Hedwig Bollhagen

Hedwig Bollhagen (* 10. November 1907 in Hannover; † 8. Juni 2001 in Marwitz) war eine deutsche Keramikerin[1] und Mitbegründerin der HB-Werkstätten für Keramik.

Hedwig Bollhagen

Leben

Hedwig Bollhagen wuchs als Halbwaise in Hannover auf[1] und besuchte dort das Lyzeum, nach dessen Abschluss 1924 sie noch im selben Jahr ein Praktikum in einer Töpferei in Großalmerode absolvierte. Nach einem Gaststudium an der Staatlichen Kunstakademie in Kassel lernte sie vom Frühjahr 1925 bis Sommer 1927 an der Keramischen Fachschule Höhr-Grenzhausen bei Eduard Berdel und Hermann Bollenbach und volontierte 1926 in der Hamelner Töpferei von Gertrud Kraut in Hameln.

Butterdose im charakteristischen blauen Streifendesign von Hedwig Bollhagen

Von 1927 bis 1931 erhielt sie eine Anstellung als Entwerferin und Leiterin der Malabteilung bei den Steingutfabriken Velten-Vordamm in Velten.[2] Eine ihrer Schülerinnen war dort Eva Schulz-Endert. Nach deren Schließung wegen Wegfalls der Exporte infolge der Weltwirtschaftskrise begannen die „Wanderjahre“, die sie zuerst in die Staatliche Majolikamanufaktur Karlsruhe, dann zu den Rosenthal-Betrieben in Neustadt bei Coburg, die Werkstatt Wilhelm Kagel in Garmisch-Partenkirchen (bis Frühling 1932) und schließlich als „Ladenmädchen“ bis Februar 1933 in die Verkaufsgalerie „Kunst und Handwerk“ von Tilly Prill-Schloemann und Bruno Paul in Berlin führten. Bis Oktober 1933 arbeitete sie noch in der Glasur- und Malabteilung der J. Kalscheuer Cie. Steinzeugwerke m.b.H. in Frechen.

Hedwig Bollhagen (1998)

Als die Keramikerin Nora Herz in Köln von der gescheiterten Neuansiedlung der von der Keramikerin Margarete Heymann und ihrem Ehemann Gustav Loebenstein gegründeten Haël-Werkstätten für Künstlerische Keramik erfuhr, konnte Hedwig Bollhagen mit Hilfe des Handwerksfunktionärs Heinrich Schild 1934 unter der Beteiligung von Margarete Heymann und Nora Herz in der alten Keramikfabrik in Velten die neuen HB-Werkstätten für Keramik GmbH gründen. Sie etablierten sich durch die Mitarbeit der Keramikmeisterin Thoma Gräfin Grote als kaufmännische Assistentin und Entwicklerin – sie hatte für Charles Crodel Glasuren entwickelt – und anderen aus der keramischen Werkstatt des Staatlichen Bauhauses unter Gerhard Marcks hervorgegangenen früheren Mitarbeitern der 1931 stillgelegten Steingutfabriken Velten-Vordamm GmbH wie Theodor Bogler und Werner Burri.

Seit 1935 erschloss Charles Crodel der Firma das Feld der Baukeramik und brachte zugleich seine in den Vereinigten Lausitzer Glaswerken im Zusammenwirken mit Wilhelm Wagenfeld gewonnenen Industrieerfahrungen in der Dekorentwicklung ein. 1939 legte Hedwig Bollhagen mit einem von Charles Crodel bemalten Gefäß die Meisterprüfung ab. Sie wurde damit zur Keramikmeisterin und konnte den Betrieb dem Zugriff der Deutschen Arbeitsfront (DAF) entziehen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs siedelte Heinrich Schild, Hauptgegner der DAF, der Mitgründer und unentgeltlich wirkende Geschäftsführer der HB-Werkstätten, 1946 aus der damaligen SBZ nach Westdeutschland um.[Anm 1]

Hedwig Bollhagen übernahm daraufhin die Führung der HB-Werkstätten in alleiniger Verantwortung.[3] 1972 wurden die Werkstätten verstaatlicht, doch blieb Bollhagen auch in den zwanzig Jahren bis zur Reprivatisierung 1992 künstlerische Leiterin und arbeitete bis kurz vor ihrem Tod weiter. Ihre Nachfolgerin wurde Heidi Manthey, eine Schülerin von Charles Crodel.

