Helene Pagés
Helene Pagés (* 14. Dezember 1863 in Sauerbrunnen/Hunsrück; † 23. November 1944 in Reit im Winkl) war eine deutsche Schriftstellerin.
Leben
Helene Pagés war die Tochter des Straßenbauers und ehemaligen Artilleristen Franz Pagés, der einer hugenottischen Familie entstammte, und dessen Frau Nanni, einer im Westerwald aufgewachsenen, in Koblenz ausgebildeten Verkäuferin. Beim Bau der Straße Boppard-Simmern siedelte Franz Pagés sich in Sauerbrunnen/Hunsrück an. Helene Pagés wuchs dort im Kreis von drei älteren und vier jüngeren Geschwistern auf. Sie wurde stark geprägt durch die ländliche Umgebung ihres Heimatdorfes und die katholische Erziehung ihrer Mutter Nanni.[1]
Ab 1869 besuchte Helene Pagés die Volksschule in Leiningen, erhielt nach deren Abschluss aber auch weiterführende Privatstunden in Deutsch, Rechnen, Geschichte, Französisch bei Geistlichen, Studenten und Lehrern. Ab 1877 war sie vorübergehend im von der Mutter nach der Frühpensionierung des Vaters betriebenen Kolonialwarenladen tätig. Nach Sonderaufnahmeprüfung besuchte sie ab 1880 das Lehrerinnenseminar in Montabaur. Nach Abschluss ihrer Lehrerausbildung 1883 unterrichtete sie zunächst an einer Volksschule im Kannenbäckerland, wechselte jedoch 1885 nach Boppard am Rhein. Dort machte sie sich vor allem um die berufliche Mädchenbildung verdient; 1906 übernahm sie die Leitung der auf ihr Betreiben hin 1898 gegründeten Bopparder „Fortbildungsschule für Mädchen“. Sie arbeitete mit Pauline Herber, der Gründerin des Vereins katholischer deutscher Lehrerinnen, zusammen. Z. B. unterstützte sie diese beim Aufbau eines Lehrerinnenheims in Boppard. Umgang pflegte sie auch mit Hedwig Dransfeld, katholische Frauenrechtlerin und Politikerin, Lehrerin und Jugendschriftstellerin.
1913 schied Helene Pagés krankheitsbedingt aus dem Schuldienst aus. 1915 schrieb sie sich an der Universität Bonn ein, wohl dem Beispiel Hedwig Dransfelds folgend, die bereits unmittelbar mit der Zulassung von Frauen zum Universitätsstudium 1908 begonnen hatte, Kulturwissenschaften in Münster, später in Bonn zu studieren. 1917 wechselte sie nach Münster, wo sie sich ihrer Nichte Änni Büchner (Schwester von Franz Büchner und Johannes Büchner) anschloss.[2] Seit 1898 hatte sie Versuche in der Jugendschriftstellerei unternommen, der sie sich nun verstärkt widmete. In der sogenannten Nanni-Trilogie (Großmutters Jugendland, Großmutters Mädchenjahre, Mutter Nanni und ihre Kinder), erschienen bei Herder/Freiburg 1920/1921, setzte sie vor allem ihrer Mutter Nanni ein literarisches Denkmal. 1936 griff sie in der Rückschau des Alters ihre teilweise bereits in Mutter Nanni und ihre Kinder dargestellten Jugenderinnerungen nochmals vertiefend auf und beschrieb ihr Heranwachsen in der kleinbäuerlichen Welt des Vorderhunsrücks in dem ebenfalls bei Herder erschienenen Erzählband Die klingende Kette. Drei Jahre später folgte Fernes Läuten, in dem sie Geschichten und historische Anekdoten aus Boppard sowie Eindrücke und Erlebnisse aus ihrer Zeit dort verarbeitete. In den Wirren alliierter Bombenangriffe auf das Münsterland zog sie sich 1943 schutzsuchend nach Reit im Winkl zurück, wo sie am 23. November 1944 verstarb und ihre letzte Ruhestätte fand.
