Heinrich Steiner (Dirigent)

Heinrich Steiner (* 27. November 1903 in Öhringen; † 13. Oktober 1982 in Flensburg)[1] war ein deutscher Pianist und Dirigent. Er war ein Bruder des Violoncellisten Adolf Steiner.[2]

Leben und Werk

Heinrich Steiner erhielt 1908 als Sohn eines württembergischen Musikdirektors, welcher ab 1912 in Berlin eine eigene Musikschule leitete, zusammen mit seinen vier Brüdern und den fünf Schwestern zunächst eine Musikausbildung vom Vater in Violine, Klavier und Tenorhorn.[3] 1911 studierte er als 7-Jähriger am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt am Main Klavier und Geige.[2] Danach studierte er am Konservatorium für Musik in Hamburg weiter. Von 1915 bis 1921 studierte er am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium in Berlin bei Moritz Mayer-Mahr und bei Mark Günzburg (Meisterklasse für Klavier) sowie bei Issay Barmas (Meisterklasse für Violine). 1916 trat Heinrich Steiner das erste Mal als Pianist in Berlin öffentlich auf. Auftritte im Domchor bei Hugo Rüdel und Konzertreisen mit dem Domchor folgten. Die Freundschaft mit Wilhelm Kempff entstand. Von 1922 bis 1928 studierte Heinrich Steiner an der Staatlichen Akademischen Hochschule für Musik in Berlin Klavier bei Günzburg, Mayer-Mahr und (auf Empfehlung Ferruccio Busonis) Egon Petri sowie bei Leonid Kreutzer.[2] Die Kapellmeisterausbildung machte er bei Julius Prüwer,[2] Komposition studierte er bei Paul Juon und Paul Höffer.[2] Zwei Überbeine an den Händen, verursacht durch zu vieles Klavierüben, zwangen Heinrich Steiner seine Karriere als Pianist nicht weiter auszubauen. Seit 1923 bis zum Tode seines Bruders Karl 1956 wirkte Heinrich Steiner im Steiner-Streichquintett bzw. im Klavierquintett seiner Brüder mit. Karl Steiner: 1. Geige, Willy Steiner: 2. Geige, Friedrich Steiner: Bratsche (Vater von Peter C. Steiner: Cello, Lutz Steiner: Bratsche, beide Mitglieder der Berliner Philharmoniker und Christian Steiner, Pianist und Starfotograf in New York[4]), Adolf Steiner: Cello. Vor 1923 wurde in der Familie Steiner Streichquartett bzw. -quintett mit einigen der fünf Schwestern gespielt. Emma Graßme geb. Steiner galt in ihrer Kinder- und Jugendzeit als Wunderkind am Klavier.[5][2]

Ab 1924 unternahm er Konzertreisen als Pianist und Dirigent[2] und beteiligte sich an den musikalischen Sendungen des Berliner Rundfunks. 1925 wurde er freier Mitarbeiter der Funkstunde Berlin als Dirigent und Pianist. Der Musikwissenschaftler Fred K. Prieberg unterstellte den Brüdern Steiner eine gewisse Affinität zu führenden nationalsozialistischen Politikern.[Anm. 1] Insbesondere lud Joseph Goebbels oft das Steiner-Quartett (Quartett heißt hier ohne Heinrich Steiner, Klavier) ein, vor seinen Auftritten zu spielen.[6]

