Hylaios (Kentaur)
Hylaios ist ein Kentaur der griechisch-römischen Mythologie. In der ältesten Darstellung und Namensnennung auf der Françoisvase nimmt er an der Kentauromachie teil. Später taucht er auch in anderen Mythen auf, in denen er meistens den Tod findet. Er ist wohl identisch mit dem Kentauren Hyles bei Ovid.[1]
Name
Hylaios, griechisch Ὑλαῖος, Hylaíos[2] oder Ὕλαιοσ, Hýlaios[3], lateinisch Hylaéus, deutsch auch Hylä́us, ist das substantivierte Adjektiv ὑλαῖος, hylaíos, waldig, im Walde lebend[4], heißt also der Waldbewohner oder Waldmann. Der etymologische Kern ist ὕλη, der Wald. Der Name ist typisch für die Kentauren, leben sie doch in den Wäldern der Gebirge und kämpfen mit herausgerissenen Bäumen und Ästen, siehe Bild.
Mythen
Die antiken Mythen überliefern verschiedene Schauplätze und Umstände seines Ablebens. Zuerst aufgetaucht in der Kentauromachie, stirbt er fürderhin durch die Hand verschiedener mythologischer Gestalten. Die Mythen sind hier thematisch, im Abschnitt Quellen chronlogisch geordnet.
Kentauromachie
Auf dem Rand der Françoisvase wird er bild- und namentlich als Teilnehmer der Kentauromachie dargestellt, siehe Bild. Er kämpft gegen die Lapithen mit einem Ast, von links attackiert ihn der Lapithe Antimachos, von rechts unterstützt ihn der Kentaur Akrios (≈ Arktos) mit Wurfgestein.
Vergil verortet ihn in seinen Georgica ebenfalls in der Kentauromachie. Er führt ihn an als Beispiel für die Folgen übermäßigen Weinkonsums und zählt ihn damit zu den Kentauren, die sich auf der Hochzeit des Peirithoos auf die Frauen der Lapithen stürzen („Verbrechen“) und anschließend von diesen niedergemacht werden. Vergil lässt offen, was aus seinem „tödlichem Wüten“ und der Drohgebärde mit dem Trinkbecher wurde, Tod oder Flucht: „Bacchus (Wein) gab zu Verbrechen oft Anlaß; zu tödtlichem Wüthen / zwang er jene Zentauren, den … Hyläos, / der mit dem großen Trinkbecher dort die Lapither bedrohte.“[5]
Auch Horaz versetzt ihn in die Kentaurenschlacht, denn er erwähnt die „Lapithen im Zorn, und den Hyläus voll / lautres (unvermischten) Weins.“[6]
Atalante
Kallimachos hebt die Bogenkunst Atalantes hervor und schickt Hylaios zusammen mit dem Kentauren Rhoikos in die Unterwelt: „Nicht von Hylaios hoff’ ich, und nicht von dem törichten Rhoikos, / dass sie, obgleich voll Grimmes, in Hades’ Reich (Totenreich) die Schützin (Atalante) / tadeln …“[7] Hylaios ist „voll des Grimmes“, weil er von Atalante getötet wurde, doch trotzdem sollte er ihre Jagdkunst anerkennen.
In Weiterführung des Kallimachos erzählt Apollodor die Vorgeschichte von Hylaios' Untergang, auch hier wieder ein für die Kentauren typischer Verwaltigungsversuch: „Als Atalante erwachsen war, sucht sie eine Jungfrau zu bleiben, und brachte ihr Leben in einer Einöde mit Jagen und unter Waffen zu. Die Kentauren Rhökus und Hyläus versuchten es zwar, sie mit Gewalt zu ihrem Willen zu bringen, allein sie wurden von ihr mit Pfeilen geschossen und büßten ihr Leben ein.“[8]
Herakles
In Vergils Aeneis ist Aeneas zu Gast beim König Euander. Auf einem Festmahl zu Ehren des Herakles besingt ein Chor dessen Heldentaten, darunter auch die Eliminierung des Hylaios: „Du (Herakles) hast … die Doppelgestalten (Kentauren), den Hylaeus und den Pholus … mit der Hand bestraft (erschlagen).“[9]
Servius will Vergil korrigieren und bemerkt, ohne dafür eine Quelle zu nennen, dass nicht Herakles, sondern „Theseus den Hylaios getötet hat.“[10] Dieses Treffen könnte stattgefunden haben, da beide, Theseus und Hylaios, an der Kentauromachie teilnahmen.
