Heinrich Martius
Heinrich Martius (* 2. Januar 1885 in Berlin; † 17. Februar 1965 in Göttingen) war ein deutscher Gynäkologe und Geburtshelfer.
Leben und Wirken
Heinrich Martius wurde als Sohn von Friedrich Martius (1850–1923), einem deutschen Internisten, geboren. Während seines Studiums wurde er 1904 Mitglied der Burschenschaft Teutonia Freiburg.[1]
Als Schüler des Gynäkologen Otto von Franqué (1867–1937) in Bonn wurde Heinrich Martius 1926 Ordinarius an der Georg-August-Universität Göttingen und zum Direktor der Universitätsfrauenklinik in Göttingen ernannt.[2] Er führte die Klinik bis 1954 trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage in den folgenden Jahren zu einer neuen Expansion. Sein Nachfolger wurde Heinz Kirchhoff. In Göttingen war Martius einer der prominentesten Vertreter der Gynäkologie und Geburtshilfe und ist heute noch über die Landesgrenze hinaus bekannt.
In der Zeit des Nationalsozialismus galt er nach der nationalsozialistischen Rassenideologie als „Vierteljude“, wurde aber wegen seiner Teilnahme als Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg nicht als Hochschullehrer entlassen. Am 19. August 1934 gehörte er zu den Unterzeichnern des Aufrufs Deutsche Wissenschaftler hinter Adolf Hitler, der im Völkischen Beobachter abgedruckt wurde.[2] Während des Zweiten Weltkriegs gehörte er zum Beirat der Deutschen Gesellschaft für Konstitutionsforschung.[2]
Von 1949 bis 1951 war Martius Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie (DGGG) und organisierte deren Kongress 1951 in Bad Pyrmont.[3] Er war auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Krebsbekämpfung.[2] Im Jahr 1953 wurde er zum Mitglied der Leopoldina gewählt.
Eine breite Popularität verschafften ihm seine Fähigkeiten als Geburtshelfer. Martius reduzierte die geburtshilflichen Operationen auf ein Mindestmaß, weil er der Überzeugung war, dass die Geburt ein von der Natur geschaffener physiologischer Vorgang sei, in den nicht ohne besonderen Grund eingegriffen werden solle.
Wissenschaftliche Arbeit und Schüler
Zusammen mit dem Physiker W. Grebe entwickelte er eine Ionisationskammer zur Messung der Röntgenstrahlendosis, die patentiert wurde. Bereits 1918 publizierte er ein Verfahren zur geometrischen Vermessung des weiblichen Beckens, welche als Martius-Beckenmessaufnahme in die Literatur eingehen sollte. Es diente bis zur Einführung strahlungsfreier Bildgebungsverfahren (MRT, Sonographie) dazu, eine entbindungsrelevante Beckenverengung zu quantisieren. Zusammen mit H. Franken publizierte er Untersuchungen über die erbgutschädigende Wirkung von Röntgenstrahlen bei weißen Mäusen. Auch die Anwendung der Strahlentherapie bei gynäkologischen Tumoren wurde von ihm in der Universitäts-Frauenklinik Göttingen vorangetrieben. Auf ihn geht das Konzept der Kleinraumbestrahlung von Tumoren des weiblichen Beckens zur Schonung der Risikoorgane zurück.[4]
Zu den bedeutendsten Schülern von Heinrich Martius zählen Werner Bickenbach, Günter Oehlert, Gerhard Schubert, Richard Kepp und Wichard von Massenbach.
Ehrungen
Martius wurde 1953 mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.[2] 1960 erhielt er die Albrecht-von-Haller-Medaille der Universität Göttingen, 1961 die Paracelsus-Medaille. Die DGGG ernannte ihn zum Ehrenmitglied.[3]
Privates
Heinrich Martius ließ sich für seine Familie im Jahr 1950 von dem renommierten Göttinger Architekten Diez Brandi im vornehmen Göttinger Ostviertel das „Haus Martius“ (Bismarckstraße 4) errichten. Die Villa enthielt auch eine kleine Arztpraxis.[5][6]
Sein Sohn Gerhard Martius (1924–1998) war ebenfalls Gynäkologe und wurde 1967 Professor an der Universitätsfrauenklinik München.
Literatur
- Werner Bickenbach: Professor Heinrich Martius zum 70. Geburtstag. DMW 80 (1955), 1
- Werner Bickenbach: Heinrich Martius. DMW 90 (1965), 1025–1026
- Manfred Stürzbecher: Martius, Heinrich. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 16, Duncker & Humblot, Berlin 1990, ISBN 3-428-00197-4, S. 313 f. (Digitalisat).
- Hans Ludwig: Heinrich Martius (1885–1965) – Als Forscher vielseitig, als Lehrer prägnant, als Arzt mitfühlend, als Chef leise und wirksam. Der Gynäkologe 39 (2006), 1003–1008, doi:10.1007/s00129-006-1910-6
- John L. Powell: Powellʼs Pearls: Heinrich Martius, MD (1885–1965). J Pelv Med Surg 15 (2009), 157–158, doi:10.1097/SPV.0b013e3181858323
- Christine Loytved, Cornelia Krapp: Heinrich Martius: widersprüchliche Rolle im Nationalsozialismus. In: Obstetrica, Heft 5/2019, S. 24–25. (Digitalisat auf digitalcollection.zhaw.ch, abgerufen am 20. Dezember 2022)
Weblinks
- Literatur von und über Heinrich Martius im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Heinrich Martius, auf bionity.com
- Andreas D. Ebert, Matthias David: Berühmte Gynäkologen. Heinrich Martius (1885–1965) – ein wenig Bekanntes und etwas Vergessenes aus seinem Leben. Auf thieme-connect.com, abgerufen am 20. Dezember 2022. (Enthält Porträtfoto von Heinrich Martius.)
Einzelnachweise
- Ernst Elsheimer (Hrsg.): Verzeichnis der Alten Burschenschafter nach dem Stande vom Wintersemester 1927/28. Frankfurt am Main 1928, S. 323.
- Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945? Fischer TB, Zweite aktual. Auflage, Frankfurt 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 393.
- Hans Ludwig, Walter Jonat: Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe – Vom Programm zur Botschaft. A short history (1886–2008) of the German Society of Gynecology and Obstetrics reviewing its 57 congresses. 2. Auflage 2008. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, ISBN 3-00-009676-0
- R Kepp: Heinrich Martius zum 80. Geburtstag. In: Strahlentherapie. Band 126, 1965, S. 151–154.
- Wohnhaus Professor M. in Göttingen. Architekt: Prof. Diez Brandi, Göttingen. In: Baumeister, Jg. 1953, Heft 6, S. 398–399.
- Christian Freigang: Haus Martius. In: Diez Brandi. Ein Göttinger Architekt zwischen Tradition und Moderne. Hrsg. Christian Freigang. Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung im Foyer der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek vom 19. April bis 29. Juni 2002. Verlag Göttinger Tageblatt, Göttingen 2002, ohne ISBN, S. 33–34.