Hugenottische Abstammung
In Die klingende Kette lässt Helene Pagés ihre Großmutter aus der Familiengeschichte erzählen: „Großmutter weiß von einem schlimmen Krieg in Frankreich. Und sie weiß, daß damals Balthasar Pagez, Sieur de la Lobatière, mit seiner Frau, unserer Urahne Pauline de la Pompie, und mit seinen Kindern von ihrem Gut bei Lyon flüchten mussten, weil sie Protestanten waren, die ihren Glauben nicht lassen wollten […], daß sie heimatlos und bitter arm waren, bis sie in Berlin vom preußischen König gern aufgenommen wurden und einen Seidenhandel beginnen durften. Und Großmutter erzählt mir von den Lützower Reitern mit dem Totenkopf am Tschako und von meinem Großvater, Isaak Wilhelm Pagés, und seinem jungen Bruder, die in ihren Reihen geritten sind und geholfen haben, Deutschland frei zu machen.“
1972 wies Friedrich-Weimar Steinfartz auf Balthasar Pagez als möglichen Urahnen hin, merkte aber an, dass wegen des nicht aufzufindenden Geburtsnachweises von Helenes Großvater Wilhelm die genealogische Kette zu diesem Vorfahren bislang nicht zu schließen ist.[3] Balthasar Pagez’ Geburtsdatum ist nur aus einem von zwei in der Familie erhaltenen militärischen Dokumenten, seine Mitwirkung bzw. Verdienste bei den Befreiungskriegen betreffend, bekannt. Um diese Dokumente und um einen vom Großvater hinterlassenen Säbel,[4] einen Orden, eine Gedenkmünze sowie um seine Totenmaske ranken sich Passagen in den Erzählungen Helene Pagés.
Balthazar Pagez, Sieur de la Lobatière ⚭ Pauline de la Pompie
↓ 3 Söhne[3]
Antoine Pagez,* 1655 Malbosc; † Prenzlau 23. November 1746
Philothée Pagez, * 1661/1662 Apotheker aus Chavagnac; † Prenzlau 21. September 1710
Baltazar de Pagez, * ?; † ?; ⚭ um 1678 in Vialas (Cevennen)
…
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Wilhelm Pagés, Preußischer Steuerinspektor in Koblenz, * 24. August 1790; † 13. Februar 1852; ⚭ Helene Kramer, * 28. Juni 1802; † 28. Januar 1871
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Franz Pagés, Wegeinspektor beim Bau der Straße Boppard-Simmern * 14. Dezember 1826 † 17. August 1908 ⚭ Anna (Nanni) Dörr * 14. Juli 1830 † 30. November 1918
↓
Helene Pagés
Großeltern mütterlicherseits der Helene Pagés sind:
Johann Georg Dörr, Lehrer in Kamp (Kamp-Bornhofen) und Horbach, * 18. Oktober 1800; † 1836; ⚭ Maria Anna Reh, * 7. Februar 1805; † 7. August 1879
Bedeutung
Helene Pagés veröffentlichte seit 1898 neben ihrer pädagogischen Tätigkeit zahlreiche erzählende Werke für Kinder und Jugendliche; insbesondere die in den Zwanzigerjahren erschienenen Bände Großmutters Jugendland, Großmutters Mädchentage und Mutter Nanni und ihre Kinder erfuhren bis in die Fünfzigerjahre Neuauflagen.
Als Vorsitzende der Literaturkommission im Verein katholischer deutscher Lehrerinnen gab sie jährliche Übersichten empfehlenswerten Jugendschrifttums heraus. Sie war Herausgeberin der Jugendschriftensammlungen Deutsches Gut. Hier veröffentlichte sie über 100 Hefte mit Texten aus deutscher und ausländischer Dichtung – und Erzählungen für Schulkinder. Dabei zählte sie u. a. Peter Dörfler und Joseph Bernhart zu ihren Mitarbeitern, die Lebensläufe und Einführungen zu schreiben hatten.[5]
Die klingende Kette und Fernes Läuten wenden sich vom Schreibstil her durchaus an Erwachsene und nahmen sehr bald für die Regionen Emmelshausen und Boppard – also Vorderhunsrück und Mittelrhein – den Rang von Heimatbüchern ein. Zwei Generationen vor Edgar Reitz hat Helene Pagés dem Heimatbegriff in Bezug auf den Hunsrück Gestalt und Inhalt gegeben.