Nonnos' Dionysiaka
Nonnos löst sich von den klassischen Rollen des Hylaios und versetzt ihn in Dionysos’ Feldzug nach Indien (Dionysiaka), wo er umkommen wird. Denn es kommt zur Schlacht mit dem Inderkönig Deriades und dessen Onkel Orontes. Letzterer greift die „Doppelwesen“[11], darunter auch Kentauren, in Dionysos' Heer an: „… Mit sturmbeflügelter Sohle / rannte rasend der Eidam (Onkel) des Königs Deriades vorwärts, / auf die Kentauren erhob er (Orontes) einen sausenden Felsbrock und erlegte Hylaios …“[12]
Quellen
- Françoisvase, 6. Jh. v. Chr., siehe Literatur: Weizsäcker.
- Kallimachos, 3. Jh. v. Chr.: Hymnen 3, 221–223, Hymnus an Artemis, Übersetzung Schwenck, books.google.de, Seite 45.
- Vergil, 1. Jh. v. Chr.: Georgica 2, 454-457; Wikisource.
- Vergil, 1. Jh. v. Chr.: Aeneis 8, 293–294; Übersetzung Holzberg, Sammlung Tusculum, Verlag De Gruyter, Berlin 2015, Seite 419.
- Horaz, 1. Jh. v./1. Jh. n. Chr.: Oden (Carmina); Ode an Maecenas 2, 12, 5–6; Übersetzung Voß, books.google.de, Seite 97.
- Apollodor, 1. Jh. n. Chr.: Bibliothek 3, 106, 2; Übersetzung Beyer, archive.org, Seite 194.
- Servius, 4./5. Jh. n. Chr.: Kommentar zu Vergils Aeneis 12, 294; lateinisch, archive.org, Seite 240.
- Nonnos. 5. Jh. n. Chr.: Dionysiaka 17, 197–200; Übersetzung Scheffer, books.google.de, Seite 286.
Literatur
- Nina Johannsen: Rhoikos 1. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 10, Metzler, Stuttgart 2001, ISBN 3-476-01480-0, Sp. 1000 (Digitalisat).
- Wilhelm Heinrich Roscher: Die Kentaurennamen bei Ovidius’ Metamorphosen 12, 220–499. In: Alfred Fleckeisen (Herausgeber): Neue Jahrbücher für Philologie und Pädagogik, Band 105, Verlag Teubner, Leipzig 1872, Seite 421–428, archive.org.
- Ernst Sittig: Hylaios 1. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band IX,1, Stuttgart 1914, Sp. 109 (Digitalisat).
- Heinrich Wilhelm Stoll: Hylaios. In: Wilhelm Heinrich Roscher (Hrsg.): Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Band 1,2, Leipzig 1890, Sp. 2792 (Digitalisat).
- Friedrich Sylburg (Herausgeber): Etymologicum magnum 195, 17; 1816, Leipzig 1821 (Original 1594), Seite 175, archive.org.
- Paul Weizsäcker: Neue Untersuchungen über die Vase des Klitias und Ergotimos (Françoisvase), in: Rheinisches Museum für Philologie, Jahrgang 1878, S. 370–375: Kentaurenkampf, rhm.uni-koeln.de.
- Reto Zingg: Hylaios, in: Der Neue Pauly, Band 6, Verlag Brill, Leiden 2006, referenceworks.brillonline.com.
Einzelnachweise
- Roscher, Seite 424: „Ὕλης (Hýlēs) ... womit der mehrfach bezeugte ῾Υλαῖος (Hýlaíos) identisch ist.“
- Pape, Eigennamen, Seite 1577, books.google.de.
- Literatur: Sylburg, Etymologicum 159, 17.
- Pape, Handwörterbuch der griechischen Sprache, S. 1176, zeno.org.
- Vergil, Georgica 2, 455–457.
- Horaz, Carmina 2, 12, 5–6.
- Kallimachos, Hymnen 3, 221–223.
- Apollodor, Bibliothek 3, 9, 2.
- Eigenübersetzung, Vergil, Aeneis 8, 293–294: „tu … bimembris Hylaeumque Pholumque manu … mactas.“
- Servius, Kommentar zur Aeneis 8, 294: „Hylaeum Theseus interemit.“
- Nonnos, Dionysiaka 17, 193.
- Nonnos, Dionysiaka 17, 197–200.