Internationale Bekanntheit erlangte Hedwig Bollhagen durch ihr schlichtes, zeitloses Alltagsgeschirr, dem in Form und Dekor eine zwanglose Verbindung von bäuerlicher Tradition und Bauhaus-Ästhetik gelingt. Sie selbst sagte dazu: „Kunst? Ach ja, manche nennen es so. Ich mache Teller, Tassen und Kannen.“ oder kürzer: „Das sind doch bloß Töppe!“.

Schüler Hedwig Bollhagens waren u. a. auch Tomas Grzimek, Klaus Guido von Martens (1943–2019), Martin Möhwald (* 1954) und Friedrich Stachat (* 1938).

Hedwig Bollhagen wurde auf dem Stadtfriedhof Stöcken im hannoverschen Stadtteil Stöcken beigesetzt.[4]

Nachlass

Straßenschild der Hedwig-Bollhagen-Straße in Hannover-Seelhorst
Das Grab von Hedwig Bollhagen im Familiengrab auf dem Stadtfriedhof Stöcken in Hannover

Der Nachlass Hedwig Bollhagens wurde 2004 unter Federführung des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalschutz als bewegliches Denkmal in die Denkmalliste des Landes Brandenburg aufgenommen.

Für den Nachlass errichteten die Erben die Hedwig Bollhagen-Stiftung als treuhänderische Stiftung in der Obhut der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Er sollte ab Sommer 2008 im Museumshaus „Im Güldenen Arm“ in Potsdam ausgestellt werden. Die Eröffnung des geplanten Museums wurde jedoch nach Differenzen zwischen Hedwig-Bollhagen-Stiftung und Hedwig-Bollhagen-Gesellschaft auf der einen, und der Stadtverwaltung Potsdam auf der anderen Seite[5] verschoben.[6][7]

Ausgelöst durch einen Beitrag des rbb-Magazins Kontraste[8] gab es Anfang 2008 eine verstärkte mediale Diskussion darüber, inwieweit Hedwig Bollhagen bewusste Nutznießerin der so genannten „Arisierung“ der Haël-Werkstätten war. Die Jewish Claims Conference hielt 2008 an der Entschädigungsregelung von 1991 fest und verwies darauf, dass das zuständige Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen die Verfolgungsbedingtheit der Veräußerung verneint habe.[9]

Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs hatte eine Studie beim Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) in Auftrag gegeben, um zu prüfen, ob eine geplante Dauerausstellung der Keramiken von Hedwig Bollhagen im städtischen „Haus im Güldenen Arm“ noch realisiert werden könne. Die Historikerin Simone Ladwig-Winters, die mit einer Dissertation über die „Arisierung“ von Berliner Warenhäusern promoviert wurde, veröffentlichte diese am 14. Juli 2008.[10][11] Darin kam sie zu dem Schluss, dass Hedwig Bollhagen weder Anhängerin noch Förderin des Nationalsozialismus gewesen war, wie es das rbb-Magazin „Kontraste“ dargestellt hatte. Zwar habe sie von den antijüdischen Rahmenbedingungen der nationalsozialistischen Etablierungsphase wirtschaftlich profitiert, diese aber nicht gezielt zu ihrem Vorteil genutzt.[12] Jakobs gab daraufhin seine Zustimmung für eine Dauerausstellung der Keramiken Bollhagens, die nun auch die Kontroverse um ihre Rolle in der NS-Zeit aufgreifen sollte.

Im brandenburgischen Velten wurde 2002 ein neugebautes Gymnasium nach ihr benannt. In Hannover trägt seit 2006 eine Straße im Stadtteil Seelhorst ihren Namen.