1928 erfolgte das erste Auftreten Heinrich Steiners als Konzertdirigent mit dem Blüthner-Orchester in der Berliner Singakademie. Er trat zum 1. November 1930 in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer 359.750). Das war eine Bedingung, um ein neugegründetes Orchester dirigieren zu können. Heinrich Steiner hat nie ein Parteiabzeichen getragen, hatte keine Uniform und ist nie aus der Kirche ausgetreten. Er war sich, wie viele spätere Widerstandskämpfer auch, damals nicht im Klaren über den wahren Geist dieser Partei. Auch war und blieb Heinrich Steiner immer mit vielen jüdischen Mitbürgern befreundet und bereitete einige auf eine Auswanderung vor. Auszutreten aus der NSDAP war nicht ratsam, da er mit einer – nach nationalsozialistischer Auffassung – 1/4-Jüdin (Dora Ruth Goldammer, Schauspielerin) befreundet war, die er zu ihrem Schutz 1938 auch geheiratet hat.[7] (Scheidung erst Ende der 40er Jahre). 1931 wurde Heinrich Steiner Leiter der Grammophonfirma Tri-Ergon in Berlin. 1932 gründete Heinrich Steiner zusammen mit seinem jüdischen Freund Ernst Hannes Brauer in Berlin „Das Podium“, eine weltoffene Vereinigung von Künstlern aller Fakultäten.[8] Von 1932 bis 1934 wurde Heinrich Steiner am Stadttheater Lübeck Korrepetitor, Kapellmeister und Chordirektor; Freischütz als erste Oper. 1934 wurde Heinrich Steiner zweiter Kapellmeister am Rundfunk Berlin. Steiner komponierte im Rahmen eines Wettbewerbes zur Rundfunkausstellung 1935 in Berlin die Musik des Marschliedes Flieg, deutsche Fahne, flieg!; der Text dazu stammt von Heinz-Jürgens Nierentz.[9] Ein wichtiges Textzitat: „... dem Frieden dient das graue Kleid und nicht nicht dem Krieg der Schmerzen.“[10] Kaum einer glaubte damals an einen Krieg, vergleichbar mit Februar 2022 bezüglich Putin. Von 1935 bis 1936 wirkte Heinrich Steiner als Musikalischer Oberleiter und erster Kapellmeister am Stadttheater Würzburg.[2] Von 1936 bis 1939 wirkte er als Erster Kapellmeister (ab 1937 als Abteilungsleiter für Orchester und Chor) am Berliner Rundfunk[2]. Um dem politischen Druck zu entgehen, kündigte er seine hohe Position in Berlin, um von 1939 bis 1944 als Operndirektor und Leiter der Symphoniekonzerte am Staatstheater Oldenburg[2] zu arbeiten. 1944 erfolgte die Einberufung zur Wehrmacht, wo er die A- und B-Prüfung des Funkerlehrgangs ablegte und als Funkausbilder eingesetzt wurde. Auch in dieser Zeit gab er unzählige Klavierabende für das gesamte Weser-Ems-Korps.

Ab 1945 konzertierte Heinrich Steiner in Hamburg, Hannover, Bremen und Süddeutschland als Konzertpianist. 1947 wurde er Generalmusikdirektor und Leiter der Nordwestdeutschen Philharmonie in Bad Pyrmont. Heinrich Steiner war der Initiator der Internationalen Musikwoche in Pyrmont. Seit 1950 wirkte er als Leiter des Nordmark-Sinfonie-Orchesters,[2] ab 1951 als Generalmusikdirektor und von 1951 bis 1959 zeitgleich als Intendant der Städtischen Bühnen Flensburg.[2] 1959 wurde Heinrich Steiner zusammen mit Albert Aereboe der Kunstpreis des Landes Schleswig-Holstein verliehen.[11] 1967 wurde er mit dem Titel des Ehrenprofessors des Landes Schleswig-Holstein ausgezeichnet.[2] 1970 verlieh ihm der König von Dänemark das Ritterkreutz des Dannebrogordens. 1975 erfolgte die Verleihung des Verdienstordens 1. Klasse der BRD.[12] Konzertreisen als Pianist und Dirigent führten Heinrich Steiner nach Amerika, in alle europäischen Staaten und Marokko.

Pädagogische Tätigkeit: Konzertreife-Ausbildung mehrerer Pianisten, u. a. Adolf Drescher, zwei Dozenten an der Freiburger Musikhochschule (Meyer und Behrend) usw.

Kompositionen: Serenade Appassionata, Episode als Konzertstück und Orchestermusik, Kleiner Walzer für Klavier und Orchester, Rondo für Klavier, mehrere Lieder.

