Herberts Cukurs

Leben

Herberts Cukurs absolvierte die vierklassige Grundschule in Liepāja, wurde 1919 wegen linksextremer Gewalttaten aus der lettischen sozialdemokratischen Jugendorganisation (Latvijas Sociāldemokrātiskās Jaunatnes savienība) ausgeschlossen und nahm dann am Lettischen Unabhängigkeitskrieg 1919 bei Kämpfen in der Region Lettgallen teil. Später lernte er in Offizierskursen und an der Fliegerschule, diente als Pilot und Techniker und brachte es bis zum Oberleutnant. Mit waghalsigen Flugmanövern erregte er Aufsehen. So flog er unter der Brücke von Karosta durch. 1927 wurde er wegen unehrenhaften Verhaltens aus der Lettischen Luftwaffe entlassen und schlug sich als Taxifahrer durch.

Cukurs in Gambia (1933)

Im März 1933 unternahm er in einem selbstgebastelten Doppeldecker einen Flug von Riga nach Gambia.[2] Der lettische Diktator Kārlis Ulmanis nutzte den historischen Bezug des Fluges zu den kolonialen Aktivitäten des Herzogs Jakob von Kurland für seine historisierende Propaganda und protegierte Cukurs. Er wurde in Lettland bekannt und unternahm weitere Flüge nach Tokio, in die Türkei sowie nach Palästina. Seine Popularität stieg dank seiner in der Presse geschilderten Erlebnisse und gipfelte in der Verleihung des Drei-Sterne-Ordens. Man nahm ihn wieder in die Luftwaffe auf, doch beim Studium der Luftfahrttechnik offenbarten sich gravierende Mängel seiner Allgemeinbildung, so dass er Nachhilfe bei einem jüdischen Mitstudenten nehmen musste, dem gegenüber er offen antisemitische Ansichten vertrat.

Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion und dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Lettland meldete Cukurs sich bald freiwillig zum von Viktors Arājs aufgestellten lettischen Kommando von NS-Kollaborateuren. 1943 wurde er dessen Adjutant und stellvertretender Kommandeur dieses Verbandes. Das Simon Wiesenthal Center macht ihn verantwortlich für Massenmord, Hinrichtungen, Vergewaltigungen, gewaltsame Enteignung und Folter von Hunderten von Juden aus ganz Europa während des Zweiten Weltkrieges.[3][4][5][6][7][8][9] Cukurs wird von Augenzeugen persönlich begangener Morde, sexueller Gewalt und anderer Gewalttaten in zahlreichen Fällen beschuldigt.[10] Der als „NS-Mörder“[11] und „Henker von Riga“[11] bezeichnete Lette soll 30.000 Juden auf dem Gewissen haben. Viele soll er dabei „vom Sattel aus“[11] erschossen haben.

Nach dem Krieg emigrierte Cukurs über Frankreich nach Brasilien, wo er sich mit der Vermietung von Flößen in São Paulo eine neue Existenz aufbaute. Jaakov Meidad alias „Anton Künzle“ sollte 1965 Cukurs ausfindig machen, wofür Meidad Scheinfirmen in Wien gründete. Mit diesen Geschäftspapieren konnte Meidad Cukurs nach Uruguay locken. Dort wollte sich Cukurs an einer Filiale des Unternehmers Künzle beteiligen. Als er am 23. Februar 1965 ein angebliches Büro der Scheinfirma in Montevideo betrat, schlugen ihm mehrere Israelis den Kopf ein, erschossen ihn und brachten ein großes Stück Papier mit der Aufschrift auf seiner Leiche an: „Von denen, die nie vergessen!“[1][12] Es soll sich einer Buchveröffentlichung 2017 zufolge um eine Aktion des Mossad im Rahmen einer Serie von Anschlägen gegen Nazis gehandelt haben; Unterlagen Cukurs betreffend wurden allerdings noch nicht freigegeben.[13] Meidad hatte zuvor zur Ergreifung und Verurteilung von Adolf Eichmann beigetragen. Dass im Fall Cukurs kein Prozess erfolgte, ermöglichte es bestimmten Kreisen, Cukurs zum Märtyrer und gar zum Nationalhelden zu stilisieren.[14] 2005 fand in Karosta eine Ausstellung zu Ehren von Cukurs statt.[15]