Der gemeinnützige Verein „Kunsthandwerk e.V. Marwitz“ pflegt und bewahrt das Andenken von Hedwig Bollhagen und ihres Schaffens in ihren Werkstätten durch Ausstellungen.[13]

Siehe auch

Ehrungen (unvollständig)

Öffentliche Sammlungen und Museen mit Werken Hedwig Bollhagens (unvollständig)

Ausstellungen (unvollständig)

Einzelausstellungen nach der deutschen Wiedervereinigung

  • Berlin ehrt Hedwig Bollhagen. 8. Oktober bis 13. November 1994. Gastausstellung des Keramik-Museums Berlin im Martin-Gropius-Bau Berlin
  • Hedwig Bollhagen – Unikate. 1. bis 31. Mai 1996. Galerie Theis Berlin.
  • Hedwig Bollhagen. Ein Leben für die Keramik. 22. Juni 2007 bis 13. Januar 2008. Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Kutschstall am Neuen Markt, Potsdam
  • Hedwig Bollhagen (1907–2001) zum 100. Geburtstag. 26. August bis 31. Dezember 2007. Keramik-Museum Berlin
  • Töppe, Tassen, Humpen für VEB Stadtgrün u. a. – Präsent- und Auftragskeramik aus den HB-Werkstätten Marwitz. 3. November 2007 bis 3. Februar 2008. Ofen- und Keramikmuseum Velten, Wilhelmstraße 32, Velten (Mark)
  • Hedwig Bollhagen – Keramik. Sonderausstellung, 12. April bis 21. September 2008, Keramik-Museum Bürgel
  • Hedwig Bollhagen. Baukeramik und Denkmalpflege. 11. Februar bis 13. August 2012. Hedwig Bollhagen Gesellschaft zu Gast im Keramik-Museum Berlin

Beteiligung an zentralen und regional wichtigen Ausstellungen in der DDR

  • 1958 bis 1988: Dresden, Vierte Deutsche Kunstausstellung bis X. Kunstausstellung der DDR
  • 1969: Potsdam, Bezirkskunstausstellung
  • 1986: Magdeburg, Kloster Unser Lieben Frauen („Keramik in der DDR“)

Literatur

  • Traugott Stephanowitz: Hedwig Bollhagen – eine Meisterin der Keramik. In: Bildende Kunst, Berlin, 1966, Heft 9, S. 462–465
  • Ofen- und Keramikmuseum Velten: Vollendung des Einfachen. Hedwig Bollhagen wird neunzig. Velten 1997.
  • Andreas Heger: Keramik zum Gebrauch – Hedwig Bollhagen und die HB-Werkstätten für Keramik. VDG, Weimar 2005, ISBN 3-89739-491-X (ca. 170 S. kommentierte Selbstdarstellung Die Keramikerin Hedwig Bollhagen über sich selbst und Verzeichnis der Seriengeschirrformen – ohne Dekore und mit Fehldatierungen).
  • Gudrun Gorka-Reimus (Hrsg.): Hedwig Bollhagen. Ein Leben für die Keramik. Mit einem Vorwort von Angela Merkel. Deutsche Stiftung Denkmalschutz. Monumente Publikationen, Bonn 2007. ISBN 978-3-936942-85-9
  • Ein fairer Grundstückspreis. (Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive) Lothar de Maiziére über die Vorgeschichte der Hedwig-Bollhagen-Werkstatt. In: Maerkische Allgemeine, Potsdam, 14. Juni 2007.
  • Ursula Hudson-Wiedenmann: Ein fairer Preis? (Memento vom 29. September 2007 im Internet Archive) Zur Vorgeschichte der HB-Werkstätten in Marwitz – eine Erwiderung. In: Maerkische Allgemeine, Potsdam, 16. Juni 2007.
  • Simone Ladwig-Winters: Gutachten zu den „Arisierungs“-Vorwürfen gegen Hedwig Bollhagen. (PDF; 519 kB) Potsdam 2008.
  • Bollhagen, Hedwig. In: Dietmar Eisold (Hrsg.): Lexikon Künstler in der DDR. Verlag Neues Leben, Berlin, 2010. ISBN 978-3-355-01761-9, S. 99
  • Kurzbiografie zu: Bollhagen, Hedwig. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 1. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
  • Heinz-Joachim Theis: Hedwig Bollhagen (1907–2001). Zier- und Gebrauchskeramik. Selbstverlag, Berlin 2012
  • Anna Grosskopf: Hedwig Bollhagen. In: Tobias Hoffmann / Anna Grosskopf (Hrsg.): Ansehen! Kunst und Design von Frauen 1880–1940. Hirmer, München 2022 (Veröffentlichungen des Bröhan-Museums; 43), ISBN 978-3-7774-4009-5, S. 116–121.
  • Johanna Flawia Figiel: Hedwig Bollhagen „Keine modischen Schlager, sondern einfach zeitlose Dinge“. In: dies.: Tonangebend. Starke Frauen und ihre Kunst 1918–1945. Ausstellungskatalog Keramikmuseum Stauffen. Badisches Landesmuseum, Karlsruhe 2023, ISBN 978-3-937345-94-9, S. 58–65.
Commons: Hedwig Bollhagen – Sammlung von Bildern

