverletzungen auf dem Euromaidan gegeben, aber keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit.[129]
Austritte aus dem IStGH
Ein Austritt ist nach Artikel 127 des Statuts von Rom möglich, wird jedoch erst ein Jahr nach einer förmlichen Mitteilung an den UN-Generalsekretär wirksam.[25][130][131]
Die drei afrikanischen Staaten Burundi, Südafrika und Gambia erklärten im Jahr 2016 ihren Austritt.[132][133]
Südafrikas Ex-Justizminister Michael Masutha begründete das Austrittsbestreben seines Landes damit, dass das Vorgehen des IStGH gegen das in der internationalen Politik gebräuchliche Recht verstoße, welches Staatsoberhäuptern anderer Staaten diplomatische Immunität verleihe, solange diese im Amt seien. Dieses Recht der Immunität sei gültiges nationales Recht und stehe im Konflikt zu dem römischen Statut.[134] Der IStGH hatte Südafrika 2015 aufgefordert, den sudanesischen Präsidenten Umar al-Baschir zu verhaften, während der sich als Staatsgast in Südafrika aufhielt.[135] Am 22. Februar 2017 entschied der High Court im südafrikanischen Pretoria, dass der Austritt verfassungswidrig ist und eine dementsprechende Erklärung umgehend zurückgezogen werden muss.[136] Begründet wurde das Urteil damit, dass der Austritt erfolgte, ohne vorher die notwendige Zustimmung des Parlaments einzuholen. Da die Regierungspartei ANC jedoch über eine große Mehrheit im Parlament verfügt, kann die Zustimmung problemlos nachgeholt werden. 2017 erklärte die südafrikanische Regierung jedoch, den IStGH nicht mehr verlassen zu wollen.[137]
Am 25. April 2023 erklärte Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa, die Regierungspartei des Landes ANC habe beschlossen, dass Südafrika aus dem Internationalen Strafgerichtshof austreten solle, der im vergangenen Monat einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin erlassen hat.[138] Im Juli 2023 erklärte Ramaphosa, er habe beim ICC ein Verfahren nach Artikel 97[139] eingeleitet, auf den sich Staaten berufen könnten, wenn sie eine Verhaftung nicht vornehmen könnten, weil es Hinderungsgründe gebe.[140] Justizminister Ronald Lamola hatte zuvor gesagt, der ICC müsse sich davor hüten, zu einem Instrument globaler Machtkämpfe zu werden.[140] In der Folge wurde bekannt, dass nicht Putin, sondern Russlands Außenminister Lawrow zum Brics-Treffen reisen werde.[141][142] Am 21. Juli 2023 wurde bekannt: Südafrikas Regierung würde Russlands Präsidenten Wladimir Putin im Falle einer Einreise in das Land festnehmen lassen, was aus einer von der Oppositionspartei Democratic Alliance veröffentlichten eidesstattlichen Erklärung des Justizministeriums hervorgehe.[143]
Gambia, wo die Afrikanische Kommission der Menschenrechte und der Rechte der Völker ihren Sitz hat, revidierte nach der Abwahl von Yahya Jammeh im Januar 2017 seine Austrittsankündigung.[144]
Burundi trat als erster Mitgliedsstaat mit Wirkung vom 27. Oktober 2017 aus.[145] Zur Begründung führte die burundische Regierung an, dass der IStGH in einseitiger Weise Afrikaner zum Ziel seiner Ermittlungen mache (zu diesem Zeitpunkt waren neun von zehn anhängigen offiziellen Untersuchungen des IStGH gegen afrikanische Länder gerichtet). Sprecher des IStGH erklärten, dass die Ermittlungen des IStGH gegen die burundische Regierung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ungeachtet dessen fortgeführt würden und dass Burundi nach Artikel 127 des Statuts von Rom zur Kooperation mit den Ermittlern verpflichtet sei.
Die Afrikanische Union beriet Ende Januar 2017 über einen kollektiven Austritt aus dem ICC, fand aber keinen einstimmigen Konsens.[146] Einzelne afrikanische Staaten, darunter auch Namibia, ziehen einen Austritt dennoch weiterhin in Betracht.
Die Philippinen verkündeten am 14. März 2018 während der Präsidentschaft Rodrigo Dutertes, aus dem Internationalen Strafgerichtshof auszutreten, und dass sie „ihre Ratifizierung des Römischen Statuts mit sofortiger Wirkung zurückziehen“ mit der Begründung, dass das IStGH als „politisches Werkzeug gegen die Philippinen“ benutzt werde. Allerdings wurde der Austritt nach Artikel 127 Absatz 1 des Römischen Statuts erst am 17. März 2019 wirksam.[147]
Literatur
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Weblinks
- Website des Internationalen Strafgerichtshofs (englisch, französisch)
- Kanal des Internationalen Strafgerichtshofs auf YouTube
- Informationsplattform humanrights.ch: Internationaler Strafgerichtshof
- der Internationale Strafgerichtshof – Ausstellung
- Grafik: Ratifizierung, Unterzeichnung und Ablehnung des Römischen Statuts (Nov. 2013), aus: Zahlen und Fakten: Globalisierung, Bundeszentrale für politische Bildung
- Grafik: Der Internationale Strafgerichtshof – Aufbau und Arbeitsweise, aus: Innerstaatliche Konflikte (Online-Dossier), Bundeszentrale für politische Bildung
- Wissenschaftliche Dienste des Bundestages zu den Implikationen des Rücktritts vom römischen Statut (PDF; 137 kB)
- Hannah Lea Pfeiffer: Das Rom-Statut, in: Quellen zur Geschichte der Menschenrechte, herausgegeben vom Arbeitskreis Menschenrechte im 20. Jahrhundert, Mai 2015; abgerufen am 11. Januar 2017.
- Abkommen zwischen der EU und dem Internationalen Strafgerichtshof. Zusammenfassung der Gesetzgebung. In: EUR-Lex. Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union
- ARD-Mediathek: alpha-demokratie – Der internationale Strafgerichtshof, 20. Juli 2022
Einzelnachweise
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- Simone Schlindwein: Massengräber, ganz abstrakt. In: taz.de, 8. Juni 2010.
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- Andrea Böhm: Macht schützt nicht – oder doch? Wer einen Aggressionskrieg führt, soll vor den Haager Strafgerichtshof. Theoretisch gilt das sogar für den amerikanischen Präsidenten. In: Die Zeit 24/2010 vom 10. Juni 2010, S. 8.
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