Musical über den „Helden“ Cukurs

Am 11. Oktober 2014 fand in seiner Geburtsstadt Liepāja die Uraufführung des Musicals Cukurs, Herberts Cukurs statt[16][17] (Komponist: Jānis Ķirsis, Story: Pēteris Draguns, Dialogautor und Produzent: Juris Millers, Regisseur: Ivars Lūsis). Eine Tournee soll das Werk durch viele Städte Lettlands führen. Der Produzent Juris Millers fordert das Publikum auf, über Schuld und Unschuld des Helden zu urteilen, nachdem Cukurs als passiver Zuschauer und Judenretter dargestellt wurde.[18]

Literatur

  • Herberts Cukurs: Mans lidojums uz Gambiju. Autora izdevums, Riga 1934 (Mein Flug nach Gambia, gemeinsam verfasst mit dem Schriftsteller Jūlijs Lācis,[19] Neuauflage 2003 mit Fotografien, als Autora izdevums / Selbstverlag,[20] ISBN 978-9984-49-796-9).
  • Andrew Ezergailis: The holocaust in Latvia 1941–1944. The missing center. Published in association with The United States Holocaust Memorial Museum, Washington DC. The historical institute of Latvia, Riga 1996, ISBN 9984-9054-3-8.
  • Anton Künzle (Pseudonym), Gad Schimron: Der Tod des Henkers von Riga. Bleicher, Gerlingen 1999, ISBN 3-88350-048-8.
  • Bernhard Press: Judenmord in Riga 1941–1945. Press, Berlin 1988.
  • Katrin Reichelt: Lettland unter deutscher Besatzung 1941–1944. Der lettische Anteil am Holocaust. Metropol Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-940938-84-8.
  • Baiba Šāberte: Ļaujiet man runāt! Herberts Cukurs. Jumava, Riga 2010, ISBN 978-9984-38-754-3 (Lasst mich reden).
  • Aivars Stranga: Ebreji Baltijā. No ienākšanas pirmsākumiem līdz holokaustam. 14. gadsimts – 1945. gads. Nodibinājums LU žurnāla „Latvijas Vēsture“ fonds, Rīgā 2008, ISBN 9984-643-81-6 (Juden im Baltikum. Vom ersten Anfang bis zum Holocaust. 14. Jahrhundert bis 1945).
  • Viljars Tooms (Hrsg.): Liepājnieku biogrāfiskā vārdnīca. Izdevniecība Biedrība „Optimistu pulks“, Liepāja 2012, ISBN 978-9984-495-48-4 (Biografisches Wörterbuch Libauer Bürger. Enthält eine Biografie von Cukurs).
  • Gisela Dachs: Geheimsache Hinrichtung. Wie ein SS-Mörder in Uruguay starb. In: Die Zeit, Nr. 12/1999.