Ehrungen
In Boppard erinnern ein Straßenname und eine Gedenktafel an der Ostwand des ehemaligen Karmeliterklosters, der späteren Bopparder Volksschule, an sie. Die Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen (SFL) in Boppard-Buchenau trägt den Namen „Helene-Pagés-Schule“[6] und auf dem Bopparder Friedhof ist ihr 2013 eine Gedenkstätte errichtet worden.[7]
Emmelshausen mit den Ortsgemeinden Leiningen und Schwall hat im Oktober 2013 eine Gedenkfeier anlässlich ihres 150. Geburtstags ausgerichtet und die Neuauflage von Die klingende Kette besorgt.[8] Im Kulturzentrum von Emmelshausen (ZaP) trägt ein Saal ihren Namen.[9]
Werke
Autorschaft
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Herausgeberschaft
- Balladen, Düsseldorf 1909 (herausgegeben zusammen mit Elisabeth Nieland)
- Lyrik, Düsseldorf 1912 (herausgegeben zusammen mit Elisabeth Nieland)
- Ehrenpreis, Freiburg im Breisgau 1913
- Komm heiliger Geist, Freiburg i. Br. 1920
- Der Mutter zum Preis, Paderborn 1927
- Unser Weihnachtsbuch für klein und groß, Freiburg i. Br. 1927
Literatur
- Paul Kämpchen: Helene Pagés. Zur Erinnerung an die Jugend- und Heimatschriftstellerin. (= Bopparder Beiträge zur Heimatkunde. 3). Keil, Boppard/Rhein 1964.
- Achim R. Baumgarten: Helene Pagés In: ders.: Hunsrück. 55 historische Persönlichkeiten. Außergewöhnliche Biografien und bewegende Schicksale. Sutton, Tübingen 2024, ISBN 978-3-96303-488-6, S. 78f.
Weblinks
Einzelnachweise
- Paul Kämpchen: Helene Pagés. Zur Erinnerung an die Jugend- und Heimatschriftstellerin. Boppard 1964, S. 11.
- Paul Kämpchen: Helene Pagés. Zur Erinnerung an die Jugend- und Heimatschriftstellerin. Boppard 1964, S. 19.
- Friedrich-Weimar Steinfartz: Legende oder Wirklichkeit? Wilhelm Pagés – Lützower Jäger und Hugenotten-Abkömmling. In: Archiv für Sippenforschung, Heft 45, Februar 1972.
- Hildegard Tschenett: Helene Pagés. Zum 150. Geburtstag der verdienten Pädagogin und Schriftstellerin. In: Rund um Boppard, Journal Nr. 118, 2013, S. 1.
- Paul Kämpchen: Helene Pagés. Zur Erinnerung an die Jugend- und Heimatschriftstellerin. Boppard 1964.
- Jürgen Johann: Der Weiße Sonntag, Helene Pagés und die Heilige Imelda. In: Rund um Boppard. Nr. 16, 2004, S. 16–17.
- Klaus-Georg Brager: Erinnerungsmal für Helene Pagés errichtet. In: vvv-boppard.de. 24. September 2013, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 6. Dezember 2013; abgerufen am 3. Dezember 2013. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Wolfgang Wendling: Der Vorderhunsrück feiert Helene Pagés. In: Rhein-Hunsrück-Zeitung, 14. November 2013, S. 18.
- das-zap.de: Website Zentrum am Park (Emmelshausen). Abgerufen am 26. Dezember 2015.