Anmerkungen

  1. Die Einschätzung der Firmengründung durch eine mit den Nachkommen von Margarete Heymann-Loebenstein-Marks befreundeten Literaturwissenschaftlerin als „Arisierung“ unter Federführung von Heinrich Schild beruht auf einem Vergleich zwischen den HB-Werkstätten und dem Jewish Claims von 1992, der sich auf die Anerkennung von Grete Loebenstein 1961 als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung und der nachfolgenden Entschädigung von 1985 stützte – wobei zu dieser Zeit die enteigneten und damit staatlichen HB-Werkstätten dem Hoheitsrecht der DDR unterlagen.

Einzelnachweise

  1. Hugo Thielen: Bollhagen, Hedwig. In: Hannoversches Biographisches Lexikon, S. 64
  2. Paul Dahms: Velten, Ein Streifzug durch die Geschichte der Ofenstadt. Veltener Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-9811401-8-7, S. 78
  3. zu H.Bollhagen u. Grete Loebenstein siehe auch Astrid von Pufendorf: Erzwungenes Nomadentum. In: die tageszeitung – taz, Berlin, 18. November 2000
  4. Grab von Hedwig Bollhagen. knerger.de
  5. Zentrum für Zeithistorische Forschung (PDF)
  6. Pressemeldung der DSD (Memento vom 11. September 2011 im Internet Archive)
  7. „Oberbürgermeister Jakobs macht Bollhagen zur Chefsache“ (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive) In Potsdamer Neueste Nachrichten, 26. März 2009
  8. @1@2Vorlage:Toter Link/www.rbb-online.deHedwig Bollhagen – Die umstrittenen Anfänge. (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Oktober 2012. Suche in Webarchiven) In: Kontraste, 7. Februar 2008
  9. Harry Nut: Kratzen am Keramik-Denkmal. In: Frankfurter Rundschau, 19. März 2008
  10. Presse-Information. (PDF) Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, Direktor, 14. Juli 2008, abgerufen am 13. April 2018.
  11. Hedwig Bollhagen und die Marwitzer Keramikwerkstätten in der NS-Zeit (Memento vom 22. Dezember 2015 im Internet Archive)
  12. »Hedwig Bollhagen war weder Anhängerin noch Förderin des Nationalsozialismus« (PDF; 35 kB), ZZF, Juli 2008
  13. Veranstaltungen, auf hbwk.de
  14. Datenbank der Träger des Bundesverdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, Bundespräsidialamt
  15. Spardose; Sparschwein. Abgerufen am 31. Juli 2023.
  16. https://nat.museum-digital.de/objects?style=grid&s=persinst%3A5137&startwert=24
  17. SKD | Online Collection. Abgerufen am 31. Juli 2023.
  18. https://nat.museum-digital.de/objects?&persinst_id=5137
  19. GRASSI Museum für Angewandte Kunst | Sammlung. Abgerufen am 31. Juli 2023.
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