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Dies ist mein Mörder. Der Spiegel, 28. Juli 1997, abgerufen am 5. Februar 2021.
  2. Press (1988), S. 61: H. Cukurs war Fliegeroffizier der lettischen Armee. In Lettland war er vor dem Krieg zu einer Berühmtheit geworden, als er in den Jahren 1933/34 mit einem primitiven Flugzeug einen Flug von Lettland ins westafrikanische Gambia wagte, wo sich einst eine Kolonie von Herzog Jakob von Kurland und Semgallen befunden hatte. Der Flug, unterstützt von jüdischem Geld, ging in kurzen Etappen vor sich, weil Motorschäden ihn immer wieder unterbrachen. Cukurs Berichte über seinen Flug erschienen fast täglich in der Tagespresse. Damals konnten wir nicht ahnen, daß derselbe Mann, dessen Sportsgeist wir bewunderten, sich nur wenige Jahre später für das Hinmorden unzähliger Juden den Namen eines „Schlächters von Riga“ verdienen würde.
  3. Press (1988), S. 121: Dr. Weinreich hatte im Ghetto von Liepāja das Krankenhaus geleitet. Zu seinen entsetzlichsten Erinnerungen aus jener Zeit zählte der Besuch, den der berüchtigte Mörder H. Cukurs eines Tages dem Krankenhaus abstattete. Cukurs, erpicht darauf, im Krankenhaus sich versteckt haltende, arbeitsfähige Männer und Frauen zu finden, war auch in die Frauenstation eingedrungen, wo er ein Neugeborenes entdeckte. Geburten waren im Ghetto verboten. Cukurs riß das Baby an den Füßen aus dem Bett der Mutter, schmetterte es mit dem Kopf an die Wand, sodaß der Schädel barst und warf den leblosen Körper auf den Fußboden.
  4. Reichelt (2011), S. 128: Unter den Leuten, die unter Arājs aktiv waren, hat sich eine Person – der ehemalige Flieger und aktives Mitglied des „Pērkonkrusts“, Herberts Cukurs – einen besonderen und berüchtigten Bekanntheitsgrad erworben. Cukurs galt neben Arājs und als dessen rechte Hand als einer der Haupttäter des Kommandos, als personifizierte Brutalität, die das gesamte Kommando ausstrahlte. Jüdische Überlebende erinnern sich ob seiner willkürlichen und unberechenbaren Ausbrüche von Grausamkeit an ihn als einen der „Henker von Riga“. Er war bei Verhören, Selektionen und Misshandlungen von verhafteten jüdischen Frauen besonders aktiv und bestimmte bisweilen, welche der Opfer am Leben gelassen wurden. Diese selbst autorisierte Verfügung über Leben und Tod von Menschen lässt auf ein pathologisches Täterprofil mit „niederen Beweggründen“ schließen. Cukurs befehligte bei verschiedenen Einsätzen in der Provinz oder auch in Riga selbst Erschießungseinheiten und war bei zahlreichen Exekutionen zugegen. Cukurs galt nach Arājs als der Mann mit der verantwortungsvollsten Position im Kommando, die er entsprechend ausnutzte.
  5. Reichelt (2011), S. 335: Misshandlungen von jüdischen Opfern durch Arājs persönlich sind nicht belegt, auch wenn er bei einem Großteil der Erschießungsaktionen vor allem im Wald von Biķernieki persönlich zugegen war und dabei auch immer seine Walther-Dienstpistole bei sich trug. Anders als im Fall seines Vertrauten Herberts Cukurs, der sichtlich Freude am Quälen und Foltern von Menschen empfand, hielt sich Arājs als Autorität und Befehlshaber eher im Hintergrund.
  6. Ezergailis (1996), S. 186: In 1941, Arājs already had at least two captains serving him: infantry Capt. Arnolds Laukers and aviation Capt. Herberts Cukurs.
  7. Ezergailis (1996), S. 192: Although Arājs’ men were not the only ones on the ghetto end of this operation, to the degree that they participated in the atrocities there the chief responsibility rest on Herbert Cukurs’ shoulders.
  8. Ezergailis (1996), S. 250: On November 30 [1941] there were two massacres: one in the ghetto, the other in Rumbula. Who did the killing in the ghetto is unclear. Due to the scale of killing, it is likely that everybody with weapons participated, which includes Cukurs and the Arājs men.
  9. Stranga (2008), S. 531 über das Massaker von Rumbula am 30. November 1941: ...tieši šajā noziegumā droši vien ir piedalījies Herberts Cukurs ...(gerade an diesem Verbrechen hat sicher einer teilgenommen: Herberts Cukurs)
  10. Efraim Zuroff: “Herberts Cukurs: Certainly Guilty” (englisch, ursprünglich lettisch in Diena, 7. Juli 2005)
  11. focus.de
  12. focus.de
  13. Yossi Melman, Dan Raviv: Why the Mossad failed to capture or kill so many fugitive Nazis. washingtonpost.com, 22. September 2017
  14. Herberts Cukurs – "the most famous Latvian"
  15. Kārkls (2012), S. 68: Der Politiker Ilmārs Latkovskis schreibt zur Eröffnung der Ausstellung: „ Viņa slava pēc karai ir nomākta ar apsūdzībām par cietsirdīgām ebreju masveida slepkavībām. Nav šaubu, ka Cukura biogrāfijā ir tumšākas lappuses, kas saistās ar Arāja komandu un Rīgas ebreju geto. Taču tiesa viņa vainu nekad nav pierādījusi.“ (Sein Ruhm ist nach dem Krieg gesunken durch die Anschuldigung des hartherzigen Massenmords an Juden. Ohne Zweifel hat Cukurs‘ Biografie dunklere Seiten, die ihn verbinden mit dem Kommando Arājs und dem Rigaer Judenghetto. Jedoch hat ihm die Gerichtsbarkeit nie eine Schuld nachgewiesen).
  16. Lorenz Hemicker: SS-Scherge wird Musical-Star. FAZ.net, 9. Oktober 2014.
  17. Sarmīte Pujēna:Provokācijas un aizkustinājums: „Cukurs, Herberts Cukurs“
  18. Mike Collier: Review: Cukurs, Herberts Cukurs
  19. Tooms (2012): Biografie Herberts Cukurs.
  20. Sintija Ambote: Zur Feier der Neuauflage des Buchs „Mans lidojuns uz Gambiju“ im Kriegsmuseum, Riga.
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