Literatur

  • Steiner, Heinrich. In: Carl Dahlhaus (Hrsg.): Riemann Musiklexikon. 12., völlig neubearbeitete Auflage. Personenteil: L–Z, Ergänzungsband. Schott, Mainz 1975, S. 704.
  • Heinrich Steiner. In: Bayrisches Musiker Lexikon Online. Abgerufen am 12. November 2021.
  • Steiner, Heinrich. In: Paul Frank, Wilhelm Altmann: Kurzgefaßtes Tonkünstlerlexikon. Zweiter Teil: Ergänzungen und Erweiterungen seit 1937. Hrsg.: Burchard Bulling, Florian Noetzel, Helmut Rösner. 15. Auflage. Band 2 L–Z. Heinrichshofen’s Verlag, Wilhelmshaven 1978, S. 325.
  • Steiner, Heinrich. In: Walter Habel (Hrsg.): Wer ist wer? Das deutsche Who's Who. 20. Auflage. Schmidt-Römhild, Berlin (West) 1979, ISBN 978-3-7950-2001-9.

Anmerkungen

  1. Aus arkivmusic.com: Besprechung der CD Edition Gewandhausorchester Leipzig, Vol. 1: „Die Notizen des Begleitheftes, die Fred K. Priebergs Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945 zitieren, sagen uns, dass Steiner mit seinem Bruder Heinrich im Steiner-Quartett spielte, das ‚einen musikalischen Rahmen für die Reden von Joseph Goebbels bot.‘ “ (Übersetzung aus dem Englischen). Auf der besprochenen CD ist u. a. Adolf Steiner als Interpret zu hören: Link (Memento vom 12. November 2021 im Internet Archive) Fred K. Prieberg veröffentlichte darüber hinaus Passagen eines Briefes von Heinrich Steiner vom 24. August 1964 an Prieberg. In dieser Briefpassage schildert Heinrich Steiner die Zwänge, unter die er als 2. Kapellmeister des Berliner Rundfunkorchesters und das Berliner Philharmonische Orchester gegenüber Joseph Goebbels gerieten, der zeitweise die Berliner Philharmoniker in Rollen eines Rundfunkunterhaltungsorchesters hinein zwang und sogar die Weiterexistenz des Orchesters in Frage stellte. Diese Briefpassage steht erläuternd in einem Kapitel, in dem Zwänge bedeutender Musiker wie Richard Strauss unter dem NS-Regime geschildert werden (Quelle der Briefpassage: Fred K. Prieberg: Musik im NS-Staat. Frankfurt am Main 1982. Seite 204/205).

Einzelnachweise

  1. Sterbedatum und Sterbeort nach BMLO.
  2. Carl Dahlhaus: Heinrich Steiner. In: Riemann Musiklexikon.
  3. Otto-Ackermann-Archiv Archivmitteilungen Jahrgang 2004 Seite 51/52: Nachruf in der "Aktuellen Information" des Otto-Ackermann-Archiv e.V. Jg 1982 Nr. 2. Heidmoor, S. 51/52.
  4. Christian Steiner, Fotograf. Abgerufen am 16. Dezember 2022.
  5. Otto-Ackermann-Archiv Archivmitteilungen Jahrgang 2004. Otto-Ackermann-Archiv e.V, Heidmoor, S. 51/52.
  6. Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933 – 1945. 2. Auflage. Auprès de Zombry 2009, ISBN 978-3-00-037705-1 (Fred K. Prieberg dokumentiert in diesem Werk einige Auftritte Heinrich Steiners als Musiker bei Partei- oder parteinahen Veranstaltungen der NSDAP).
  7. Gunilla Budde, Mareike Witkowski: Beethoven unterm Hakenkreuz. Isensee Verlag, Oldenburg 2007, ISBN 978-3-89995-443-2, S. 65–74.
  8. Kultur. In: Abendblatt Berlin. Abendblatt Berlin, Berlin 27. Januar 1932.
  9. Paul Hochmuth: Sturm- und Kampflieder für Front und Heimat. Hrsg.: Propaganda-Verlag. Propaganda-Verlag, Berlin 1940.
  10. Karl Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker.
  11. Wer ist wer? In: Ausgabe von Degeners (Hrsg.): Wer ist wer? 20. Auflage. Schmidt-Römhild, Lübeck 1979.
  12. siehe: Bundesverdienstkreuz/1975/Mai Heinrich Steiner (Projekt Bundesverdienstkreuz in WP)
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.